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Universität Leipzig

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Arbeitseinsätze während des Studiums in Ostberlin

Ein Bericht von Kornelia Mücksch, Schkeuditz

Die Dreieinigkeit von körperlicher Arbeit, gemeinnützig gesellschaftlichem Engagement und theoretischem Lernen war mir als Kind der DDR zutiefst vertraut, denn allerorten gab es aufgrund eines niedrigen technologischen Niveaus einfache Arbeiten zuhauf, die auch von Laien ausgeführt werden konnten und mussten. So war es auch für mich in den 70er Jahren als Studentin eines so überaus theoretischen Faches wie der Philosophie völlig selbstverständlich, dass ich zu Subbotniks („Samstagsarbeit“: aus dem Russischen übernommene freiwillige unbezahlte Arbeitseinsätze, z.B. Schneeschippen oder Aufräumarbeiten) herangezogen wurde und beim Studentensommer (von der Uni organisierte bezahlte mehrtägige Arbeit in der Semesterpause) oder angeordneten Arbeitseinsätzen zum Kennenlernen der Wirtschaft mitmachte. 

Einsätze bei der Kartoffelernte

Die Kartoffelernte war so ein Arbeitsgebiet, bei dem Schüler und Studenten bis in die 70er Jahre massenhaft zum Einsatz kamen. Da beim maschinellen Roden mit der Kombine viel zu viele Kartoffeln im Boden blieben, wurden in der Erntezeit zusätzlich zu den Bauern viele junge Menschen mit noch gesundem Rücken und flinken Beinen gebraucht, um möglichst alle Kartoffeln zu ernten. So rückte ich schon als Kind zum Kartoffellesen aus. Wenn es dann noch pro abgeliefertem Korb Geld gab, war ich trotz der Aussicht auf den vielen Ackerschmutz, durch den wir waten mussten und die unvermeidlichen Schmerzen im Rücken und den Beinen besonders emsig mit dabei.

So hatte ich trotz  einiger Abstriche vor allem gute Erwartungen, als wir Berliner Philosophiestudenten während eines Herbstsemesters Mitte der 70er Jahre auf freiwilliger Basis für eine reichliche Woche zur Kartoffelernte in eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) in Brandenburg eingeladen wurden. Mit der Aussicht auf eine interessante sportliche Abwechslung vom täglichen Studienstress an frischer Luft waren fast alle Kommilitonen mit von der Partie, zumal es auch etwas zu verdienen gab. Und wir wurden nicht enttäuscht. Schon dass wir in einem gemütlichen Lehrlingswohnheim untergebracht und mit einem deftigen Abendbrot begrüßt wurden, hat mich am Ankunftstag begeistert. Nach einem reichlichen Frühstück ging es dann am nächsten Tag zu meiner freudigen Überraschung nicht auf das erwartete Feld zur Schwerstarbeit, sondern in eine Kartoffelsortieranlage. Inzwischen hatte man die Erntemaschinen wohl so weiterentwickelt, dass sie die Kartoffeln nicht nur rodeten, sondern auch gleichzeitig einsammelten. Allerdings sammelten die Maschinen nicht nur Kartoffeln, sondern auch Erdklumpen und Steine und beschädigten zudem viele Kartoffeln. So wurde uns eine Arbeitsmöglichkeit verschafft.

Statt auf  dem Feld befand sich unser Arbeitsplatz  nun in einem großen Schuppen, in dem es ziemlich penetrant nach Fäulnis roch, obwohl überall Türen und Klappen geöffnet werden konnten. Verschiedene Sortierbänder warteten hier ebenerdig und in oberen Etagen auf uns. Während das Band ziemlich schnell an uns vorbeilief, sollten wir alles Untypische nebst fauligen und zerhackten Kartoffeln absammeln - das war unsere Aufgabe. Durch das lange Stehen und die einseitige konzentrierte Bewegung, umwabert von dem fauligen Geruch, wurde man schnell müde und ließ dann schlechte Kartoffeln durchlaufen. So mussten öfters die Bänder abgeschaltet und kurze Pausen zum Frischlufttanken und zur Entlastung des Rückens und der Füße eingelegt werden. Da schönes Wetter war, genoss ich den Sonnenschein bei kleinen Spaziergängen unter den großen Bäumen rund um den Schuppen.

 So fühlte ich mich trotz der anstrengenden Arbeit gut, zumal die LPG – Bauern liebevoll für uns sorgten. Denn gegen 10 Uhr kamen sie bereits mit dem 2. Frühstück angefahren und luden uns zur Siesta an Holztischen und –bänken im Freien ein. So gut wie dort haben mir selten dick mit zünftiger Bauernwurst belegte Butterbrote, runtergespült mit dampfendem Kräutertee, geschmeckt. Gegen 13 Uhr gab es schließlich im LPG – Saal ein gutes, frisch gekochtes Mittagessen. Nach der Mittagspause arbeiteten wir noch einige Stunden, unterbrochen durch eine Kaffeepause mit Kuchen, bis wir unser Soll erfüllt hatten und der wohl verdiente Feierabend anbrach. Die Abende genossen wir in fröhlicher Runde im Lehrlingswohnheim oder bei Spaziergängen in die Umgebung.

Studentensommer beim Bau des Palastes der Republik

Nach Beendigung des 1.Studienjahres nahm ich die Gelegenheit wahr, mir im Rahmen des von der Humboldt Uni organisierten Studentensommers vom 21.7. bis 8.8.1975 auf der Baustelle des Palastes der Republik etwas Geld zu verdienen. Da ich tagtäglich an der schräg gegenüber der Uni gelegenen Baustelle, die weiträumig eingezäunt war, vorbeikam und den Fortgang der Arbeiten beobachtete, fand ich es sehr interessant, das Innenleben eines so spektakulären Bauvorhabens mal aus der Nähe kennenzulernen.

Als ich zum ersten Arbeitstag einrückte, waren die tragenden Wände des Gebäudes schon im Wesentlichen hochgezogen. Nachdem ich mit meinem Passierschein die Pforte durchschritten hatte, suchte ich nach Anweisung des Pförtners zwischen riesigen Bretter-, Stein- und Maschinenstapeln die Furt zur Baubude, bei der wir Studenten uns melden sollten. Dort bekamen wir eine Belehrung darüber, welchem Bauleiter wir zugeordnet waren und dass wir uns strikt an alle Anweisungen und Verbote zu unserer eigenen Sicherheit zu halten hätten. Letztendlich bekamen wir unseren Spind und einen Sicherheitshelm, den wir ständig zu tragen hatten, zugewiesen. Außerdem mussten wir uns grobe Arbeitshandschuhe aussuchen. Nachdem ich mir die mitgebrachten festen Schuhe und meinen dunkelroten Arbeitsoverall angezogen hatte, folgte ich mit den anderen Studenten einem Bauleiter, der uns durch die gesamte Baustelle führte und uns die wichtigsten Bauvorhaben erklärte.

Besonders beeindruckt war ich nicht nur von der schon erkennbaren schönen Architektur des Palastes mit seinen großzügigen Galerien für Cafes und Gaststätten hin zum Spreeufer, sondern auch von der angedachten und teils schon im Rohbau vorhandenen hochmodernen Bühnentechnik, durch die kleine und größere Säle mit Sitzreihen abgeteilt sowie  hoch und runter gefahren werden konnten und man zudem in Bühnensegmenten Wasser- oder Eisbecken nach Belieben aufsteigen, sich drehen oder absenken lassen konnte. Der durch diese Installationen entstandene Irrgarten von Kabelschächten, Leitungen und Gängen, in denen sich die Experten unterschiedlichster Gewerke offensichtlich mühelos zurechtfanden und in dem sie bestens zusammenarbeiteten, rang mir größte Hochachtung ab. So stieg in mir die beklemmende Frage auf, was ich als blutiger Laie hier wohl zum Arbeitserfolg beitragen könnte.

Letztendlich war es dann auch so, dass ich als Mädchen, die man nicht wie die handwerklich erfahrenen Studenten zu einfachen Maurer- oder Sägearbeiten heranziehen konnte, Hilfsarbeiten leisten musste. Meist waren das entweder Aufräumarbeiten direkt im Haus, nachdem  Elektriker oder Monteure eine Installation fertiggestellt hatten, oder Materialumschichtungen und -transporte draußen auf dem weitläufigen Baugelände oder im Haus. Bis zum Schluss des Einsatzes hatte ich Mühe, mich vor allem im Haus in den verschiedenen Ebenen und Gängen, die sich je nach Baufortschritt auch noch veränderten, zu orientieren und nicht zu verirren. Das war vor allem dann fatal, wenn ich beauftragt wurde, in einer Schubkarre, meinem wichtigsten und inzwischen vertrauten Arbeitsmittel, flüssigen Mörtel oder auch Farbe, die schnell abbanden bzw. eintrockneten, ohne Verzug zielsicher an einen bestimmten Ort zu transportieren.

