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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

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Wie unsere atheistische Familie
Weihnachten und Ostern feierte

Ein Bericht von Kornelia Mücksch, Schkeuditz

Weihnachten

Als Kind erlebte ich Ende der 50er und in den 60er Jahren in der DDR insbesondere das Weihnachtsfest geradezu als mythisches Fest des Zusammenschlusses aller Familienmitglieder, um sich angesichts der bedrohlichen Kälte und Dunkelheit im Dezember der liebevollen Obhut und wärmenden Zuflucht bei den Erwachsenen zu versichern. Damals wusste ich noch nicht, dass das schönste Fest der Familie und der Liebe mit der Hoffnung der befreienden Wintersonnenwende zusammenfiel, doch ich fühlte, dass es danach lichter wurde. Denn obwohl noch ein langer und kalter Winter bevorstand, stärkten wir durch das Weihnachtsfest wie bei unseren heidnischen germanischen Vorfahren die gegenseitige Solidarität. So ist mir dieses Gefühl des Beschütztseins und der Zugehörigkeit zur Familie gerade in der Zeit meiner Kindheit, da ich im Winter immer fror und von frischem Obst und Gemüse nur träumen konnte, eine der kostbarsten Erinnerungen.

Ich empfand deshalb schon die Vorbereitungszeit für die große Bescherung am Weihnachtsabend des 24. Dezember mit ihrer Heimlichkeit, Vorfreude und Emsigkeit als glückliche Zeit, die mir über die Furcht vor der Dunkelheit, Kälte und drohenden Kargheit des anbrechenden Winters hinweg half, indem auch wir Kinder aktiv die Familienbande fester schmiedeten. Denn auch wir bereiteten Geschenke für unsere Eltern und Großeltern vor. So bastelte und malte ich mit meinem älteren Bruder schon Wochen vor dem großen Ereignis fleißig und natürlich heimlich, unterstützt auch durch Erzieherinnen im Kindergarten und später der Schule. Auch Gedichte oder Lieder mit angemessenem Schwierigkeitsgrad mussten für den großen Auftritt vor dem Weihnachtsmann und der Großfamilie vorbereitet werden.

Wir waren in der Vorweihnachtszeit natürlich auch besonders artig und strengten uns an, keine Dummheiten zu machen, denn wir erhofften uns ja schöne Geschenke vom Weihnachtsmann, der alles Gute und Schlechte über uns zu wissen schien. 

Auch die Erwachsenen taten nun besonders geheimnisvoll und wachten mit Argusaugen darüber, dass wir nicht etwa heimlich in irgendwelche Schränke schauten oder verbotene Zimmer betraten. Und im Übrigen waren auch sie sehr beschäftigt, denn schließlich wurde das ganze Haus geputzt. Vieles, was wir nicht sehen durften, eingekauft und Stollen, Pfefferkuchen und Plätzchen gebacken. Unvergesslich ist mir der Anblick, wie mein Vater schon Anfang Dezember mit beiden Armen den schweren Stollenteig, der vor Rosinen, Zitronat, „guter Butter“ und anderen Köstlichkeiten strotzte, in einer kleinen Wanne immer wieder durchwalkte, bis endlich die richtige Konsistenz erreicht war. Dann formte er aus dem Teig große Brote, die, auf Blechen angeordnet, zum Dorfbäcker um die Ecke gebracht wurden, um im großen steinernen Backofen ausgebacken zu werden.

Am 24. Dezember dann, dem großen Tag, durften wir Kinder nicht mehr ins Wohnzimmer und ab Mittag auch nicht mehr in den Flur. Wir mussten in der Küche bleiben, denn nun bugsierte mein Vater in der letzten Phase der Weihnachtsvorbereitungen den großen Weihnachtsbaum in die Mitte des Wohnzimmers. Dann hörte man beide Eltern hin und her laufen, denn nun wurde der Tannenbaum, der meist eine Fichte war, mit Kerzen, Lametta, Kugeln und Glitzerkram geschmückt und für jeden von uns mindestens ein Weihnachtsteller mit Süßigkeiten, Nüssen, rotbäckigen Weihnachtsäpfeln und Apfelsinen aufgebaut. Außerdem war Mutti emsig in der Küche beschäftigt, um das Weihnachtsessen, oft eine Rinderzunge oder ein Karpfen, zuzubereiten.

Wenn es am 24. Dezember dunkel wurde, waren wir Kinder, inzwischen mit unseren schönsten Sachen herausgeputzt, extrem aufgeregt, denn nun nahte der Weihnachtsmann. Vor Angst erstarrt liefen wir zur Haustür, wenn Papa rief, dass er ihn schon sehen könne. Nachdem wir den schwer astenden rotbetuchten Mann mit seinem wallenden weißen Bart, dem Riesensack und der Rute, mit der er laut gegen die Gartenpforte schlug, sahen, rannten wir panisch nach oben. Als der Weihnachtsmann dann aber mit schweren Stiefeln begann, die Treppe hochzusteigen und uns das Herz bis zum Halse schlug, wurde uns das Wohnzimmer geöffnet.    
 
Es war nun immer wieder, als würde man in ein herrliches Märchenland treten, denn umweht von sanften Winter- und Weihnachtsliedern stand dort der immergrüne Hoffnungsbaum als einziges strahlendes Licht im Dunkeln, von Lametta wie mit Schnee beladen und mit roten und goldenen Kugeln geschmückt, als wären es die schönsten rot- und goldbäckigen Äpfel aus einem paradiesischen Garten. Dieser wunderbare Anblick wurde unterstützt durch den herben Duft des frischen Nadelbaums und die verführerischen Düfte von Weihnachtsbäckerei, brennenden Kerzen und prallen Navel-Orangen mit Westduft, die uns meine Oma aus Bochum geschickt oder bei ihrem Besuch mitgebracht hatte. Eine unbeschreibliche Ehrfurcht ergriff uns bei diesem Gefühlsrausch in jedem Jahr aufs Neue, zumal jetzt auch die Großeltern still und ergriffen eingetreten waren und alles im Hintergrund beobachteten.

Wir vier Kinder aber standen in Reih und Glied vor dem Weihnachtsbaum und waren nun direkt dem Weihnachtsmann ausgeliefert, der mit polternden Schritten, erschöpftem Ächzen und lautem Schlagen der Rute gegen die Wohnzimmertür alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Nachdem Papa ihm geholfen hatte, den Sack ins Zimmer zu bugsieren und abzustellen, begann für uns der heikelste Teil des Abends. Denn die erste obligatorische Frage war, ob wir denn artig gewesen seien. Wenn wir dann schuldbewusst nickten, kam der Weihnachtsmann knurrend in Fahrt und knöpfte sich Einen nach dem Anderen vor. Er erzählte uns unsere Schandtaten, aber auch, was wir Gutes geleistet hatten und ließ uns dann gewissermaßen als Prüfung unser Gedicht oder unser Lied vortragen. Als wir noch sehr klein waren, stammelten wir das Standartgedicht:

Lieber guter Weihnachtsmann,
schau mich nicht so böse an!
Stecke deine Rute ein!
Ich will immer artig sein!

Doch je älter wir wurden, desto anspruchsvoller mussten unsere Kulturbeiträge ausfallen, damit der Weihnachtsmann, gespickt mit Lob und Ermahnung, in den großen Geschenksack griff und für jeden von uns die entsprechenden Pakete hervorholte. Kaum dass der Sack leer war und der Weihnachtsmann den Rückzug antrat, nachdem wir uns anständig bei ihm bedankt und Besserung gelobt hatten, begannen wir, mit leuchtenden Augen unsere Geschenke auszupacken und auch neugierig auf die Gaben der Geschwister zu schauen. Während wir alles begeistert begutachteten und auch unsere Geschenke an die Erwachsenen verteilten, verschwand der Weihnachtsmann und auch mein Vater, ohne dass uns das bewusst wurde. Erst viele Jahre später erfuhren wir, dass ein Nachbar, der ebenfalls zwei Söhne in unserem Alter hatte, bei uns den Weihnachtsmann gespielt hatte und mein Vater anschließend noch in unserem Haus die Verkleidung anlegte und den bei uns deponierten Sack aufnahm, um dann seinerseits die Nachbarskinder als Weihnachtsmann, der aus dem Dunkeln kam und wohlverdiente Geschenke brachte, zu erschrecken und zu erfreuen.

Später, wenn mein Vater wieder unbemerkt zurückgekommen war und wir unsere Geschenke ausprobiert und die Süßigkeiten ausgiebig gewürdigt hatten, schritten wir in der Küche zum gemeinsamen Festmahl. Daran erinnere ich mich aber gar nicht mehr so genau, weil ich bereits eine Apfelsine gegessen und mir meist schon mit einem heißhungrig verschlungenen Schokoladenweihnachtsmann den Magen verdorben hatte. Und dennoch, so beglückt mit selten köstlichem Essen im Kreise der Großfamilie, liebevoll von den Erwachsenen gelobt oder geneckt und beschenkt mit schönen Dingen, die wir uns DDR - Kinder schon immer gewünscht hatten, ging der Weihnachtsabend wie im Fluge vorbei und stärkte uns mit seiner Strahlkraft noch lange mental den Rücken.

Ostern

Auch das Osterfest war für uns ein heidnisches Fest, bei dem wir die Ankunft des Frühlings und die Vorfreude auf das Erwachen der Natur nach einer langen Zeit des Frierens, Darbens und Lebens von den konservierten Vorräten aus der letzten Ernte feierten. Die kunstvoll bunt bemalten Ostereier, wie ich sie von den sorbischen Osterbräuchen meiner Lausitzer Heimat kenne, waren uns der Inbegriff des Nesterbauens der Vögel und des Erwachens des Lebens unter der Macht der ersten warmen Sonnenstrahlen. Im Kindergarten feierten wir um Ostern herum auch Vogelhochzeit – ein sorbischer Brauch, bei dem wir aus Papier und Pappe Vögel bastelten und bunt anmalten, um sie in die Fenster zu hängen oder mit ihnen als Puppen Nestbau und Vogelhochzeit wie ein Theaterstück zu spielen. Dabei lernten wir zugleich verschiedene heimische und Zugvogelarten kennen, die wir dann bei ausgiebigen Ausflügen in den Wald und auf Wiesen interessiert beobachteten. So erfuhren wir auch, dass der überall laut rufende Kuckuck seine Eier in fremde Nester legte, was ich unerhört fand.

Für uns Kinder war mithin der Osterbrauch, bunt bemalte Ostereier in gut versteckten Nestern zu suchen, ein selbstverständlicher Frühlingsbrauch, der die Freude und das Glück zum Ausdruck brachte, dass die Sonne wieder warm schien und das Leben in der Natur zu neuem Blühen erwachte. Anfang der 60er Jahre waren in meinem Heimatdorf auch die sorbischen Geschichten vom Osterreiten und Osterwasserholen von jungen Mädchen, die von ihrer ersten Liebe träumten, noch sehr präsent. Uns Kindern las man Sagen vor und startete mit uns in der 1. Klasse den Versuch, uns durch Sorbischunterricht an die Pflege des aussterbenden Sorbentums heranzuführen. Doch in meinem Dorf hat das nichts gebracht, denn wir fühlten uns nicht als Sorben. Das Experiment wurde abgebrochen. Erst später beim Russischlernen wurde mir klar, wie eng verwandt doch Russen und Sorben als slawische Stämme gewesen sein müssen. Geblieben aber sind mir die romantischen Erinnerungen an die liebenswerten Frühlings- und Osterbräuche der Sorben.

