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Aus meinen Erfahrungen im Verlagswesen der DDR

Ein Bericht von Dr. Rolf Beyer, Leipzig

Meine Tätigkeit in einem Verlag begann ich als gelernter Fernmeldebauhandwerker 1956 im Lektorat Elektrotechnik des Fachbuchverlags Leipzig. Als noch unerfahrener Lektoratsassistent hatte ich das Glück, dass zwei "alte Verlagshasen" mich an die Hand nahmen und in das vielfältige Wissen zur Herausgabe von Büchern und Broschüren einweihten. So lernte ich verhältnismäßig schnell, worauf es ankam.

Am 1. Januar 1960 wurde das Verlagswesen der DDR neu profiliert. In diesem Zusammenhang wurde der "Deutsche Verlag für Grundstoffindustrie" mit den Fachbereichen
- Geowissenschaften, Kohle und Energie
- Erzbergbau, Metallurgie und Kali sowie
- Chemie
gegründet. Damit der Verlag schnell mit der Herausgabe von Literatur beginnen konnte, wurde die Belegschaft des Fachbuchverlages aufgeteilt. Die eine Hälfte blieb im Fachbuchverlag, die andere - zu der auch ich gehörte - baute den neuen Verlag auf. Diese Stammbelegschaft wurde dann mit Neueinstellungen ergänzt, bis wir etwa 120 Mitarbeiter waren.
Im Rahmen der Profilierung übernahmen wir auch einige Publikationen, die bis dahin verstreut in anderen Verlagen mit herausgegeben wurden und nun zu unserer Thematik gehörten. Unsere Aufgabe bestand in einer lückenlosen Bereitstellung von Publikationen für die gesamte Grundstoffindustrie. Das begann bei populärwissenschaftlichen Titeln und ging bis hin zur Hochschulliteratur, Monographien, Tabellenbüchern usw.


Struktur des Verlages

  • Verlagsleiter
  • Thematischer Bereich (Cheflektor) mit Lektoraten und Redaktionen zur Herausgabe von Büchern und Broschüren sowie Fachzeitschriften.
  • Ökonomischer Bereich (Ökonomischer Leiter) verantwortlich für die Planung und Sicherung der Ökonomie des Verlages, angeschlossen Buchhaltung, Absatzabteilung und Allgemeine Verwaltung.
  • Herstellungsabteilung (Herstellungsleiter), verantwortlich für alle technischen Prozesse, bis hin zu den fertigen Erzeugnissen.

Herausgabe von Büchern und Broschüren
Im Deutschen Verlag für Grundstoffindustrie war ich zuerst als Lektor im Fachbereich Erzbergbau, Metallurgie und Kohle tätig. Dort waren vor allem folgende Aufgaben zu lösen:

Jedes Lektorat verfügte für jedes seiner Fachgebiete über einen Beirat der jährlich wenigstens einmal tagte. Für diese Beiräte wurden die führenden Fachleute aus Forschung, Lehre und Praxis gewonnen.
Sollte nun z.B. ein Lehrbuch für die Berufsausbildung herausgegeben werden, war folgendes notwendig: Für jeden Beruf gab es, einheitlich für die gesamte DDR, genaue Bildungsvorgaben. Von diesen ausgehend entwickelte das Lektorat eine inhaltliche Konzeption des Lehrbuches und Gedanken welche Autoren geeignet wären, die erforderliche inhaltliche Qualität zu gewährleisten. Zur Beiratssitzung wurde beides im Rahmen der Gesamtvorlage den Fachleuten zur Stellungnahme vorgelegt. Wie die Praxis zeigte, beschäftigten sich die Beiratsmitglieder stets sehr gründlich damit, um eine gute Ausbildung des Berufsnachwuchses zu erreichen.

Dann begann die Gewinnung der Autoren, die Vertragsabschlüsse usw. Lag dann das Manuskript vor, wurde dieses zwei Fachgutachtern vorgelegt. Waren die Autoren mit Vorschlägen für Änderungen nicht einverstanden, mussten sie das begründen. Meist wurde dann in einer gemeinsamen Aussprache eine Lösung gefunden.

Danach hatte der Lektor eine weitere wichtige Aufgabe. Er musste das Manuskript äußerst gründlich unter bestimmten Gesichtspunkten durcharbeiten. Dabei entdeckte er nicht selten auch Widersprüche, fehlende Zusammenhänge usw. Wichtig war auch eine solche Aufbereitung des Stoffs, die ein schnelles Erfassen des Inhalts durch den Leser möglich macht. Im Ergebnis wurde von der Konzeption bis zum fertigen Manuskript eine solche Gründlichkeit an den Tag gelegt, die man heute nicht mehr kennt.

Es gab aber auch Schattenseiten
Bei der Herausgabe von Büchern und Broschüren gab es einen staatlich festgelegten Kontrollmechanismus, der zusätzliche Arbeitszeit und Geld kostete, aber bei Fachliteratur ohne praktische Bedeutung war. Jedes fertige Manuskript musste der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel ( HV ) des Ministeriums für Kultur, der alle Verlage unterstanden, zur Druckgenehmigung vorgelegt werden. Mit der Vorlage, an die sich alle Verlage zu halten hatten, sollte vor allem erreicht werden, dass der Inhalt auch ideologisch den Anforderungen entsprach. Es gab sogar eine Sicherung, damit diese Festlegung auch eingehalten wird. Ohne Druckgenehmigung des Ministeriums durfte keine Druckerei ein Manuskript annehmen.

Nun kam es aber vor, dass nicht immer alles so klappte wie gedacht. Lehrbücher müssen z.B. ab einem ganz bestimmten Termin zur Verfügung stehen. Also rechnete man vom erforderlichen Auslieferungstermin des fertigen Buches zurück, baute ein bestimmtes zeitliches Polster ein, und plante so alle Arbeitsgänge. Aber auch das half nicht immer. Auch mir passierte es, dass das Autorenkollektiv eines Lehrbuches aus verschieden Gründen (Beruf, Krankheit usw.) sein Manuskript nicht pünktlich fertig stellen konnte. Was tun? Der Endtermin musste gehalten werden. Deshalb dachte ich mir einen Trick aus, denn wenn das Buch nicht pünktlich erschien, hatte das Auswirkungen auf die vielen Lernenden. Außerdem kratzte das an meiner beruflichen Ehre und beeinflusste später noch die Höhe der Jahresendprämie.

Was machte ich? Nachdem ich den Anfang des Manuskriptes vorliegen hatte, ergänzte ich diesen mit dem Manuskript eines bereits gedruckten Titels ähnlicher Thematik und leitete dieses über die entsprechenden Stellen im Verlag nach Berlin zur Druckgenehmigung.
Es lässt sich denken, wie ich zitterte, damit alles gut geht. Wäre es bemerkt worden, nicht auszudenken!!! Dann endlich die Erlösung, die Druckgenehmigung war da. In der Zwischenzeit war das richtige Manuskript eingetroffen und von mir bearbeitet worden. So konnte ich schnell die richtigen gegen die falschen Seiten auswechseln und so den Abgabetermin an die Herstellungsabteilung halten.

Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich diese Episode in einem kleinen Kreis erzählt. Wir waren uns alle einig, das es absolut sinnlos ist, wenn Mitarbeiter der HV Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur Tag für Tag Manuskripte aus den unterschiedlichen Verlagen mit völlig anderen Inhalten begutachteten. Dieser Auswuchs des Zentralismus war ein überflüssiger Hemmschuh. Mir wurde auch kein Fall bekannt, bei dem für ein Fachbuch die Druckgenehmigung verweigert wurde.

Dies geschah jedoch in Verlagen mit anderer Thematik und hatte dort fast immer politische Gründe.


Eine neu Aufgabe: Fachzeitschrift
Nach meiner Tätigkeit als Lektor übernahm ich als Verantwortlicher Redakteur die Fachzeitschrift "Neue Hütte" (Organ der Gesellschaft Deutscher Berg- und Hüttenleute). Zur Redaktion gehörte noch eine Redakteurin und eine Sekretärin. Nachdem ich die Lizenzurkunde für die Zeitschrift vom Presseamt erhalten hatte, kümmerte sich bei inhaltlichen Fragen aus dem Verlagswesen niemand mehr um uns. Das war wie auf einer Insel.
Gefordert war eine schöpferische Tätigkeit, von der ich begeistert war. In enger Zusammenarbeit mit der Gesellschaft und den führenden Fachleuten gelang es, hoch aktuelle und qualitativ gute Artikel zu veröffentlichen und vor allem den Export der Zeitschrift in die kapitalistischen Länder wesentlich zu erhöhen. Wenn die Zeitschrift jeden Monat mit einem Umfang von 64 Druckseiten (ohne Werbung) erschien, sah man was man gemacht hatte und war zufrieden.
Eines Tages änderte sich das aber plötzlich und grundlegend.


Ab in die Ökonomie
Als der Ökonomische Leiter des Verlages aus gesundheitlichen Gründen ausschied, wurde ich gebeten diese Aufgabe zu übernehmen. Das lehnte ich ab. Nach mehrmaliger und längerer "Überzeugungsarbeit (Sie kennen sich bestens im Lektorat und in der Redaktion aus, sind Dipl.-Wirtschaftler und haben so die idealen Voraussetzungen)" hatte ich keine Argumente mehr und sagte zu. Von der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur, dem unser Verlag unterstand, wurde ich dann zum Ökonomischen Leiter berufen.


So wurde ich eng in das zentralistische System eingebunden. Dort galt folgende Festlegung:

Der Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur entscheidet über alle Grundsatzfragen der Verlage.
Der Verlagsleiter ist für die Einhaltung der Lizenzen, die Themenauswahl und Autorenpflege (einschließlich urheberrechtlicher Verträge) sowie die Planentwürfe thematischer und ökonomischer Art verantwortlich.
Die Hauptverwaltung stellte Planziele thematischer und ökonomischer Art, verteilte das Papierkontingent pro Jahr und verlangte Rechenschaft über die Erfüllung bestätigter Pläne. Jeder Titel erhält eine Druckgenehmigung, ohne die kein Papier eingesetzt werden darf.



An dieser Stelle sei noch folgende weitere zentrale Festlegung erwähnt, die ich - im Gegensatz zur vorstehenden Regelung - begrüßte und auch heute noch für sinnvoll halte:

Für die Preisbildung von Büchern und Broschüren ermittelt man als Grundlage alle für einen Titel angefallenen Kosten und stellt diese ins Verhältnis zur Höhe der Verkaufsauflage. Die Literatur wurde in der DDR sehr billig verkauft, teilweise sogar gestützt, um viele Menschen zum Lesen anzuregen. Bei Lehrbüchern wurden die Preise aber noch niedriger gehalten. Hierfür gab es einheitliche Festpreise, d.h. je Bogen (16 Druckseiten) durfte nur ein bestimmter Betrag genommen werden, das waren z.B. bei Berufsschultitel 50 Pfennig. Das hatte außerdem noch den Vorteil, dass die Angehörigen von Berufen mit wenig Beschäftigten (kleine Auflagen) ihre Ausbildungsliteratur zum gleichen Preis erhielten wie die Angehörigen von Berufen mit sehr vielen Beschäftigten (große Auflagen).

Insgesamt entwickelte sich unser Verlag sehr gut. Davon zeugt die Vielzahl von neuen Büchern und Broschüren auf den verschiedenen Gebieten, die oft mit zahlreichen Nachauflagen erschienen. Für große Anerkennung sorgten auch die 11 Fachzeitschriften. An diesen Erfolgen hatten auch die insgesamt 24 Lektorats- und Redaktionsbeiräte, mit nahezu 400 ehrenamtlichen Persönlichkeiten, großen Anteil.


Zum tristen Alltag
Da im Verlag die thematische und ökonomische Planung eine Einheit bilden musste, war das Gebäude der Planung ständig in Bewegung. Oft spielten bei Veränderungen aber nicht Erfordernisse des Verlages eine Rolle sondern Plankorrekturen der Hauptverwaltung. Besonders schlimm waren diese, wenn plötzlich das Papierkontingent verändert wurde (Kürzungen oder eine andere Qualität für eine bestimmte Tonnage). Dann dauerte die Arbeitszeit nicht selten von 7.oo bis 20.oo Uhr und länger, um alle mit den Veränderungen verbundenen Auswirkungen auffangen zu können.

Viel schlimmer war aber: Die Korrekturen hatten Auswirkungen auf die verschiedenen Struktureinheiten im Verlag. In der Praxis bedeutete das ein Hineinregieren in die Arbeit unserer Kollegen. Sie wussten zwar, dass wir uns an die Vorgaben von oben halten mussten, brachten aber immer wieder ihr Unverständnis über diese Praktiken zum Ausdruck. Nicht selten war sinngemäß zu hören, "wenn die bei der HV fordern, dass wir uns an die Pläne halten, dann können wir erwarten, dass sie das selbst auch tun".

Unter diesen Bedingungen verging einem jede Freude an der Arbeit. Mir war klar geworden, dass ich als Ökonomischer Leiter nur ein Instrument der Hauptverwaltung in Berlin war. Da eine Veränderung der Situation nicht absehbar und ich nicht gewillt war eine solche Arbeitsweise länger zu ertragen, dachte ich über eine persönliche Veränderung nach. Ich suchte mir deshalb 1973 eine andere Tätigkeit in einem Institut und verließ dann das Verlagswesen.



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