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Universität Leipzig

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Ich erlebte die Bomben auf Berlin und Tiefflieger auf dem Lande

Ein Bericht von Dr. Rolf Beyer, Leipzig

Im 2. Weltkrieg wurde Deutschland  von der britischen und amerikanischen Luftwaffe in ständig zunehmendem Maße bombardiert. Ein besonderes Ziel war Berlin, in der manche Gegenden – z.B. am Alexanderplatz - flächendeckend zerstört wurden. Insgesamt gab es auf die Hauptstadt 310 Luftangriffe. An manchen Angriffen nahmen bis zu 1.200 Flugzeuge teil (Zahlen: Werner Girbig, Im Anflug auf die Reichshauptstadt).

Ich selbst habe als Kind diese Bombenangriffe auf Berlin von Beginn an miterlebt. Geboren bin ich in der Oderberger Straße und groß geworden in der Wichertstraße (Prenzlauer Berg). Die ersten Bomben, die im Herbst 1940 fielen, waren für uns Kinder etwas besonderes. Wir suchten Bombensplitter und sammelten diese. Aber je mehr Bomben fielen, je mehr begriffen wir, wie furchtbar diese waren und je größer wurde unsere Angst bei Alarm.

Bevor die Bomber kamen

In den Wohnhäusern wurden damals überall Luftschutzkeller eingebaut. Dazu nutzte man Keller, die möglichst in der Mitte der Gebäude lagen und stabile Decken hatten. Die Decken wurden dann durch Pfeiler noch zusätzlich gestützt, die Wände verstärkt und die Eingänge mit Stahltüren versehen. Im Luftschutzkeller standen Bänke und Stühle, auf denen bald jeder seinen Stammplatz hatte. Der eine fühlte sich neben einem Pfeiler besonders sicher, der andere in einer Ecke. Die Kellergänge, die zum Luftschutzkeller führten, wurden alle mit selbstleuchtender Farbe gestrichen.

Zur Mitnahme in den Luftschutzkeller stand im Korridor unserer  Wohnung immer ein Koffer bereit, in dem sich alle Ausweise, Dokumente sowie für meine Mutter und mich Kleidung befanden (mein Vater war gestorben, der Stiefvater im Krieg). Neben dem Koffer stand ständig noch eine Tasche. In dieser befanden sich immer Flaschen mit Getränken. Gab es Alarm, kamen dann noch schnell alle vorhandenen Lebensmittel in die Tasche. Sollte unser Haus getroffen werden und wir überlebten, besaßen wir wenigstens das Wichtigste. 

Von drohenden Bombenangriffen hörte man zuerst im Radio. Dort wurde informiert, wenn Bombergeschwader in den deutschen Luftraum eingeflogen waren und auf welcher Route sie sich befanden. Fiel der Name der Stadt Gardelegen, waren sie fast immer im Anflug auf Berlin.

Wie überall in Deutschland, waren auch in Berlin auf größeren Gebäuden Alarmsirenen angebracht worden. Kamen Bomber, wurde zuerst Voralarm gegeben. Etwa 5 – 10 Minuten später folgte das Alarmsignal. Von da an dauerte es oft nur noch sehr kurze Zeit, bis die ersten Bomben fielen.

Da die Alarmierung der Bevölkerung aber nicht immer richtig klappte, gingen wir - wenn Bomber unterwegs waren –  immer mit Sachen ins Bett. So konnten wir im Ernstfall schnell den Koffer und die Tasche nehmen und in den Keller rennen.

Brandbomben trafen unser Haus

Im Luftschutzbunker unseres Hauses habe ich dann mit meiner Mutter und den anderen Hausbewohnern die Bombenangriffe erlebt. Im Laufe der Zeit erkannte man am Pfeifton der Bomben, ob sie auf uns zukamen oder weiter weg einschlugen. 

Bei einem Angriff am Tage hörten wir etwas pfeifen und dann in unserem Haus ein seltsames Geräusch ohne Explosion. Als die Bombenabwürfe in unserer Gegend nachließen, gingen drei Frauen – dabei auch meine Mutter - nach oben, um zu sehen was los ist (in unserem Haus gab es nur noch einen Mann und der war auf Arbeit). Ich zitterte, dass meiner Mutter ja nichts passierte.

Die Frauen schauten in alle Wohnungen (die Wohnungstüren blieben während des Alarms immer offen, um schnelle Rettungsaktionen zu ermöglichen), entdeckten aber nichts. Als sie auf den Boden kamen lagen dort zwei Stabbrandbomben.  Diese waren durch das Bodenfenster gekommen und wurden durch die Wäsche, die zufällig dort zum Trocknen hing, abgebremst.  

Die Frauen rissen Wäsche von der Leine, fassten damit die Brandbomben an und warfen sie aus dem Bodenfenster auf die Straße. Unten explodierten diese dann, konnten auf dem Steinpflaster aber keinen Schaden mehr anrichten. Da sich anschließend überall weiße Flecken befanden war klar, dass es sich um die gefährlichen Phosphorbrandbomben gehandelt hatte.

Zur Kriegsführung gegen uns

Wie ich erst viel später begriff, waren die britischen und amerikanischen Bombenangriffe mit einer gezielten psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung verbunden. Bei Nachtangriffen kamen sie immer zu einer Zeit, während der man normalerweise gerade im ersten Tiefschlaf liegt. Das zermürbte. Dann kennzeichneten Vorausflieger das Hauptziel des Angriffs, in dem die meisten Bomben ausgeklinkt wurden. Dazu bildeten sie mit Leuchtmitteln, die in der Luft schwebten, einen Kreis. Wir nannten diese Leuchtmittel wegen der Ähnlichkeit immer Tannenbäume.

Da nun klar war, wo in Kürze Gebäude zerstört werden und wieder Menschen sterben müssen, ging besonders dort die große Angst um. War es sehr windig und der Kreis aus „Tannenbäumen“ änderte seinen Standort, nervte das zusätzlich.  Kamen dann die Bomber, flog die Mehrzahl von ihnen in den Kreis und warf meist zuerst Sprengbomben, dann Minen mit großer Detonationswelle und zum Schluss Brandbomben ab. Durch diese Reihenfolge vergrößerte sich der Schaden und erschwerte die Rettungs- und Löscharbeiten zusätzlich.

Unser „gewöhnlicher“ Alltag

Wenn in diesem Bericht wiederholt das Wort „Angst“ fällt, sei zur Erklärung folgendes gesagt: Die Angst begann immer, wenn vor einem Bombenangriff die Sirene ertönte. Gab es Entwarnung, war die Angst wieder weg. Danach waren wir wieder Kinder, die alles was sie erlebten für normal ansahen, da sie nichts anderes kannten. Wir spielten auch in Ruinen und lachten, wenn etwas komisch war. 

Unser Schulunterricht wurde während des Krieges aber immer chaotischer. In Klassen- zimmern von Schulen wurden Menschen, die plötzlich keine Wohnung mehr hatten, zeitweise untergebracht. Wurden Schulgebäude zerstört, mussten die Kinder und Lehrer zusätzlich in eine andere Schule gehen. Insgesamt fehlten aber überall Lehrer. Von diesen waren ein Teil eingezogen worden, aber auch eine bestimmte Anzahl – genauso wie von uns Kindern – bei  Bombenangriffen ums Leben gekommen.

Da mit zunehmender Kriegsdauer auch immer mehr Frauen mit Kindern auf``s Land evakuiert wurden, gab es in den Schulen ständige Bestandsaufnahmen, bei denen jeweils neu aufgeschrieben wurde, welche Kinder noch da sind. Hierfür ging viel Zeit verloren, da die Lehrer von uns wissen wollten, warum welche Schüler nicht mehr kamen. Waren dann noch Bombergeschwader im Anflug auf Berlin, wurde der Unterricht sofort abgebrochen und alle rannten nach Hause. 

Am Abend gehörte zu den Pflichten der Bevölkerung die Verdunkelung aller Fenster um den Bombern keine Ziele zu geben. Das war nicht einfach, da es in Berlin kaum eine Wohnung gab, in der nicht durch Druckwellen, Splitter usw. viele Glasscheiben zerstört waren und durch Pappe oder andere Materialien ersetzt werden mussten.

Üblich war damals, dass Familien ihre Kleidung und wichtige Gegenstände an verschiedenen Orten aufbewahrten, um im Ernstfall nicht alles zu verlieren. Von uns befanden sich 2 Koffer bei Verwandten im Stadtbezirk Wedding und 2 Koffer bei unseren Großeltern in Biendorf bei Köthen. Wir hatten dagegen Koffer von unseren Verwandten vom Wedding. Als diese ausgebombt wurden, besaßen sie eine Grundausstattung, die sich bei uns befand. Unsere Koffer im Wedding waren jedoch weg. 

War ein Luftangriff vorbei und in der Nähe wieder Häuser zerstört worden, gingen wir Kinder meist dorthin gucken. Uns interessierte, ob die Decke des Luftschutzkellers gehalten hatte und ob die Menschen noch lebten. Hatten diese den Luftschutzkeller verlassen, sahen wir sie meist in den Trümmern suchen, ob noch irgend etwas aus ihrer Wohnung zu finden war. Danach brachten sie an einer sichtbaren Stelle ein Plakat oder einen Zettel an. Auf diesen stand für die Verwandten und Bekannten, wer überlebt hat und wer wo zu finden ist.

Tage und Nächte ohne Angst

Musste meine Mutter nicht arbeiten (Heimarbeit), fuhren wir in unseren Garten. Es ging vom Bahnhof  Prenzlauer Allee mit der Straßenbahn bis Weißensee und von dort mit dem Bus bis in die Nähe von Wartenberg – also außerhalb des Stadtgebietes. In einer Anlage besaßen wir einen etwa 250 qm großen Garten mit einer kleinen Laube, in der man auch schlafen konnte. Wichtig für uns war dort die Ernte von etwas Obst und Gemüse.

Aber noch bedeutsamer war etwas anderes. Dort war man vor Bomben absolut sicher. Etwa 300 m von unserem Garten entfernt hatte man einen sehr großen Bunker aus Beton gebaut, dem keine Bombe etwas anhaben konnte. Gab es Alarm, gingen wir in den Bunker und konnten in Ruhe warten bis der Angriff vorbei war. Was es bedeutet, bei Alarm einmal keine Angst haben zu müssen, kann wohl nur der ermessen, der selbst Bombenangriffe erlebt hat.

Der Krieg wurde immer schlimmer

In Berlin war bestimmt worden, dass jeder – ob Erwachsener oder Kind - während des Alarms eine Gasmaske aufsetzen musste. Das war sehr belastend. Ab Herbst 1943 nahmen dann auch noch die Luftangriffe auf Berlin massiv zu, wodurch sich unsere Lebenslage weiter verschlechterte.

Während eines Nachtangriffs hörten wir wieder Bomben pfeifen. Diese kamen immer näher. Plötzlich begriffen wir, jetzt sind wir dran und duckten uns noch tiefer. Aber das Pfeifen hörte plötzlich auf und es entstand eine bedrückende Stille. Uns war klar, dass war ein Blindgänger.

Nach dem Alarm mussten wir im Luftschutzkeller bleiben, bis die Situation geklärt war.

Hinter unserem Haus befand sich bis zum nächsten Gebäude 60 m weicher Boden. Dort wurde mit Taschenlampen gesucht und auch bald ein Loch gefunden. Sofort mussten wir in ein Klassenzimmer einer Schule umziehen und dort warten bis die Mine – um eine solche hatte es sich gehandelt – entschärft und abtransportiert war. Beim Warten, dass sich bis zum späten Nachmittag des nächsten Tages hinzog, wurde stundenlang spekuliert, was bleibt von unserem Haus übrig, wenn dass Entschärfen des Blindgängers nicht klappt. Das konnten einige dann bald nicht mehr ertragen und die Stimmung wurde sehr gereizt.        

Nachdem alles gut gegangen war, sagte meine Mutter zu mir, das war eine Warnung für uns. Wir lassen uns evakuieren und ziehen zu Oma und Opa nach Biendorf. Vom Wunsch bis zur Wirklichkeit dauerte es aber noch etwas. Damals waren alle Lebensmittel streng rationiert. Ohne Lebensmittelmarken, die man zugeteilt bekam, erhielt man in keinem Geschäft etwas Essbares. Deshalb musste erst geklärt werden, dass wir auch in Biendorf Marken für Lebensmittel bekamen. Im Mai 1944 verließen wir dann bis 1946 Berlin.

Auch auf dem Lande kamen Flieger

Als wir in Biendorf ankamen, mussten wir feststellen, dass dort kaum noch Schulunterricht  durchgeführt wurde. Einmal in der Woche kam ein Lehrer, verteilte Hausaufgaben und verschwand wieder. Zwei Kinder fuhren deshalb nach Bernburg (Stadt mit etwa 30.000 Einwohner), wo es noch täglich Unterricht gab. Meine Mutter meldete auch mich dort an und so fuhr ich mit dem Zug früh nach Bernburg (etwa 10 km) und nach 13.oo Uhr wieder zurück. 

Das ging einige Zeit gut. Die Bomber zogen, wenn wir gerade auf der Rückfahrt waren, öfter über uns hinweg, aber es passierte nichts. Der Zug hielt in solchen Fällen vorher immer in der Nähe von Bäumen oder zwischen Böschungen, alle Fahrgäste stiegen aus und versteckten sich in der Nähe. Waren die Bomber weg, ertönte ein kurzer Pfiff, alle stiegen wieder ein und wir fuhren weiter.

Die Kriegssituation hatte sich zu dieser Zeit grundlegend verändert. Die amerikanischen und britischen Flugzeuge beherrschten den Luftraum fast völlig. Die deutsche Abwehr – ob Jäger oder Flak – war überwiegend zerstört. Die amerikanischen und britischen Bombergeschwader wurden immer durch mitfliegende eigene Jäger vor deutschen Angriffen geschützt. Da der Schutz nun nur noch selten notwendig war, beteiligten sich die Jäger am Zerstören und jagten im Tiefflug Menschen.

Bewohner aus unserem Dorf hatten gesehen, dass zwei Tiefflieger einen entfernt liegenden Acker anflogen und mit ihren Maschinengewehren auf etwas feuerten. Als man später dort hinging, lag dort getötet ein Bauer und sein Pferd. 

Einige Zeit später war ich nach der Schule mit den zwei anderen Kindern aus Biendorf im Zug auf der Rückfahrt. Als wir uns beim Herannahen von Bombern wieder in der Nähe des Zugs versteckt hatten, wurden auch wir plötzlich von einem Tiefflieger beschossen. Ich weiß nur noch, dass ich Verletzte gesehen habe. Ob es Tote gab, bekam ich nicht mit. Da der Zug nicht weiter fuhr und wir panische Angst hatten, liefen wir auf den Schienen, so schnell wir konnten, die restliche Strecke nach Hause. 

Als ich endlich ankam, nahm mich meine Mutter in die Arme und sagte: Du fährst nicht mehr nach Bernburg, lieber dumm als tot. Diesen Satz habe ich nie vergessen. Treffender und kürzer kann man wohl nicht ausdrücken, was Krieg für Kinder bedeutet, dumm oder tot.



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