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Konzentrationslager in Leipzig am Kriegsende

Von Hans-Georg Helmer, Leipzig

Das Geschehen, welches ich hier nieder schrieb, habe ich persönlich in den letzten Kriegstagen im April 1945 erlebt und geistig nie verarbeitet. Es sind furchtbare Erinnerungen für mich, die sich nicht wegschieben lassen.

Mein ältester Bruder, Joachim Helmer, der im vorletzten Kriegsjahr von der 23. Schule in Mockau, nach Thekla an die 61. Schule versetzt wurde, den Grund dafür kenne ich nicht, kam einmal ganz aufgeregt nach Hause und sprach mit meiner Mutter über seine Aufregung. Ich stand  dabei und hörte das Gespräch mit. Er sagte: „In Thekla gibt es ein Lager ringsum mit Stacheldraht eingezäunt und überall hängen Schilder worauf steht: Stehen bleiben verboten, bei Zuwiderhandlung wird scharf geschossen.“ „Was ist das für ein Lager?“ fragte er meine Mutter. Sie antwortete: „Geh bitte nicht mehr dort hin, ich weiß nicht was das für ein Lager ist.“

Mein Eltern und wir 7 Geschwister wohnten in der „Mockauer Randsiedlung“ und hatten während des Kriegs und durch den 150 Meter  hochwärts der Straße gelegenen Kriegsflughafen, ständig Luftangriffe durch die englischen und amerikanischen Luftstreitkräfte. Natürlich bekamen die Siedlungshäuser von dem Bombardement etwas ab.

Die Amerikaner standen vor Leipzig. Wir wussten alle nicht was die Zukunft uns bringen wird. Sie hatten die Lufthoheit über Leipzig, es gab keine Abwehr, für uns Menschen war es einfach schlimm, sie griffen laufend an und es wurde kein Alarm mehr gegeben. Die führenden Nazis hatten schon längst die Stadt verlassen und überall hingen die „Naziuniformen“.

Wir wohnten im  kleinen unsicherem Keller des Siedlungshauses und keiner traute sich heraus. Der April 1945 war damals sehr frühlingshaft und die Sehnsucht danach, lockte die Menschen aus den Kellern. Da wurden wir auf einmal auf eine große schwarze Wolke in südöstlicher Richtung aufmerksam. Sie quoll furchterregend in den Himmel. Ich rief meine Mutter und die Geschwister. Was ist dort los, was brennt dort. Auch die Nachbarn kamen aus den Kellern. Entsetzlich war das anzusehen, eine Angst stieg in mir hoch. Keiner konnte sich erklären was dort brennt. Vielleicht ein Güterzug der durch die dauernden Bombardierungen getroffen war oder gar ein Bahnhof oder gar das Erla Wark. In diesem Moment heulten die Sirenen „Alarm“ und alle verkrochen sich im kleinen und doch so unsicheren Keller des Siedlungshauses. Jetzt wurde wieder der Flughafen Leipzig-Mockau bombardiert. Wir hatten alle große Angst, weinten und zitterten am ganzen Körper. Was war das für eine Zeit. Wenig zu essen, keine Schule mehr und immer die Angst wo ist der Vater und wo der älteste Bruder. Wir hier allein, unvorstellbar schrecklich. Nichts gab es mehr zu kaufen, überall Trümmer, Tote, kein Wasser. Wir blieben im Keller, nur das nötigste wurde tagsüber oben gemacht.

Plötzlich, nach vielen Angriffen, Geschützdonner und Schießereien in naher Ferne, waren sie da, unsere „Feinde“, die ab jetzt unsere „Befreier“ genannt wurden. Wir Kinder begriffen das so schnell nicht. Wir hatten Angst und Wut auf sie -  die Amerikaner. Die vielen Bombenangriffe, sollten wir das so schnell vergessen. Der Hass auf sie war sehr groß und verblasste nur allmählich, sie taten uns nichts, sie verteilten ab und an Schokolade. Sie fuhren mit ihren Jeeps und dem MG durch die Straßen unserer Siedlung. Sie hielten manchmal an, die Menschen verstecken sich in ihren Häusern, nur vorsichtig kamen sie heraus. Die Amerikaner suchten nach Waffen und versteckten Nazis. plötzlich gab es keine mehr, alle waren gegen Hitler und niemand wollte den Krieg. Alle waren froh, dass der Krieg zu Ende war. Es wurde der Satz geprägt: „Lieber trockenes Brot essen, als Krieg und Bombenangriffe.“
Nun kam eine schlimme Zeit in der wir noch nicht mal mehr Brot bekamen, es gab keins, die noch existierenden Bäcker hatten kein Mehl. Sie mussten auf die nächste Ernte warten. Jetzt führten die Amerikaner die Ausgangssperre ein, sie galt von abends 18:00 Uhr bis morgens 10:00 Uhr.

Es war Mitte April 1945, meine Mutter sprach zu uns Kindern, wir waren 8, ich habe für euch nichts mehr zu essen. Ihr drei älteren müsst gehen und etwas zu essen bei den einheimischen Bauern in Mockau und Thekla erbetteln. Doch in Thekla auf der Theklaer Straße war viel Leben in Richtung Abtnaundorf. Sehr viele Menschen, Jung und Alt. So etwas hatten wir noch nie gesehen und wir dachten, in dieser Richtung muss es bestimmt etwas geben, vielleicht ein Lebensmittellager oder die Amerikaner verteilten Lebensmittel oder Brot an die hungernde Bevölkerung. Hin und wieder flog auch ganz tief ein amerikanisches Flugzeug über uns. Ängste und schreckliche Erinnerungen stellten sich bei mir ein. Wir liefen im Strom der vielen Menschen mit. Auf einmal stockten die Menschen, liefen langsam, schrien auf, rannten davon, heulten laut, manche fielen um, erbrachen sich. Es war ganz tragisch was sich da vor unseren Augen abspielte und geschah. Wir fragten uns: „Was ist da vorn los? Was haben die Menschen nur? Warum schreien sie und laufen davon?“ Amerikaner mit der „MP“ im Anschlag mischten sich dazwischen. Wir drängten nach vorn und da sahen wir was los war. Entsetzlich, unvorstellbar. Wir standen vor einem KZ-Lager der Nazis, worüber mein Bruder meine Mutter gefragt hatte.

Das Lager war eingezäunt mit Stacheldraht und freiliegenden nicht isolierten elektrischen Drähten. Was ich jetzt sah, vergesse ich nie in meinem Leben wieder. Ich erinnere mich an die Wolke die am Himmel Stand Anfang April 1945. Die SS hatte die Lagerbaracken mit Benzin übergossen und angezündet, obwohl sie vorher die KZ Häftlinge gezwungen hatten sich in den Baracken aufzuhalten. Die Türen und Fensterläden wurden fest verschlossen, so dass es erschwert war raus zu kommen. Es muss ein furchtbares Geschrei und Panik unter den Häftlingen gegeben haben. Vielen Häftlingen ist es gelungen Türen und Fenster mit bloßen Fäusten zu öffnen, brennend erreichten einige die Freiheit, doch sie wurden mit MG-Salven der SS empfangen. Die, die doch noch den Weg zum Stacheldrahtzaun erreichten, blieben brennend in den elektrischen Drähten hängen. Uns bot sich ein grauenhaftes Bild. Die verkohlten Menschen lagen ringsum im Gelände oder hingen im Draht. Klein geschrumpft wie Kinder, die Körper dunkel wie gebrannter Lehm. Die Augen waren schwarz verkohlt, die Münder qualvoll aufgerissen, Beine und Arme verstümmelt.

Nie darf sich so ein Verbrechen wiederholen.
An der Stelle des KZ-Lagers in Thekla/Abtnaundorf wurde später ein Mahnmal errichtet.

 

November 2017

 



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