uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Als mittelständischer Unternehmer in der DDR

Ein Bericht von Wolfgang Hirsch, Eilenburg

Wie es begann

Am 14. Oktober 1921 wurden beim Amtsgericht einer Kleinstadt im heutigen Bundesland Brandenburg zwei Tischlermeister und drei weitere Teilhaber als Eigentümer eines Grundstücks eingetragen. Ein Tischler war der Großvater meiner Frau. Das Grundstück wurde Bestandteil eines Unternehmens, das besagter Großvater gemeinsam mit den übrigen Teilhabern gegründet hatte, um Schlafzimmermöbel herzustellen und zu verkaufen. Das mittelständische Unternehmen startete zunächst einigermaßen erfolgreich, hatte aber während der Inflationsjahre schwierige Zeiten zu überstehen und ging mehrmals in Konkurs.

Die Teilhaber ließen sich jedoch nicht entmutigen und unternahmen immer neue Anläufe, um den Betrieb zu retten und auch, um die Arbeitsplätze der etwa 20 Mitarbeiter zu erhalten. Ich kann mich gut an die Gespräche mit meinen Schwiegereltern erinnern, in denen sie auf diese schwierige Zeit zu sprechen kamen. Um die Löhne der Mitarbeiter zahlen zu können, habe man sich damals persönlich sehr stark einschränken müssen und oft sogar beim Einkauf der notwendigen Lebensmittel auf vieles verzichtet.

 

Das Unternehmen während der DDR-Zeit

Als ich Ende April 1970 heiratete, war der Großvater meiner Frau bereits verstorben und meine Schwiegermutter hatte das Erbe seines Anteils von 33 % am Gesamtunternehmen angetreten. Mein Schwiegervater als gelernter Bankkaufmann, der in einem privaten Eilenburger Bauunternehmen die Buchhaltung erledigte,  kümmerte sich im Auftrag meiner Schwiegermutter in seiner Freizeit mit um die wirtschaftlichen Belange bei der Führung des Möbelwerkes. Die Teilhaber an diesem kleinen Möbelwerk waren in ihrer Tätigkeit allerdings stark eingeschränkt. Inzwischen hatte man dem Betrieb, wie den meisten anderen privaten Betrieben auch, einen staatlichen Teilhaber an die Seite gestellt. So wurde aus dem Möbelwerk eine Kommanditgesellschaft. Das hatte gewisse Vorteile, die in folgendem bestanden:

  1. Durch den Eintritt eines staatlichen Teilhabers in das Unternehmen erfolgte ein zusätzlicher Kapitalzufluss, wodurch im Prinzip Investitionen in Maschinen und Anlagen möglich wurden.

  2. Durch die stärkere Einbindung in das staatliche Planungssystem war eine größere Planungssicherheit für die Entwicklung und Produktion der Erzeugnisse gegeben.

  3. Der Absatz der Produkte in den staatlichen Möbel- und Warenhäusern war weitgehend garantiert.

Allerdings waren damit auch Nachteile verbunden, die sich aus der zunehmenden Abhängigkeit vom zentralen staatlichen Planungssystem ergaben. Dabei zeigte sich, dass zwischen dem theoretisch möglichen Anspruch sicherer planbarer Bedingungen für eine bedarfsgerechte Produktion von Möbeln und den tatsächlich Umständen, unter denen der Betrieb geführt werden musste, eine große Diskrepanz auftat. Das bezog sich z.B. auf folgendes:

  1. Die Möbelindustrie war im Rahmen des zentralen staatlichen Planungssystems in der Leichtindustrie angesiedelt. Das bedeutete, dass man diesen Zweig im Wirtschaftsgefüge der DDR als relativ nebensächlich betrachtete und er deshalb bei der zentralen Bilanzierung von Rohstoffen, Ausrüstungen, Investitionen usw. entsprechend stiefmütterlich behandelt wurde.

  2. Die Entwicklung und Produktion neuer Modelle war wegen der starren Einordnung in das zentrale staatliche Planungssystem schwieriger, als bisher.

  3. Bei allen unternehmerischen Entscheidungen hatte der staatliche Teilhaber das letzte Wort. Das betraf neben der Entscheidung, neue Modelle zu entwickeln, auch solche Fragen, wie z.B. das Tätigen von Investitionen in Maschinen und Anlagen, die Einstellung weiterer Mitarbeiter u. ä.

  4. Die Beschaffung von Material für die Produktion (Holz, Furniere, Beschläge usw.) wurde immer stärker durch die Abhängigkeit vom zentralen staatlichen Planungs- und Bilanzierungssystem bei der Materialbeschaffung behindert.

Dennoch hatte auch dieses kleine Möbelwerk als Teil der privaten Möbelindustrie der DDR einen nicht unerheblichen Anteil an der Deckung des Bevölkerungsbedarfs mit Schlafzimmermöbeln. Trotz aller Restriktionen wurden auch nach Überführung in die halbstaatliche Wirtschaftsform weiterhin Gewinne erwirtschaftet. So konnte meine Schwiegermutter, die nicht berufstätig war, dank ihrer Gewinnanteile dennoch die Haushaltskasse der Familie spürbar entlasten.

