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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Erlebnisse im Beruf nach der Wende

Ein Bericht von Dr. Rolf Beyer, Leipzig


Institut für Verwaltungsorganisation (Leipzig)

Im Institut für Verwaltungsorganisation und Bürotechnik (ab 1990 ohne „Bürotechnik“), in dem ich seit 1973 tätig war und in dem ich Anfang 1990 in einer Belegschaftsversammlung zum Geschäftsführer gewählt wurde, gab es nach der Wende – wie überall in der ehemaligen DDR – eine  große Ungewissheit wie es künftig weitergeht. Wir hatten vom westdeutschen „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ den Auftrag erhalten, Vorschläge zu unterbreiten, wie der Staatsapparat der DDR auf den Ebenen Gemeinden, Städte und Kreise den westdeutschen Bedingungen angepasst werden kann.  

Für diese Ausarbeitungen mussten wir uns zuerst mit den Aufgaben der westdeutschen Kommunen und den dortigen Strukturen genau vertraut machen. Dann galt es bei uns zu untersuchen, welche Bereiche und Planstellen wie umgewandelt werden müssen, bzw. was bei uns aufgelöst und was völlig neu geschaffen werden muss. 

Diese Aufgabe war völliges Neuland und mit enormen Problemen verbunden. Um gute Ergebnisse auf den Tisch legen zu können und uns als Partner für eine weitere Zusammenarbeit zu empfehlen, erhielten unsere Mitarbeiter konkrete Vorgaben, wer, was zu untersuchen und auszuarbeiten hatte. Obwohl wir ein großes Tempo vorlegten, gab es ständig Rückschläge.

Zu diesen gehörten in unserem Institut:

  • Obwohl unmittelbar nach der Wende Mitarbeiter wegen ihrer Systemnähe ausgeschieden waren, verließen aus diesem Grund schrittweise noch weitere das Institut
  • Andere Kollegen hatten eine neue Tätigkeit gefunden
  • Ältere Mitarbeiter nutzten die Möglichkeit, um in Rente zu gehen.

Von den Mitarbeitern die aufhörten, ging das gerade neu erworbene Wissen verloren. Außerdem mussten deren Aufgaben von anderen Mitarbeitern kurzfristig und zusätzlich mit übernommen werden.
 
Bei der Zusammenarbeit mit den Staatsorganen und künftigen Kommunen gab es dort die gleichen Probleme wie bei uns im Institut. Besonders ausgeprägt war dort aber die frühere große Systemnähe der meisten Mitarbeiter, von denen viele plötzlich ausschieden. Wer gestern noch unser Ansprechpartner war, den gab es heute nicht mehr.

Dann sorgten die überall auftauchenden Wessis für ein großes Durcheinander. Sie wollten in den neuen Kommunen helfen, erreichten damals aber erst einmal das Gegenteil. Das hatte folgende Gründe: Die Strukturen, Verantwortlichkeiten usw. waren in den westdeutschen Bundesländern bei den Gemeinden, Städten und Kreisen sehr unterschiedlich.

Kam nun jemand aus Hessen, erklärte er die hessische Struktur usw. und empfahl, diese zu übernehmen. Dann sagte jemand aus Bayern „guten Tag“, erklärte den bayerischen Aufbau und erwartete, dass dieser genommen wird. Und dann kamen wir und wollten eine einheitliche Lösung für die 1990 wieder neu gegründeten 5 ostdeutschen Länder vorschlagen.

Zur damaligen Zeit vollzogen sich auf allen Gebieten täglich neue und rasante Veränderungen, von denen fast alle Bürger, Betriebe usw. der DDR betroffen waren. Uns traf der Schlag, als wir gerade die ersten Arbeitsergebnisse übergeben hatten. Es war in Bonn beschlossen worden, dass unser Auftraggeber, das „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ aufzulösen ist, was auch bis 1991 geschah.

Zu dieser Zeit wurde im Auftrag der Bundesregierung eine Gesamtübersicht erarbeitet, in der alle Einrichtungen, Bildungsstätten usw. der DDR aufgelistet wurden. Dann wurde jeweils entschieden, welche in welcher Form weiterbestehen und welche abgewickelt werden. Wir hatten erfahren, dass unser Institut weiter bestehen soll.

Als die Auflösung des „Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen“ beschlossen wurde, änderte sich das. Festgelegt wurde für uns, Entlassung aller Mitarbeiter bis 31.12. 1990 und Auflösung des Instituts. Vom Staatministerium des Innern Sachsens erhielt ich den Auftrag, das Institut bis zum 31.07.1991 abzuwickeln und wurde für diese Zeit von dort bezahlt. 

