uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Eine Urlaubsfahrt an die bulgarische Schwarzmeerküste mit nicht geahnten Hindernissen

Ein Bericht von Dr. Gerlinde Fellmann, Leipzig

Unseren Sommerurlaub 1979 wollten wir im bulgarischen Nessebar am Schwarzen Meer verbringen. Am  1.August fuhren wir frohen Mutes, voll gepackt u.a. mit viel Verpflegung, mit unserem LADA 1200 los.

Wir, das waren mein Mann, meine zwei Kinder (12 und 13 Jahre) und ich.  Unsere Route sollte uns über die CSSR, Ungarn, Rumänien nach Nessebar über 2300 km in ein privates Urlaubsquartier führen. Unser erstes Ziel war Budapest mit einem Zwischenstop bei unseren ungarischen Freunden.

Eine Hiobsbotschaft

In Budapest wurden wir plötzlich  von der Nachricht überrascht, dass Durchreisende in Rumänien Benzin nur gegen harte Währung erhalten können. Wir konnten nicht glauben, dass ein sozialistisches Bruderland, als das auch Rumänien  immer bezeichnet wurde, sich uns gegenüber so verhalten konnte. Den Grund dafür haben wir nie richtig erfahren. Es muss jedenfalls Unstimmigkeiten zwischen der DDR und Rumänien gegeben haben. Aus heutigen Recherchen geht hervor, dass die DDR Lieferungen von Lebensmitteln und Benzin an Rumänien eingestellt hatte.

Da wir keine harte Währung besaßen, ergab sich für uns nun die Frage: Wie können wir trotzdem durch Rumänien fahren? Bleiben wir in Ungarn oder kehren wir um? Die Botschaft der DDR konnte uns nicht helfen und riet uns von einer Reise ab. Unsere ungarischen Freunde telefonierten auf unseren Wunsch nun mit der bulgarischen Botschaft, die uns Mut zusprach.

Eine neue Route

Entschlossen nicht so schnell aufzugeben, stellten wir unseren Plan so um, dass wir die kürzeste Route durch Rumänien nehmen würden und nicht wie geplant über Bukarest. So fuhren wir zunächst zur ungarisch- rumänischen Grenze Nagylak- Nadlac und sahen uns vor Ort die Situation an. Es  herrschte ein großes Durcheinander. Die Grenzposten waren bewaffnet und gaben laute Anweisungen, viele Touristen, vor allem aus der DDR, warteten und diskutierten. Am meisten waren wir aber entsetzt, dass  Benzin aus Kanistern in den Straßengraben geschüttet wurde. Der Grund dafür war die Forderung der ungarischen Grenzposten, dass kein Benzin nach Rumänien (nicht einmal 5l Benzin im Kanister) ausgeführt werden durfte. Durch diese rigide Festlegung wurde vielen Bulgarien- Urlaubern die Reise erschwert bzw. unmöglich gemacht. Einige Autos mit großen Tankvolumen passierten dann die Grenze, andere blieben verunsichert zurück oder kehrten um. Wir mussten also davon ausgehen, dass nur Autos, die ohne in Rumänien tanken zu müssen oder deren Fahrer den Besitz von Valuta nachweisen konnten, die Grenze passieren durften.

Da es inzwischen  schon dunkel geworden war, beschlossen wir erst einmal die Lage zu überdenken und einen Plan zu schmieden. Gemeinsam mit einer anderen  Familie, die ebenfalls einen LADA 1200 fuhr, wurde gerechnet, wie viele Kilometer die kürzeste Strecke durch Rumänien betrug und ob ein voller Tank langen würde. Es schien nicht unmöglich, dass wir es schaffen könnten. Wir errechneten etwa 450 km. Unser Auto verbrauchte 9-10 Liter Benzin auf 100 km und der Tank fasste  ca. 40 Liter.  Es mussten also noch Reserven geschaffen werden. Aber wie? Als erstes wurde das Auto mit dem Wagenheber in  Schräglage gebracht, so dass auf diese Weise noch etwas mehr Sprit in den Tank passte. Den Reservekanister mussten wir ja sowieso leer machen. Es kam ja auf jeden Tropfen an. Dann wurden mehrere Bierflaschen aus unserem Verpflegungsdepot geleert- leider schafften wir gar nicht alles zu trinken-, mit Benzin gefüllt und wieder mit dem Kronenkorken so verschlossen, dass nichts herauslaufen konnte. Auch in die Scheibenwaschanlage kam Benzin (da das Benzin mit dem Kunststoff reagierte, mussten wir diese später auswechseln). Das waren insgesamt etwa 5 Liter für jedes Auto zusätzlich. Dann wurde wieder gerechnet, ob es langt. Wir wollten es gemeinsam wagen.

Der Start ins Ungewisse

Nach einer sehr improvisierten Übernachtung im Auto und im Zelt auf einer Weide reihten wir uns am Morgen in die aufgeregte Touristenschlange ein. Die ungarischen Zöllner überzeugten sich bei uns, dass wir keinen zusätzlichen gefüllten Kanister hatten.

 Nun kam der schwierigere Teil: die  rumänische  Grenzkontrolle, die uns  durch das aufgepflanzte Bajonett noch zusätzlich  Angst einflößte. Wir wurden Augenzeugen von schlimmen Szenen, wo Fahrzeuge zurückgeschickt wurden, weil sie einen zu kleinen Tank besaßen. In einem Fall bot sich dann ein Insasse eines bulgarischen Diplomatenfahrzeuges an, einer völlig verzweifelten Familie in einem Trabant mit harter Währung auszuhelfen.

Mein Mann versuchte  mit Reden sein Glück. Er versicherte, dass wir mit der Tankfüllung auf der kürzesten Fahrstrecke durch Rumänien ausreichen. Es wurde eine Zöllnerin zu Hilfe geholt, die ein wenig Deutsch konnte. Mein Mann beschrieb die Route nach Vidin und nannte die Fahr- km und gab einen geringeren Durchschnittsverbrauch unseres Autos an.

Dann wollten sie den vollen Tank sehen. Wir sollten den Tankverschluss aufschrauben. Nun waren die Darstellungskünste meines Mannes gefragt, um klar zu machen, dass der Tank übervoll war und Sprit herauslaufen würde. Nach langem Hin und Her ließ man dann von der Überprüfung ab und ließ uns passieren. Die uns begleitende Familie hatte es nach uns nun einfacher. Sie machten begreiflich, dass  alles genauso zutreffen würde wie bei uns. 

Sehr wohl war uns aber nicht. Was passiert, wenn unsere Berechnung nicht aufging, wenn wir eine Panne haben. Ein wenig besser wurde uns als wir das Benzin aus der Scheibenwaschanlage und den Bierflaschen nach ca. 70 km Fahrt noch vor der großen Mittagshitze in den Tank nachfüllen konnten, dieser wieder randvoll war und wir nicht mehr so explosibel durch die Gegend fuhren. Wir wollten auch vor Einbruch der Dunkelheit aus diesem  für uns unheimlichen Land heraus sein. Nun ist Rumänien landschaftlich auch sehr schön, aber wir hatten keinen Blick dafür. Mein Mann fuhr und fuhr und gönnte sich und uns keine Verschnaufpause. Es war sehr heiß draußen und im Auto dann noch mehr, denn unser Auto hatte keine Klimaanlage. Besonders hart war für uns, dass wir am Eisernen Tor nicht abkürzen konnten. Dann hätten wir durch Jugoslawien fahren müssen und das durften wir ja nicht.

Als wir durch den südlicheren Teil Rumäniens fuhren, führte die Strasse durch viele Dörfer. Die Eindrücke wurden immer beklemmender: Häuser und Strassen in schlechtem Zustand. Noch bedrückender wurde es, wenn Kinder bettelnd neben unserem Auto her liefen. Wir waren auf eine solche Situation nicht vorbereitet. So konnten unsere Kinder nur etwas von ihrem süßen Reiseproviant hinauswerfen.

Die Grenze rückte immer näher und wir erreichten glücklich unser Ziel, die Fähre Kalafat- Vidin am Grenzübergang Rumänien- Bulgarien. Hier entstand Wartezeit, die die rumänischen Kinder sehr intensiv zum Betteln nutzten.

Unseren Sohn hat das in Rumänien Erlebte so beeindruckt, dass er es im Aufsatz nach den Schulferien beschrieben hat. Wir waren durch die Berichterstattung aus den sozialistischen Ländern nicht auf eine solche Situation, wie wir sie in Rumänien vorfanden, und solche Spannungen zwischen den „befreundeten“ Ländern vorbereitet worden. Diese Fakten wurden nicht erwähnt. Umso mehr wird die Lehrerin gestaunt haben, wie beeindruckend unser Sohn  seine Erlebnisse wiedergegeben  und seine Erschütterung darüber zum Ausdruck gebracht hat. Es stand kommentarlos eine Drei darunter.

Endlich Bulgarien erreicht

Wir hatten es geschafft und waren mit Anbruch der Dunkelheit auf bulgarischem Boden. Wir hatten nur 425 km zurückgelegt. Dem Rest der Strecke bis an unser Urlaubsziel Nessebar konnten wir nun beruhigt entgegensehen.

Da wir unsere Reiseroute durch Rumänien ja verkürzt hatten und die längere Strecke durch Bulgarien wählen mussten, bot sich für uns jetzt  die Fahrt zu dem berühmten Rilakloster  und  Sofia an, was natürlich auch für uns eine tolle Alternative war.

Auf der Fahrt nach Sofia hatten wir noch ein Erlebnis besonderer Art. Auf Grund der nicht geplanten Übernachtung an der ungarisch- rumänischen Grenze wollten wir Zeit wieder aufholen und fuhren schnell. Als wir von einem Verkehrspolizisten auf einer Landstrasse gestoppt wurden, wussten wir nicht,  was er wollte. Er malte er uns  eine 110 darunter eine 50 auf und bildete eine Differenz von 60. ?????  Er malte das Verbotsschild 50.  Die Differenz war unsere Geschwindigkeitsüberschreitung. Mein Mann malte nun auf, dass er beim Überholen eines Lkw das Geschwindigkeitsschild 50 nicht sehen konnte. Das Prozedere wiederholte sich: 110 darunter 80 Differenz 30 km/h  macht 20 Lewa. Dann fragte der Polizist plötzlich: Germany East? Als wir das bejahten, sagte er nur:…( vermutlich ein bulgarisches Schimpfwort wie scheiß) Romania!  

Er zeigte uns fünf  Finger  was soviel wie 5 Lewa bedeutete. Damit hatte sich unser Strafkonto erheblich verringert.

Unser Urlaubsziel  Nessebar erreichten wir pünktlich zum vereinbarten Anreisetermin, dem 6.8. und wir wurden freudig von unseren Wirtsleuten empfangen, denn sie hatten große Sorge, ob wir überhaupt kommen konnten.
Wir verbrachten einen wunderschönen Urlaub am Schwarzen Meer mit mehreren Ausflügen  in die nähere und weitere Umgebung.

Aber immer hatten wir Erwachsenen im Hinterkopf. Wie entwickelt sich die politische Situation? Wie kommen wir zurück?  Deutschsprachige Presseinformationen standen uns nicht zur Verfügung. An einer Bekanntmachungstafel für Urlauber am Reisebüro war zu lesen, dass auf  Grund der Rumänienkrise die DDR- Urlauber bis 10.08. ausreisen sollten, da andererseits die Rückreise nicht mehr garantiert werden könne. Nach unseren Anreiseschwierigkeiten war dies aber für uns kein Thema.

Unter den deutsch sprechenden Urlaubern brodelte die Gerüchteküche. Wir gingen nun oft zur Tafel am Reisebüro.

Für uns war eins klar, unsere DDR würde uns schon irgendwie zurückholen. Einen Verlust von Rückkehrwilligen würde man nicht zulassen. Eines Tages wurden die DDR-Bürger mit privatem Transit durch Rumänien  in einem neuen Aushang aufgefordert, sofort die Rückreise anzutreten. Das stimmte uns nicht gerade heiter. Aber wir beschlossen trotzdem zu bleiben und abzuwarten. Ehrlich gesagt haben wir schon entspanntere Zeiten erlebt.

Nun kam die Rückfahrt

Das Ende unseres Urlaubs am 24. August rückte immer näher und wir suchten die Filiale des bulgarischen Reisebüros in Nessebar immer wieder auf.  Schließlich legte man uns dar, dass wir uns vor der Ausreise bei der Botschaft der DDR in Sofia zu melden hätten.

Auf der Rückreise  fuhren wir nach Sofia, suchten ewig nach der Botschaft und  standen schließlich vor einer verschlossenen Tür. Allerdings hatte man ganz fürsorglich  eine Nachricht in Form eines angehefteten Schreibens mit nachfolgend ungefährem Inhalt hinterlassen:
„Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik, welche außerhalb der Sprechzeiten die
Botschaft der DDR aufsuchen, möchten wir empfehlen, den kürzesten Reiseweg durch Rumänien zu wählen und die Benzinkanister vorsorglich in Bulgarien zu füllen.“

Hier spürten wir zum ersten Mal die große Fürsorge unserer DDR, denn allein wären wir darauf sicher nicht gekommen. Der Zeitverlust und den Umweg nahmen wir für diese wertvolle Information deshalb gern in Kauf!

Wir gingen zu unserem Auto und fuhren zur Grenze. Grenzerfahrung hatten wir ja. Bei der Kontrolle konnten wir sowohl einen vollen Tank und einen vollen Kanister vorweisen.

Wir fuhren nun den gleichen Weg durch Rumänien zurück, wie wir gekommen waren.
Unterbrochen wurde unsere Fahrt in Rumänien dann allerdings kurzzeitig und heftig, als auf einer nicht befahrenen und unbelebten Straße plötzlich ein Uniformierter, wahrscheinlich ein Soldat, aus dem Gebüsch sprang, uns anhielt und mit vorgehaltenem Gewehr mit Bajonett von meinem Mann den Pass verlangte. Es muss wohl nicht der richtige gewesen sein, denn er warf ihn wütend auf den Boden und verschwand.  

Zu guter Letzt haben wir auch noch unseren Tankverschluss verloren als mein Mann angehalten hatte, um Benzin aus dem Kanister nachzuschütten.  Wir halfen uns mit einer Plastetüte. Leider  interessierte der Tank bei Verlassen Rumäniens keinen. Es wäre doch lustig gewesen, die Plasttüte abzumachen. In Ungarn erwarben wir dann eine „Tankschapka“.

Am Ende sind wir nach diesen Erlebnissen wohlbehalten wieder zu Hause angekommen. So spannend brauchte der Urlaub aber wirklich nicht  sein.



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates