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Universität Leipzig

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Mauerbau 1961 und ein privates Erlebnis

Ein Bericht von Regina Matthees, Leipzig

Anfang August 1961 wurden wir, d.h. mein Mann und ich, von Bekannten nach Berlin-Steglitz, das ja in Westberlin lag, eingeladen. Wir hatten diese im September 1959 in Prag kennen gelernt. Die Freude über die Einladung war groß, zumal wir sie lange nicht gesehen hatten. Er war auch Ingenieur – wie mein Mann –.
Beide hatten vor kurzem ihr Studium beendet, und wir philosophierten stundenlang über das Leben und über die Politik. Rolf und Maria, so hießen die Beiden, waren fortschrittliche Menschen, die die ehemalige DDR und ihre Errungenschaften achteten. Sie wollten uns ihre Stadt und die herrliche Umgebung von Berlin zeigen.
Vorbereitungen für die Reise wurden getroffen, der Urlaub mit dem Arbeitgeber abgestimmt und eine Palme als Begrüßungsgeschenk gekauft.
Meine Eltern erklärten sich bereit, auf unsere zwei Kinder aufzupassen. Spielzeug der Kinder für den Aufenthalt bei meinen Eltern wurde eingepackt, im Kindergarten wurden die Kinder abgemeldet, kurz gesagt, viele Initiativen wurden gestartet, um in Ruhe die Reise antreten zu können.
Nachdem nun alles für die Reise vorbereitet war, konnten wir kaum die Abfahrt nach Berlin
erwarten.

Unsere Reise nach Westberlin kam jedoch nie zustande. Was war geschehen?

Als wir am Sonntagmorgen, den 13.08.1961, das Radio anstellten, vernahmen wir, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Die DDR-Nachrichtenagentur gab folgende sensationelle Erklärung bekannt:

„Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten wandten sich an die Volkskammer, an die Regierung und an alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik und baten sie, an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung herbeizuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers Einhalt geboten würde, und rings um das Gebiet Westberlins eine verlässliche Bewachung und wirksame Kontrolle gewährleistet wird.“

Im Weiteren vernahmen wir, dass daraufhin in der vergangenen Nacht die Grenze nach Westberlin geschlossen wurde.

Sofort riefen wir unsere Bekannten an.
Es war damals äußerst kompliziert telefonisch nach Westberlin durchzukommen. Als wir es geschafft hatten – wir waren ja nicht die Einzigen die an diesem Sonntag Kontakt nach drüben aufnehmen wollten - versuchten wir gemeinsam die Situation zu begreifen.
Wir waren erst einmal entsetzt, ohne über die Bedeutung des Geschehens nachzudenken. Der Besuchstermin wurde verschoben, bis wir mehr darüber wussten wie es weitergeht.

Natürlich hörten wir fleißig Radio. Dort wurden – ob Ost- oder Westsender - unterschiedliche Argumentationen zum Geschehen bekannt gegeben.

Ich schrieb spontan in Steno wörtlich alles in mein Tagebuch. Im Übrigen bin ich froh, dies getan zu haben, noch heute führe ich mein Tagebuch. Dieses ist mein Wegbegleiter, und ich halte es in Ehren. Gibt es mir doch Auskunft über Ereignisse in  jedem Lebensabschnitt.

 

Auszug aus meinem Tagebuch – August 1961

I. Niederschrift in Steno – Westradio

Die Mauer stabilisiert die DDR auf der Basis des Status quo und der neuen Koexistenz zwischen Ost und West zweifach.
Sie unterbindet den Flüchtlingsstrom nach West Berlin, den die erzwungene Kollektivierung und die unrealistische Wirtschaftsplanung bedrohlich gesteigert hatten. Deshalb beginnt innen- und wirtschaftspolitisch eine Konsolidierungsphase.

II. Niederschrift in Steno – Rundfunk der DDR

Sie wertet die DDR trotz des weltweit negativen Medienechos auch außenpolitisch auf. Dies erzwingt ein Umdenken in der Ost-, Deutschland- und Berlinpolitik und ebnet der DDR den Weg zur internationalen Anerkennung.


Später erfuhren wir, dass ab 2 Uhr früh bewaffnete Kräfte erste Schwerpunkte der Grenze zu Westberlin unter Kontrolle nahmen. Ab 3 Uhr wurde die gesamte Grenze zwischen der Hauptstadt der DDR und Westberlin befestigt und innerhalb weniger Stunden gesichert.

Wie sahen es die Menschen in Ost und West?
Was hatte ich für persönliche Empfindungen?
Unter dem Eindruck des Ereignisses schrieb ich wieder in mein Tagebuch:

Zitat Rundfunk der DDR

An jenem 13. August gab es auch Unverständnis für die getroffene Maßnahme, da man plötzlich Verwandte, Freunde und Bekannte nicht mehr besuchen konnte und nicht wusste, wann man sich wieder sehen würde. Erschütternde Szenen spielten sich an dem Grenzwall ab, viele Menschen überlegten nicht, warum diese Maßnahme ergriffen wurde, sondern sahen nur ihr persönliches Leid.

Zitat Westmedien- Radio

Diese Sperr- und Kontrollmaßnahmen wurden damit begründet, dass man „dem Treiben der Westdeutschen Revanchisten und Militaristen einen Riegel“ vorschieben, die „systematische Bürgerkriegsvorbereitung durch die Adenauer-Regierung“, „feindliche Hetze“, „Abwerbung“, „Menschenhandel“ und „Diversionstätigkeit“ durchkreuzen müsse.

Bundeskanzler Konrad Adenauer rief noch am gleichen Tage über Radio die Bevölkerung zur Ruhe und Besonnenheit auf und verwies auf nicht näher benannte Reaktionen, die gemeinsam mit den Alliierten folgen würden.

Der regierende Bürgermeister Willy Brandt protestierte energisch, aber letztlich machtlos, gegen die Einmauerung West-Berlins und die endgültig scheinende Teilung der Stadt.

Ich bin froh, dass ich dieses Ereignis in mein Tagebuch schrieb.
Meinen Kindern und jetzt Enkelkindern las ich meine Aufzeichnungen vor, damit sie sich von jener Zeit ein umfassendes Bild machen konnten. Ich schrieb die Aufzeichnungen so, wie
ich diese aus den Ost- und Westmedien entnahm, ohne damals eine politische Wertung
vorzunehmen.

Ich vertrete die Auffassung, dass für diesen Bericht auch die historischen Gründe von immenser Bedeutung sind.

Die DDR-Propaganda bezeichnete die Mauer, wie auch die gesamte Grenzsicherung zur Bundesrepublik, als antifaschistischen Schutzwall, der die DDR vor „Abwanderung, Unterwanderung, Spionage, Sabotage, Schmuggel, Ausverkauf und Aggression“ aus dem Westen schützen sollte.

Ein wichtiges Mittel zur Schwächung der DDR bildete der Wirtschaftskrieg. Dazu wurde vornehmlich  die offene Grenze zwischen der DDR und Westberlin genutzt. Wirtschaftssabotage und Währungsspekulation schädigte die DDR ebenso wie die Grenzgänger. Sie arbeiteten im Westen, wohnten aber im Osten und profitierten dort von den Vorzügen des Sozialismus (billige Miete, billige Lebensmittel usw.) ohne dafür etwas zu leisten.

Die Berliner Mauer war nun Teil der innerdeutschen Grenze und trennte vom 13.08.1961 bis zum 09.11.1989 West-Berlin vom Ostteil der Stadt und dem sie umgebenden Gebiet der DDR.
Sie war eines der bekanntesten Symbole für den Kalten Krieg und die Teilung Deutschlands.

Bei dem Versuch, die schwer bewachten Grenzanlagen in Richtung Westberlin zu überwinden, wurden viele Menschen getötet, Tragödien spielten sich ab.
Die genaue Zahl der Opfer ist umstritten und nicht gesichert. Die Angaben schwanken zwischen 86 und 138 Todesfällen.

Noch lange standen wir im Briefkontakt mit unseren Bekannten. Wir setzten uns auch mit der Problematik des Mauerbaus auseinander. Sie konnten diese Situation kaum erfassen, spielten sich doch auch in ihrer näheren Umgebung Tragödien ab (Trennung von Familien, Arbeitsplatzverlust u.a.).  Sie teilten uns diese Erlebnisse in aller Ausführlichkeit mit.

Im Laufe der Zeit brach der briefliche Kontakt ab. Sie hatten sich wohl mit der Situation abgefunden. Ein Treffen zwischen uns in der CSSR oder Ungarn hat nie stattgefunden, obwohl die Möglichkeit gegeben war.

Als die Mauer fiel, versuchten wir sofort erneuten Kontakt mit unseren Freunden aufzunehmen – leider vergeblich. Wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist. Die Jahre des Schweigens haben diese Bekanntschaft nicht überstanden.

Wenn man mit Bekannten und Freunden über die damalige Situation spricht, ist dies für einen selbst zum größten Vorteil. Gespräche, die wir jetzt über den Mauerbau 1961 führten, bieten Möglichkeiten zu Einsichten, die sich kaum aus geschriebenen Quellen allein erschließen lassen. Wie hat man dies zu jener Zeit physisch verkraftet, wie reagierte man selbst auf dieses entscheidende Ereignis?

Mich hat der „Mauerbau“, diese historische Epoche, seit meiner Studienzeit sehr interessiert.

Er ist ein Teil meiner Lebenserinnerungen geworden.





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