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Universität Leipzig

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der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Der Anfang meines Berufslebens in Berlin
und der Volksaufstand 1953

Ein Bericht von Dr. Rolf Beyer, Leipzig

Nachdem ich im Januar 1951 meine Lehre in Berlin als Fernmeldebauhandwerker beendet hatte, wurde ich in der Fernmeldebauabteilung Lichtenberg eingesetzt. Dort ging es vor allem darum, die im Krieg zerstörten Fernmeldenetze - Verteiler, Kabel, in den Außenbezirken die Freileitungen usw. - wieder instand zu setzen.

Anfang Oktober 1951 wurde einem Kollegen und mir mitgeteilt, dass vorgesehen ist, uns ins Fernmeldeamt der Regierung ins Haus der Ministerien (Leipziger Straße) zu versetzen. Dort könnten wir uns zum Fernmeldewerkführer qualifizieren und dann im Wählersaal arbeiten. Natürlich wäre das auch mit einer Lohnerhöhung verbunden. Nach Abschluss der Lehre hatten wir im ersten Vierteljahr monatlich 270.- Mark, danach 310,- Mark erhalten. Das war also eine Chance uns weiter zu verbessern und wir sagten sofort zu. 

Nach der Qualifizierung war dann mein Arbeitsplatz im Haus der Ministerien. Dort musste ich feststellen, dass es bei den Telefonanschlüssen zwischen den Mitarbeitern der Ministerien und den dortigen Leitern Unterschiede gab. An unseren Wählersaal waren die Telefone der Mitarbeiter sowie die Vorzimmer der Leiter angeschlossen, von wo aus die Sekretärinnen zu den Chefs weiterverbinden konnten.

Für die führenden Leute gab es noch ein Sondernetz, dass auch gesondert instand gehalten wurde und zu dem wir keinen Kontakt hatten. Hierfür gab es bei uns territorial getrennt eine zusätzliche Zentrale und auch gesonderte Mitarbeiter.

Für den Weg zur Arbeit und zurück nutzte ich die S-Bahn. Mit dieser fuhr ich vom Bahnhof Prenzlauer Allee (Ostberlin) zum Gesundbrunnen nach Westberlin, stieg um und fuhr weiter bis zum Potsdamer Platz (Grenze Ostberlin/Westberlin). Acht Minuten später war ich dann am Arbeitsplatz. Mit der Straßenbahn wäre die Fahrzeit wesentlich länger gewesen. Außerdem konnte ich, da ich ja eine Monatskarte hatte, die Fahrt am Gesundbrunnen unterbrechen und dort einkaufen, ins Kino gehen usw.

Noch eine Bemerkung zur Verdeutlichung der damaligen Situation in Berlin. Wenn wir von Arbeit aus nach Feierabend einmal ein Bier trinken wollten, gingen wir ins Haus Vaterland. Dieses stand am Potsdamer Platz direkt an der Sektorengrenze zu Westberlin. Das Haus Vaterland war früher ein riesiger Vergnügungspalast, der im Krieg zu großen Teilen zerstört wurde. Nach 1945 wurde das Haus Vaterland teilweise wieder instand gesetzt und dann HO-Gaststätte. Der Eingang war von Ostberlin aus. Musste man als Gast einmal auf Toilette war ein Stück neben dieser noch eine Tür durch die man die Gaststätte betreten oder verlassen konnte. Benutzte man diese, stand man in Westberlin auf der Straße. 

Beruflich wurde mir später die Telefonanlage im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft in der Behrenstrasse (Parallelstraße zu Unter den Linden) übertragen. Auch dorthin fuhr ich wie bisher mit der S-Bahn, stieg aber Friedrichstraße aus.

Da ich in der Behrenstrasse allein für die gesamte Technik zuständig war, konnte ich mir meine Zeit beliebig einteilen. Hierdurch erlebte ich auch den Anfang des Volksaufstandes 1953.

Erlebnisse am 16. und 17. Juni 1953

An einem Tag, es war der 16. Juni, ging ich gegen 14.oo Uhr in das Sportgeschäft in der Straße Unter den Linden um etwas zu kaufen. Als ich raus kam sah ich einen Demonstrationszug von Bauarbeitern. Als diese näher kamen, drohten sie mit Fäusten nach oben auf das nächste Gebäude, in dem sich der Zentralrat der FDJ befand. Dabei riefen sie, Euch Schweine holen wir bald raus.

Da es so etwas bisher noch nie gegeben hatte, lief ich – mit vielen anderen – am Rande neugierig mit um zu sehen wie es weiter geht. Der Demonstrationszug endete in der Leipziger Straße vor dem Haus der Ministerien. Dort forderten die Bauarbeiter, dass Pieck, Grotewohl oder Ulbricht rauskommt. Da diese aber ihren Sitz im Haus des Zentralkomitees der SED (Marx-Engels-Platz) hatten, kam nach einiger Zeit Minister Fritz Selbmann.

Auf der Ladefläche eines LKW wurden dann die Verhandlungen geführt. Die Sprecher der Bauarbeiter stellten ihre Forderungen – vor allem Rücknahme der Normerhöhungen - und Selbmann sagte zu, dass alle erfüllt werden. Dann ging es durcheinander und ständig wollten neue Leute sprechen. Plötzlich machte der Spruch die Runde „morgen kommen wir wieder“. Danach löste sich alles langsam auf.

Abends hörte ich im RIAS Berichte vom Aufstand der Bauarbeiter und dass es am nächsten Tag, das war der 17. Juni, erst richtig losgehen würde. Als ich früh zur Arbeit fuhr war alles normal. Gegen 10.oo Uhr füllten sich in der Innenstadt dann die Straßen. Überall Menschenmassen mit den verschiedensten Sprechchören. Die vier Telefonistinnen in meiner Zentrale hatten kaum noch etwas zu tun. Sie hatten aber Angst was nun wird. Ich sagte, dass ich rausgehe und anrufe was Sache ist.

So ging ich in die Nähe des Hauses der Ministerien um mich über die Situation zu informieren. Dort hatten die in den Ministerien Tätigen (etwa 2000 - 3000 Personen) eine Gegendemonstration versucht. Aber so wie sie aus einem Nebeneingang rauskamen, so vermischten sie sich mit der Menge und lösten sich auf. Die Demonstranten riefen lautstark ihre Forderungen und bewegten sich hin und her. Dann sah ich wie am Potsdamer Platz das Gebäude des HO-Warenhauses (Columbushaus) von unten an brannte. In oberen Stockwerken  winkten verzweifelt Leute. Es dauerte nicht lange und das Haus war eine einzige Fackel. Fast zeitgleich wurde auch das Haus Vaterland niedergebrannt.

Unter diesen Bedingungen rief ich meine Telefonistinnen an und sagte, sie sollen versuchen auf kürzestem Weg nach Hause zu gehen. Ich selbst war aber neugierig und schaute was weiter geschah. Da ich mich mit meinen fast 19 Jahren außer um meinen Beruf nur um Fußball, aber nicht um Politik gekümmert hatte, begriff ich vieles nicht was ich sah und hörte. 

Gegen 12.00 Uhr kamen plötzlich russische Panzer und räumten die Straßen. Sie fuhren langsam und trieben die Menschen vor sich her. Ich war gerade Ecke Leipziger- und Mauerstraße. Von dort lief ich in der Mauerstraße bis zur Sektorengrenze. Dort standen im Westsektor schon amerikanische Panzer. Etwa 20 Meter vor der Sektorengrenze hielten auch die russischen Panzer. In diesem Moment standen sich die zwei Weltmächte kampfbereit kaum 50 Meter gegenüber. Die Panzer hatten ihre Kanonen aufeinander gerichtet. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn auch nur ein Schuss  - von wem auch immer – gefallen wär.

Langsam kamen wir zur Ruhe, da die Panzer angehalten hatten und wir uns hinter der Sektorengrenze in Westberlin befanden. Da erlebte ich zum ersten Mal wie bestimmte „Reporter“ arbeiten. Ein neben mir Stehender sprach zwei Jugendliche an, gab diesen Steine sowie ein paar Mark. Er forderte sie auf vorzugehen und aus der Nähe nach den russischen Panzern zu schmeißen, was diese auch machten.

Obwohl es Schwachsinn ist mit kleinen Steinen auf Panzer zu werfen, fotografierte er das. Dieses Bild habe ich dann in Westberlin auf der Titelseite einer Zeitung gesehen. Außerdem hörte ich im RIAS, dass in der Mauerstraße die Bevölkerung mit Steinen nach den russischen Panzern geworfen hat. Da ich hautnah mitbekommen hatte was wirklich geschah und was dann berichtet wurde, war das für mich äußerst lehrreich.

Dann kamen in Ostberlin Lautsprecherwagen – die auch vor bis zur Sektorengrenze fuhren - und den sofortigen Ausnahmezustand verkündeten. Mich interessierte wie es nun weitergeht. Aber weder die amerikanischen noch die russischen Panzer bewegten sich. Die Menschen jedoch, die sich bisher dort an der Grenze aufgehalten hatten, verschwanden bald.  

Nach einer Weile trat auch ich den Heimweg an. Da keine Bahn mehr fuhr brauchte ich bis nach Hause über 2 Stunden.  Unterwegs bemerkte ich bald, dass sich die Straßen sehr schnell geleert hatten und auch kein Auto mehr fuhr. Ich war dort fast der Einzige der noch unterwegs war. Es lag eine gespenstige Ruhe über der Stadt. In der Kastanienallee hörte ich Motorengeräusche und sah dann ein gepanzertes Fahrzeug auf dem russische Soldaten mit der Kalaschnikow im Anschlag saßen. Vorsichtshalber verschwand ich schnell in einem Hauseingang bis das Fahrzeug außer Sichtweite war. Das passierte später noch einmal. Als ich dann gesund und munter zu Hause ankam fiel meiner Mutter ein Stein vom Herzen. Ich selbst hatte mir über die Gefahren, was alles hätte passieren können, damals keine Gedanken gemacht.




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