uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Zwischen Pflicht und Vergnügen in der Kindheit und Jugend

Ein Bericht von Kornelia Mücksch, Schkeuditz

 

Körperlich- handwerkliche Arbeit gehörte für uns Dorfkinder in der Lausitz in den 60iger und 70iger Jahren völlig selbstverständlich zum Lebens- und Schulalltag.

 

Im Kindergarten

In der DDR war es üblich, dass kleine Kinder mindestens ein Jahr lang vor der Einschulung in den für alle Kinder kostenlosen Kindergarten gingen. Nur ein kleiner Betrag für das Mittagessen musste bezahlt werden. Auch ich besuchte ab 1960, meinem 4. Lebensjahr, zusammen mit meinem eineinhalb Jahre älteren Bruder wochentags bis Mittag den Kindergarten. So lernte ich unter anderem, mich in eine Gemeinschaft einzuordnen und Pflichten zu übernehmen, auch wenn es nicht immer Spaß machte. Nach dem Händewaschen musste ich zum Beispiel gemeinsam mit anderen Kindern den Tisch zum 2. Frühstück, das meist aus Stullen und etwas Obst bestand und das wir in unserer Brottasche von zuhause mitbrachten, decken und wieder abräumen, wenn ich Tischdienst hatte. Außerdem wurden wir täglich dazu angehalten, auch für andre Kinder Spielsachen oder Beschäftigungsmaterialien bereitzustellen und nach dem Spielen wieder ordentlich wegzuräumen, überall auf Sauberkeit zu achten und mit dem Besen umzugehen.

Aber beim Waschtag für Puppen- und Teddykleider, den es im Sommer im Kindergarten von Zeit zu Zeit gab, sah man nur strahlende Gesichter, denn hier verwandelte sich die Pflicht in ein wahres Vergnügen. Mit umgebundener Schürze und bei den Mädchen mit langen Zöpfen mit einem Kopftuch, das wie bei Witwe Bolte am Ober- oder Hinterkopf verknotet wurde, panschten wir begeistert im schäumenden Wasser großer und kleiner Blechwannen, die auf niedrigen Bänken und Tischen auf der großen Spielwiese des Kindergartens aufgestellt wurden. Ob Jungen oder Mädchen – jeder hatte Spaß daran, am kleinen Rubbelbrett und mit einem glitschigen Seifenstück, das immer wieder wegsprang und andre Kinder oder Wannen mit triefendem Klatschen traf, zu hantieren. Bis alle Wannen leer gespritzt und alle Kinder nass und vom Gekreische müde waren, wurden so  kleinere mitgebrachte oder vom Kindergarten bereitgestellte Wäscheteile gewaschen, in anderen Wannen gespült und schließlich auf langen Leinen, die wir gemeinsam mit den „Tanten“ zwischen Bäumen gezogen hatten, aufgehängt und mit Klammern befestigt. Ende der 50iger, Anfang der 60iger Jahre waren Wäscheschleudern noch weitgehend unbekannt. Das Bügeln mit dem heißen Bügeleisen wurde dann den Erwachsenen überlassen. 

Zu all diesen häuslichen Verrichtungen sangen wir zutiefst beschäftigt solche Kinderlieder wie: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde mir die Schürze um und feg die Stube aus. Das Essen kochen kann ich nicht, dafür bin ich zu klein. Doch Staub hab ich schon aufgewischt. Wie wird sich Mutti freun.“ Schließlich ahmten wir Kinder so voller Stolz die Arbeit der Erwachsenen nach, machten uns nützlich  und entdeckten gleichzeitig unsere Fähigkeiten in Relation zu den anderen Kindern und zur großen, unbekannten Welt. Auch das Universum der Tiere und Pflanzen wollte entdeckt werden. Indem wir kleine Blumenbeete im Frühjahr mit Stiefmütterchen bepflanzten, Blumensamen aussäten, Unkraut zupften und vor allem regelmäßig alles aus kleinen Gießkannen bewässerten, um uns dann am Erblühen und Duften unserer Blumen und dem Summen und Brummen ihrer vielen fliegenden und krabbelnden Besucher zu erfreuen, entwickelten wir ein gesundes Heimatgefühl inmitten des Werdens und Vergehens der Natur.  

Die meisten Spiele im Kindergarten waren Gesellschaftsspiele, bei denen man sich mit anderen Kindern messen konnte, zugleich aber in Mannschaften zusammenarbeiten musste. Selbst beim Malen und Basteln, wo wir gegen einander wetteiferten, halfen wir uns auch gegenseitig, indem wir „abguckten“ und versuchten, die guten Ideen anderer Kinder zu kopieren. Zank und Streit, mitunter auch mit Kratzen und Schlägen, bis die Tränen rollten, blieben jedoch insbesondere bei Sportspielen nicht aus, wenn Kinder nicht verlieren konnten und die Schuld auf Mannschaftskameraden oder Unfairness der Gegner schoben. Dann wurde unter Anleitung der Erzieherin in der Diskussion die gerechte Lösung gesucht und der Missetäter entweder nur getadelt oder auch noch mit einer gerechten Strafe belegt. Die Strafe sah meist so aus, dass das Kind bei Fehlverhalten für eine Zeit lang nicht mehr mitspielen durfte oder bei Beschäftigungen im Zimmer in der Ecke mit dem Gesicht zur Wand stehen musste, bis sich alle des Sünders erbarmten. Gerade bei schönen Spielen war das eine schmerzhafte Strafe, durch die wir beizeiten lernten, Gemeinheiten und sinnlosen Streit möglichst zu vermeiden und uns vorher zu überlegen, ob sich ein Fehlverhalten lohnen würde.

Doch selbst, wenn Strafe drohte, konnten mein Bruder und ich nicht die Langeweile bezwingen, die uns befiel, wenn wir ohne organisierte Gesellschaftsspiele einfach nur an den wenig herausfordern-den Spielgeräten herumturnen oder Ball spielen sollten. Schon bald des Herumkletterns überdrüssig, schloss ich mich dann mit meinem Bruder zusammen, um das mit vielen Büschen und Bäumen und auch interessanten Schuppen bestandene hintere Gelände zu erkunden. Gerade für solche Spiele wie Räuber und Gendarm, für die sich auch andre Kinder begeisterten, brauchte man originelle Verstecke und geheime Schleichwege. So überwanden wir eines Tages auch den löchrigen hinteren Zaun des Kindergartens, durchstreiften das nachfolgende Buschgelände und trafen auf die breite Grabenkurve, in der sich das schnell fließende Flüsschen Brottka seicht zwischen großen Steinen durchschlängeln musste. Nun hatten wir einen Tummelplatz, an dem wir üben konnten, von Stein zu Stein zum andern Ufer zu springen, ohne ins Wasser zu fallen und an dem wir Frösche, Libellen, Blutegel und andres Getier beobachten konnten. Nachdem wir uns oft die Schuhe und Strümpfe durchnässt und beschmutzt  und uns dadurch verraten hatten, so dass wir ausgeschimpft wurden, zogen wir vorsorglich beides aus, ehe wir unsre neuste Idee umzusetzen begannen,  den Fluss zu stauen und so zu bezwingen. Immer neue Strategien entwickelten wir, mit Ästen, Steinen und Grasbatzen wie die Biber einen unzerstörbaren Staudamm zu errichten. Darüber vergaßen wir oft die Angst vor den Erzieherinnen und den Eltern, bis wir entweder entdeckt wurden oder uns die Enttäuschung, dass der Fluss stärker war als wir, wegtrieb.

Wenn es im Kindergarten aufgefallen war, dass wir fehlten und man uns gefunden hatte, gab es nicht nur Tadel, sondern wurde mein Bruder wegen Unbelehrbarkeit und Rädelsführerschaft auch einmal in einem Holzschuppen eingeschlossen. Mir wurde verboten, mich dem Schuppen zu nähern. Da fand ich keinen Frieden mehr und schlich mich heimlich von hinten durch das Gebüsch an die Hinterseite des  Schuppens heran. Leise pischpernd verständigte ich mich mit meinem Bruder. Schließlich baute ich den Holzstapel auf der Rückseite des Schuppens so hoch, dass ich bis zu dem Loch in der oberen Schuppenwand reichte, während sich mein Bruder innen ein Podest bis zu diesem Loch errichtete und herauskletterte. Mit äußerst schlechtem Gewissen schlichen wir dann heimlich nach Hause. Unsere größte Schandtat bestand allerdings darin, dass es uns schließlich doch gelang, den Brottka nachhaltig zu stauen, so dass in der Gießerei des Nachbarortes kein Kühlwasser mehr ankam. Nun suchten die Arbeiter den gesamten Flusslauf ab und fanden erst am Nachmittag unser Bauwerk, auf das wir so stolz waren. Unser Vater, der in dem Betrieb arbeitete, verpasste uns abends eine mächtige Standpauke, obwohl er nicht verhehlen konnte, dass die Perfektion unseres Bauwerks auch Bewunderung hervorgerufen hatte. Zum Glück ist mein Bruder kurz danach in die 1.Klasse eingeschult worden und fand nun andere Herausforderungen.

 

In der Polytechnischen Oberschule

Mit dem Eintritt in die Schule begann eine neue Qualität der Anforderungen nicht nur an gesellschaftsfähiges Verhalten und an die Intelligenz, sondern auch an handwerklich-praktische Fähigkeiten. Die erste große Herausforderung war das Schreibenlernen, das zunächst als seitenlanges Schönschreiben komplizierter kleiner Buchstaben meinen Ehrgeiz in Konkurrenz zu den anderen Schülern weckte. Doch je schöner und behänder meine Schrift wurde, desto mehr machte mir die Mühe mit meinen noch ungelenken Fingern auch Spaß, zumal mir das Lesen und Schreiben können den Eintritt zu faszinierenden Wissens- und Phantasiewelten eröffnete. Aber nicht nur in den diversen Deutschstunden, sondern auch in Mathematik, Heimatkunde, Singen und Sport war ich begeistert dabei, Wissensgebiete zu entdecken und mich immer neu zu erproben.   

Besonders in den Fächern Zeichnen und Werken, in denen ich ebenfalls an bestehende Fähigkeiten aus dem Kindergarten anknüpfen konnte, wurde meine Phantasie  dagegen vor allem praktisch-nützlich befördert. Im Fach Zeichnen, in dem nun künstlerisches Malen geübt wurde, mussten wir nicht mehr nur zum Spaß, sondern mit Leistungsbewertung Bilder mit Blei- und Buntstiften oder mit Tuschfarben zu bestimmten Themen malen. Auch dieser Wettkampf der Klasse um das schönste Bild und damit um eine gute Zensur und ein Lob der Lehrerin vor der Klasse hat nicht nur mich mächtig angespornt, Phantasie und praktisches Können zur Umsetzung zu entwickeln. Besonders das Malen mit Tusche hat mir viel Spaß gemacht, weil man hier Farben mischen und je nach Wassergehalt intensivieren konnte. Auch zu Hause habe ich deshalb einige Jahre lang viel mit Farben experimentiert.

Im Fach Werken allerdings wurden wir nun systematisch an die Arbeit mit unterschiedlichen Materialien herangeführt. Dazu nutzten wir den Werkraum, der sich im Dachboden unserer alten Schule befand und der mit Werkbänken, Werkzeugen und Heizöfen ausgestattet war. In den frühen Klassen beschäftigten wir uns viel mit Basteleien aus Papier, Karton, Kunstleder und aus Knetmasse. Wir lernten, feste Buchumschläge, große und kleine Mappen und verschiedenste Päckchen aus Karton herzustellen. Das graue Grundgerüst wurde dann mit unterschiedlichsten Materialien wie selbst gestaltetem Schmuckpapier, Scherenschnitten, Metallfolie oder Lederteilen verziert. Wenn ich später als Erwachsene wieder meine alten, soliden Buchhüllen und Mappen in die Hand nahm, musste ich im Nachhinein staunen, welch akribisch-akkurate Arbeit ich als kleines Kind unter perfekter pädagogischer Anleitung zustande gebracht hatte.

Wir haben im Werkunterricht auch getöpfert und unsere Figuren aus Ton gebrannt. Als praktischen Anschauungsunterricht besuchte ich dann auch eine Ziegelbrennerei in einer etwas entfernteren Stadt im Rahmen einer Klassenfahrt. Ich war sehr beeindruckt von den vielen rundlichen Öfen, die mit hohen Ziegeltürmen auf von Arbeitern mit Hand herumkutschierten Paletten befüllt wurden. Diese Klassenfahrt mit dem Bus wurde von unserer Patenbrigade organisiert. Jede Klasse hatte eine Patenbrigade aus einem Betrieb, die Klassenfeiern und –fahrten mit ausrichtete, Geld spendete, bei der Zeugnisausgabe dabei war und auch bei Konflikten der Klasse beratend zur Seite stand.