Doch dann kam der 8. Februar 1972. An diesem Tag beschloss das Politbüro der SED die Umwandlung der halbstaatlichen in volkseigene Betriebe. Im Laufe dieses Jahres schlug auch die letzte Stunde für meine Schwiegermutter als Teilhaberin des Möbelwerkes. Auf einer letzten Gesellschafterversammlung stellten die privaten Teilhaber auf staatlichen Druck hin den Antrag, ihre Anteile an dem Möbelwerk an den staatlichen Teilhaber zu verkaufen. Damit war das Aus für das Möbelwerk als privat geführter Betrieb besiegelt.

Am 1.5.1972 fand die zwangsweise Sozialisierung des Betriebes statt. Der Anteil, der meiner Schwiegermutter nach der Übergabe in mehreren Jahresraten stückweise ausgezahlt wurde, entsprach formal in etwa der Höhe des eingezahlten Einlagekapitals nach dem Stand von 1959 abzüglich diverser Steuern und Abgaben.

Es ist zu vermuten, dass die Festlegung dieses Datums durch die verantwortlichen staatlichen Organe etwas mit einer mit großem propagandistischen Aufwand durchgeführten Industriepreisreform zu tun hatte, die in diesem Jahr über die Bühne ging. Da das Anlagevermögen (Gründstück, maschinelle Ausrüstung, Rohstoffe usw.) bei der Abrechnung nicht berücksichtigt wurde, stellte der Auszahlungsbetrag nur einen Bruchteil des tatsächlichen Wertes dar.

Eigentlich hatten wir danach nichts mehr mit dem Erbe des Großvaters meiner Frau zu tun. Dennoch zog es uns auch danach fast jedes Jahr einmal dorthin, um zu sehen, wie es mit dem nunmehr volkseigenen Betrieb weiterging. Wie wir beobachten mussten, wurde er nunmehr voll auf Verschleiß gefahren. Bis auf die ersatzweise Anschaffung verschlissener und unbrauchbar gewordener Geräte, die zur Aufrechterhaltung der Produktion unbedingt benötigt wurden, fanden keine größeren Investitionen mehr statt. Es wurde fast nichts Neues mehr entwickelt. Die alten Modelle wurden weiter am Bedarf vorbei produziert.

 

Das Unternehmen während und nach der Wendezeit

Das blieb so bis zur Wende in den Jahren 1989/1990. Unter dem Eindruck der neuen staatlichen Verhältnisse stellte im April 1990 ein von den einstigen Teilhabern Beauftragter bei der Arbeitsgruppe Reprivatisierung des zuständigen Rates des Bezirkes den Antrag, diesen Betrieb wieder seinen ehemaligen Besitzern zu übereignen.

Die Verhandlungen in dieser Angelegenheit zogen sich einige Monate hin. In der Zwischenzeit fanden die Währungsumstellung und die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 statt. Deshalb war nun eine DM-Eröffnungsbilanz zu erstellen. Es folgten Gutachten zur Feststellung des Wertes des Betriebes, vergleichende Untersuchungen zum Sachanlagevermögen zum Zeitpunkt der Überführung in Staatseigentum  und zum Zeitpunkt der Restitution u. a. Maßnahmen, die sich aus dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen ergaben. Am 1.7.1992 kam die Reprivatisierung dann zustande. Doch damit war die Angelegenheit noch nicht ganz abgeschlossen.

Die Treuhandanstalt behielt das Verfügungsrecht über das nunmehr privatisierte Unternehmen, auch nachdem die Rechtmäßigkeit der Vermögensansprüche der ehemaligen Besitzer festgestellt war. Das bedeutete im Klartext, sie hatte das Recht, das Unternehmen zu verkaufen, gleichzeitig aber auch die Pflicht, aus dem Verkaufserlös (nach Abzug diverser Abgaben) an die ehemaligen Besitzer Ausgleichszahlungen zu leisten. Nunmehr ging es noch darum, sich mit der Treuhandanstalt in weiteren Verhandlungen über die Höhe dieser Zahlungen zu einigen. Erst Ende Februar 1994 war ein beide Seiten zufrieden stellender Kompromiss gefunden. Mit etwa 90 % des erzielten Kaufpreises als Ausgleichszahlung zogen sie einen Schlussstrich unter die Geschichte des Möbelwerkes.

Der neue Besitzer verschrottete das gesamte noch vorhandene Inventar und siedelte in den notdürftig umgebauten Räumen verschiedene kleinere Gewerbeunternehmen an. Ein kleiner Gewerbepark, bestehend u. a. aus einem Lebensmittelmarkt, einem Blumenladen, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen entstand auf dem Werksgelände. Doch nach wenigen Jahren ging das neue Unternehmen in die Insolvenz. Eine verlassene Industriebrache ist alles, was übrig blieb.

 



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates