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Hilfe für Umsiedler aus den Ostgebieten in Querfurt

- Aufopferungsvoller Einsatz von Frauen in der Nachkriegszeit -

Ein Bericht von Gerda Lucke, Leipzig

Wer kennt sie nicht, die Trümmerfrauen von Berlin. Sie wurden bekannt, geehrt und bewundert. Auch in den Medien wurde oft über sie berichtet.

Es gab aber auch viele Frauen von denen kaum jemand sprach, die aber in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg mit einem aufopferungsvollen Einsatz versuchten besonders große Not von Menschen etwas zu lindern. Von solchen Frauen, von denen es sehr sehr viele gab, möchte ich hier berichten.

Meine Mutter gehörte einem „Damenkränzchen“ von acht Frauen an, das sich regelmäßig traf. Nach Beratung mit meinem Vater sowie meiner Schwester und mir (ich war damals 16 Jahre) unterbreitete sie den anderen sieben Frauen den Vorschlag, den sich damals auf der Flucht befindlichen Menschen zu helfen und fand sofort Zustimmung. Worum ging es?  

Kurz vor und vor allem nach Kriegsende mussten in den Ostgebieten zunehmend mehr Menschen ihre Heimat verlassen. Sie zogen zu Fuß, teilweise mit Hand- oder Kinderwagen oder wo möglich auf Pferdewagen nach Deutschland. Diese riesigen Entfernungen kosteten sehr viel Kraft. Hinzu kam meistens, dass diese Menschen kein konkretes Ziel hatten und erst nach einer neuen Heimat, nach einer neuen Bleibe suchen mussten.

Auf diesem Weg kamen auch zahlreiche Umsiedler (auch Flüchtlinge genannt) durch unseren Ort Querfurt (Sachsen-Anhalt). Um diesen Menschen etwas helfen zu können, sprachen wir  beim Bürgermeister vor um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wir, das waren die erwähnten acht Frauen, einbezogen waren aber auch immer meine Schwester und ich.

Vom Bürgermeister erhielten wir in der 1. Etage über der Gaststätte „Thüringer Hof“ einen größeren Arbeitsraum zugewiesen, der auch als Lager diente. Außerdem konnten wir das Querfurter Warmwasserbad (Badewannen und Duschen) mit nutzen. Im Arbeitsraum wurde hauptsächlich Kleidung auf mitgebrachten  Nähmaschinen instandgesetzt und gelagert sowie die Lebensmittel für die Bereitstellung vorbereitet.

Vom Bürgermeister erfuhren wir, wann wieder ganze Trecks oder kleine Gruppen von Umsiedlern zu erwarten sind und ob es möglich ist, dass diese ein paar Stunden bei uns Pause machen können. Wenn ja benötigten wir einen Raum für diese Menschen und die Zusage, dass die städtischen Arbeiter uns unterstützen und später bei der Reinigung helfen. Außerdem wurde auch das Warmwasserbad angeheizt, da die meisten Flüchtlinge schon längere Zeit keine Möglichkeit hatten sich einmal richtig zu säubern.

Damit die Einsätze der Frauen pünktlich beginnen und entsprechend den Notwendigkeiten durchgeführt werden konnten, war die Verständigung untereinander eine wichtige Voraussetzung. Da es Telefone für private Haushalte damals noch nicht gab, half nur die persönliche Information von Frau zu Frau. Nur so konnte gesichert werden, dass die Einsätze auch erfolgreich waren. 

Nachdem das alles geklärt war, ging es an das Sammeln von Lebensmitteln und Sachen. Mit Handwagen oder dem Fahrrad besuchte jede Frau in ihrem zugeteiltem  Stadtgebiet
wohnende Familien.