Im Werkunterricht baute ich später auch ein Vogelhaus und lernte dadurch alle Verfahren der Holzbearbeitung vom Entwerfen, Vermessen und Zeichnen bis hin zum Sägen, Feilen, Nageln, Schrauben und Lackieren praktisch kennen. Stolz brachte ich mein Vogelhaus nach Hause und ließ es von meinem Vater fachgerecht in einem großen Apfelbaum aufhängen.  In der 5.Klasse wurden wir letztendlich auch in die Geheimnisse der Bearbeitung der damals noch futuristischen Plaste eingeführt. Mir ist in Erinnerung geblieben, was für schwierige Materialien Hart- und Weichplaste waren und dass sie sehr viel Geschick beim Sägen oder Biegen erforderten.

In der 3. und 4. Klasse kam zum Fach Werken noch das Fach Nadelarbeit dazu, um uns für die alltäglichen Lebensaufgaben zu rüsten. Deshalb lernten auch die Jungen nun, auf Aidastoff, einem Stoff mit Gitterstruktur, mit Wollfäden die unterschiedlichsten Nutz- und Zierstiche zu sticken – eine Arbeit, die an die Geschicklichkeit der Hände höchste Anforderungen stellte. Aber auch mein großer Bruder, der, eine Klassenstufe über mir, mir als Maßstab immer voranging, schaffte es, als Gesellen-stück eine wunderschöne Nadeltasche mit mehreren Fächern mit feinen Handstichen zu nähen und mit Zierstichen wie Kreuz- und Hexenstich und schönen aufgenähten Knöpfen zu schmücken. In Nadelarbeit erlernten wir auch die Grundbegriffe des Strickens und Häkelns. So entstanden diverse Topflappen, die wir Kinder dann in der Familie verschenkten. Viele Materialien wurden von der Schule gestellt. Doch wer besondere Wünsche hatte, brachte sich Stoff und Wolle von zu Hause mit.

In der 5. Klasse kam für ein Jahr das Fach Schulgarten zu den neuen naturwissenschaftlichen Fächern Biologie und Erdkunde hinzu. Der Schulgarten, ein trockenes Gelände mit einem Geräteschuppen und einer Wasserstelle darauf, war nur nach einem Fußmarsch zu erreichen. Hier mussten wir Beete anlegen, Gemüse säen, Unkraut zupfen, mit der Gießkanne bewässern und schließlich ernten. Da wir aber selbst einen Garten zu Hause hatten, durch den ich ohnehin vor allem zur Ernte- und Einweckzeit mitunter bis zur Erschöpfung arbeiten musste, empfand ich die Schulgartenarbeit als lästige Pflicht. Für die innere Einkehr, die ich im Garten immer empfunden hatte, fehlte hier einfach die Muße.

Mit der 7. Klasse begann eine neue Qualität der Verbindung von Schule und Wirtschaft. Nicht nur dass die Fächer Chemie, Physik und Staatsbürgerkunde auf den Plan traten, gravierend war auch die direkte Arbeit in der regionalen Wirtschaft. Schließlich wurde ich wöchentlich 2 Stunden im Rahmen des Unterrichtsfaches ESP (Einführung in die sozialistische Produktion) auf der MTS (Maschinen- und Traktorenstation) der LPG (Landwirtschaftliche Produktions-genossenschaft) unseres Dorfes mit dem Aufbau und der Funktionsweise von Traktoren bekannt gemacht. Daneben gab es das Fach UTP ( Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion), im Rahmen dessen ich am selben Tag, in meinem Blaumann steckend und mit klobigen Schuhen an den Füßen, in der Lehrwerkstatt der MTS mit Feile, Säge und Bohrmaschine Metallwerkstücke bearbeiten musste. Diese schmutzige und schwere Arbeit hat mich nicht unbedingt glücklich, dafür aber achtungsvoll gegenüber den täglichen Leistungen der Arbeiter und Bauern gemacht.