Nun unternahmen wir große Aktivitäten um unser Institut doch noch zu retten und irgendwo im Westen anzugliedern. So fuhren wir per PKW mehrmals zu Verhandlungen nach Westdeutschland, z.B. Köln, Bonn, Hannover, Herford usw. Wir wurden überall freundlich empfangen, aber das war auch alles.

Akademie des Deutschen Beamtenbundes (Königswinter bei Bonn)

Als wir schon nicht mehr an eine Lösung glaubten, hatten wir noch einen letzten Gesprächstermin beim Geschäftsführer der Akademie des Deutschen Beamtenbundes in Königswinter (der Beamtenbund selbst hatte seinen Sitz in Bonn). Die Unterhaltung war sehr sachlich und endete nach 2 Stunden mit der Feststellung „wir melden uns“. Wir verließen Königswinter in dem Glauben, das war es nun endgültig.

Aber es kam anders. Ich erhielt einen Anruf, dass die Akademie 12 Mitarbeiter von uns übernimmt. Ich soll von Interessenten Bewerbungen abfordern und diese übermitteln. Von unseren ehemals etwa 110 Kollegen bewarben sich 35. Von diesen zogen sechs die Bewerbung aber wieder zurück. 

Dann wurden wir, die sich beworben hatten, zu einem gemeinsamen Gespräch nach Königswinter eingeladen. Am Ende wurde mitgeteilt, dass jeder Teilnehmer in etwa einer Woche ein Schreiben erhält, ob er übernommen wird.

Mit mir führte der Geschäftsführer am selben Abend noch ein Gespräch. Dabei teilte er mit, dass der bisherige Chefredakteur unserer Zeitschrift „Verwaltungsorganisation“ auf keinen Fall eingestellt wird. Da ihm bekannt ist, dass ich bereits eine Fachzeitschrift geleitet habe, bot er mir an, als Chefredakteur der Akademie zukünftig die „Verwaltungsorganisation“ zu übernehmen. Das hatte ich nun nicht erwartet, begriff aber schnell meine große Chance und sagte zu.   

Der Geschäftsführer der Akademie des Deutschen Beamtenbundes und ich hatten dann einen gemeinsamen Termin beim sächsischen Staatsministerium des Innern. Dort war bei unserem Eintreffen die Übernahme von Mitarbeitern von uns durch die Akademie bereits bekannt.

Bei dem Gespräch ging es um unser Objekt in Leipzig, das von der Akademie übernommen wurde und in dem wir weiter tätig waren, sowie unsere gesamte Ausstattung  mit Technik, Möbel aller Art, Bücher usw. Hinzu kam unsere Fachzeitschrift „Verwaltungsorganisation“ mit einem großen Abonnentenkreis. Das alles erhielt die Akademie kostenlos. Ausnahme waren ein älterer Wartburg und ein Lada sowie einige in die Jahre gekommenen DDR-Computer. Diese verkaufte ich sehr billig an Kollegen, das Geld bekam die Akademie.   

Vom 1.1.1991 bis 31.7.1991 war ich dann sowohl für die Zeitschrift als auch für die Abwicklung des Instituts zuständig. Für die Abwicklungsarbeiten hatte ich noch einen Mitarbeiter und eine Sekretärin zur Verfügung.

Für die Zeitschrift wurden noch die bisherige Redakteurin sowie die Sekretärin übernommen. Insgesamt erhielten dann 11 Mitarbeiter von uns ab 1.1.1991 zeitlich begrenzte Verträge. Nach einer Einarbeitungszeit sollte dann über eine Verlängerung befunden werden. Wir erhielten den Namen „Zentrum Leipzig“  und ich wurde der Verbindungsmann zur Akademie.

Die Leipziger Kollegen – außer denen der Redaktion der Zeitschrift – führten Weiterbildungs-lehrgänge für Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungen sowie Untersuchungen in der Verwaltungspraxis durch, die von Königswinter vorgegeben waren.  Wie bekannt wurde, erhielt die Akademie für unser Zentrum Leipzig von der EU aus Brüssel 1 Million DM Fördergelder.     
  
Ich hatte bei der Akademie die Möglichkeit viele Kommunen und Bildungsstätten Westdeutschlands zu besuchen, Verbindungen aufzubauen und neue Autoren zu gewinnen. Natürlich nutzte ich die Gespräche nebenbei auch für eine Abonnentenwerbung im Westen. Da ich immer mit meinem privaten PKW fuhr und außer Übernachtungs- und Tagegeld auch ein nicht geringes Kilometergeld abrechnen konnte, hatte ich noch ein Zubrot zu meinem nicht schlechten Verdienst.

Wie wir später erfuhren, war man bei unserer Übernahme davon ausgegangen, dass sich Leipzig als „Heldenstadt“ zum Mittelpunk des Ostens entwickelt und dort wollte man als Beamtenbund präsent sein. Als der Bundestag aber später beschloss, dass Berlin wieder die Hauptstadt Deutschlands wird, war Leipzig sofort uninteressant und die Verträge mit unseren Mitarbeitern wurden nicht verlängert. Die Akademie baute nun in Berlin ein Zentrum auf, das in Leipzig wurde am 31.12.1993 aufgelöst.

Zu dieser Zeit gab es auch in Königswinter Veränderungen. Auslöser war wohl, dass der Geschäftsführer seinen Vertrag nicht verlängerte, da er in Berlin eine Auslandsaufgabe übernahm. Das war für uns alle ein Schock. Er war hochintelligent und traf klare Entscheidungen, hatte angenehme Umgangsformen und man konnte sich auf das, was er sagte, immer verlassen. Deshalb wurde er sowohl von den Kollegen in Königswinter als auch von uns hoch geschätzt.

Die Aufgaben des Geschäftsführers wurden nun auf zwei neu eingestellte Personen aufgeteilt. Die beiden Nachfolger hatten, im Vergleich zum bisherigen Geschäftsführer, das Niveau „Scheuerleistenebene“. Einer von ihnen war vorher bei der berüchtigten Treuhandanstalt tätig. Und so benahm er sich auch. Von Öffentlichkeitsarbeit und der Verbreitung von Fachwissen hielten die „neuen Herren“ nichts und verkauften deshalb unsere Zeitschrift „Verwaltungsorganisation“.

Obwohl wir Leipziger die Zeitschrift mitbrachten und die Akademie des Beamtenbundes diese von uns kostenlos erhalten hatte, wurde unsere Redaktion nicht in die verschiedenen Verkaufsverhandlungen einbezogen. Als ich auf eigene Faust dann nach einem neuen Herausgeber suchte, knallte es zwischen mir und den „beiden neuen Chefs“. Im Ergebnis wurde mir sogar schriftlich untersagt Verhandlungen zu führen.

Basten Verlag (Aachen)

Für mich überraschend bekam ich dann einen Anruf aus Aachen vom Basten Verlag. Herr Basten informierte mich darüber, dass z.Z. darüber verhandelt wird, ob er die Zeitschrift kauft. Da ihm aber eine Zeitschrift ohne Chefredakteur nichts nützt, lud er mich auf seine Kosten nach Aachen ein um mit mir über eine Zusammenarbeit zu beraten. Natürlich fuhr ich hin.

In Aachen sagte ich zu, weiter als Chefredakteur tätig zu sein, obwohl sich dadurch meine Bezahlung und die Arbeitsbedingungen verschlechterten. Als 60jähriger hatte ich aber kaum eine Chance woanders noch eine neue Tätigkeit zu erhalten.

Der Basten Verlag kaufte dann die Zeitschrift und gab diese ab 1. Januar 1994 heraus. Die „Basten-Zeit“ war für mich mit viel Neuland hinsichtlich der Funktionsweise des Kapitalismus in der täglichen Praxis verbunden und hoch interessant.

Wie sich zeigte, wurde der Basten Verlag von 2 Brüdern geführt. Der eine war der Verleger, der andere der Buchhalter. Beide wohnten aus finanziellen Gründen in Belgien (von Aachen bis zum Wohnort war es nicht weit). Mein Partner war der Verleger.

