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Universität Leipzig

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Ein Spaziergang durch die Kaiserstadt Gondar

Ein Bericht von Prof. Dr. Gerhard Asmussen, Leipzig

Wenn man sich einen Überblick über die Stadt, die für die nächste Zeit unsere Heimat werden sollte, verschaffen will, muss man auf den „paradise hill“ steigen. Der Weg ist anstrengend, nicht weil er sonderlich hoch ist (er liegt etwa 500 m über der Stadt), da aber Gondar im Mittel schon 2500 m über dem Meeresspiegel liegt, gerät man ganz schön ins Schwitzen – dazu kommt die für uns ungewöhnliche Hitze, es ist eben eine Bergwüste. Man steigt an stacheligen Opuntien und Agaven vorbei und erreicht endlich den Gipfel – und wird mit einer herrlichen Aussicht belohnt. Dieser Blick gehört nun schon zur Vergangenheit, denn ein Jahr später baute man auf dem Hügel das Goha-Hotel, dieser schöne Ausblick ist geblieben. Gondar war seit dem Umzug des Kaisers Fasilidas (1632-1667) für 350 Jahre die Hauptstadt Äthiopiens, erst Menelick II (1889-1913) verlegte sie (auf Bitten seiner Frau) nach Addis Abeba (Neue Blume) – seit dieser Zeit hat sich Gondar nur zurückentwickelt und behielt seinen kleinstädtischen Charakter. Wir mussten das gleich an unseren Studenten feststellen, ein Teil blieb in Addis, der andere wurde nach Gondar „kommandiert“. Die für Gondar vorgesehenen waren mit ihrem Schicksal sehr unzufrieden (Kriegsgebiet, einige Studenten wurden schon standrechtlich erschossen – sie sollen Mitglied der Befreiungsbewegung gewesen sein – „und dann auch noch Gondar“, Addis ist so weit weg),  das änderte sich erst mit dem 2. Semester. Dann waren die Studenten in Addis gewesen (Sportfest), sie hatten festgestellt, dass unser Unterricht so gut oder besser war als der in Addis (alles war aus einem Guss, denn wir sprachen uns natürlich ab, was wir im Unterricht und zu welcher Zeit bringen würden), seit dieser Zeit waren wir allseitig akzeptiert. Damals erschien auch ein UN-Bericht, wir wurden erwähnt, ohne jede nähere Wertung (nur, dass wir vorhanden waren), Addis wurde getadelt, Nairobi wurde gelobt.

 

 

Asmussen

Blick vom Paradise Hill auf Gondar und Umgebung

 

Trotzdem ist die Geschichte an Gondar nicht vorbeigegangen, es besitzt eine sehr schöne Kaiserpfalz. Wie die Abb. (nach einem alten Stich) zeigt hat fast jeder Kaiser etwas dazu gebaut, man findet Schlösser von Fasilidas – es war das höchste der Gebäude Gondars, und bestand damals schon aus drei Stockwerken – dazu findet man das Schloss von Iyasu I (1682-1706, Schloss des Pferdes, weil es ein sattelähnliches Dach hat), das Schloss des Yohannes I (1667-1682), die Sängerhalle von Dawit III (1716-1721), das Archiv, die Sternwarte des Kaisers Bekaffa (1721-1730), dem Sitz der  Kaiserin  Mentuab  (1730-1755), um  nur  die  wesentlichsten  zu  nennen.

 

