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  Ute Tartz


Marie Lipsius

 

 

Marie Lipsius entstammte einer großbürgerlichen Leipziger Familie. Ihr Vater Karl Heinrich Adalbert Lipsius war Pädagoge an der Thomasschule, seit 1848 Vorsitzender des Leipziger Lehrervereins, stellvertretender Rektor der Thomasschule und ab 1861 für kurze Zeit bis zu seinem Tod deren Rektor. Ihre Mutter Juliane Molly Rost war die Tochter von Friedrich Wilhelm Ehrenfried Rost, der von 1800 bis 1835 ebenfalls Rektor der Thomasschule gewesen war. Aus der ersten Ehe von Karl Heinrich Adalbert Lipsius mit Juliane Molly Rost gingen vier Kinder hervor. Ida Marie war das jüngste Kind.
Zu Ehren der Familie Lipsius erhielt 1908 eine Straße in Leipzig - Reudnitz den Namen Lipsiusstraße. Insbesondere sollte der Rektor der Thomasschule geehrt werden, aber auch die Kinder erlangten Berühmtheit.

Die drei älteren Brüder von Marie schlugen alle eine Universitätslaufbahn ein. Der älteste, Richard Adelbert (geboren 1830), war Theologieprofessor in Leipzig, Kiel, Wien und Jena.
Der zweite, Johann Wilhelm Constantin (geboren 1832), war ein berühmter Architekt. Viele private und öffentliche Gebäude in Leipzig stammen von ihm, hier seien nur als Beispiele die Peterskirche am Schletterplatz und die neogotische Umgestaltung der Thomaskirche genannt. Er war von 1881 bis 1884 Professor für Architektur an der Kunstakademie in Dresden und hier verantwortlich für den Bau der Akademie der bildenden Künste auf der Brühlschen Terrasse.
Der Bruder Justus Hermann (geboren 1834) war Philologe, Lehrer an der Thomasschule und den Fürstenschulen Meißen und Grimma, ab 1866 Rektor der Nikolaischule Leipzig und von 1877 bis 1914 Professor der klassischen Philologie an der Universität Leipzig, 1891/92 deren Rektor.
Die Tochter Ida Marie war eine bekannte Musikschriftstellerin und Journalistin. Sie gehörte zu den ersten Frauen in Deutschland, die sich im 19. Jahrhundert als Musikschriftstellerin behaupten konnten. Da Frauen von höherer Schulbildung ausgeschlossen waren, war das Schreiben von Musikerbiografien einer der wenigen musikwissenschaftlichen Bereiche, in denen sich Frauen entfalten konnten.


Marie Lipsius
 
Marie Lipsius 1  

Ida Marie Lipsius wurde am 30. Dezember 1837 in Leipzig geboren. Als sie fünf Jahre alt war, starb ihre Mutter bereits, so dass Marie zunächst bei ihrem Vater und dann nach der zweiten Heirat des Vaters bei ihrer Stiefmutter aufwuchs.
Sie erhielt eine für Töchter des Bildungsbürgertums übliche Schulbildung, besuchte die höhere Fortbildungsschule für Mädchen von Dr. Zestermann, erhielt auch eine musische Erziehung und von Kindheit an Klavierunterricht. Vom Vater und den älteren Brüdern wurde sie zusätzlich in ihrer Bildung gefördert.

In der Fortbildungsschule lernte sie Laura Pohl kennen, die ihre lebenslange Freundin wurde. Im Hause Pohl wurde Theater gespielt und Hausmusik gemacht. Mit Lauras Bruder Richard Pohl, der später Musikschriftsteller wurde, spielte sie vierhändig Klavier und lernte dadurch die Werke Franz Liszts, Wagners, Berlioz', Schuberts und Brahms' kennen. Diese galten als die Vertreter der "Zukunftsmusik".
Durch Richard Pohl wurde sie 1856 mit Franz Liszt in Weimar bekannt und von da an in den Weimarer Künstlerkreis eingeführt. Sie besuchte Konzerte und nahm auch an den geselligen Zusammenkünften der Künstler teil. Liszt war in Weimar Konzertmeister und lebte mit Carolyne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein zusammen. Mit beiden war sie befreundet. Sie hielt sich oft in Weimar bei Franz Liszt und der Fürstin auf. Als Anhängerin von Franz Liszt betrachtete sie die Vertreter der "Zukunftsmusik", die von den Vertretern der "konservativen" alten Musik abgewertet und teils angefeindet wurden, besonders aufmerksam. Sie liebte die Musik und erlebte in Konzerten in Leipzig auch viele andere große Künstler.

