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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Erster Westkontakt nach der Wende

Ein Bericht von Udo Kruse, Leipzig

Im September 1991, an den genauen Tag kann ich mich nicht mehr erinnern, waren meine Frau, unsere zwei Töchter und ich urlaubsweise in Grabow/Mecklenburg.
Da unser Urlaub fast immer mit Aktivitäten verbunden ist, wie Sehenswürdigkeiten zu besuchen, stand diesmal außer dem Heidepark in Soltau ( ganz was Neues für uns) und besonders wichtig für unsere derzeit noch im Kindesalter befindlichen Töchter, auch ein Abstecher an die Elbe zur damaligen Westgrenze auf dem Programm (auch was Neues , durfte ja Niemand zu Friedenszeiten dahin, da Sperrgebiet für DDR-Normalbürger).

Nachdem wir gefrühstückt und die Damen meines Herzens endlich im Wagen saßen, ging die Fahrt in Richtung Elbe los. Ich hatte ein leichtes Unbehagen in mir, obwohl das Wetter und alle Urlaubsbegleiterscheinungen mich doch fröhlich sein lassen sollten. Das war noch etwas, wie noch gar nicht so richtig wahr. Die offene Grenze - ich hatte Berührungsängste vor dem was nicht mehr existierte, so etwas wie Phantomgefühle, und gewisse Zweifel an dem was nun auf uns zu kommen würde. Während der Fahrt stellte ich mir vor, daß bei meinem Fleiß, Engagement und weiterer guter Gesundheit meine Zukunftspläne für die Familie in Erfüllung gehen müssten.

Diesen Gedanken nachhängend kamen wir in das ehemalige Grenzgebiet.
Über einen einspurigen Plattenweg fuhren wir parallel zu dem Deich der als Hochwasserschutz für das Hinterland errichtet und bis dato auch als Grenzbefestigung fungierte. In einiger Entfernung sahen wir einen Beobachtungsturm . Er wirkte abweisend; so grau; hoch aber doch in sich gedrungen mit den kleinen Fenstern und der engen Eisenleiter, die das Begehen des Turmes möglich machte. In einiger Entfernung des Turmes wurde der Deich flacher und eine Zufahrt zum Wasser sichtbar. Hier sollte wieder, wie in früheren Zeiten auch schon, eine Flußfähre den Betrieb aufnehmen um für Handel und Wandel die Entfernung zwischen den Ufern und Dörfern zu verringern.
Ich fuhr, so weit es ging, an das Wasser heran. Wir stiegen aus, die Kinder um zu spielen und die Umwelt mit ihren Augen zu betrachten. Meine Frau und ich sprachen nicht viel, weil bewegt und eigenen Gedanken nachhängend.

Wir hörten ein Motorengeräusch und bemerkten, wie sich ein Pkw, ebenso wie wir zuvor, dieser Stelle näherte. Ich nahm nach kurzem Hinschauen weiter keine Notiz von den neuen Besuchern, bis ich mich angesprochen fühlte und auch war.
Die Leute waren ein Ehepaar wie wir mit etwa gleichaltrigen Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Der Herr sprach mich unvermittelt laut, als müssten mehrere Zuhörer anwesend sein, sinngemäß an: " Ja, sehen Sie nur in den Westen, was wir für Euch alles geschafft haben! Ich bin hier in den letzten Kriegstagen vor den Kommunisten fliehend über den Fluß und in Sicherheit gegangen. Geschenkt hat uns keiner was; alles selber hart erarbeitet; nie Urlaub gemacht - jetzt kommt ihr und wollt alles geschenkt haben- lernt erst mal richtig arbeiten!" Seine Frau nickte zustimmend und sagte: " Ja" !

Ich war so entsetzt über das Gehörte, dass ich weder denken noch antworten konnte. Bei meinem Naturell schon etwas ungewohnt für mich! Ich rief meine Familie herbei, bat sie ohne eine Erklärung abzugeben, in unser Auto einzusteigen und verließ diese Begegnungs- und Ereignisstätte mit gemischten Gefühlen.

Vielleicht hätte ich antworten sollen? Auch wir haben - nur zu anderen Konditionen - geschuftet, gearbeitet und den persönlichen Umständen entsprechend gelebt.

Eigentlich hatte ich diese Episode schon vergessen, doch die Thematik und die Unterschiedlichkeit der Aufsätze in unserem Arbeitskreis der Zeitzeugen ließen das vorbeschriebene Ereignis in mir wieder aufleben und erwähnenswert erscheinen.

Die Leser dieses Aufsatzes sind nicht aufgefordert mit mir zu diskutieren, lediglich Nachdenklichkeit und persönliche Bewertung in etwaigen Gesprächskreisen kann ich mir schon vorstellen.



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