Undine Jung
Philippine Wolff-Arndt
An einer höheren Töchterschule, die Philippine Arndt von 1865-1875 in Frankfurt/M. besuchte, übernahm den Zeichenunterricht die Malerin C. Zierfaß. Bald gehörte sie zu deren besten Schülerinnen und durfte den "Kleinen Matrosen" von J. Bucollet kopieren. Niemand im Haus war vor ihrem Zeichenstift sicher. Jedoch erwuchsen mit der Zeit Zweifel in ihr, ob sie noch mehr lernen konnte, was ihre Lehrerin auch so sah - "Sie könne mir nichts mehr beibringen, ich müsse einen besseren Lehrer haben." 1
Sie bat ihren Vater eindringlich, ihre Bilder einem Professor zu zeigen, um eine Empfehlung für einen Lehrer zu bekommen. Mit Erstaunen und Freude erhielt sie eine Mitteilung vom Städelschen Institut, das nach Prüfung ihrer Arbeiten einer Aufnahme am vorgenannten, damals bedeutenden, Institut nichts im Wege stünde, sobald ein Platz in der weiblichen Abteilung frei würde. Schon das war eine Neuerung. Um die Wartezeit sinnvoll zu nutzen, wurde sie Schülerin im Göbelschen Dameninstitut, damals eines der bekanntesten, von Damen der "guten Gesellschaft" frequentiert. Hier praktizierte man eine andere Art des Zeichnens, als sie gelernt hatte. Dieses eine kurze Jahr wurde für ihre künstlerische Anschauung und Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung. Göbel ließ sie ungern gehen, aber die finanzielle Situation der Eltern hatte sich verschlechtert.
Im Städelschen Institut wurden die Geschlechter räumlich voneinander getrennt unterrichtet. Ihre Malkolleginnen versetzten sie in Erstaunen - diese wollten ihre Kunst als Beruf ausüben.
Pünktlich 9 Uhr begann das Malen und Zeichnen nach einem Modell, das unterhalten werden musste. Obwohl es den Damen ausdrücklich verboten war, Akte zu zeichnen, gelang es den Malerinnen, unter strenger Geheimhaltung, die weibliche Aktstudie durch zu setzen. Philippine machte Fortschritte im Zeichnen, weniger dagegen im Malen. Mit Zunahme der Leichtigkeit des Schaffens wuchs ihr Ehrgeiz und Selbstvertrauen. Sie erbat und erhielt Erlaubnis, in der Städelschen Galerie aus zu stellen. Eine Kunstbesprechung zu einem Portrait von ihr äußerte sich anerkennend: "Im Städelschen Institut sind gegenwärtig zwei von Frauenhand gemalte weibliche Portraits ausgestellt. Beide Künstlerinnen, Fräulein Marie Schulze und Philippine Arndt, verraten ein nicht unbedeutendes Talent und gleichzeitig einen gewissen Mut, der sich über das traditionelle der Frau zugewiesene Feld des Stilllebens hinaus an das viel höhere Anforderungen stellende Portraits wagt." 2
Es folgen weitere Ausstellungen, und immer wieder wird das Ungewohnte der Frauenleistung zum Gegenstand der Erörterung gemacht. In der kalten Jahreszeit wird eifrig Modell gezeichnet, der Frühling lockt ins reizvolle Frankfurter Umland. So folgte sie gern der Einladung einer Malkollegin zu einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Bauerndorf. Die Dorfkinder waren ihnen willige und dankbare Modelle, was nicht ohne Auswirkung auf ihr zeichnerisches Ausdrucksvermögen blieb. Im darauf folgenden Jahr verbrachte sie mit ihrer Schwester eine Zeit in Cronberg, wo sie in Kontakt zu dem Maler Anton Burger kam. Dieser gab ihr neben künstlerischem noch einen menschlichen Rat: "Eine Künstlerin dürfe nicht heiraten; die verschiedenartigen Interessen vertrügen sich nicht. - Wenn ich eventuell diese Absicht hätte - er wäre mir schon zweimal mit einem hübschen jungen Mann begegnet, dann solle ich gleich einpacken." 3
Sein "Rat" ging bisweilen so weit, dass er Hand an ihrem Bild anlegte. "Er zeichnete und malte voll Eifer in mein angefangenes Bild, bis etwas ganz anderes als vorher auf der Leinwand stand. Ich hatte nach seinem Fortgehen nichts Eiligeres zu tun, als aus dem wertvollen "Burger" wieder einen bescheidenen "Arndt" zu machen." 4
Da sie auch in dieser Zeit entstandene Bilder gut verkaufen konnte, war es eine Zeit fleißiger Arbeit und größter Befriedigung.
1875 erhielt sie von einer Freundin und Malkollegin das Angebot, sie nach München zu begleiten. Obgleich viele neue Eindrücke auf sie warteten, machten sie sich über künstlerisch begleitetes Lernen wenig Illusionen. Weder Akademie noch Kunstgewerbliche Schulen nahmen Frauen auf. Mit Privatempfehlungen an verschiedene Künstler machten sie sich auf die Suche nach einem Lehrer. Sie versuchten ihr Glück bei Lenbach, Bismarcks Hof- und Leibmaler. Auf ihre Anfrage nach einem Lehrer oder künstlerischen Berater für Porträtstudien "besann er sich eine Weile - dann, indem er die Stirn in krause Falten zog, da wüßte ich keinen als den Rubens und den van Dyck." 5
Sie nahm den, ironisch gemeinten, Ratschlag an und begann in der Alten Pinakothek einige der alten Meister zu kopieren. Lenbach, wenn er in der Pinakothek weilte, zeigte warmes Interesse und gab ihr Ratschläge, auch hinsichtlich des Materials. Zu anderen Malern der Münchner Kunstszene, wie z.B. von Hagn, Gleim, Lindenschmidt hatte sie ebenfalls Kontakt.
Die Mutter ihrer Freundin, mit der sie in München war, bot ihr die Möglichkeit, Rom zu besuchen. Diese erste Reise nach Italien sollte ursprünglich den ganzen Winter 1877/78 andauern. Eine Wohnung wurde gemietet und ein Dienstmädchen mitgenommen. Ihre begrenzte Zeit wollten sie in erster Linie zum Anschauen der Kunstwerke nutzen. Die Vormittage brachten sie im Vatikan zu, und nachmittags besuchten sie die außerhalb der Stadt gelegenen Kloster, Villen und Kirchen. Die Eindrücke und Anregungen waren so überwältigend - ihre Arbeitslust ließ sich nicht mehr dämmen. Das schlechter werdende Wetter bestärkte sie in ihrem Entschluss, ein bescheidenes Atelier zu mieten. Ihr besonderes Interesse galt den malerischen Köpfen der römischen Modelle. Ziel war es, jeden Tag einen Studienkopf zu beenden. In dieser Zeit entstand "Wasserträger in der Campagna" ein lebensgroßes Bild, von dem sie sich einen guten Erlös erhoffte. Es gab in Rom eine Anzahl Zirkel, wo nach Sonnenuntergang bei Lichtbeleuchtung gemalt und gezeichnet wurde - zwei Stunden Kostüm, zwei Stunden Akt. Man hielt ein gründliches Studium für sehr wichtig. Sie trat in den Circolo Chigi ein, da er der preiswerteste, mit zumeist von italienischen Publikum besuchte, Zirkel war. Sie musste sich mit Kostümmalen begnügen, Damen waren vom Aktzeichnen ausgeschlossen. Es entstanden kleine Aquarellbilder. Ihr Maler Göpel hatte sie auf den Maler Heinrich Ludwig und dessen Schriften über Maltechnik hingewiesen. Diesen suchte Philippine mit einer Empfehlung in Rom auf und kam in freundschaftlichen Verkehr mit ihm. Unter seiner Leitung malte sie einen Studienkopf nach der von ihm neu belebten Maltechnik der alten Meister. Ende Mai 1879 verließ die kleine Reisegruppe Rom und reiste in die Toskana.
Als sie mit ihrem Mann nach Leipzig übersiedelte, stellte sie fest, das Leipzigs Liebe und Verehrung damals der Musik - die Tradition der Gewandhauskonzerte, das Andenken an Mendelsohn und Schumann waren lebendig, galt. Die bildende Kunst war ein Stiefkind. Das Museum mit wertvollen alten und neuen Bildern wurde viel weniger besucht als die Sammlungen in Berlin, Frankfurt oder München.
Dennoch konnte sie bald erste Porträts ausstellen. "Der Rezensent des damals führenden Leipziger Tageblatts betonte, dass die Bilder, denen Talent nicht abgesprochen werden könnte, von weiblicher Hand seien, aber gerade deshalb(?) müsse man größere Sorgfalt beim Firnissen verlangen. Daran hatte es die Künstlerin entschieden fehlen lassen, und das wirke von vornherein nicht günstig auf die Beurteilung der Bilder." 6
Auftragsarbeiten, wie z.B. das Porträt einer bekannten Leipzigerin wurden ihr zur Qual, da der Dame jegliches Verständnis für bestimmte Regeln beim Porträtieren abging und diese dann mit dem Ergebnis unzufrieden war. Auch musste sie Erfahrung machen mit der Ignoranz gebildeter Männer, wie im Fall eines Universitätsprofessors, der durch den menschenleeren Ausstellungssaal auf das ausgestellte Bild zu schritt und auf die Unterschrift sah. "Schon wieder ein Frauenzimmer", rief er unwillig aus, - na, ich danke- das sehe ich mir gar nicht an." 6
In den folgenden Jahren malte sie Bilder einiger Leipziger Persönlichkeiten, darunter den Achtundvierziger Freischärler Otto von Corbin, der sich nach seiner Amnestie in Leipzig als Schriftsteller niedergelassen hatte. Dieser verteidigte, mit seinem Porträt sehr zufrieden, ihre Arbeiten vehement.
Der unbefriedigende Zustand für die bildende Kunst änderte sich, als Max Klinger seinen Wohnsitz in seiner Vaterstadt nahm. Zwar galt das Interesse der Leipziger immer noch nicht der bildenden Kunst allgemein - aber ihren Klinger hoben sie auf einen Sockel.
Frauenarbeit jeglicher Art hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts zugenommen. So gab es nun in Leipzig eine ganze Anzahl weiblicher Künstler. Sie hatten es wesentlich schwerer als die Männer, sich zu behaupten, deshalb wurde ein Zusammenschluss erforderlich. Die Initiative zur Gründung eines Künstlerinnen-Vereins ging von Lotte Winscheid, der Witwe des Leipziger Juristen und Rechtsgelehrten, aus. 1896 kam es zur Gründung des Vereins, und sie wurde bald zweite Vorsitzende, später nach dem Tod von Lotte Winscheid erste Vorsitzende. Sie konnte sich diesen Aufgaben zuwenden, da ihre 3 Kinder nun groß waren. In diesen Jahren wurden Unterrichtskurse für künstlerisch arbeitende Frauen angeboten, und die Akademie für Grafik und Kunstgewerbe öffnete ihre Türen auch für Frauen.
Neben ihrer Arbeit für den Verein, der anregend auf sie wirkte, malte sie Porträts, Landschaften und Blumenstillleben, die inzwischen salonfähig geworden waren. Als begehrter Zimmerschmuck waren sie nunmehr verkaufbarer geworden. Ihre Bilder konnte sie wiederholt im Haus des Leipziger Kunstvereins ausstellen, allerdings mussten sie immer erst vor den Augen einer strengen Jury bestehen.
Auf Anregung des Malers Hans Thoma versuchte sie einige Porträtköpfe in der Lithografietechnik.
Im Oktober 1913 nahm ihr Sohn sie mit auf eine Reise nach Spanien. Sie kamen dabei über Paris. Der "Provinzlerin" bereitete es Mühe, sich in der trubeligen Stadt zurecht zu finden. In Spanien besuchte sie unter anderen den Prado, von all den versammelten Malern sprachen die Bilder von Velasquez sie am meisten an.
In Deutschland zurück, führte die Not, die der 1. Weltkrieg mit sich brachte, zur wirtschaftlichen Vereinigung der bildenden Künstler. In der Ortsgruppe war sie die einzige Frau im Vorstand. Die parlamentarischen Formen bei den Vorstandssitzungen waren ihr nicht unbekannt, hatte sie in Frankfurt an den ersten Tagungen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins unter Leitung von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt mit lebhaftem Interesse beigewohnt. So war es nur folgerichtig, dass sie sich im reiferen Alter immer wieder in Wort und Schrift für die politische Gleichstellung der Frau einsetzte. Man übertrug ihr die Leitung der Leipziger Ortsgruppe des Vereins für Frauenstimmrecht. Der damit verbundene Zeitaufwand wirkte sich auf ihre künstlerische Arbeit aus, sie beschränkte sich auf leichter zu unterbrechende Stillleben. Von dem Verkauf unterstützte sie Kriegsnotopfer.
Es zog sie, nachdem sie einsam nach dem Tod ihres Mannes zurückblieb, nun fast 70- jährig, nach München, wo sie noch einmal tüchtig malen wollte. Mitten in den Unruhen der Revolution kam sie nach München. In der Nähe ihrer Wohnung nahm sie sich ein kleines Atelier, konnte jedoch aus Kohlenmangel dies nicht nutzen - also malte sie in ihrem Schlafzimmer. Etliche Selbstporträts und Stillleben, von denen sie einige verkaufen konnte, entstanden. Für die Münchner blieb sie jedoch nur die Mutter ihrer Tochter, denn neben dem Vorurteil gegen die künstlerisch arbeitende Frau kam noch das gegen die alte Frau. Besucher, die ihre Bilder betrachteten, waren oftmals verlegen. Als sie verschwieg, dass die Bilder von ihr sind, wurden diese mit Interesse und Respekt betrachtet und nach dem Namen des Künstlers gesucht. Inzwischen hatte sie die "70" erreicht, aber einen ruhigen Lebensabend ließen die stürmischen Zeiten nicht zu. Dem Sturz der Räteregierung folgte der Einzug der "Weißen". Bewaffnete Soldaten wurden ausgeschickt, um die politisch einwandfreie Gesinnung der Bewohner fest zu stellen. Auch in ihr Zimmer dringen sie vor, finden sie malend an der Staffelei. Sie respektieren ihre weißen Haare und ziehen sich zurück. Noch zweimal hat sie solche Besuche über sich ergehen lassen müssen, die sie resolut hinaus bittet.
Als im Wohnhaus ein Atelier frei wird, greift sie zu und malt nach Herzenslust - Blumen, Meerbilder, die Jahreszeiten und in der kalten Jahreszeit die bayrischen Charakterköpfe. "Das Atelier kann kaum die Fülle der Bilder fassen, besonders Stillleben. An Verkauf ist heute bei der fortwährend gesteigerten Notlage des Kunsthandels nicht zu denken. Und ich versuche es auch nicht. Auch das Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung hat aufgehört. Den Aufregungen der Kritik, ob schlecht, ob gut, will ich mich nicht mehr aussetzen. Auch die öffentlichen Ausstellungen reizen mich nicht in dem Maße wie früher. Die wechselnden Strömungen berühren mich kaum. Obwohl vor ihr vielleicht meine Arbeit bestünde". 7
Über ihre letzten Lebensjahre, und wo sie ihre letzte Ruhe gefunden, gibt es nur vage Vermutungen, die besagen, dass sie 1933 nach Frankreich emigriert ist.
Auch finden sich kaum Bilder von ihr in der Öffentlichkeit ausgestellt, da sie kaum ein Bild signierte - ein Portrait von Henriette Goldschmidt, in der gleichnamigen Schule in Leipzig hängend, stellt eine Ausnahme dar.
(Mai 2012)
1 Philippine Wolff-Arndt "Wir Frauen von einst - Erinnerungen einer Malerin", Verlag Ernst Reinhardt München 1929, S.2
2 ebenda, S. 14
3 ebenda, S. 22
4 ebenda, S. 22
5 ebenda, S. 26
6 ebenda, S. 50
7 ebenda, S. 102