Für die Zeitschrift und mich veränderte sich vor allem folgendes:

  • Mein Arbeitsplatz war nun der Schreibtisch in meiner Wohnung in Leipzig. An meine Privatadresse ging auch die gesamte Post für die Zeitschrift. Herr Basten informierte mich ausführlich darüber, wie ich beim Finanzamt hierfür steuerliche Vergünstigungen geltend machen konnte. Auch die damit verbundenen Tricks lernte ich kennen.   
  • Arbeitsmäßig erhielt ich zur Unterstützung einen Redakteur aus der Aachener Gegend. Dessen Hauptaufgabe war aber das Besorgen von Anzeigen. Er half mir zwar mit einigen Artikeln, das aber sehr sporadisch.
  • Um Geld und Arbeitszeit zu sparen wurde die Seitenzahl der Zeitschrift von 48 auf 32 reduziert.
  • Unsere Druckerei in Leipzig erhielt die Kündigung. Der Seitenumbruch wurde nun im Verlag in Aachen gemacht, die Druckarbeiten bis zum fertigen Heft erfolgten bei einer Druckerei in Belgien. Dort waren die Herstellungs- und Papierkosten niedriger als in Deutschland. 
  • Für mich galt es nun bei jedem Heft das Gesamtmanuskript bis zu einem bestimmten Termin fertig zu haben. Um aktuell zu sein konnte ich bei der Leipziger Druckerei immer einige Seiten nachliefern. Das ging nun nicht mehr. An dem jeweiligen Abgabetag kam jeweils um 16.oo Uhr eine Kurierfirma und holte das Manuskript ab. Am nächsten Morgen wurde dieses in Aachen beim Verlag abgegeben.
  • Das Korrekturlesen erfolgte im Verlag. Dadurch hatte ich weniger Arbeit, jedoch blieb auch mancher Fehler stehen.    

Aber auch in Aachen änderte sich über Nacht etwas grundlegend. Der Verleger Basten verunglückte tödlich. Der Verlag gab Bücher und - mit der „Verwaltungsorganisation“ - fünf Zeitschriften heraus. Der Buchhalter Basten wollte den Verlag retten und übernahm die Leitung allein. Aber ohne die von seinem Bruder über viele Jahre aufgebauten persönlichen Beziehungen wurden die Probleme immer größer.

Gabler Verlag (Wiesbaden)

Im Ergebnis verkaufte Basten per 31. August 1995 die „Verwaltungsorganisation“ an den Gabler Verlag in Wiesbaden, der zur Gruppe der Bertelsmann Fachverlage gehörte. Der Gabler Verlag gab die „VOP“ (Verwaltung Organisation Personal) heraus. Das war die Fachzeitschrift auf dem Gebiet der Verwaltung im Westen.

Ich wurde zu einem Gespräch nach Wiesbaden eingeladen. Dort teilte man mir mit, dass die „VOP“, unter ihrem bisherigen Chefredakteur, weiter herausgegeben wird. Die „Verwaltungs-organisation“ wird eingestellt. Das Ziel des Kaufs ist die Beseitigung der Konkurrenzzeitschrift und Übernahme vor allem der vielen Abonnenten in den neuen Bundesländern.   

Mir wurde der Vorschlag gemacht, stellvertretender Chefredakteur der „VOP“ zu werden (die Zeitschrift wurde dann in „innovative Verwaltung“ umbenannt). Nach kurzer Bedenkzeit sagte ich zu. Auch diese Entscheidung war – wie sich zeigte – richtig.

Die Zusammenarbeit mit dem Chefredakteur und seiner Frau, die ebenfalls für die Zeitschrift tätig war, entwickelte sich sehr angenehm. Wir vereinbarten Arbeitsteilung. Er übernahm die alten und ich die neuen Bundesländer. Wir sahen die Grenzen aber nicht so eng. So nahm ich z.B. weiterhin an Veranstaltungen der Stiftung des Bertelsmann-Konzerns in Gütersloh sowie an Konferenzen der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer teil.

Während einer Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung – diese war vom internationalen Medienunternehmen Bertelsmann mit über 42.000 Mitarbeiter gegründet worden - erlebte ich etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. In der Mittagspause saßen wir im Speisesaal als es plötzlich ganz leise wurde, alle hörten auf zu essen und standen auf. Als wir uns wieder gesetzt hatten erfuhr ich folgendes. Der Chef des Konzerns und Gründer der Bertelsmann Stiftung, Reinhard Mohn, hatte mit seinem Essen den Speisesaal betreten. Mit dem Aufstehen bei seinem Erscheinen zeigten die Mitarbeiter ihre Verehrung für ihn und würdigten seine sehr großen Leistungen.  

Auch während der Konferenzen in der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer lernte ich viel Neues. Außerdem ergaben sich Kontakte zu Führungskräften aus ganz Deutschland, die ich als Autoren gewinnen konnte. Und gute Autoren sind für eine Fachzeitschrift das Wichtigste.

Leider wurde ich älter und musste deshalb immer kürzer treten. Mit 77 Jahren beendete ich dann meine Tätigkeit ganz.

 


Januar 2016

 



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