Hervorheben möchte ich, dass die Bevölkerung von Querfurt sehr hilfsbereit war. Ein Grund dafür war die Dankbarkeit, dass der Ort bis 1945 nur einen einzigen Bombenangriff erleben musste und als die Amerikaner kamen kein Schuss fiel. Der Bürgermeister und mein Vater waren den amerikanischen Truppen mit einem weißen Bettlacken winkend entgegen gegangen und erreichten so, dass Querfurt bei der Besetzung von Zerstörungen verschont blieb.

Doch zurück: Beim Sammeln von Lebensmitteln waren die sogenannte Löffelspenden besonders wichtig. Auf ihre Lebensmittelkarten bekamen die Menschen damals nur sehr kleine Rationen. Deshalb war es schwer ein paar Löffel Mehl, Zucker, Gries usw. zu erhalten. Aber diese Lebensmittel wurden für das Zubereiten einer warmen Mahlzeit benötigt.
Günstig war, das uns Gartenbesitzer Gemüse, Obst und Kartoffeln zusagten und diese bei Abruf zu unserer Kochstelle brachten.

Aber ohne Fleisch, Fett, Speck oder Öl ist keine schmackhafte und sättigende Suppe zu kochen. Diese Zutaten konnten uns nur die Bauern, Fleischer oder Molkereien liefern. Die damit verbundene Aufgabe war die Schwierigste. Obwohl zwei Frauen gewählt wurden, die gut argumentieren konnten, stand das Ergebnis meist in keinem Verhältnis zum Aufwand. Aber Ausdauer und Überwindung von Ärger und Verdruss führten letztendlich meist zum Ziel.

Etwas leichter war das Sammeln von Sachen. Hier füllten sich die Regale - die Ehemänner von Frauen hatten diese aus alten Brettern und Kisten gezimmert - mit Kleidung, Unter- wäsche, Socken, Schuhe, Taschentücher, Bettwäsche und Handtücher. Diese Sachen wurden von den Frauen zusammengetragen oder von Bewohnern nach einer Absprache selbst gebracht.

Als wir dann in der Lage waren den Umsiedlern helfen zu können, entschädigte die Dankbarkeit und ein kleines Lächeln dieser tapferen Menschen uns für alle Mühen.

Da auch viele Kinder mit auf der Flucht waren, ging ich in die Schule zu meiner früheren Klassenlehrerin und bat zu helfen, dass jeder Schüler ein Spielzeug spendet. Das Ergebnis war toll. Jeder brachte etwas mit. So konnten wir auch den Flüchtlingskindern, die das Wort „spielen“ kaum noch kannten, eine Freude machen.

Das Spenden und Sammeln ging ständig weiter, denn es kamen immer neue Hilfsbedürftige. Einmal erhielt meine Mutter nachts die Mitteilung, dass gegen 6.oo Uhr ein Zug mit entlassenen Gefangenen für einige Stunden bei uns hielt. Das hieß für meine Schwester und mich die anderen sieben Frauen aus dem Bett holen, den Bademeister verständigen damit er das Warmwasserbad anheizt, geeignete Kleidung bereitstellen und beim Essenkochen mithelfen. Die Versorgung und die Betreuung erlebte ich leider nicht, da ich zur Arbeit musste.

Aus den Einsätzen der fleißigen und stets einsatzbereiten Frauen wurde später eine Dauer- aufgabe. Als Beispiel sei die Aufnahme von Umsiedlern genannt, die künftig in unserer Stadt wohnen wollten, aber oft keine  persönlichen Sachen mehr hatten. Sie erhielten Unterkünfte, die meist erst instandgesetzt und wohnlich gemacht werden mussten und in der Regel nur mit dem aller Notwendigsten ausgestattet waren. Deshalb wurden die Spendenaktionen auch auf Möbel, Geschirr, Haushaltsgegenstände, Gardinen usw. erweitert.

Diese langanhaltende schwere ehrenamtliche Arbeit und die Versorgung auch alter, alleinstehender kranker Menschen, wurde später in Querfurt zur Keimzelle für die Volkssolidarität.    


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