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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

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der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Ein überraschender und schöner Urlaub in Polen

Ein Bericht von Udo Kruse, Leipzig

Im Sommer 1984, unsere Töchter waren 8 und 10 Jahre alt, die Sommerferien gerade angebrochen, und wie so oft in den Jahren zuvor, hatten wir für 4 Personen keinen Urlaubsplatz im Land (Ostsee oder Thüringen) ergattern können. Mein Arbeitsplatz befand sich vor den Toren Leipzigs auf dem Territorium des Werkes Böhlen. Zu Abstimmungszwecken war ich in den Stammbetrieb nach Leipzig gefahren und in einer Beratungspause auf den Gang der Büroetage gegangen.

Während ich so auf und ab ging öffnete sich die Tür des Büros unseres Gewerkschaftsvorsitzenden und er kam heraus. Mich sehend bat er mich in sein Zimmer. Ich war völlig überrascht als er mich dann fragte, ob ich in Polen in Pobierowo, einem Bungalowdorf an der polnischen Ostsee, mit meiner Familie Urlaub machen möchte. Im Gegenzug würde eine polnische Familie des Partnerbetriebes aus Krakau in unserem betriebseigenen Bungalow in Ückeritz auf Usedom ihren Urlaub verbringen. Erforderlich wäre, ich müsse mich bis zum Feierabend entscheiden. Die Reiseunterlagen und Formalitäten mit den Behörden würden vom Betrieb erledigt, auch die Freistellung meiner Frau von ihrer Arbeitsstelle.

Wie ich erfuhr, wurde der Urlauberaustausch zwischen DDR–Betrieben und polnischen Betrieben insgesamt gefördert, um die stark abgekühlten Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder zu beleben. Die einzige Bedingung für mich war, nach Rückkehr einen Bericht zu geben über Unterkunft, Verpflegung, Ablauf, Erfahrungen und zwischenmenschlichen Beziehungen während des Urlaubes. Das alles war kein Problem, wir nahmen den Urlaubsplatz.

Der Start in den Urlaub

Die einzigen wirklich unangenehmen Momente waren die zeitaufwendigen und supergründlichen Formalitäten der Aus- und Einreisekontrollen der Pass- und Zollbeamten/innen der DDR am Grenzübergang in Pomellen.

Nachdem wir endlich die Staatsgrenze hinter uns gelassen hatten, fiel der nervliche Stress von uns ab und es wurde so richtig „gemütlich“ , denn auf der Straße vor uns weidete eine Herde Kühe in aller Gemütlichkeit und ein Hirte war nicht zu sehen. So mussten wir auf die Nachsicht der Herde vertrauen, um zügig weiterfahren zu können. Unser Ziel war, vor Einbruch der Dunkelheit den Bungalow in Pobierowo zu erreichen.

Wir kamen dann auch noch bei Tageslicht im Urlauberdorf an, in einem riesigen eingezäunten Kiefernwaldgebiet. Nachdem wir uns bei der Anmeldung vorgestellt hatten – wir wurden schon erwartet und man wollte dort Feierabend machen - bekamen wir die Schlüssel für unseren Bungalow.

Unsere ersten Eindrücke

Im Bungalow erlebten wir erst einmal eine Überraschung. Dort waren noch Handwerker tätig , um mit letzten Handgriffen die Wasser- und Stromanschlüsse fertig zu installieren. Es war richtig nett, wie wir „Arbeitsteilung“ machten. Ich half den Handwerkern bei den Restarbeiten als Handlanger und sie anschließend uns beim Einräumen unserer Sachen aus dem Auto.

Kurz nach unserer Ankunft stellte sich eine junge Frau vor, die sehr gut Deutsch sprach und als Dolmetscherin immer für uns da war. Unsere Töchter hatten inzwischen auch schon Bekanntschaften mit einem neugierigen Pulk von Gleichaltrigen gemacht, so dass wir uns um sie bis zum Schlafengehen nicht kümmern mussten. Meine Frau kochte inzwischen Kaffee, schnitt unsere mitgebrachte Salami auf und allmählich wurde es eng bei uns, denn es kamen immer mehr Leute aus den umliegenden Häuschen.

Jeder brachte etwas zu essen und zu trinken mit (reichlich Wodka).  Es war ein uriges Beieinander und wir mussten sehr viele Fragen beantworten. Erst einmal wollte man wissen ob ich Parteibonze sei und evtl. Offizier oder gar sonst privilegiert. Man interessierte sich sehr für unsere Berufe und Tätigkeiten, Einkommens- und Wohnverhältnisse. Alles Fragen ,für die auch wir über sie Auskunft haben wollten.

