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  Ute Tartz


Hedwig Burgheim

 

 

Hedwig Burgheim war eine sehr verdienstvolle Pädagogin mit einer bewegenden Lebensgeschichte. Sie war die bekannteste Absolventin der von Henriette Goldschmidt 1911 in Leipzig gegründeten ersten Hochschule für Frauen in Deutschland.
In der Schulgeschichte der Henriette-Goldschmidt-Schule heißt es: "...Damit gab diese Bildungsstätte auch Frauen und Mädchen die Möglichkeit, eine wissenschaftlich fundierte Bildung zu erwerben, was zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich war. Die Verbindung von Erziehungswissenschaft und Frauenbildung, basierend auf Schillers Menschheitsideal und Fröbels Erziehungskonzeption, brachte Frau Goldschmidt als engagierte Leipziger Bürgerin hohe Achtung und Wertschätzung ein."1


 
Hedwig Burgheim 1938  

Hedwig Burgheim wurde am 28. August 1887 in Alsleben an der Saale geboren. Die Familie zog noch vor ihrem zweiten Geburtstag nach Leipzig um. Die Burgheims waren eine jüdische Familie. Ihre Großeltern mütterlicherseits führten ein Textilgeschäft in der Leipziger Katharinenstraße. Mehrere Söhne der Großeltern sowie Hedwigs Vater Martin Burgheim waren ebenfalls Kaufleute. Die Familie gehörte also zum städtischen Bürgertum. Der Vater war ein liberaler und fortschrittlich denkender Mann, der seinen drei Töchtern Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen und hochqualifizierten Berufsausbildungen ermöglichte. Eine Rolle spielten dabei sicher das Wirken von Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt und Auguste Schmidt für die Frauenbildung in Leipzig sowie die Tatsache, dass die jüdische Bevölkerung allgemein großen Wert auf Bildung legte.
Hedwig als zweite Tochter erhielt nach Abschluss der höheren Schule zunächst eine kaufmännische Ausbildung, die sie durch Teilnahme an wissenschaftlichen Kursen und Vorlesungen erweiterte. Sie lernte Fremdsprachen, vor allem Französisch und Italienisch. Von 1908 bis 1911 war sie Gouvernante bei der Familie des Verlagsbuchhändlers Bernhard Meyer. Im Kindergärtnerinnen-Seminar von Henriette Goldschmidt ließ sie sich zur Kindergärtnerin ausbilden. 1911 wurde sie an der oben genannten Hochschule für Frauen für das Studienfach Pädagogik immatrikuliert. Dozenten und Professoren der Universität Leipzig unterrichteten dort. Die praktische pädagogische Ausbildung erfolgte in Volkskindergärten, Schulhorten, dem städtischen Säuglingsheim und der zentralen Jugendfürsorge. 1915 legte sie ihr Examen ab, das sie befähigte, als Berufsschullehrerin zu arbeiten und Kindergärtnerinnen auszubilden. Wie bildungshungrig sie war, zeigt die Tatsache, dass sie auch danach noch an der Universität Vorlesungen über Pädagogik, Psychologie und Volkswirtschaftslehre hörte.

Nach einer kurzen Tätigkeit als Lehrerin in Grünheide in der Mark Brandenburg nahm sie 1918 eine Stelle am Fröbel-Seminar (Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen) in Gießen an. Dort unterrichtete sie die Fächer Pädagogik, Entwicklungspsychologie, Staatsbürgerkunde und Philosophie. Bemerkenswert ist, dass sie tatsächlich ins Berufsleben einstieg, denn trotz akademischer Ausbildung wurde von Frauen weiterhin die Gründung einer Familie und der damit verbundene Rückzug ins Private erwartet. 1920 wurde sie die Leiterin des Fröbel-Seminars. 1921 wurde das Fröbel-Seminar durch den Alice-Schulverein für Frauenbildung und Frauenerwerb Gießen übernommen, der von der Großherzogin Alice von Hessen, Prinzessin von Großbritannien und Irland 1878 gegründet worden war. Das schränkte zwar Burgheims Selbstbestimmung ein, hatte aber den Vorteil, dass das Fröbel-Seminar im Verein die Inflation von 1923 überstand und die Gehaltszahlungen aus der hessischen Staatskasse unterstützt wurden. Unter ihrer Leitung erhielt das Seminar nach Überwindung der Inflation eine Haushaltsschule, ein Lehrerinnenseminar für Kindergärtnerinnen, drei Kindergärten und zwei Kinderhorte, außerdem Bibliotheks- und Leseräume sowie eine Kinderspeisung. Sie prägte maßgeblich die Entwicklung des Seminars. Die Zahl der Schülerinnen stieg von 1918 bis 1930 von 18 auf 150.
Zum Ende des Schuljahres 1932/33 wurde Hedwig Burgheim zwangspensioniert. Da ihre Großeltern alle Juden waren, galt für sie das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933, das sie zwang, ihre Stelle und ihren Beruf aufzugeben. Sie wurde damit ihres Lebenswerkes beraubt. Vom Vorsitzenden des Alice-Schulvereins wurde ihr ein erstklassiges Zeugnis ausgestellt. Als Lehrerin sei sie stets um eine interessante Unterrichtsgestaltung bemüht, und ihr Verhältnis zu den Schülerinnen von Freundlichkeit, Harmonie und Verständnis geprägt gewesen. Als Seminarleiterin habe sie ein hervorragendes Talent für Organisation und Führung bewiesen. Das große Ansehen des Instituts in Gießen und Umgebung führte er auf ihr Wirken zurück. Dieses Zeugnis war die Anerkennung für 15 Jahre erfolgreiche Arbeit für das Fröbel-Seminar.
Die Zwangspensionierung bedeutete ein finanzielles Desaster für sie, denn sie erhielt nun nur noch 45% ihres früheren Einkommens. Außerdem musste sie ihre Wohnung im Haus des Fröbel-Seminars verlassen. Sie konnte zu ihrer Freundin und Kollegin nach Wieseck, einem Vorort von Gießen, ziehen und verlor dadurch nicht völlig ihr soziales Umfeld. In Gießen konnte sie aber keine neue Existenz mehr aufbauen. Da sie noch familiäre Beziehungen nach Leipzig hatte, ihre Mutter und Schwester lebten hier, kehrte sie 1935 in ihre Heimatstadt zurück und wohnte zunächst mit ihrer Mutter und der Familie der Schwester in der Fregestraße 22, bis sie eine eigene Wohnung in der Wettiner Straße 9 im Waldstraßenviertel fand.

Schon Anfang 1935, als sie noch in Wieseck lebte, begann sie für jüdische Organisationen, z.B. den Jüdischen Frauenbund, in Leipzig zu arbeiten, indem sie Vorträge hielt und die Leitung zweier regelmäßig stattfindender Veranstaltungen übernahm.
Die Israelitische Religionsgemeinde Leipzig bot ihr an, eine jüdische Haushaltsschule in Leipzig aufzubauen. 1936 wurde die Schule in der Humboldtstraße 13 unter schwierigen Bedingungen, es fehlte materiell an allem, eröffnet. In zwei Jahren war es ihr mit viel Engagement gelungen, eine berufsbildende Schule aufzubauen und um eine sozialpädagogische Ausbildungsmöglichkeit zu erweitern. Schülerinnen aus ganz Deutschland kamen hierher, um sich beruflich auf eine Auswanderung vorzubereiten. Ein Berufsabschluss in einem handwerklichen, landwirtschaftlichen oder hauswirtschaftlichen Beruf war Voraussetzung für eine Einreisegenehmigung, und Hauswirtschaft bot im Ausland gute Aussichten auf eine Beschäftigung und damit Erteilung eines Visums. Während der Reichspogromnacht vom 09.11.1938 wurde die Schule total zerstört. Hedwig Burgheim stand zum zweiten Mal vor dem Nichts.

Im Februar 1939 fand Hedwig Burgheim wieder Arbeit als Lehrerin in der jüdischen Carlebach-Schule in der Gustav-Adolf-Straße 7 (heute Deutsche Zentralbücherei für Blinde), die den Schulbetrieb für die noch verbliebenen jüdischen Schüler fortsetzte. Am 30. Juni 1942 wurde auch sie wie alle jüdischen Schulen geschlossen.
1939 wirkte sie im Vorstand des jüdischen Kindergartens in Leipzig. Dort wurden die Kinder betreut, deren Eltern Zwangsarbeit leisten mussten oder die Auswanderung vorbereiteten. Am 10. November 1939, also genau ein Jahr nach der Pogromnacht, wurde sie von der Gestapo gezwungen, "freiwillig" den Verein "Israelitischer Kindergarten (Tagesheim) e.V. Leipzig" aufzulösen und die Liquidation des Vermögens zugunsten der Reichsvereinigung der Juden zu veranlassen.
Hedwig Burgheim übernahm daraufhin 1942 die Leitung eines jüdischen Altersheims in der Nordstraße 15. Die bisherige Leiterin war in ein Vernichtungslager deportiert worden.

Schon im Herbst 1939 war ihr die Wohnung in der Wettiner Straße 9 fristlos gekündigt worden. Das "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1939 erlaubte es "deutschblütigen" Hausbesitzern, Mietverhältnisse mit jüdischen Mietern fristlos zu kündigen. Ab Herbst 1939 wurden Juden auf Anweisung der Gestapo in "Judenhäuser" eingewiesen und dort sehr beengt untergebracht. Das war eine Vorform einer innerstädtischen Ghettoisierung und erleichterte die Kontrolle der jüdischen Bewohner. Hedwig Burgheim musste in ein Judenhaus in der Michaelisstraße 3 ziehen.
1943 berichteten Leipziger Zeitungen, dass das Waldstraßenviertel judenfrei sei.

Nach der Progromnacht hatte sie beschlossen, in die USA auszuwandern. Die Flucht aus Nazi-Deutschland gelang ihr aber nicht mehr, da ihre Bemühungen um ein Einreisevisum in die USA nicht erfolgreich waren. Die USA machten die finanzielle Absicherung der Einwanderer zum entscheidenden Kriterium, um zu verhindern, dass die Immigranten Fürsorgeansprüche stellten. Andererseits machten es die Nazis Juden nach 1938 fast unmöglich, ihr Vermögen ins Ausland mitzunehmen. Nur wer von Verwandten oder Freunden eine Bürgschaft erhielt, konnte auch bei eigener Mittellosigkeit ein Visum erhalten. Hedwig Burgheim konnte die Bürgschaften, die das amerikanische Konsulat für ein Einreisevisum verlangte, nicht vorweisen, obwohl sie Verwandte in den USA hatte.
Am 17. Februar 1943 holte sie die Gestapo ab. Sie wurde mit dem 30. Osttransport über das Berliner Sammellager Große Hamburger Straße nach Auschwitz deportiert und dort noch am Tag ihrer Ankunft am 27. Februar 1943 in Auschwitz vergast.


 
Stolperstein vor dem Haus
Wettiner Straße 9 in Leipzig
 


In Leipzig wird an mehreren Orten an Hedwig Burgheim erinnert. Eine Gedenktafel befindet sich in der Henriette-Goldschmidt-Schule. Vor ihrem ehemaligen Wohnhaus Wettiner Straße 9 liegt auf dem Bürgersteig ein Stolperstein, eine Gedenktafel aus Messing. Außerdem gibt es seit 2005 eine Straße in Gohlis mit ihrem Namen.

 
  Straßenschild in Leipzig Gohlis










Die Stadt Gießen hat sie ebenfalls nicht vergessen. Seit 1981 verleiht die Stadt in Anerkennung und Würdigung hervorragender Verdienste um Verständigung und Verständnis zwischen den Menschen alljährlich die Hedwig-Burgheim-Medaille. Auch in Gießen gibt es einen Stolperstein und eine Straße mit ihrem Namen.

 

(November 2010)

 

1 http://www.goldschmidtschule-leipzig.de/wp/?page_id=6

 

 

 

 

Website der Projektgruppe Frauenpersönlichkeiten