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Wie Studenten zu DDR-Zeiten in Leipzig wohnten

Ein Bericht von Wolfgang Hirsch, Eilenburg

Im Jahr 1962 wurde ich an der damaligen Leipziger Karl-Marx-Universität feierlich immatrikuliert. Das Studium begann in Leipzig erst Anfang Oktober. Der Grund war einfach: Anfang September fand die Herbstmesse statt.

Zur Unterbringung der sehnlichst erwarteten Messegäste aus dem In- und Ausland benötigte man tausende Unterkünfte. Hotels waren in der Messestadt in der Nachkriegszeit Mangelware und so wurde festgelegt, dass während der Messetage die Leipziger Studenten ihre Unterkünfte vorübergehend zu räumen haben.

Die zahlreichen privaten Vermieter der Studentenunterkünfte sollten ihre Zimmer den Messegästen zur Verfügung stellen. Das taten sie nicht ungern. Immerhin bahnten sich auf dem Wege der privaten Vermietung auch persönliche Kontakte mit Besuchern aus dem westlichen Ausland an, besonders natürlich mit solchen aus Westdeutschland.

Kleinere Geschäftsleute, die in den wenigen Hotels keine Bleibe mehr gefunden hatten, nahmen auch schon mal gerne solche Privatquartiere in Anspruch. Sie schätzten die besondere familiäre Atmosphäre in diesen Unterkünften.

So fanden dann auch manche Westmark, manche Strumpfhose, manche Kaffeepackung oder ähnliche Aufmerksamkeiten ihren Weg in die Hände der Vermieter. Die Devisen konnten ab den Jahren 1963/64 in den Intershopläden Leipzigs in Waren umgesetzt werden, die in den anderen staatlichen Handelseinrichtungen nicht zu bekommen waren.

Wo aber blieben in dieser Zeit die Leipziger Studenten?

 
Für sie waren die Semesterferien so organisiert, dass sie während der Frühjahrs- und Herbstmessen zu Einsätzen verschiedenster Art eingesetzt wurden.

Während der Frühjahrsmessen konnte es vorkommen, dass der Wettergott den Organisatoren einen Streich spielte und den Verkehr mit Eis und Schnee lahm legte. Dann wurden die Studenten für diverse Räumarbeiten im Leipziger Straßennetz eingesetzt. Einsätze zur Sicherung der Kohleförderung in den umliegenden Braunkohlentagebauen waren ebenfalls ein Schwerpunkt.

Während der Herbstmesse ging es hauptsächlich um das Einbringen der Kartoffelernte. Aber auch bei der Rübenernte oder beim Pflücken von  Tabakblättern in allen Teilen der Republik waren die Studenten für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) willkommene Aushilfskräfte. Spätestens Anfang Oktober war dann alles vorbei und der normale Studienbetrieb konnte aufgenommen werden.

Meinen Studienplatz hatte ich nur erhalten, weil ich mich „freiwillig“ zum Dienst in der NVA (Nationale Volksarmee der DDR) verpflichtet hatte. Ich bekam wie viele andere von der studentischen Wohnraumvermittlung ein kleines Zimmer im vierten Stock eines Altbaus aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg in der Ludwigstraße im Leipziger Osten zugewiesen.

Meine Wirtin war eine Witwe im fortgeschrittenen Rentenalter, die sich ihre schmale Altersrente auf diese Weise aufbessern wollte. Das Zimmer war etwa 11 qm groß und recht schmal. Seine Einrichtung bestand aus einem eisernen Bettgestell mit Matratze, einer Kommode, auf der als einzige Waschgelegenheit eine große Keramikschüssel mit einem Waschkrug stand, einem alten Kleiderschrank, einem kleinen Tischchen und einem Stuhl. Ein kleiner Kanonenofen, den ich selbst heizte, vervollständigte die Einrichtung.

Der Kauf der benötigten Braunkohlebriketts war nur bei Vorlage einer Kohlenkarte möglich. Wenn ich mich recht erinnere, standen mir für eine Heizperiode elf Zentner zu. Reichten die nicht aus, konnte man Heizmaterial nachkaufen – allerdings zu weit höheren Preisen. Die Bettwäsche musste ich natürlich auch selbst mitbringen. Morgens stellte meine Wirtin eine Kanne mit Kaffeeersatz im Flur für mich bereit.

Um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, erhielt ich ein Stipendium, da meine Mutter nicht genug verdiente, um meinen Unterhalt zu finanzieren. Üblicherweise hätte es 140 DDR-Mark betragen. Da ich aber zuvor in der Volksarmee gedient hatte, legte man mir noch 30 DDR-Mark drauf.

Davon konnte man damals zwar nur sehr bescheiden leben, aber es war machbar, denn meine Mittagsmahlzeiten nahm ich in der Mensa ein. Ging das aus irgendeinem Grunde nicht, stillte ich meinen Hunger wie viele andere Studenten auch in einer „Ponybar“. Das waren Gaststätten, in denen Gerichte mit Pferdefleisch auf dem Speisezettel standen. Sie waren sehr billig, schmackhaft und die Portionen waren reichlich bemessen.

Bei bescheidenen Ansprüchen konnte man so seinen Lebensunterhalt einigermaßen bestreiten. Die Versorgung der Bevölkerung mit preiswerten Grundnahrungsmitteln war in den sechziger Jahren im großen und ganzen gesichert, bis auf das Problem mit der Butter. Obwohl Lebensmittelkarten Mitte der fünfziger Jahre in der DDR abgeschafft worden waren, gab es bei diesem Grundnahrungsmittel Versorgungsprobleme. Der Verkauf von Butter wurde rationiert. Man brauchte wieder einen Bezugsschein. Damit konnte man pro Woche ein Stück Butter erwerben. Wenn ich damit nicht auskam, wich ich auf Margarine aus. Das ging besser, als ich zuerst dachte und war außerdem billiger, so dass ich irgendwann ganz auf Butter verzichtete. Einen Kühlschrank zur Aufbewahrung der Lebensmittel gab es natürlich nicht. So musste ich dafür im Kleiderschrank oder in der Kommode ein Plätzchen reservieren.

Als monatliche Miete berechnete meine Wirtin für diese Unterkunft den auch für damalige Verhältnisse recht günstigen Preis von 15 DDR-Mark.

Weibliche Kommilitonen konnten zu dieser Zeit auch in einem besonderen Studentinnen-Internat in der Goethestraße untergebracht werden. Für männliche Studenten gab es eine Bleibe in der Marschnerstraße. Dort hatte man einige Baracken aufgebaut und die Räume wie Kasernenunterkünfte eingerichtet. D. h., es gab pro Zimmer zwei eiserne Doppelbetten und die entsprechende Anzahl von Spinden, sowie einen Tisch und ein paar Stühle. Der gemeinsame Waschraum befand sich zusammen mit der Toilette am Ende des Flures.

Der Mietpreis war mit 10 DDR-Mark pro Monat besonders günstig. Mehrere meiner Mitstudenten wohnten in diesen Internaten und hielten es vier oder fünf Jahre dort aus. Die Semesterferien verbrachte ich meistens damit, in Betrieben meiner heimatlichen Thüringer Umgebung ein paar Mark dazu zu verdienen.

Auf diese Weise brachte ich in meiner Studentenherberge fünf Jahre zu. Einen großen Teil meiner Freizeit verbrachte ich in mehreren der zahlreichen Bibliotheken. Aber natürlich blieben auch noch genug Gelegenheiten, um das unbekümmerte Studentenleben zu genießen.

Meine Seminararbeiten sowie meine Diplomarbeit tippte ich auf der altertümlichen Schreibmaschine meiner damaligen Freundin. PC für den privaten Gebrauch wie auch die Nutzung des Internet waren noch Zukunftsmusik.

Ich denke schon, dass diese Lebensweise typisch für viele Studenten der sechziger Jahre war.


2013

 



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