Asmussen

Kaiserpfalz in Gondar


Das Ganze ist von einer Mauer umgeben, die 11 Eingänge besitzt (im Gegenuhrzeigersinn): Man findet das Tor der Prinzessin Inkoi und das Tor Gemija Bet Mariajam (Schatzhaus der Maria), welcher eigentlich der Eingang zu einer Priesterkirche gleichen Namens ist. Daneben liegt das Grab von Walter B. Plowden, der als britischer Konsul und Freund des Kaisers Tewodros II (1855-1868) hier wirkte. Er war ein enger Berater des Kaisers, nach seinem Tod (1860) setzte eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen England und Äthiopien ein, die durch den Fall der Festung Magdala eingeleitet wurde, und durch den Suizid des Kaisers einen Höhepunkt erhielt. Es folgen: das Tor der großen Wache, das Tor der Richter, das Begräbnistor, das Tor der Kammerherren, das Tor der Spinner, das Hochzeitstor, das Tor der Flötenspieler, das Tor der Empfangshalle und das Tor der Fürsten. Dies stellt auch den Eingang dar, der zur Kirche Attatame Qiddus Mikael (Erlöserkirche) führt, wo ich das erste Mal meine Schuhe ausziehen musste (später noch des Öfteren), um auf Strümpfen die geweihte Stätte zu betreten. Die Kirche soll übrigens als einzige im Stadtgebiet 1888 dem Ansturm der aus dem Sudan kommenden Mahadisten widerstanden haben, indem das Holz trotz Trockenheit nicht brannte – ein Wunder.
Wenn man die Kaiserpfalz betritt fällt einem als erstes ein Löwenkäfig auf, in dem sich ein Wappentier Haile Selassis (der Löwe von Juda) befindet. Mein Erstaunen zeigte keine Grenzen als ich feststellen musste, dass er runde Pupillen hatte (und nicht schlitzartige, wie sonst bei Katzen), ein Freund und Kollege der Physiologie machte mich darauf aufmerksam, dass alle Großkatzen runde Pupillen haben. Also muss es einen Selektionsvorteil haben, aber  welchen? Das haben wir nicht in Erfahrung gebracht. Bei meinem zweiten Besuch in Gondar gab es diesen Löwen nicht mehr, - vielleicht ist er an Altersschwäche gestorben oder dem Hungertod zum Opfer gefallen (wir hatten, wie so oft eine Hungersnot, 1980), bestimmt ist er nicht aus Kummer um Haile Selassi eingegangen, wie uns die MTA (medial technical assistant), die wir zur Ausbildung hatten, weismachen wollte.

Wir wenden uns nun dem einzigen dreigeschossigen Gebäude zu, es wurde von Fasilidas erdacht und geplant, aber erst unter seinen Nachfolgern Yohannis I and Iyasu I fertiggestellt. Der Grundriss ist etwa quadratisch (25 x 25 m) eine Treppe führt ins Hochpaterre. Hier befinden sich einige Räumen, die bei offiziellen Anlässen auch benutzt werden – beeindruckend ist der Gerichtssaal. Von dort gelangt man auf das Dach des Gebäudes und nach (halsbrecherischem) Aufstieg auf den Turm, von wo man eine herrliche Aussicht über den Gemp und die gesamte Stadt hat. Nördlich davon ist das Schloss von Iyasu I („der Große“) das durch die Bomben des II. Weltkrieges stark gelitten hat. Immerhin ist die einstige Pracht noch gut erkennbar. Man findet hier eine Zisterne, die auch als „Fasilidas Bad“ bezeichnet wird. Von Dawit III stammt eine Ruine (relativ zentral gelegen), die als Sängerhalle bezeichnet wird (Debbal Gemp, 13 x 30 m groß), in der der Herrscher den Sängen der Azmari (fahrende Sänger) lauschte, und auch mal selbst zur Harfe gegriffen haben soll, bis er dann vergiftet wurde. Relativ zentral liegen noch zwei Gebäude das Archiv und das Schloss der Kaisers Yohannes I (oder Bibliothek). Dies ist das einzige betretbare Gebäude, hier hatte sich der französische Architekt niedergelassen. Früher soll einmal ein geheimer Gang zwischen den beiden Gebäuden existiert haben.

 

Asmussen

Fasilidas Schloss und das Tor der Richter

 

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Sängerhalle

Davon wusste der Franzose nichts, wie haben ihn auch nicht gefunden. An der Nordseite des Gemp befinden sich zwei Ruinen aus der Blütezeit der Geschichte Gondars, als das Kaisertum „fest im Sattel“ saß. Die Sternwarte des Kaisers Bekaffa, dem wohl mehr an der Beziehung der Sterne zueinander gelegen war, als an den Regierungsgeschäften. Jedenfalls zeugt der „Taubenturm“ von seinen astronomisch-magischen Interessen. Daneben befindet sich der Palast der Kaiserin Mentuab (eigentlich: Wella Georgis), die im Wesentlichen um das Wohl ihres Sohnes kämpfte (Iyasu II, „der Kleine“) der noch unmündig war. Ihr Gegenspieler was der Ras Mikael Sehul („der Schlaue“), dessen Schloss man auch finden kann – es liegt außerhalb des Gemp, früher war es der Sitz des Ras, heute ist es Sitz der Administration und des Militärgouverneurs von Gondar (wie sich die Bilder gleichen), und nur von außen zu besichtigen. Diese Zeit findet man auch schön geschildert in einem Buch von J. B. Kinnaird („Travel of discover the sources of the nile“), in der er auch folgende Begebenheit schildert: Er hatte beobachtet, wie man einer Kuh ein Stück Fleisch aus der Flanke schnitt, die Wunde wieder verschloss und die Kuh wieder auf die Weide entließ, und das Fleisch roh aß. Als sich wieder einer über das Essen von rohem Fleisch mokierte, zwang ihn Kinnaird zum Verzehr desselben. Soviel zu der Gewohnheit der Einheimischen bei festlichen Gelegenheiten rohes Fleisch (rough meat) zu essen (wird noch berichtet).

 

Asmussen  Einsatz neuer Steine

 

Vor dem Schloss des Kaisers Fasilidas steht außerhalb der Ummauerung eine gewaltige Sykomore, die noch aus den Zeiten des Kaisers stammen soll – ob das stimmt, weiß keiner – immerhin soll der Baum als Gerichtsbaum gedient haben, an dem unliebsame Zeitgenossen aufgehängt wurden. An dem Platz der um dem Gerichtsbaum gelegen ist, wird die Hauptstraße wieder einspurig – dass heißt sie verzweigt sich in viele kleine Gassen, die um eine Hauptstraße gelegen sind – hier hört dann auch die Pflasterung auf, und zur Regenzeit wird es schlammig, deshalb hat man Podeste errichtet. Der eigentliche Teil des Marktes (Mercado) beginnt – hier kann man nahezu alles kaufen. Vorbei an einigen Schlachtern und Juwelieren, stürzen wir uns in das bunte Treiben. Hier wird alles Essbare angeboten, (es wurde darüber schon berichtet) – vornehmlich Ziegen, Schafe und Geflügel. Man kauft hier lebendes Material – und ein Huhn das flattert  oder eine Ziege, die herumspringt, ist wahrscheinlich gesund. Und die Gewürze sind unzählig. Aber auch Häute und Wolle (verarbeitet oder nicht) werden angeboten. Daneben gibt es mehrere Handwerksbetriebe – Schreiner, Glaser, Maler, Klempner und Blechschiede, Autoreparateure und Karosseriebauer usw. Nur, Abgepacktes gibt es selten oder nicht.

Als die Italiener Äthiopien überfielen (1935/36) und besetzten, bauten sie auch die Straße, die Eritrea mit Axum und Gondar verbinden sollte. Dabei mussten sie auch das Simiengebirge überwinden. Man erzählt, dass die italienischen Pioniere sich an Seilen hängend herabließen, und die Straße buchstäblich aus dem Fels hackten. Diese Straße war aber leicht zu verteidigen oder zu sprengen, sodass die Engländer (im 2. Weltkrieg) von Sudan aus keine Möglichkeit hatten, in das äthiopische Hochland vorzudringen. Man musste also vom Süden her (Kenia) Äthiopien befreien. Deshalb kam Gondar als Letztes in den Genuss dieser Befreiung. Obwohl die Italiener bereits geschlagen waren (und ihre Garnison lag zudem in Azesso, also 10-15 km entfernt), hat man Gondar bombardiert (man wollte eben zeigen, was man kann), und dabei die Schlösser der Kaiserpfalz stark beschädigt – besonders das von Iyasu I (dem Großen). Nach dem Krieg hat dann Bouski die Schlösser wieder „restauriert“ (wurde schon berichtet).
Wir lernten einen Franzosen (Architekt) kennen, der sich um die Renovierung der Schlösser von Gondar kümmerte. Von ihm habe ich viel über das Sakrale in Äthiopien und besonders über die Felsenkirchen gelernt. Er fand Lalibela, wäre der schönste Ort, und wir sollten ihn unbedingt besuchen. Leider fand sich damals keine Möglichkeit (die Wirren des Krieges) – erst bei meinen zweiten Besuch war Lalibela kurzzeitig „offen“, und konnte besucht werden. Besonders interessierte den Franzosen der Steinbruch, der damals für die Verzierungen und die Torbögen der Schlösser verwandt wurde. Nach längerem Suchen wurde er auch in der Nähe gefunden – er lag nur wenige Meter unterhalb des Qusquam-Klosters – und wurde sofort verbaut (s. Abb.). Was für ein Unterschied im Gebaren dieser beiden Architekten: auf der einen Seite Bouski, der viel in Beton machte, und die Schlösser eigentlich eher zerstörte als restaurierte, und auf der anderen Seite dieser Franzose, der durch subtiles Suchen, die Stellen wieder fand, die für eine gelungene Renovierung benötigt wurden.