1861 starb der Vater. Marie lebte noch im Hause ihrer Stiefmutter. Sie fühlte sich nun verpflichtet, zum Lebensunterhalt beizutragen. Durch einen Freund ihres ältesten Bruders wurde sie animiert, eine Rezension zu einer Novelle von Paul Heyse zu schreiben. Mit der anonymen Veröffentlichung begann ihre Laufbahn als Schriftstellerin. Weitere Novellen und Skizzen blieben zunächst unveröffentlicht. 1867 erschienen in den "Westermanns Monatsheften" ihre ersten musikbiografischen Texte über Robert Schumann, Franz Liszt und Frédéric Chopin unter dem Pseudonym La Mara. La Mara sollte eine Kombination von Marie und der Freundin Laura darstellen, was dazu führte, dass Laura Pohl manchmal irrtümlich als Mitverfasserin angesehen wurde.

Marie "La Mara" sandte Franz Liszt den Text über ihn zur Begutachtung und erhielt Lob und die Ermutigung, ihre Arbeit fortzuführen. In der Folge verhalf er ihren Texten zu Popularität, vermittelte Kontakte zu Musikerinnen und Musikern, wodurch sie Zugang zu wertvollen Quellen wie Dokumenten und Briefen für ihre schriftstellerische Tätigkeit erhielt.
1867 bot ihr der Weimarer Verleger Hermann Weißbach an, ihre musikbiografischen Studien zu einem Buch zusammenzufassen und sein Verlagsprogramm damit zu eröffnen. Sie ergänzte daraufhin die Porträts von Schumann, Chopin und Liszt mit Porträts von Weber, Schubert, Mendelssohn und Wagner. 1868 erschien der erste Sammelband der "Musikalischen Studienköpfe", 1871 der zweite Band, der Luigi Cherubini, Gaspare Spontini, Gioachino Rossini, François-Adrien Boieldieu und Hector Berlioz gewidmet war. Der dritte Band erschien 1875 im Verlag Schmidt und Günther in Leipzig mit Aufsätzen über Ignaz Moscheles, Carl Ferdinand David, Adolf Henselt, Robert Franz, Anton Rubinstein, Johannes Brahms, Carl Tausig. Der vierte Band erschien 1881 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig mit Aufsätzen über Georg Friedrich Händel, Johann Sebastian Bach, Christoph Willibald Gluck, Joseph Haydn, Wolfgang A. Mozart und Ludwig van Beethoven. Band 5, als letzter 1882 bei Breitkopf & Härtel erschienen, enthielt Texte über "Frauen im Tonleben der Gegenwart", was die erste Buchveröffentlichung über Musikerinnen in der deutschsprachigen Musikgeschichtsschreibung war. Sie ergänzte später die Aufsätze über die Komponisten noch durch Werkverzeichnisse, die sie teilweise selbst zusammenstellte.
Quellen der Aufsätze waren persönliche Kontakte zu den lebenden oder Familienangehörigen verstorbener Komponisten, ebenso Zeitzeugen. Sie interviewte sie persönlich oder per selbstentworfener Fragebögen. Richard Wagner lernte sie zum Beispiel nicht mehr kennen, aber sie hielt sich oft in Bayreuth auf und suchte Kontakt zur Familie Wagner. Weitere Quellen waren Fachliteratur, Originaldokumente oder Biografien anderer Autoren. Ihre Einfühlsamkeit, Quellentreue und Detailgenauigkeit, die auf sorgfältigen und gründlichen Archivrecherchen beruhte, wurden immer gelobt. Ihre Methode, die geschriebenen Porträts den lebenden Befragten vorzulegen und sie korrigieren zu lassen, war im 19. Jahrhundert durchaus nicht der Normalfall. Vorgeworfen wurde ihr aber ihre Verehrung von Franz Liszt, so dass sie ihn zu idealisiert dargestellt hätte. Alle Künstlerporträts erschienen vor der Veröffentlichung in einem Buch in einer der Zeitschriften "Westermanns Monatshefte", "Die Gartenlaube" oder "Gegenwart".
Ab 1910 wurden sie auch als Einzelausgaben ("Kleine Musikerbiographien") bei Breitkopf & Härtel herausgebracht.
Ihre Arbeiten erschienen auch in anderen Sprachen, wurden z.B. ins Englische, Französische, Italienische, Spanische und Schwedische übersetzt.

Ab 1882 beschäftigte sich Marie Lipsius hauptsächlich mit der Herausgabe von Briefen und Briefwechseln von Musikern. Sie betrieb großen Aufwand, um neben bereits veröffentlichten auch bis dahin unbekannte Briefe aufzuspüren. So sammelte sie die Briefe von Franz Liszt und gab sie zwischen 1893 und 1905 in 8 Bänden heraus. Ebenso gab sie Briefe von Richard Wagner an August Röckel heraus, mit dem Wagner am Hoftheater in Dresden zusammen gearbeitet hatte, aber besonders eng befreundet in der Phase des Dresdner Maiaufstandes 1849 war.
Mit dem Schreiben der Biografie des verehrten Franz Liszt war ihr die Musikschriftstellerin Lina Ramann zuvor gekommen. Daher beschrieb La Mara Liszts Leben, indem sie 1911 anlässlich seines 100. Geburtstags das Buch "Liszt und die Frauen" herausbrachte. Darin werden 26 Frauen vorgestellt, die in Liszts Leben eine Rolle gespielt haben und als Musikerinnen, Schriftstellerinnen usw. bekannt waren.

Marie Lipsius war die erste Musikwissenschaftlerin, die systematisch Quellenforschungen über die Verbindung der Familie Brunsvik zu Beethoven betrieb. 1909 erschien von ihr "Beethovens unsterbliche Geliebte. Das Geheimnis der Gräfin Brunswik und ihre Memoiren" und anlässlich Beethovens 150. Geburtstag 1920 "Beethoven und die Brunsviks. Nach Familienpapieren aus Therese Brunsviks Nachlass". Sie versuchte, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer die "unsterbliche Geliebte" war, der Beethoven einen Liebesbrief, allerdings ohne Anrede, ohne Jareszahl und Ort, schickte. Anhand des Briefwechsels zwischen Beethoven und der Familie Brunsvik und der Schwestern Therese und Josephine Brunsvik war sie der Meinung, dass Josephine die Geliebte gewesen sein müsse. Neuere Forschungen aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts haben ergeben, dass viele Indizien für Josephine sprechen, es aber auch wahrscheinlich ist, dass Antonie Brentano, die Schwägerin von Clemens Brentano und Bettina von Arnim, die "unsterbliche Geliebte" war.

Ihre letzte Arbeit war "An der Schwelle des Jenseits. Letzte Erinnerungen an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein, die Freundin Liszts", die 1925 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel" erschien.

Anlässlich ihres achtzigsten Geburtstages 1917 wurde ihr ehrenhalber der Professorentitel von der Universität Leipzig verliehen.

Zu ihrem Privatleben wäre noch zu sagen, dass sie mit ihrer Freundin Similde Gerhard zusammen lebte. Diese war eine Leipziger Stifterin, die Kinderbewahranstalten und Einrichtungen für Kriegsverwundete unterstütze. Nach ihr wurde 1906 die Simildenstraße in Leipzig-Connewitz benannt. Aus Maries 1917 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig erschienener Autobiografie "Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals" ist zu entnehmen, dass ihr einstiger Geliebter sich einer anderen zuwandte und sie danach unverheiratet blieb.

Die Jahre von Juni 1921 bis zu ihrem Tod verbrachte Marie Lipsius auf dem Rittergut Schmölen südlich von Wurzen, mit dessen Besitzer sie befreundet war. Sie starb dort am 02. März 1927. Die Erinnerung an sie wird im Herrenhaus Schmölen lebendig gehalten.
Ihre Werke wurden nach ihrem Tod für lange Zeit vergessen. Sie waren nur noch antiquarisch erhältlich. Erst seit wenigen Jahren hat die Wiederauflage ihrer Bücher begonnen, z.B. bei dem Hamburger Unternehmen TREDITION CLASSICS.

 

(März 2013)

 

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Lipsius

 

 

 

 

Website der Projektgruppe Frauenpersönlichkeiten