Undine Jung
Lene Voigt
Lene Voigt um 1910 |
Als Helene Alma Wagner wurde Lene Voigt am 2. Mai 1891 in Leipzig geboren. Der Vater war Schriftsetzer und die Mutter Haushälterin. Nach Besuch der Volksschule erhielt sie auf Wunsch der Mutter eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Ihr stand der Sinn allerdings nach etwas Anderem: "Vom Schrifttum angezogen, widmete ich mich dem Buchhandel, den ich von Grund auf erlernte." 1 1910 war sie als Verlagskontoristin im B.G. Teubner Verlag Leipzig und Anfang der 1920er Jahre auch einige Zeit im berühmten Insel Verlag tätig.
1914 hatte sie den Orchestermusiker Otto Voigt geheiratet.
Obwohl diese Ehe 1920 geschieden wurde, bestand weiterhin zu Otto und seiner neuen Familie eine freundschaftliche Verbindung.
1924 ereignet sich dann die erste Tragödie ihres Lebens. Ihr fünfjähriger Sohn Alfred stirbt an einer Hirnhautentzündung.
1926/27 trat ein verheirateter, aber von seiner Frau getrennt lebender, Mann, den man in der damaligen Zeit als vagabundierenden Künstler bezeichnete, in ihr Leben. Zu ihm hatte sie eine, nach ihren Worten, tiefempfundene Liebesbeziehung. Sein plötzlicher Tod stürzte Helene Voigt in tiefe Depressionen. Nach längeren Schwierigkeiten, als Nichtehefrau die sterblichen Überreste ihres " geliebten großen Kindes" ausgehändigt zu bekommen, konnte sie diese im März 1929 der Erde übergeben.
Seit ihrer Scheidung von ihrem Mann im Jahr 1921 arbeitete Helene Voigt als freie Schriftstellerin. In den 1920er und 1930er Jahren entstand ein Großteil ihrer Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, die sie vorwiegend in linken oder links-liberalen Blättern publizierte (unter anderem in "Der Leipziger", "Der Drache", "Die Rote Fahne", "Bayrische Arbeiter-Zeitung", "Der lustige Sachse", "Neue Leipziger Zeitung").
Seit ihrer Jugend ist sie dichterisch tätig gewesen. "Nebstbei zäumte ich immer schon den Pegasus", erzählte sie in den 1920er Jahren einem Journalisten. "Schon mit 15 Jahren habe ich gedichtet und wurde sogar gedruckt. Es handelte sich um eine Turnvereinshumoreske." 1
Textsammlungen und Parodien in sächsischer Mundart wurden ihr Markenzeichen. Ab 1923 vermochte Lene Voigt vom Vertrieb dieser Texte ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In den Anfangsjahren der Nazidiktatur erschienen noch regelmäßig Beiträge von ihr z.B. in "Neue Leipziger Zeitung" und "Der lustige Sachse". Noch 1935 gab der Verlag A. Bergmann ihr Buch "Leibzcher Lindenblieten" heraus. Aber das sollte sich bald ändern.
"1936 aber ließ der Radebeuler Lehrer Erich Rawolle in der Monatsschrift des NS-Lehrerbundes Sachsen ein Elaborat namens "Lene Voigt: Volkstum im Zerrspiegel" erscheinen. Einer seiner Vorwürfe: Die Voigt'schen Mundartformulierungen seien nicht sächsisch, sondern jiddisch." 2
Die Reaktion der Administration auf diese Vorwürfe "aus dem Volke" ließ nicht lange auf sich warten.
"Ab Mitte der 1930er Jahre mühten sich die Sächsische Staatskanzlei und das 1936 auf Geheiß des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann gegründete "Heimatwerk Sachsen", den "politischen Erziehungsauftrag der NSDAP" umzusetzen. Dem hehren nazideutschen Versuch standen jedoch aus ihrer beschränkten Sicht "Sachsenkomiker, Witzefabrikanten und verjüdelte Literaten" im Wege, die die "Verschandelung der sächsischen Sprache" verursacht haben sollten. Als besonders gefährlich stufte man ein "Lene Voigt, Leipzigerin und ehemalige Kommunistin (wohnt jetzt in Bremen). Ihre Machwerke, die massenhaft in die Öffentlichkeit gelangten, können nach zwei Gruppen unterschieden werden:
a) Parodien und b) Karikierung des Sächsischen." 2
"Sie postulierten: "Die Voigt hat die schönsten Dichtungen der Weltliteratur durch gesuchte komische Situationen und Sprachluderei in die Minderwertigkeit und Lächerlichkeit hinab gezerrt. Das ist bewußte Zersetzung hoher Kulturgüter. Das ist Kulturbolschewismus ..." " 2
Auf das Auflageverbot durch das Reichspropagandaministerium 1936 antwortete sie so:
- "Ne Mundart lässt sich nich verbieten, weil blutsgebunden bis ins Mark,
dr Volksmund selwer weeß zu hieten
sei Vätererbe drei un stark.
Ich mußte neie Mundartlieder
Landsleiten uff e Zettel schreim,
denn meine Schwestern,
meine Brieder
wolln fest mit mir verbunden bleim."
Lene Voigt 1
Der Verlag A. Bergmann musste auf Anordnung "von oben" die Buchbestände Lene Voigts einstampfen. Damit war ihr, die seit 1929 in Bremen lebte, die Einnahmequelle entzogen.
In diesem für sie schicksalsschweren Jahr wird bei ihr eine Psychose (Verfolgungswahn) diagnostiziert, und es erfolgt die Einweisung in die "Nervenklinik Schleswig". Nach ihrer Entlassung aus derselben zieht die inzwischen fast mittellose Lene Voigt nach Flensburg, später nach Hamburg, München und Berlin. 1940 kommt sie wieder nach Leipzig und nimmt Quartier in einem kleinen, möblierten Zimmer. Von den Nazis immer noch argwöhnisch beobachtet, wurde sie "dienstverpflichtet". Anfangs in der Druckerei Giesecke & Devrient, später im Verlagskonzern Lange & Meuche war sie als Buchhalterin tätig.
Nach Kriegsende erarbeitete Lene Voigt, nunmehr als Schriftstellerin in Vergessenheit geraten, ihren Lebensunterhalt beim Rat des Kreises Leipzig in der Lebensmittelabteilung. Im Sommer 1946 musste sie erneut ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen - Schizophrenie lautete die Diagnose. Es erfolgte die Einweisung in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen. Dort blieb sie, auf eigenen Wunsch, bis zu ihrem Tod am 16. Juli 1962. Sie war als Botin der Verwaltung tätig und schrieb an ihren Klassikern und Gedichten - für sie eine Form der Therapie. Diese verschenkte sie als "sächsischen Kleinkram" an Mitarbeiter des Krankenhauses.
Grab von Lene Voigt Südfriedhof Leipzig |
Im geteilten Deutschland erinnerte man sich wieder an Lene Voigt, in der BRD erschienen in den 1950er und 1960er Jahren die zweibändigen "Säk'schen Glassigger" und "Säk'schen Balladen" in 2 Auflagen im Bergmann-Verlag München. Weitere Auflagen der Glassigger und der Balladen kamen ab 1978 in Lizenz im Rowohlt Verlag heraus.
Bronzerelief in der Kupfergasse gestiftet von sächsischen Kabarettisten anlässlich Lene Voigts 120. Geburtstag |
In der DDR wurden ihre Werke von sächsischen Kabarettisten in den 1980er Jahren auf die Bühne gebracht. Leipziger Kabarettisten, wie Bernd-Lutz Lange und Gunter Böhnke, sowie Tom Pauls und Gisela Oechelhaeuser haben in hohem Maße zur Würdigung des Werkes von Lene Voigt beigetragen.
Wolfgang U. Schütte gab 1983 eine kleine Sammlung "Bargarohle, Bärchschaft un sächs'sches Ginsdlrblud. Lauter gleenes Zeich zum Vortragen und noch etwas mehr" im Leipziger Zentralhaus-Verlag heraus; hochdeutsche Arbeiten erschienen 1987 im FDGB-Verlag Tribüne.
Das Leipziger Kabarett "Leipziger Brettl" erreichte mit einem reinen Sächsisch - Programm " Wo de Bleisse bläddschert - Lene Voigt" hohe Aufführungszahlen, aber auch im "sächsisch - freien" Raum, z.B. in Nordrhein-Westfalen, fand das Programm Zuspruch.
Eine 1995 gegründete Lene-Voigt-Gesellschaft e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, das Leben und Wirken der Dichterin weiter zu erforschen, die Verbreitung ihrer Werke zu fördern und einer Reduzierung ihres Werkes auf Mundart entgegen zu wirken.
Ein Stadtteilpark in Leipzig - Reudnitz wurde nach ihr benannt, ebenso eine Straße in Leipzig - Probstheida und eine Mittelschule in Leipzig - Lößnig. Im Ratskeller des Leipziger Neuen Rathauses befindet sich seit dem Jahr 2000 das Kaffeekabinett "Lene Voigt" mit Bildern, Ausstellungsstücken und Geschichten von und über Lene Voigt.
Gedenktafel für Lene Voigt (Fotos AG Seniorenstudium und Internet) |
(April 2011)
1 http://www.mdr.de/damals/archiv/8161888.html
2 http://www.mdr.de/damals/humor/8185388-hintergrund-8163063.html
weitere Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Lene_Voigt
Leipziger Blätter 1/1982