 

Asmussen

Sternwarte

 

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Schloss des „Pferdes“.  (links) Schloss des Kaisers Yohannis I, hier hatte im Untergeschoss hatte der französische Architekt seinen Platz

Etwas außerhalb der Stadt befindet sich die Mohammedaner-Siedlung. Dass sie so separat liegt hat wohl historische Gründe. Ursprünglich war die Trennung von Muslimen und Christen total und gewollt (wohl als eine als Folge der verheerenden Kriegszüge des Achmed Gran) – selbst Yohannes I war noch 1668 für ihre für totale Trennung. Spätere Potentaten und auch der Derg haben sich mehr um ein gedeihliches Miteinander der beiden Volksgruppen bemüht (denn die Mohammedaner stellen etwa 40% der Bevölkerung dar).

 

Asmussen Schneider

 

Asmussen Mohammedanische Siedlung

Besonders sind mir die Besitzer von Nähmaschinen aufgefallen. Man kann sich (ähnlich wie in England) ein Hemd selber schneidern lassen, und braucht es nicht fertig zu kaufen, wie es bei uns üblich ist. Man kauft dazu Stoff (der Besitzer zeigt einem etwas aus seinem Vorrat – gewöhnlich weiß), sollte es fliederfarben sein (wie in unserem Fall), muss man den Stoff und das zugehörige Garn schon selber kaufen. Und diese Nähmaschine kann eine ganze Familie ernähren – deshalb sieht man auch immer nurMänner, die solch eine Maschine besitzen. Über die Herkunft ist wenig bekannt – ich habe viele Maschinen von Pfaff oder Singer gesehen (aber auch viele „Ausländer“). Vielleicht sollten wir überlegen, unsere alten Nähmaschinen. die oft nur rumstehen und verstauben, nach Gondar zu verschenken – man könnte viele Leute glücklich machen. Bliebe nur der Transport?

Auch mit alten Brillen, kann man sehr segensreich wirken – jeder kennt das Phänomen der zu kurzen Arme – es muss also eine Lesebrille her, erst 1, dann 2, dann 3 Dioptrien (mehr werden es in der Regel nicht). Gewöhnlich liegt der Rest dann im Schrank. Man sollte also jedem der nach Gondar fährt (bei meinem zweiten Besuch in Gondar habe ich das übrigens gemacht und ich war erstaunt über die rege Nachfrage), die übrig gebliebenen Brillen mitgeben, sie können sehr nützlich sein, helfen sie doch einer Oma oder einem Opa beim Lesen (es sind ja nicht alles Analphabeten, obwohl es viele gibt, 60% sind des Lesens und Schreibens unkundig).

Mit diesen Gedanken zu einer „echten Hilfe“ zur Selbsthilfe möchte ich den Spaziergang durch die Kaiserstadt Gondar beenden, zwar hat die Stadt noch vieles zu bieten, aber für einen ersten Eindruck mag dies genügen.

 

August 2013

 



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