Denn schon im Kindergarten lernte ich mit Begeisterung den wichtigsten sorbischen Osterbrauch kennen, die Ostereiermalerei. Dazu wurden Eier ausgeblasen, um sie dann vorsichtig mit Tusche oder Buntstiften bunt zu bemalen und mit Bildchen zu bekleben und die so entstandenen Kunstwerke an Fenstern oder grünenden Zweigen als Raumschmuck aufzuhängen. Wir wetteiferten dabei um die schönsten Farben und Motive. Zugleich wurde uns auch die Ostereiergestaltung mittels Bienenwachs theoretisch erklärt. Doch in der Familie der Schwester meiner Oma, einer Patentante meines Bruders, konnte ich dieses Verfahren und seine Produkte noch leibhaftig erleben, denn diese Verwandten zelebrierten diese Wachsmalerei noch alljährlich praktisch, um hart gekochte Ostereier als Geschenk zu gestalten. Ich bewunderte die handwerkliche und künstlerische Perfektion, mit der meine Verwandten mit zurechtgeschnittenen Federkielen Tropfen oder andre Formen mit heißem Bienenwachs auf die Eier ausbrachten. Indem sie dann das Ei in Farbe tauchten und nach dem Trocknen das Wachs abkratzten, erhielt man weiße Muster auf farbigem Grund.   

Zu Ostern war es nämlich auch in unserer Familie noch Brauch, dass die Kinder zu ihren Paten gingen und „Kicke“, kleine Geschenke, abholten. Die Patenschaft für Kinder war früher ein Brauch in den ärmlichen bäuerlichen Großfamilien, um Kindern nicht nur die Fürsorge der Eltern, sondern im Falle des Todes, großer Armut oder anderer Nöte der Eltern eine zusätzliche verantwortliche Person zur Seite zu stellen. Paten kümmerten sich um das Wohlergehen ihres Patenkindes und halfen nicht nur bei materiellen Engpässen, sondern auch bei seelischen Problemen oder der Berufssuche. Doch in der DDR verlor sich dieser Brauch gänzlich in dem Maße, wie Schule und Gesellschaft neben den Eltern Fürsorgepflichten übernahmen.

Bis ich ca.14 Jahre alt wurde, besuchten wir noch gezielt unsere Paten, wobei sich der Brauch immer mehr dahin veränderte, dass uns Verwandte einfach als Familie einluden, um uns Kindern eine Freude zu machen und uns alle wiederzusehen. Als besonderes Gaudi galt es sowohl für die Gastgeber als auch die Beschenkten, die Ostereier, Süßigkeiten und anderen kleinen Geschenke möglichst gut zu verstecken. Und da fast alle unsere Verwandten große Gärten und Nebengelasse hatten, gab es einen Heidenspaß auf beiden Seiten, immer neue und raffiniertere Verstecke auszubaldowern und uns in die Irre zu führen. So wurde gefachsimpelt, getrickst und getäuscht, um das Vergnügen des Suchens möglichst lange hinauszuzögern und so lernten wir die Gärten unserer Verwandten, in denen das erste Grün  mitunter noch mit dem letzten Schnee rang, bestens kennen. Nach diesen anstrengenden Begängnissen in der Natur schmeckten uns dann Kaffee und Kuchen an der langen Tafel im anheimelnden Wohnzimmer unserer Gastgeber besonders gut. Im Anschluss wurde z.B. die opulente Briefmarkensammlung meines Onkels besichtigt oder ausgiebig das Tanzbein zu den Schlagern, die mein Onkel laut singend auf dem Klavier begleitete, geschwungen. Am Ende des Tages sind wir alle dann glücklich bereichert auseinander gegangen.

So gehören auch die Osterfeste meiner Kindheit zu meinen schönsten und kostbarsten Erinnerungen, denn sie gaben dem oft mühseligen Alltag menschliche Wärme, Geborgenheit und Hoffnung. Zu Ostern feiern wir Atheisten unser Glück, nicht nur in eine immer wieder erwachende Natur, die uns trägt und ernährt, sondern auch in eine intakte Familie und Gesellschaft integriert zu sein.


Juli 2016

 



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