In der 8. Klasse dann der LPG direkt zugeteilt, wurde ich in die Geheimnisse des Zusammen-wirkens von Tier- und Pflanzenproduktion und der  Berechnung von Düngermengen und Pflanzenschutzmitteln je nach Pflanzenart und Bodenbeschaffenheit eingeführt. Im Rahmen von UTP wurden den Mädchen und Jungen zuweilen unterschiedliche Aufgaben übertragen. Während wir Mädchen z.B. den LPG – Hof aufräumen oder kehren sollten, mussten die Jungen Schweineställe ausmisten. Regelmäßig gab es ein Riesengaudi, wenn einer der Jungen mit der Schubkarre voll Gülle ausrutschte oder gar in die Güllegrube fiel. Dann konnte er, infernalisch stinkend, sofort nach Hause gehen und für sich den Schultag beenden. Aber wenn wir auf die Felder gingen, um fachgerecht Bodenproben zu nehmen und sie für die nächste Fruchtfolge auszuwerten, blieben wir als Klasse zusammen und gewannen auch einen seriösen praktischen  Einblick in  den Beruf des Landwirts. Seit der Zeit in der LPG habe ich große Achtung auch vor der intellektuellen Leistung der LPG - Bauern, die wechselwirkend zwischen Feldern und Ställen und gut abgestimmt mit Düngern und Pflanzenschutzmitteln die Selbstversorgung der DDR-Bevölkerung mit Fleisch und Feldfrüchten bewerkstelligen konnten.

Ab der Abiturzeit von der 9. bis zur 12. Klasse besuchte ich die EOS (Erweiterte Oberschule) in der Kreisstadt Weißwasser. Hier arbeitete ich gemeinsam mit 3 Mitschülern einmal aller 14 Tage für ca 6 Stunden im Rahmen von WPA (Wissenschaftlich-praktische Arbeit) in einem Datenverarbeitungszentrum der Glasindustrie. Völlig ausgedörrt durch den für mich ungewohnt überheizten und lufttrockenen Plattenneubau konnte ich kaum dem Ausbilder folgen, der uns die Anfangsgründe der Programmierung und der Bedienung von Lochkartengeräten beibrachte. Letztendlich sollten wir ja eine Berechnung für die Stielglasproduktion programmieren. Vermutlich hätte der Ausbilder dieses Programm, mit dem ich mich schwer tat, im Vorbeigehen selbst geschrieben. So habe ich bei diesem Projekt vor allem gelernt, dass ich für die Informatik nicht geeignet bin.

In der Abiturzeit nahm ich im Sommer auch an einem mehrtägigen Arbeitseinsatz zur Melioration einer sumpfigen Waldwiese teil. In schmale, seichte Gräben, die durch einen Pflug in gestimmten Abständen über die gesamte Fläche gezogen wurden, legten wir Faschinen, lange, dünne Nadelbäumchen, die wir vom Hänger luden, nacheinander ein. So erlebte ich, mit wie viel Mühe Dränagen angelegt wurden, um das überflüssige Wasser in umgebende Gräben abzuleiten und so eine Wiese wieder nutzbar zu machen. Nebenbei genoss ich die herrliche Sonne, die Gemeinschaft mit meinen Klassenkameraden und die exzellente Beköstigung durch die LPG-Küche. Und außerdem gab es dafür auch noch einen Obolus.

 

Arbeiten zum Geldverdienen

Als kleine Kinder verdienten wir durch Altstoffsammeln etwas Geld. Flaschen, Gläser, gebündeltes Altpapier und Lumpen sammelten wir nicht nur zu Hause, sondern auch bei älteren Nachbarn, die nicht mehr die Kraft hatten, alles selbst zur Sammelstelle zu bringen. Auch Schrott suchten wir überall im Dorf zusammen, luden alles auf kleine Leiterwagen und brachten es zur Sammelstelle, um uns ein paar Mark zu verdienen. Eine Müllabfuhr wie heute gab es noch nicht. Aber auch das herbstliche Sammeln von Eicheln und Kastanien für die Wildtierfütterung ergab für uns Kinder etwas Geld. Richtig in Arbeit artete schließlich das  Kartoffelsammeln in der Zeit aus, als die Kartoffelkombine die Kartoffeln nur loshackte und die meisten Kartoffeln auf dem Feld liegenblieben. Zu Zweit mit einem großen Korb auf dem Acker unterwegs, sammelten wir emsig möglichst große Kartoffeln, damit der Korb möglichst schnell voll und am Hänger, auf dem er ausgekippt wurde, gezählt werden konnte.

Ab 16 Jahren konnte ich dann endlich ganz offiziell neben der Schule in Betrieben arbeiten gehen. So arbeitete ich während der großen Ferien nach der 10.Klasse 3 Wochen in der Buchhaltung, in der mein Vater der Chef war. Endlos wurden dort tagtäglich riesige Zahlenkolonnen addiert und miteinander verrechnet – eine Arbeit, die mich zur Verzweiflung trieb. Nicht nur, dass ich mich ständig verrechnete, denn Schusselfehler waren bei mir an der Tagesordnung, nein, auch die Sinnlosigkeit dieses Mühens, das am nächsten Tag schon wieder durch Planänderungen entwertet wurde, war für mich ein Martyrium. Nie mehr würde ich einen Fuß in eine Buchhaltung setzen – das schwor ich mir damals.

Dagegen war die Routinearbeit am Fließband in der Glasindustrie, wo ich immer mal 8 Stunden im Schichtbetrieb meist von 14 bis 22 Uhr entweder in der „Einheit“ oder der „Bärenhütte“ in Weißwasser arbeitete, eine wahrhaft abwechslungsreiche Arbeit. Entweder habe ich dort je nach Anfall vom Fließband die Gläser in Kartons gepackt oder Kartons gefaltet oder an der Stanze gesessen, um die Füllmarken auf die Gläser aufzubringen. Aber immer war es lustig unter den einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern, denn es wurde hemmungslos geplaudert und viel Spaß und Schabernack während der Arbeit oder in den Wartezeiten getrieben. Außerdem war es interessant, den Mundbläsern in der Nachbarhalle zuzuschauen. Am heißen Ofen mit blankem Oberkörper stehend, schufen diese Männer wahre Kunstwerke aus glühenden Glasklumpen, die an den langen Pfeifen hingen und die die Meister äußerst behände drehten und jonglierten, während sie mit Macht und schnell, zugleich aber äußerst gefühlvoll die Luft hinein bliesen. Bei dieser schweißtreibenden Arbeit tranken sie Unmengen Bier oder Limo, komischerweise nicht Wasser, so dass viele von ihnen wohl Nierenleiden und andre Gesundheitsschäden hatten. Aus Mitgefühl brachten meine Kolleginnen ihnen immer wieder auf großen Tabletts Nachschub, wenn es die Zeit erlaubte.

Im Sommer schließlich verdiente ich Geld, indem ich in die Blaubeeren ging. Mit dem Blaubeerkamm von meiner Omi und einem Wassereimer aus Emaille, den ich am Lenker meines Fahrrades anhängte, fuhr ich früh in den Nadelwald an meine Stellen, an denen ich meist ganz allein war, je älter ich wurde. Von 8 bis 14 Uhr arbeitete ich dann angestrengt, mit einem alten Blechessgeschirr aus dem Krieg von meinem Opa, in das ungefähr 2 Liter hineinpassten, ausgerüstet und das ich mir um den Bauch hängte. Nach 6 Stunden und 6 Ladungen war mein Wassereimer voll und ich körperlich kaputt. Andererseits aber hatte ich den Genuss der himmlischen Waldesruhe und des Rauschens der Bäume, dazu die frischen Blaubeeren, die ich beim Ausblasen und Sortieren automatisch verkonsumierte – eine Erholung, die eine wunderbare und nie mehr erreichte Tiefenwirkung entfaltete. So fuhr ich glücklich und innerlich gestärkt mit meiner kostbaren Last am Lenker nach Hause und hatte außerdem den Genuss, dass ich im Gemüseladen für meine Blaubeeren viel mehr Geld bekam, als die Kunden beim Kauf der Beeren bezahlen mussten. Der DDR – Staat subventionierte eben die Ablieferung solch kostbarer Naturschätze zur besseren Versorgung der Bevölkerung hoch.

Da die alten Kräuterfrauen ausstarben und es im Wald deshalb immer einsamer wurde, zumal ich 3 Mal von einem jungen Mann angemacht wurde, der plötzlich vor mir stand, wurde es mir, als ich um die 20 Jahre alt war, zu unheimlich und gefährlich, weiterhin allein in den Wald zu fahren. Für mich war der Abschied vom Wald in der Lausitz einer der größten Verluste meines Lebens.


Juni 2015

 



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen

 

Templates