Ein Thema waren u.a. die Reisemöglichkeiten in das kapitalistische Ausland. Im Gegensatz zu uns DDR-Bürgern, denen Reisen nur in ganz bestimmten Fällen wie Beerdigungen oder zu bestimmten Jubiläen innerhalb der Familie mit großem formellem Aufwand und Gesuchen genehmigt wurden, hatten die Polen mehr Möglichkeiten ins kapitalistische Ausland zu reisen.

Ein heikles Thema waren die Beziehungen zur UdSSR. Im Gegensatz zu uns, wo die „Freundschaftsbeziehungen“  (wenn auch unterschiedlich und differenziert) gepflegt wurden, waren sehr viele Polen gegenüber den „Russen“ sehr hasserfüllt. Ein sehr peinliches und emotionales Ereignis war, dass ein junger Mann mein Auto Typ Moskwitsch (wurde in der UdSSR produziert) bespuckte und mir mangelnden Nationalstolz vorwarf. Ich konnte ihn nicht überzeugen, dass ich einen PKW deutscher Produktion auf Grund sehr langer Wartezeiten bisher nicht erwerben konnte. Ich hatte eine PKW-Anmeldung von 1968 Als mir 1978 das Angebot gemacht wurde, einen Moskwitsch zu nehmen – es muss wohl eine größere Anzahl von diesem Typ importiert worden sein – nahm ich dieses mit Freude an.

Die Verpflegung

Die Mahlzeiten wurden in einer zentralen Verpflegungsstelle eingenommen. Zu damaliger Zeit waren in Polen bestimmte Nahrungsmittel wie Fleisch, Fett, Zucker, Kaffee und einige andere rationiert und man musste Talons von Lebensmittelkarten abgeben. Ebenso rationiert war Benzin. Wir hatten etwas vorgesorgt und Benzin in Kanistern sowie zusätzlich Kaffee als Zahlungs- und Tauschmittel für alle Fälle mitgenommen.

Meine Frau und ich haben unseren Kindern vor jeder Mahlzeit nahegelegt nicht zu mäkeln wenn etwas nicht schmeckt. Von dem uns zugewiesenen Tisch aus konnten wir alle Anwesenden sehen, aber auch die uns. So konnten sie beobachten, wie wir die zentral zubereiteten Mahlzeiten „genossen“. Wir haben dann öfter im Bungalow mit Hilfe eines Tauchsieders für uns Kakao und Kaffee zubereitet und so für einen Ausgleich gesorgt.

Unsere schönsten Urlaubserlebnisse

Die schönen Stunden des „Faulenzens“ am Strand, beim Tummeln in der Ostsee, Spiel und Spaß am Strand (wir hatten uns eine Sandburg gebaut und einen textilen Windschutz darum gesteckt) wurden noch angenehmer durch „fliegende Händler“ die für uns eine ungewohnte private Initiative zeigten und gekühlte Limonaden in Eiswasser gefüllten Behältnissen sowie frisches Obst anboten. Natürlich war dieser „Service“ etwas teurer, aber man ersparte sich weite Wege zu den eher seltenen Kiosken.

Ausflüge führten uns zur Kirchenruine von Hoff (Trzesacz), die von der Ostsee umspült wird, nach Kolberg und Gostyn. Neben den altehrwürdigen und geschichtsträchtigen Bauten interessierten wir uns auch für das Angebot der Waren für das tägliche Leben. Die Lebensmittelgeschäfte boten einen sehr mageren Eindruck. Fleischerläden sahen aus wie Klempnergeschäfte: nur kahle Fliesenwände bestückt mit leeren Fleischhaken. Vor den Tankstellen standen lange Schlangen von Autofahrern, die auf die rationierten Liter von Benzin warteten. Diese Eindrücke waren für uns wirklichkeitsfremd. Teure Modegeschäfte für Textilien aller Art und Schmuck waren in unbegrenzter Menge für die entsprechende Kundschaft zu haben. Entsprechend unserer übrigen Barschaft haben wir uns ein paar Trinkgläser aus Kristall als Andenken mitgebracht.

Insgesamt war es ein sehr schöner Urlaub, der uns bei tollem Wetter mit sehr vielen freundlichen, hilfsbereiten sowie gastfreundlichen Menschen zusammen brachte. Mit der dolmetschenden Frau und ihrer Familie haben wir jahrelang korrespondiert und sie und ihre Familie (mit unserem „Russenauto“) später in Krakau besucht. Obwohl die 3-Zimmerwohnung mit 7 Personen reichlich belegt war, rückten alle eben ein bisschen zusammen und da wir uns hauswirtschaftlich mit einbrachten, hatten wir auch eine wunderbare Woche in ihrer schönen und geschichtsträchtigen Stadt.



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