uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Vom Freizeit-  zum Leistungssportler

Ein Bericht von Peter Hobe, Leipzig

"Ein Junge muss doch einen eigenen Ball haben!" - Tante Gertrud sah sich genötigt, in meine Erziehung einzugreifen. Die ersten Erinnerungen an sportliche Aktivitäten sind verbunden mit einem Gummiball, dreizehn Zentimeter groß, von grauer Farbe und aus einem minderwertigen Material, das die zusammengepresste Luft nicht allzu lange zurückhielt. Ich bekam ihn, achtjährig, spontan von meiner Tante geschenkt, als sie äußerst erstaunt von meiner Balllosigkeit erfuhr. Meine Mutter hielt es wohl für wichtiger, das bisschen Geld, das sie 1948 als Verkäuferin verdiente, für unseren Lebensunterhalt auszugeben. Auf der Straße musste ich immer mit einigen Anderen auf die Gunst der Ballbesitzer hoffen, um eine Mitspielgelegenheit zu bekommen. Leider wurde ich immer als einer der Letzten in eine Mannschaft gewählt, die mich dann auf eine unbedeutende Position stellte, meist als Verteidiger. So erhielt ich nur selten Gelegenheit den Umgang mit dem Fußball beim Standardspiel der Straßenkinder zu üben. Meine Fertigkeiten blieben unterentwickelt.

In der Schulturnhalle, die zufälligerweise den Bombenhagel in Leipzig unversehrt überstanden hatte, war einige Körperkraft gefordert und ich hing mehr an den Geräten als dass ich an ihnen turnte. Auf dem Sportplatz gelang mir nur in den Laufdisziplinen etwas Eindruck zu schinden. Ein sicheres 'genügend' war dann regelmäßig wohl eher als Ansporn meiner sichtbaren Bemühungen gedacht. So hangelte ich mich im Sportunterricht der Grundschule schicksalsergeben von Klasse zu Klasse.

In der Lehrzeit setzte sich dieser Trend dann erst einmal fort. Aber irgendwo im Inneren musste doch sportlicher Ergeiz schlummern. Der Funke war gelegt, vielleicht durch die mehr beiläufigen Erzählungen über die tollen Jugenderlebnisse meiner wasserwandernden Mutter, die immer wieder einmal in dem nun durch den Krieg dezimierten Freundeskreis der Erwachsenen die Runde machten.

Sport und Politik

Es war dann zu Beginn der staatlich gelenkten Sportförderung, als die Sportorgani­sationen der DDR gezielt Mitglied in allen internationalen Verbänden mit olympischen Sportarten wurden. Der 'Kalte Krieg' hatte den Sport erreicht, und als Antwort auf den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik versuchte die DDR, sich mittels der 'Diplomaten im Trainingsanzug' in der internationalen Arena durchzusetzen. Es sollten noch zwölf lange Jahre vergehen, bis es endlich in Mexico 1968 zwei deutsche Olympiamannschaften gab. Dies war dann der Auftakt zur ‚Normalisierung der Beziehungen‘ im geteilten Deutschland. Für mich ergab sich die Gelegenheit den vielseitigen 'Moder­nen Fünfkampf' zu betreiben, ein glücklicher Umstand. Für einen Monatsbeitrag von wenigen Pfenni­gen konnte ich nun: Reiten, Fechten, Pistolenschießen, Schwimmen und Geländelaufen.

In Leipziger Berufsschulen warb der Sportclub DHfK im Frühjahr 1956 um Jungen, die 'Modernen Fünfkampf' intensiv betreiben wollten. Nach einem kurzen Testlauf über 1000 Meter lud man 15 Bewerber zum Training ein. Und ich war dabei, weil ich in meinem 'Bum­mel­lauf', schließlich wollten alle ins Ziel kommen und keinen Rekord aufstellen, durch einen Zwischenspurt Aufmerksamkeit erregt hatte. Mit dieser kurzen Anstrengung entschied ich unbewusst über meinen zukünftigen Lebens­weg.

Anfangs war es wöchentlich ein dreimaliges Training in den Disziplinen Fechten, Schwim­men und Laufen nach der Arbeit oder Schule sowie am Wochenende, welches damals den Sonntag und nur den halben Samstag einschloss. Ein Schießtraining war wegen des allgemeinen Verbots des Schusswaffen­besitzes noch nicht möglich. Erst allmählich konnten die Formalitäten für unsere Kleinkaliberpistolen und die dazugehörige Munition geregelt werden. Fuhren wir mit dem Zug zu unseren ersten Wettkämpfen, achtete der Trainer peinlichst darauf, dass das Verbot, Pistolen und Munition gemeinsam zu transportieren, eingehalten wurde. Einer hatte dann die verantwortungsvolle Aufgabe, auf die gesamte Munition aufzupassen; er durfte dafür seine Pistole einem anderen übergeben.

Die zum Reiten erforderlichen Pferde, Stallungen und Betreuer bereit­zu­stellen war in der Stadt Leipzig mühevoll und auf­wändig. Im Rahmen der 'Gesellschaft für Sport und Technik' (GST) konnte schließlich in Leipzig-Leutzsch ein Reitstütz­punkt für die ausschließliche Nutzung durch die Fünfkämpfer des SC DHfK eingerichtet werden.

Der 'Moderne Fünfkampf', ein von unterbeschäftigten Offizieren im schwedischen Heer erfundener Vielseitigkeitssport, war erstmals 1912 in Stockholm im Programm der Olympischen Spiele und wurde an fünf aufeinanderfolgenden Tagen ausgetragen. Sieger wurde, wer nach dem

- Hindernisritt im Gelände auf einem ausgelosten fremden Pferd am ersten Tag,

- nach dem Fechten mit dem Degen jeder gegen jeden auf einen Treffer am zweiten,

- nach dem 4 mal 5 Schuss Schnellfeuer-Pistolenschießen auf eine 25 m entfernte    Mannscheibe am dritten,

- nach dem 300m-Schwimmen am vierten

- und nach dem abschlie­ßen­den 4 km-Geländelauf am fünften Tag

die meisten Punkte erkämpft hatte.

Erst später wurde mir bewusst, was für eine elitäre Sportart ich gewählt hatte. Noch bei den Olympischen Spielen in Berlin waren nur Offiziere startberechtigt und deshalb befördert man den späteren ersten deutschen Olympiasieger im 'Modernen Fünfkampf' 1936 kurz vor den Spielen zum Unterleutnant. Seine beabsichtigte nachfolgende Degradierung unterließ man dann wegen der daraufhin unver­meidbaren Rückgabe der Goldmedaille. Für mich hatten vor allem die drei technischen Disziplinen eine besondere Anziehungskraft, denn wo konnte man schon alle diese Sportarten betreiben? Ich war begeis­tert und registrierte das erstaunte Interesse im Kreise der Ver­wandtschaft an meiner außergewöhnlichen Betätigung; Schießen war noch immer mit dem Trauma des Krieges verbunden und Reiten gehörte eigentlich in andere, in  'herrschaftliche' Kreise.

Weil der auf Beschluss des Ministerrates gegründete 'Deutsche Sportverband Moder­ner Fünfkampf' bald Mitglied im internationalen Verband geworden war, hätte die DDR eine vierköpfige Mannschaft zu den nächsten Olympischen Spielen entsenden können. Das veranlasste die Bundesrepublik sofort zum Nachziehen und auf Grund der innerdeutschen Ausscheidungskämpfe kam es im Moder­nen Fünfkampf in Rom 1960 zum 3-zu-1-Teilnehmerverhältnis für die BRD. Ich selbst war noch zu jung, um in die innerdeutschen Ausscheidungskämpfe einzugreifen, doch das Leistungsziel, in der gemeinsamen deutschen Olympiamannschaft ein 'positives' Teilnehmerverhältnis zu erreichen und dann den Mannschaftsleiter stellen zu können, gab es von Anfang an und daraufhin trainierten wir.

Moderner Fünfkämpfer

Im Trainingslager in Wermsdorf kümmerten wir uns nicht um die politischen Dimensionen unseres Sports, wir bereiteten uns auf unseren ersten Wettkampf vor. Nach zwei Trainingswochen auf dem Pferd war das Ergebnis nicht besonders glänzend, doch das sollte sich bald ändern. Im ersten Jahr 1957 aber gaben die Sportler des Armeesportclubs aus Potsdam, des Polizeisportclubs aus Berlin-Hoppegarten und des GST-Clubs aus Halle den Ton bei den Meisterschaften an.

Die Bedingungen eines intensiven Trainings in Leipzig wurden erst allmählich geschaffen. Mit Freude und Einsatzbereitschaft beteiligten wir uns im Schützenhof beim Aufbau unserer Schnellfeueranlage im alten Pistolenstand und auf der Vierackerwiese in Leutzsch halfen wir den Stall für die Pferde sowie die Dressur- und Sprunganlage aufzubauen. All dies neben dem Training in den fünf Disziplinen und ergänzenden diversen Athletik- und 'Trocken­Trainings'. Wir waren schließlich jeden Tag in der Woche beschäftigt, doch ein auf die Minute ausgeklügelter Trainingsplan für jeden Einzelnen ließ keinen trainingsschädlichen Stress aufkommen.

Mittlerweile hatten sich sukzessive alle 'alten' Teilnehmer, die mit mir das Training aufgenommen hatten verabschiedet und Sportler des SC DHfK, denen man keine Leistungs­perspektive in ihren bisher ausgeübten Sportarten zutraute, waren nun meine Trainingspartner. Ich sah mich, wie in der Schulsportzeit, wieder im 'hinteren Drittel'. Die längere spezielle Erfahrung im Training und die völlig verschiedenen Anforderungen der fünf Disziplinen ließen mich aber ganz gut mithalten. Mitten unter Studenten war es naheliegend, dass auch ich mich um einen Studienplatz bewarb und die Ver­letzungsgefahr im Beruf war sicher mit ausschlaggebend für die Unterstützung, die meine Bewerbung durch die Sektions­leitung erhielt. Im Jahre 1958 war es nämlich keinesfalls selbstverständlich, ein Studium zu beginnen, ohne vorher den 'Ehrendienst' in den 'bewaffneten Organen der DDR' geleistet zu haben.

Der Tradition des Modernen Fünfkampfes folgend, hatte der SC DHfK einen Oberstleutnant als Sektionsleiter gewinnen können und der goldbetresste Fürsprecher regelte in der Kaderleitung des Betriebes, in dem ich als Maschinenschlosser im Schichtdienst tätig war, die Formalitäten. Mit dem Versprechen, in den Semesterferien an der Reservistenausbildung teilzunehmen, konnte ich das Studium an der Ingenieurschule aufnehmen. Und so studierte und trainierte ich mit einem tagfüllenden Programm. Der enggepackte Trainingsplan, der nur wenige frei verfügbare Stunden offen ließ, hat mir viele kleine Entscheidungen abgenommen und die Erlebnisse im Training, Wettkampf und bei den gemeinsamen Feiern waren ganz nach meinem Geschmack.

So organisierte man im Jahre 1962 zur psychologischen Auffrischung der Trainings­müden ein Sommerlager in einer anderen Umgebung. In Neukloster, in Mecklenburg, waren wir in Klassen­räumen einer Schule und unsere Pferde in einem benachbarten Stall untergebracht. Es waren komfortfreie, doch ideale Bedingungen für Sportlerferien: Laufen in den lichten Kiefernwäldern, Schwimmen im See, dessen typische mecklenburgische Algenblüte uns nicht störte, und vor allem Reiten. Wie eine Filmkulisse wirkte die Mecklen­burger Seenplatte und so tollten wir, wie es die „Drei Musketiere“ im Gérard-Philipe-Film gezeigt hatten, unbeschwert über die sandigen Wege, dürren Felder und durch den lichten Wald. Und Freizeit hatten wir genug für die 'anderen schönen Seiten des Lebens', denn Nachtruhe war hier nicht vorgeplant.

Leistungsport

Die acht Jahre, die ich im SC DHfK Sport treiben konnte, waren eine prägende Zeit. Neben der absoluten Leistungsorientierung, selbstverständlich mit messbaren Zielen, waren die Kontakte zur internationalen Welt zuerst über befreundete Sportler im Club und dann auch im persönlichen Kontakt bei den Wettkämpfen äußerst spannend. In dieser Atmos­phäre gab es keinen Raum für scheinheilige, bornierte und einseitige Diskussionen über die kleinen und großen Ereignisse des Tages. Natürlich bemühten sich die meisten um einen klaren 'Klassenstandpunkt'. Gleichwohl, die eigene Meinung wurde gefordert und irgendwie ließ es sich auch einrichten, dass man überzeugt sein konnte, zu den Siegern der Geschichte zu gehören. Stets aber blieb ein unwägbarer Rest Unsicherheit und der machte hellhörig für Nuancen und half Jahre später die gesellschaftlichen Um­brüche schneller zu erfassen. 

Die Ernsthaftigkeit, mit der Leistungssport staatlich gefördert wurde, umfasste natürlich auch die sportmethodische und sportmedizinische Seite des Trainings. Wir Fünf­kämpfer stellten dabei ganz besondere, nicht nur logistische Anforderungen an die Trainer und Ärzte. Drei technische Disziplinen mussten mit zwei Ausdauerdisziplinen sowie so konträre Sportarten, wie das Schwimmen gegen den weichen Wasserwiderstand und das Laufen auf festem Boden und zudem das reaktionsschnelle Agieren beim Fechten und eine stoische Konzentration beim Schießen sowie schließlich das Einfühlungsvermögen in das zu reitende Pferd miteinander in Einklang gebracht werden. Diese Vielseitigkeit, die mich am 'Modernen Fünfkampf' anfangs so begeistert hatte, bewahrte mich später vor der Einnahme der damals 'modernen' unter­stützenden Mittel, schloss doch jede erwünschte Wirkung in einer Disziplin die gegenteilige Wirkung bei einer anderen Disziplin ein.

Abschied vom Leistungssport

Es war eine schöne erlebnisreiche Zeit und als ich den Leistungssport wegen mangelnder Leistungsperspektive, denn diese schloss unbedingt und ausschließlich eine goldene Siegchance bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen ein, aus dem SC DHfK ausschied, hatte ich meinen Fachschul-Ingenieur und eine Delegierung zum Fern­studium an der Technischen Hochschule Magdeburg 'in der Tasche'. Sorge um eine Arbeits­stelle musste ich mir nicht machen, es gab eine ausreichende Auswahl und der zukünftige Betrieb konnte mit einem Fernstudenten eine Plankennziffer leichter erfüllen. Sport trieb ich nun nur noch in meiner Freizeit, doch auch jetzt noch regelmäßig: Schwimmen und Laufen ein- bis zweimal in der Woche. Zu meinem 50-jährigen Sportjubiläum kalkulierte ich eine Laufstrecke von ca. 20.000 km, d.h. ein halbes Mal um den Äquator. Viele passionierte ‚Volks­sport­läufer‘ sind weiter unterwegs, doch ich hatte immer Vergnügen an meiner sportlichen Leistungsfähigkeit und blieb von ernsthaften läufertypischen Verletzungen verschont.

Um mein eigenes Lauftraining zu organisieren hatte ich genügend Erfahrung gesam­melt und die Bewegung 'Jedermann an jedem Ort, mehrmals in der Woche Sport' lieferte Gelegenheit mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen. Mein Siegwille bei den 'Volkssport-Wettkämpfen' hielt sich jedoch auf Grund des augenscheinlichen Missverhältnisses der jetzt zu erreichenden Zeiten zu den Zeiten meiner leistungssportlichen Jahre in Grenzen. Eine längere Zeit beteiligte ich mich an Wettkämpfen im Orientierungslauf. Für das Laufen im Wald und offenem Gelände war ich ja gewissermaßen 'vorbelastet'. Einen guten Grund, Mitglied der Betriebssportgemeinschaft 'Lok Leipzig-Mitte' des Leipziger Hauptbahnhofes zu werden, lag auch in der freien Fahrt für die Bahn-Sportler zu den Wettkämpfen.

Auch in einer neuen Sportart versuchte ich mein Glück. Nach einer dreizehnjährigen Wartezeit erhielt ich die Zuteilung des bestellten PKW und konnte nun Windsurfing, einen etwas aufwändigen Sport betreiben. Mit Mühe und der nötigen Beziehung erwarb ich ein Surfbrett, und ein Freund half mir das arg ramponierte Stück in seiner Garage mit Glasmatte und Epoxydharz aufzumöbeln. Ein Segel nähte meine Frau zu Hause. Nachdem es mir gelungen war, noch einen Mast zu besorgen, konnte es aber noch nicht losgehen. Weil ich inmitten der Großstadt wohnte, musste zum Transport der Surfausrüstung erst noch ein Dachgepäckträger gebaut werden. Alles ein bisschen umständlich, und wenn dann am Ufer des Tagebaurestloches das richtige Wetter herrschte, ritt ich über die Wellen. Nicht immer war es warm genug, doch so lange es ging und es ging ziemlich weit das Thermometer hinunter, musste die windige Gelegenheit ausgenutzt werden.

Ruhiger Sport in turbulenten Zeiten

Mit dem Alter nimmt die Ausdauerfähigkeit zu. Ich verlegte mich auf größere Distan­zen und für gelegentliche Marathonläufe reichte meine Kondition immer noch. Neben den allgegenwärtigen Betriebssportgemeinschaften existierten Ende der 80-er Jahre auch einige Sportgruppen, die ihr 'eigenes Süppchen kochten'. In der 'Laufgruppe Leipzig-Grünau' hatten sich Laufbegeisterte mit den unterschiedlichsten Ausbildungen und beruflichen Positionen gefunden. Ohne einen finanzkräftigen Träger mussten sie sich selbst organisieren, waren aber auch niemandem rechenschaftspflichtig. Das Trainieren in der Gemeinschaft macht mehr Spaß und die zunehmende Mobilität erleichterte die Teilnahme an den zahlreich angebotenen Volkssportläufen.

In den turbulenten Wendejahren 89 und 90 sollte sich unser gemeinsames Training als sehr vorteilhaft erweisen. Weil jetzt alles in Frage gestellt war, wurde alles neu bewertet. Die lockeren Gespräche während der längeren Distanzen boten ideale Bedingungen für das Überprüfen der eigenen Einschätzungen und Haltungen an den Meinungen der Anderen. Die Laufgruppe half jedem, wenn auch nicht verbessert, so doch einigermaßen „aufrecht“ und letztlich erfolgreich diesen unerwarteten Einschnitt in die Lebensplanung zu überstehen.

Sozusagen 'über Nacht' war am 10. November 1989 die Wettkampfteilnahme weltweit möglich. Der bisherige Wettkampfhöhepunkt 'Rennsteiglauf' trat hinter die fernen Ziele in der plötzlich befreundeten Welt zurück. Besonders prägend waren die Eindrücke im Umfeld des Volkssportlaufs in Hannover. Weil nämlich die Zahl der von den Hannoveraner Bürgern bereitgestellten privaten Quartiere dem plötzlichen Ansturm der DDR-Läufer nicht gewachsen war, fuhren die Organisatoren die Übriggebliebenen in einem halben Dutzend Bussen in die Panzergrenadierkaserne am Stadtrand.

Verwundert konnten wir nach dem Durchwinken am Eingang beobachten, dass wir Zivilisten den am Wochenende in der Kaserne ver­bliebenen Wachsoldaten zahlenmäßig weit überlegen waren. Nach der Einquartierung bat uns ein Feldwebel lediglich das Bettzeug am Morgen ordentlich zusam­men zu legen. Das bunte Sponsorenumfeld beein­druckte, doch war es gewissermaßen systemkonform; aber diese laxe Unterbringung in einer Kaserne der Bundes­wehr kontrastierte erheblich zu meinem Ver­ständ­nis von Wachsamkeit und Kampfbereitschaft, schließlich lagen im Frühjahr 1990 die 2-plus-4 Ge­spräche über die Zukunft Deutschlands noch in ungewisser Zukunft.

Neben der spontanen Telnahme an bundesdeutschen Laufveranstaltungen reisten wir gemeinsam mit unseren Frauen 1992 zum berühmten New-Yorker Marathonlauf. Im Umfeld des Laufes besichtigten wir die Sehenswürdigkeiten der Stadt: bestaunten u.a. die eindrucksvolle Architektur und Exponate des Guggenheim Museums, besuchten im Winter Garden Theatre am Broadway das mitreisende Musical 'Cats', schlenderten durch den abendlichen Central Park und beobachteten das an diesem Tage gemächliche Treiben auf dem Börsenparkett der Stock Exchange in der Wall Street, auch die 'einarmigen Banditen' in Atlantic City, der Stadt des Glückspiels für die New Yorker war uns einen Ausflug wert.

Im Jahr danach flog ich mit meiner Frau nach Hawaii zum Honolulu-Marathon. Eines der zahlreich aus dem Boden schießenden Reisebüros enthob uns der detaillierten Reiseorganisation und so konnten wir nach meinem Wettkampf noch eine erlebnisreiche Woche unter Palmen verbringen.  Stets lernte ich eine entspannte Welt kennen, die sich vor allem um sich selbst kümmerte und nicht im Banne klassenkämpferischer Pflichten erstarrt war. Hier galt es nun, sich einzurichten.

Nach der beruflich begründeten Übersiedlung nach München achtete ich auch hier auf die Erhaltung meiner körperlichen Fitness, die im neuen Umfeld noch bedeutsamer war, und ging weiter regelmäßig joggen. Dieser Sport ließ sich am besten im neuen Umfeld einrichten, ein Stück Wald oder ein öffentlicher Sportplatz fand sich an allen beruflichen Einsatzorten und auch in den feinsten Hotels wunderte sich niemand über verschwitzte Jogger.

In guter körperlicher Verfassung erreichte ich das Rentneralter. Jetzt gab es reichlich Zeit für sportliche Aktivitäten, doch die körperliche Befindlichkeit forderte zunehmend Rücksicht ein. Immer  längere Erholungsphasen mussten nach dem Joggen eingeschoben werden, und so stieg ich aufs Rad. Schon ein paar Jahre zuvor hatte ich mir Inline Skater zugelegt und fleißig geübt, um bei Bedarf das springende Laufen durch das gleitende Skaten zu ersetzen, falls die Gelenke dies erzwängen. Radfahren und Skaten sollen mir noch eine ganze Weile die Kondition erhalten, um mich mit Freude bewegen zu können.



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates