Was bedeutet transregionale Forschung?

Michaela Böhme (SFB 1199)

Publication Date

September 2017

Language

German

Type

Media

Blog Author

Michaela Böhme

Additional Information

© Katharina Wischer, November 2016

Erste Zugänge zur transregionalen Forschung erhielt ich während meines Masterstudiums in “Global Studies” an der Universität Leipzig. Innerhalb des multiregional und postdisziplinär ausgerichteten Studienprogramms wurden wir als Studenten mit multiplen Perspektiven auf Globalisierungsprozesse vertraut gemacht und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit nationalstaatlichem Container-Denken und eurozentrischen Wissensordnungen angeregt. Hier habe ich das erste Mal gesehen, dass Wissensordnungen auch als Machtordnungen zu begreifen sind, die sich in der Ordnung räumlicher Beziehungen niederschlagen und durch neue Verflechtungen und Interaktionen stets aufs Neue herausgefordert werden.

Durch Aufenthalte an europäischen und chinesischen Partneruniversitäten des Global Studies Studiengangs konnte ich das Überschreiten regionaler und disziplinärer Grenzen auch praktisch in die Tat umsetzen und, dazu noch mit Regional- und Sprachkenntnissen ausgestattet, fühlte mich bestens gerüstet für ein transregionales Dissertationsprojekt. Dies erwies sich als verfrühter Optimismus! Denn transregionale Ansätze stellen trotz aller Relevanz für die multipolare, vielschichtige Welt des 21. Jahrhunderts eine forschungspraktische und methodische Herausforderung dar, der man als ForscherIn nicht immer vollständig gewachsen zu sein scheint.

Die Faszination aber auch Herausforderung einer transregionalen Perspektive haben sich für mich bereits innerhalb der ersten zwölf Monate der Bearbeitung meines Dissertationsprojekts deutlich gezeigt. Mein Forschungsprojekt untersucht die wachsenden landwirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Australien und China anhand chinesischer Investitionen in australisches Agrarland und australische Agrarbetriebe. Dahinter steht vor allem die Frage nach den zugrundeliegenden Konzepten von Land und Landwirtschaft sowie den vielfältigen Interessen und Machtbeziehungen, die bei der Auseinandersetzung um den Zugang chinesischer Investoren zu australischer Agrarproduktion neu verhandelt werden.

Wachsendes chinesisches Interesse an ausländischer Lebensmittelproduktion in Australien und anderswo hat in der jüngeren Vergangenheit reges Interesse in der Öffentlichkeit, den Medien und auch im wissenschaftlichen Bereich erweckt. Häufig im Kontext eines globalen “Ansturms auf Land” verortet, wird China als Hauptakteur einer neuen Klasse von Ländern konstruiert, die, über wenig Land aber viel Kapital verfügend, ihre Nahrungsproduktion zunehmend ins Ausland verlagern und dafür in großem Stil in den Zugang zu Boden und landwirtschaftlichen Ressourcen investieren. Was an dieser Perspektive besonders auffällt ist ihre Eindimensionalität. Eine homogene Gruppe chinesischer Investoren investiert mit dem Ziel der heimischen Nahrungssicherheit in einen passiv daliegenden landwirtschaftlichen Raum und löst damit Land aus seinem ursprünglichen Kontext. Vollkommen ausgeblendet werden dabei die komplexen und vielschichtigen Verflechtungen und Interaktionen unterschiedlichster Akteure aus Herkunfts- und Zielland, durch die räumliche Zugänge und Muster von Investitionsströmen erst ausgehandelt werden.

Folgt man hingegen dem materiellen Fluss von Kapital durch die gesamte Investitionskette, der daran gekoppelten Neukonfiguration von Warenflüssen, der Interaktion von Schlüsselakteuren sowie der Produktion, Zirkulation und Adaption legitimierender Narrative, ergibt sich ein Bild vielschichtiger, komplexer Interaktion. So zeigt sich z.B. im australischen Kontext, wie chinesische Investitionen verstärkt als Partnerschaften mit australischen Unternehmen strukturiert werden, die sich ihrerseits davon bessere Zugänge zum chinesischen Markt versprechen. Auch wird der maßgebliche Einfluss von transregional vernetzten Industrie- und Lobbygruppen auf die Aushandlung von Kapital- und Marktzugängen deutlich oder auch die zum Teil überraschend engen Verflechtungen zwischen westlichen Finanzinstitutionen und chinesischen Investoren. Doch auch Spannungen und Widersprüchlichkeiten, die sich aus konkurrierenden Interessenlagen und Machtpositionen ergeben, können durch eine transregionale Perspektive aufgezeigt werden.

Wie jedoch setzt man eine transregionale Perspektive in der Praxis des Forschens um und mit welchen Herausforderungen wird man dabei konfrontiert? In meiner Forschung greife ich vor allem auf eine mobile Form der Feldforschung zurück, bei der ich versuche, der oben beschriebenen transregionalen Zirkulation von Kapital, Waren, Personen und Ideen zwischen Australien und China zu folgen und an den unterschiedlichsten geografischen Orten Daten zu erheben. Eine solche mobile Ethnographie über Raum-, Zeit- und Klimagrenzen hinweg erhöht aus meiner Erfahrung deutlich die Komplexität des Forschungsprozesses und stellt besondere Anforderungen an Forschungsplanung, Budget aber auch die physische und emotionale Konstitution des/ der Forschenden. Dazu kommt, dass trotz eines wachsenden Interesses an transregionaler Forschung, institutionelle Strukturen der Forschungseinrichtungen weiterhin verstärkt auf stationäre Forschung innerhalb eines geografischen Kontextes ausgerichtet sind und den erweiterten zeitlichen budgetären und praktischen Anforderungen transregionaler Forschung nur bedingt gerecht werden können. So bezweifle ich zum Beispiel, dass die bei vielen strukturierten Doktorandenprogrammen vorgegebenen knappen Zeiträume und Feldforschungsphasen ausreichen, um sich tatsächlich in mehrere regionale Kontexte einarbeiten und Zugang zum Feld an mehreren geografischen Standorten erlangen zu können. Auch institutionelle Kontakte mit ForscherInnen vor Ort sind in einem transregionalen Forschungsprojekt häufig nicht für alle geografischen Kontexte in gleichem Maße vorhanden. Dabei ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Forschungsperspektiven und Theorien vor Ort entscheidend, um eine Re-Essentialisierung der für die Forschung relevanten Regionen und ihrer Gesellschaften zu vermeiden, welches ja ein zentrales Anliegen der transregionalen Forschung darstellt.

Mein bisheriger Forschungsprozess hat mir deutlich vor Augen geführt, wie sich im Zuge chinesischer Investitionen in die australische Landwirtschaft neue transregionale Verflechtungen von Interessen- und Machtbeziehungen herausbilden, die erst durch einen transregionalen Zugang analytisch erschlossen werden können. Transregionale Forschung, so meine zentrale Erkenntnis, liefert dabei jedoch keine Toolbox fertiger methodischer Lösungsansätze. Vielmehr wirft sie durch ihre kritische Perspektive Fragen auf, die dann immer wieder neu im Kontext eines jeweiligen Forschungsprojekts beantwortet werden müssen.

Der Blogbeitrag ist erschienen bei TRAFO Blog.

Biographical Note

Michaela Böhme  (SFB 1199, Leipzig University, Germany)

I am a research assist­ant work­ing in the SFB pro­ject C4 “Land Imaginations: The Repositioning of Farming, Productivity, and Sovereignty in Australia” headed by Dr. Sarah Ruth Sippel. I earned a joint MA degree in glob­al stud­ies from Leipzig University (Germany) and the University of Wrocław (Poland), dur­ing which I focused on China’s chan­ging role in world affairs and the polit­ic­al, social, and eco­nom­ic pro­cesses cur­rently trans­form­ing China. My cur­rent research focuses on how Chinese invest­ments into Australian agri­cul­tur­al land trans­form Australia’s food pro­duc­tion sys­tem and explores the con­flict­ing ima­gin­a­tions of land that play out in this process.