uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Ungarndeutsche seit 1947/48 in Wiederitzsch / Leipzig

Ein Bericht von Ingeburg Faust, Leipzig

Ja, es war auffallend, daß deutschsprechende Familien in volkstümlicher Tracht in mein Dorf kamen, in kaum bewohnbare Wohnungen einquartiert wurden und den Alltag unter großen Schwierigkeiten meistern mussten. Als junge Neulehrerin bekam ich von der Schulleiterin der Käthe-Kollwitz-Schule - Haushaltsberufsschule - den Auftrag, zum Holzveredlungswerk zu gehen und die dort arbeitenden 14 bis 15- jährigen Mädchen aus Ungarn in ihren Familien aufzusuchen, sie zum Schulbesuch aufzufordern, um auch ihre Deutschkenntnisse zu vervollständigen. Besonders eines der Mädchen, Bärbel Heinrich, äußerte im "Betrieb" den Wunsch die Schule besuchen zu dürfen. Es muß wohl die Leitung des Betriebes die Verbindung zur Schule geäußert haben. Von meinen Hausbesuchen habe ich unter anderem in fester Erinnerung den Besuch bei einer Familie Rausch. In der Stube saßen am runden Tisch die Großmutter, die Mutter und der achtjährige Bruder von Katharina Rausch. Auf dem Tisch lag eine große dicke Bibel. Diese zeigte mir Frau Rausch mit den Eintragungen über Familienereignisse, Geburt und Tod, von Jahrzehnten zuvor.
Von den damals 14jährigen Mädchen leben heute noch zwei, jetzt um die 70 Jahre alte Frauen hier im Ort. Mit ihnen nahm ich Verbindung auf, auch mit Männern gleichen Alters. Erinnerungen wurden geweckt, Ergänzungen kamen hinzu und so schreibe ich nieder, was sich damals bis heute ereignete.

Zwei große Transporte Ungarndeutscher kamen nach Leipzig, im September 1947 und im Mai/Juni 1948. In Viehwaggons wurden jeweils 300-350 Menschen jeden Alters mit wenig Eigentum, zum Beispiel Federbetten und Kleidung, nach hier gebracht. Tagelang waren sie unterwegs, der letzte Transport vom 25. Mai bis 6. Juni 1948. Zu Hause in Ungarn waren sie Bauern und besaßen außer Äckern auch Weingärten. Sie kamen aus dem Bezirk Fünfkirchen - heute Pecs -, nicht weit von der jugoslawischen Grenze entfernt. Hier im Ort konnten Arbeitsfähige vorwiegend im Holzveredlungswerk ihr täglich Brot verdienen. Später fanden Sie auch andere Arbeitsmöglichkeiten und sie konnten sich qualifizieren. So arbeitete Maria Koster als Hortbetreuerin, qualifizierte sich an der Fachschule zur Horterzieherin und legte da ihre Prüfung 1971 ab. Ich wurde gebeten, ihre Abschlussarbeit wegen Rechtschreibe-, eventuell Satzfehlern zu lesen und bekam bei ihr ein unbekanntes, vorzügliches Mittagessen, Sauerkraut mit Fleischklößchen, das ich heute noch nach Rezept gern koche.
Überhaupt sind die Ungarndeutschen kenntnisreich im Gartenbau. Noch heute pflanze ich den von ihnen erhaltenen Knoblauch alljährlich im Garten. Auch das Neuziehen einer Rose ist eine Methode der Aufzucht dieser Blume. Nicht vergessen darf man den Paprika, denn seit dem Dasein der Ungarndeutschen wächst und gedeiht der Paprika in vielen Haus- und Schrebergärten.
Damals unterrichtete ich die Mädchen in einer Klasse und machte sie mit den Sehenswürdigkeiten der Region Leipzig bekannt. So ging ich auch mit ihnen über die Felder zum Gustav-Adolf-Denkmal in Breitenfeld. Sie sprechen heute noch von dem Schulbesuch, und ich werde noch heute als "die Lehrerin" benannt. Bei unseren Gesprächen bekam ich zu hören, daß sie sich hier zu Hause fühlen, aber gern im Urlaub ab und zu nach Ungarn fahren. Sie besuchen dort Verwandte, Freunde und Bekannte, stellen aber mit Bedauern fest, daß viele Weingärten /Weinberge verwildert sind und große Flächen Ackerland brach liegen. Ihnen wurde bestätigt, Ungarn bedauere heute die damalige Ausweisung von ca. 50 Prozent der dort lebenden Deutschen.
Über die Ungarndeutschen gibt es ein Buch, 1995 gedruckt: "Zwischen Donau, Drau und Plattensee" vom Förder- und Kulturverein der ehemaligen Heimatgemeinden. Darin steht unter anderem: "Die Besiedlung Ungarns erfolgte nach der Türkeibesetzung seit Mai 1712 bis ca. 1752 von Kolonisten deutscher Herkunft aus Hessen, der Abtei Fulda, Württemberg und vom Oberrhein." Sie kamen aus katholischen und evangelischen Gemeinden. Zum Teil brachten sie ihre Pfarrer und Lehrer mit. Aufgabe der Volksschule war es, Lesen und Schreiben in der Muttersprache zu lernen und zu beherrschen, dazu die Erziehung zum Christentum. Gemischtsprachunterricht wurde im 20. Jahrhundert festgelegt. Deutsche Gymnasien bestanden im Bezirk Fünfkirchen und in Budapest.

 



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates