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Universität Leipzig

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Als Arzt im Pionierlager

Ein Bericht von Dr. Gerlinde Fellmann, Leipzig

In den Jahren 1972   und 1973  war ich im Rahmen meiner Facharztausbildung als Lagerarzt in einem Zentralen Pionierlager tätig. Die Facharztkandidaten mussten insgesamt einen Zeitraum von 3 Wochen absolvieren.

In der DDR hatte die Feriengestaltung der Kinder und Jugendlichen einen hohen Stellenwert. So gab es neben den Zentralen Pionierlagern  die Betriebsferienlager, Spezialistenlager, die Lager für Arbeit und Erholung und die Örtliche Feriengestaltung  (Schwimmlager, Ferienspiele an den Schulen usw.).

Den größten Anteil an der Feriengestaltung hatten die Ferienlager der Betriebe, in denen sich die Kinder der Mitarbeiter erholen konnten. Die Objekte gehörten den Betrieben, die auch die Betriebskosten trugen, und befanden sich in den schönsten Gegenden des Landes. Kleinere Betriebe schlossen sich den Lagern größerer an. Die Eltern mussten nur einen geringen Beitrag für die 3 wöchige Teilnahme leisten (12 Mark).

Den Zentralen Pionierlagern waren Trägerbetriebe zugeordnet (Großbetriebe, Kombinate), die finanziell und wirtschaftlich zuständig waren.  1973 gab es ca. 50 derartige Zentrale Pionierlager. In einem solchen Lager waren Kinder ab 10 Jahre und Jugendliche aus den verschiedenen Bezirken und zum Teil auch aus dem Ausland in Zelten, Hütten oder Bungalows untergebracht. Es fanden immer drei Durchgänge von meist drei Wochen statt. In allen Zentralen Pionierlagern war ein ständiger Lagerarzt eingesetzt.

Mein  erster Einsatz erfolgte in Oybin, einem Zeltlager für 400 Kinder,  und mein zweiter in  einem Lager für 1000 Kinder mit Bungalows in Groß Köris.

Nach meiner Anreise ging es erst einmal darum, die Vorbereitungen für die Aufnahme der Lagerteilnehmer zu treffen bzw. zu überwachen. Das betraf die hygienischen Voraussetzungen in den Unterkünften, dem Sanitärbereich, der Küche und der Krankenstation. Zu meiner Unterstützung waren eine Hygieneinspektorin und mehrere Krankenschwestern eingesetzt, so dass sich die Arbeit aufteilen ließ.

Was das Küchenpersonal betraf, erfolgte eine Kontrolle der gesundheitlichen Voraussetzungen, ein Gesundheitsausweis musste vorgelegt werden  und eine aktenkundige Belehrung über das hygienische Verhalten bei der Tätigkeit in der Lagerküche wurde durchgeführt.
In der Krankenstation - bestehend aus dem Untersuchungs- und Behandlungszimmer,  mehreren  Krankenzimmern  und Nebenräumen - galt es auch die medizinischen Verbrauchsmittel und die Medikamente zu überprüfen und nötigenfalls aufzufüllen. Nachdem die Vorbereitungen getroffen waren und die Abnahme erfolgt war, konnte es los gehen.

Das Härteste für mich war die Kontrolle jedes einzelnen Teilnehmers auf gesundheitliche Lagertauglichkeit. Dazu musste das  Teilnehmerheft, in dem der Heimatarzt die grundsätzliche Lagertauglichkeit bestätigt und Eltern und Lehrer, die entsprechenden Angaben zur gesundheitlichen Vorgeschichte gemacht hatten, überprüft werden. Ebenso musste der Impfausweis vorgelegt werden.  Diese Kontrolle und die Beurteilung des aktuellen Zustandes aller Teilnehmer in kürzester Zeit höchstens anderthalb Tage maximal zwei Tage und bei hochsommerlichen Temperaturen war für mich eine extreme physische und psychische Herausforderung.

Danach begann dann der Lageralltag. Für mich hieß das Tag und Nacht für hygienische und vor allem gesundheitliche Belange aller Lagerteilnehmer einschließlich Betreuer und Küchenpersonal da zu sein. Da gab es neben den üblichen Erkrankungen alles: Verbrühungen in der Küche, Brüche, Pilzvergiftungen (Jugendliche hatten im Wald rohe Pilze gegessen), Verdachtsfälle auf Tollwutkontakt, unklare Erkrankungen, Blinddarmentzündung.

Mit der Lagerleitung erfolgten tägliche Beratungen, in denen auch der geplante Tagesablauf hinsichtlich der körperlichen Beanspruchung auch unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse und ausreichender Erholungszeiten von mir zu beurteilen war.
Als Lagerarzt stand ich zum Beispiel einer geplanten Nachtwanderung  nicht sehr aufgeschlossen gegenüber, weil ich nur die erhöhte Verletzungsgefahr sah und nicht die Lust und den Reiz, den die Kinder und Jugendlichen hatten. Am Ende gab es auch keine wesentlichen Verletzungen.

Gemeinsam mit dem Hygieneinspektor überwachten wir die Hygiene in den Unterkünften, die Sanitärhygiene und Lebensmittel- und Ernährungshygiene. Der tägliche Speiseplan wurde abgestimmt. Der Hygieneinspektor kontrollierte die Arbeitsabläufe in der Küche und die Entnahme der 24- Stundenprobe aller Speisen (in Gemeinschaftsküchen musste eine Probe 24 Stunden aufbewahrt werden, um bei etwaigen Erkrankungen eine Ursachenermittlung durchführen zu können). 
Am Ende des Lagerdurchganges wurden alle Teilnehmer vor der Abreise nochmals dem Arzt vorgestellt. Bei hygienischen Problemen, die nicht selbst gelöst werden oder gravierendere Auswirkungen haben konnten, sowie bei Erkrankungen infektiöser Ursache bzw. bei Verdacht darauf, erfolgte eine Zusammenarbeit mit der zuständigen Hygieneinspektion (heute Gesundheitsamt). Von dort wurden  auch die Situationsberichte abgefordert.

Einfach war für einen Facharztkandidaten eines Fachgebietes, in dem sonst kein direkter Patientenkontakt besteht, diese verantwortungsvolle Aufgabe nicht. Ich jedenfalls war froh, als ich es überstanden hatte.

Allerdings muss an dieser Stelle betont werden, dass mit den ortsansässigen praktischen Ärzten und den zuständigen Kliniken immer eine kollegiale Beratung und Zusammenarbeit möglich war ohne dass darüber nachgedacht wurde, ob man zuständig war und wie man sie abrechnen kann.


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