Ich sehe noch heute vor meinem geistigen Auge, wie unten auf der Baustelle meine Schubkarre mit flüssiger weißer Farbe befüllt wurde und ich dann vorsichtig balancierend versuchte, möglichst flott ohne Überschwappen der Brühe auf einem holprigen Bretterpfad bis zum Außenaufzug zu gelangen. Dort endlich mit wenigen Verlusten, die meine Wege zierten, angekommen, musste ich nun die Schubkarre in den engen Aufzug, in den auch Monteure eilig drängten, bugsieren. Auch das gelang mir meist noch einigermaßen. Aber dann ruckte und schwankte der Aufzug, zumal er an jeder Etage anhielt und Bauleute zu- und ausstiegen. Neben kleineren Farbpfützen, die dann auch den Aufzug mittlerweile zur Rutschbahn umfunktioniert hatten, bekam ich bei einer meiner letzten Fahrten beim Anhalten und Aussteigen aus dem Aufzug einen so gewaltigen Schwapp Farbe ab, dass mein ganzer Anzug aussah, als wäre ich selber in den Farbbottich gefallen. Da half mir nur noch, die Farbe, die nicht mit Wasser aus der Wasserspritze für die Mörtelbereitung sofort auswaschbar war, in der Sommersonne trocknen zu lassen und die teils ironischen, teils mitleidigen Bemerkungen der Bauleute bis zum Ende des Arbeitseinsatzes über mich ergehen zu lassen. Die Farbe habe ich auch später nie mehr ganz aus meinem Overall auswaschen können. So blieb sie mir als Souvenir von diesem skurrilen Arbeitseinsatz noch jahrelang erhalten.

Nachdem der Palast der Republik fertiggestellt war, war ich oft in einem der schönen Cafes oder zu Veranstaltungen zu Gast und genoss das einladend kultivierte Ambiente in vollen Zügen. Mit Schmerzen verfolgte ich deshalb nach der Wende das Sterben und das Verschleudern der vielen liebenswürdigen Kleinodien dieses Juwels der Baukunst, an dem nicht nur mein Herzblut hing.

Studenteneinsatz in der Nordmensa

Gemeinsam mit meiner Freundin nahm ich in den ersten Wintersemesterferien das Angebot der Uni an, 2 bis 3 Wochen in der Nordmensa unweit der Charite zu arbeiten. Ich glaubte und hoffte nämlich, dass ich in der Mensa eine „nahrhafte“ Arbeit im Warmen nebst eines guten Verdienstes finden würde.

Aber wie sich schon am ersten Tag herausstellte, war vieles anders als gedacht. Und doch war dieser Einsatz sehr ertragreich, zumindest was die Fülle der neuen Erfahrungen betraf. Die Überraschung begann nämlich schon damit, dass diese Mensa, ein altes, niedriges Gebäude, das kurz vor der Schließung und dem Abriss stand, wie man mir erzählte, direkt an die Berliner Mauer grenzte. Wenn ich zu den Mülltonnen, die verschneit in einem kleinen Hofgeviert standen, mit Bottichen voller Küchenabfälle schlitterte, ragte direkt über mir ein Wachturm auf. So konnte ich die Soldaten sehen, die da oben in der Kälte Wache schoben und auch auf uns herunterschauten. Ich hatte allerdings keinerlei Gefühle von Angst oder Bedrohung angesichts dieser martialischen Wachposten, sondern eher Mitleid mit den sinnlos Frierenden da oben, deren Wachablösung ich sogar zuweilen beobachtete, denn ich hörte nie einen Schuss oder ähnlich Bedrohliches. Ja, ich fühlte mich sogar irgendwie beschützt.

Merkwürdig erschien mir auch die Berufsbekleidung, die uns gleich am ersten Tag verpasst wurde. Obligatorisch war die riesige weiße Plasteschürze, die uns vor jeglichem schmierigen und nassen Schmutz beschützte. Dazu empfahl man uns ein Paar Holzpantinen, die wir nicht nur als rustikale Schlittschuhe im Hof – ich erinnerte mich an die Erzählungen meines Vaters aus seiner Kindheit -, sondern auch als äußerst praktisch für die Arbeit in den Küchenräumen schätzen lernten. Überall standen nämlich in den voll gefliesten Gelassen Wasserlachen, denn hier wurden großzügig mit Druckfontänen aus dem Wasserschlauch nicht nur  Riesenkessel und –pfannen befüllt und auch wieder ausgewaschen, sondern auch die Wände, Fußböden und gewaltigen hölzernen Arbeitsplatten und Öfen von allem Schmutz gereinigt. So hatte man hier das Gefühl, in einem rustikalen Badehaus oder gleich in der Pathologie zu sein, zumal an den Wänden bedrohlich lange Messer und Hackbeile hingen und in einem der gefliesten Nebengelasse auch eine große weiße Badewanne stand.

Zu meinem Entsetzen schwammen in dieser Wanne Unmassen schon geschälter Kartoffeln stundenlang, teilweise sogar über Nacht im Wasser. Recht oft mussten wir vormittags in diesem eiskalten Raum, den man durch das Öffnen der Tür zur Küche etwas zu erwärmen versuchte, Gemüse putzen und auch „Kartoffeln schälen“. Ungläubig konstatierte ich, dass bereits vorgeschälte und geschwefelte Kartoffeln aus großen durchsichtigen Plastesäcken täglich in diese Wasserwanne gekippt wurden, um die hart gewordene Schale der hell gebliebenen Kartoffeln wieder aufzuweichen. Damit das nun Schwammige wegkam und der noch einigermaßen feste Kern in den Kochtopf gelangen konnte, mussten wir dann gemeinsam mit einer älteren Frau die bereits völlig ausgelaugten Kartoffeln noch einmal beschneiden. So wurde mir auch klar, weshalb die Mensakartoffeln weder schmeckten noch sättigten noch appetitlich aussahen, wenn sie als Kartoffelpampe auf dem Teller landeten. Eine solch sinnlose Verschwendung und Zerstörung wertvoller Lebensmittel in einer Universitätsmensa, in der bestimmt auch viele Studenten und vielleicht sogar Lehrpersonal der berühmtesten Berliner Kliniken aßen, hat mich zutiefst verstört.
Aber in der Küche hat niemand, auch nicht der gelernte Koch, nach meiner Kritik etwas geändert. Mit dem Hinweis auf eine Massenküche, in der man auf gesunde Bearbeitung von Lebensmitteln kaum Rücksicht nehmen könne, wurden weiter Gemüse und Kartoffeln großzügig beschnitten und dann in Kesseln totgekocht. Auch die Eier hatten nichts zu lachen, denn die wurden so hart gekocht, dass sie, eilig geschält nach einer Nacht im Kühlschrank, grün und blau aussahen. Wenn sie dann zusammen mit einer Senfsoße aus der Tüte, die nur mit Wasser, billiger Margarine und etwas Nachwürzen zu einem Brei zusammengekocht wurde, neben dem Kartoffelmatsch „serviert“ wurden,  schauten sie den Esser von ihrem Teller aus so erbarmungswürdig an, dass ihm der Appetit gründlich verging. Aber auf Hygiene wurde in der direkten Küche viel gehalten. Wenn wir z. B. die Eier schälten oder in den Pfannen Fleisch wendeten , mussten wir stets eine Kochmütze tragen.     

Unsere wichtigste Aufgabe ab Mittag war es schließlich, die Tische immer sauber zu halten, darauf zu achten, dass Salz- und Pfefferstreuer nicht abhanden kamen und schmutziges Geschirr sofort abgeräumt wurde. Außerdem halfen wir, wenn nötig, den anderen Frauen in den Stoßzeiten, wenn die Hungrigen und Eiligen in Schlangen ungeduldig warteten, bei der Essenausgabe oder beim Abwasch. Da es zu wenig Teller gab, mussten nämlich die in großen Bottichen von Hand abgewaschenen und abgetrockneten Teller gleich wieder ausgereicht werden. So hetzten wir hektisch zwischen dem Essensaal, der Essenausgabe und der Tellerwäscherei hin und her und kamen innerhalb von ein bis zwei Stunden mächtig ins Schwitzen. Zudem erhöhte sich der Stress auch dadurch, dass die Frauen an der Essenausgabe selbst in der größten Eile die Portionen gut kalkulieren mussten, damit auch die letzten Gäste noch ihr Essen bekamen.

So bewunderte ich letztendlich nicht nur das eingespielte Team der Küchenhelfer, sondern auch den Koch, weil er es immer schaffte, für die bestellten 200, 300 oder 400 Kunden punktgenau zu kochen. Er erklärte mir, dass er bei seiner Ausbildung neben den Rezepten für eine Großküche auch gelernt hätte, genau zu berechnen, wie viele Zutaten, aber auch Gewürze er bei einer bestimmten Zahl von Portionen eines Gerichts in seine Kessel und Pfannen schütten musste. Angesichts der Umstände musste ich deshalb anerkennen, dass in einer Großküche wie einer Mensa nach ganz anderen Gesichtspunkten als in meiner kleinen Privatküche gekocht werden musste. Für Kreativität und Experimente hatte die damalige Großküche wohl kaum Freiräume, denn der Koch musste sehr verantwortlich mit den Lebensmitteln umgehen und immer ein sicheres Ergebnis abliefern. Umso tragischer empfand ich die Wasserung der Kartoffeln. Für gesunde Ernährung hatten die damaligen Köche der Mensen in Berlin kein Ohr, kaum Möglichkeiten und wohl auch keine Ausbildung, wie ich auch später immer wieder in meiner Mensa im Hauptgebäude der Humboldt Uni feststellen musste. Aber da es nur sehr wenige Fertigprodukte gab, die man nur erwärmen und kombinieren brauchte, musste fast alles frisch gekocht werden. Das hat uns in der DDR wohl auch manche Allergie erspart und war deshalb trotz allem vielleicht doch noch relativ gesund.

Arbeiten im SECURA – Werk

In der Studienzeit war das Geld immer knapp. Deshalb versuchte ich auch in Berlin, als Lückenfüller durch Schichtarbeit am Wochenende etwas zum Stipendium hinzu zu verdienen. Kommilitonen gaben mir den Tipp, dass Studenten bei den SECURA – Werken, die vor allem Registrierkassen herstellten, immer gern gesehen seien.

Da es noch kein überall verfügbares Telefon zur Voranmeldung gab, meldete ich mich auf Verdacht kurz vor 6 Uhr direkt beim Pförtner und wurde zum Abteilungsleiter geschickt, in dessen Bereich noch Arbeitskräfte gebraucht wurden. Von dort führte man mich durch eine riesige Maschinenhalle an eine Stanzmaschine, an der ich in den folgenden 8 Stunden nichts anderes zu tun hatte, als so schnell wie möglich kleine Metallplatten, die rechts neben der Stanze aufgehäuft lagen, auf den Tisch in eine Vertiefung zu legen und festzuhalten, den pneumatisch verstärkten Stanzhebel mit der rechten Hand runterzuziehen und das gestanzte Teil danach mit der linken Hand links auf einem Stapel wieder abzulegen. Das sah eigentlich ganz einfach aus. Allerdings merkte ich bald, dass es sehr gefährlich war, angesichts der Norm, die man erfüllen sollte, nervös, müde oder unkonzentriert zu werden und etwa die Hände nicht vor der niedersausenden Stanze in Sicherheit zu bringen. So bekam ich bei dieser extrem eintönigen und zugleich anstrengenden Arbeit trotz rustikaler Arbeitshandschuhe auch ein paar Kratzer ab. Außerdem schmerzten bald nicht nur die Augen und Arme, sondern auch der Rücken und die Beine. Als ich diese 8 Stunden hinter mir hatte, wankte ich körperlich und geistig erschöpft aus dem Betrieb und bewunderte all die Menschen, die dieses Martyrium Tag für Tag aushielten.

Trotzdem versuchte ich es einige Zeit später noch einmal, bei den SECURA – Werken zu arbeiten. Diesmal aber ging ich zur Wochenendschicht ab 14 Uhr und sagte gleich dazu, dass ich nicht an die Stanze wolle. So kam ich zu einer Tätigkeit in einem abgetrennten, büroähnlichen Raum, in dem ich kleine Schräubchen, Plättchen und Teilchen, die alle in einer flachen Schüssel durcheinander lagen, in Kästen mit Fächern umsortieren sollte. Neben anderen, meist älteren Frauen mit Brillen auf der Nase an einem großen Tisch sitzend, waren nun gute Augen und flinke, geschickte Finger gefragt. Doch auch hier merkte ich bald, dass ich müde wurde, die vielen Teile vor meinen Augen tanzten und verschwammen und der Rücken anfing, zu schmerzen. Auch hier konnte ich nur mit äußerster Mühe mit den entspannt während der Arbeit plaudernden Profis mithalten. Die Frauen ermunterten mich, dass die Perfektion nur eine Frage der Übung wäre und halfen mir schließlich, meinen Haufen zu sortieren, denn vor lauter unterschiedlichen kleinsten Nuancen, die ich am Ende gar nicht mehr unterscheiden konnte, unterliefen mir immer mehr Fehler. So war ich am Ende der Schicht beschämt und zugleich unglaublich froh, endlich die SECURA – Werke hinter mir lassen zu können und in meinen Studieralltag zurückkehren zu dürfen.

Nach diesem zweiten Desaster eines Arbeitsversuchs mit monotoner Fließbandarbeit gab ich es endgültig auf, jemals wieder in der Produktion arbeiten zu wollen. Gleichzeitig begrüße ich seitdem jeden technologischen Fortschritt, der die Menschen von monotoner, schwerer und nervtötender Arbeit befreit, auch wenn dadurch immer mehr Arbeitsplätze für Laien verschwinden.           

 


Januar 2016

 



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