uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

4. Dezember 1943 – Bombenangriff auf Leipzig

Ein Bericht von Elke Rau, Leipzig

Ich war im Dezember 1943 fünf Jahre alt und kann mich an nur wenige Ereignisse aus diesen frühen Kindheitstagen erinnern. Eines davon ist der Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943, dem dritten Geburtstag meiner jüngeren Schwester, die mit Mumps im Bett lag.
Meine Mutter hatte noch am späten Abend des Vortages Kuchen gebacken und dann gewartet, bis mein Vater von seinem Dienst - als Musiker erst nach 1 Uhr - nach Hause kam. So waren sie gegen 4 Uhr, als der Fliegeralarm einsetzte, im ersten, festen Schlaf und hatten ihn überhört. Ich war die erste, die erwachte, und sah entsetzt, wie schon die brennenden Gardinen durch die geborstenen Fensterscheiben ins Schlafzimmer wedelten. Meine Eltern konnten uns nur noch eiligst in je eine Decke wickeln und mit uns auf dem Arm die 4 Etagen in den Luftschutzkeller hinunterrennen, wo die Tür schon verschlossen war. Auf unser lautes, panisches Klopfen ließ uns der Luftschutzwart unter Schimpfen wegen der Verspätung ein und war sehr ungehalten, als meine Eltern darum baten, noch einmal hinauf in die Wohnung zu wollen. Wir hatten ja alle vier nur Nachtwäsche auf dem Leib und auch der sorgsam gepackte Luftschutzkoffer stand in der 4. Etage. Das waren ewig lange 20 Minuten bis unsere Eltern wieder vor uns standen! Dass sie durch ihr Hinaufgehen das Haus gerettet haben, konnten wir im Keller nicht wissen. Gemeinsam mit einigen Hausbewohnern konnten sie gerade eingeschlagene Brandbomben löschen.
Kurz nach ihrer Wiederkehr krachte es über uns ganz fürchterlich und wir alle glaubten, unser Haus hätte einen Volltreffer bekommen. Aber es war „nur“ das Nebenhaus. Nach kurzer Zeit wurde von nebenan die Brandmauer durchbrochen und die Bewohner des Nebenhauses kletterten zu uns herüber. Sie waren alle ganz verstört, besonders eine junge Frau mit einem Baby im Kopfkissen auf dem Arm, weinte bitterlich.
Bei diesem Anblick hatte ich zwei ganz starke Gefühle, wie ich mich heute erinnern kann: ein großes Mitleid mit den Nebenhausbewohnern und gleichzeitig eine unendliche Geborgenheit im Arm meiner Mutter, die wie eine Glucke ihre beiden Kinder umfangen hielt, als könne uns dadurch das Geschick der Nachbarn nicht ereilen.
Am Morgen verließen wir den Keller und suchten die nahegelegene Wohnung meiner Großeltern auf. Auf dem Weg dorthin verbanden mir meine Eltern die Augen, um mir den schrecklichen Anblick der rauchenden Trümmer ringsum zu ersparen. So habe ich bis heute nur den furchtbaren Brandgeruch als Erinnerung an diesen Weg in der Nase.
Meine Schwester hat in dieser Nacht wie durch ein Wunder ihren Mumps verloren und ich konnte nicht verstehen, dass wir die schöne Geburtstagstorte einfach hatten stehen lassen.
Unsere zerstörte Wohnung machte eine Rückkehr in sie unmöglich und so evakuierten wir 3 Tage später ins Erzgebirge weitab vom Bombengeschehen, wo wir bis Kriegsende blieben.
Heute habe ich eine grenzenlose Bewunderung für eine Kriegs-Eltern-Generation, die ihren Kindern trotz eigener Ängste und Nöte durch ihre Anwesenheit das Gefühl des Behütetsein vermittelten und damit die Grundlage für ein Urvertrauen ins Leben legten. So ist in einer so schrecklichen Nacht bei mir der Samen für eine starke Frucht gelegt worden.
---------------

Zur Erklärung von Begriffen
Luftschutzkeller wurden im Krieg in allen Wohnhäusern eingerichtet. Es waren normale Keller deren Wände und Decken man verstärkte um den Hausbewohnern Schutz zu bieten, z.B. Einbau zusätzlicher Wände, Pfeiler damit die Decke beim Einsturz des Hauses hielt, Stahltüren usw.
Luftschutzwart war meistens, soweit vorhanden, ein Mann (es gab im Krieg nur noch wenige Männer die zu Hause und nicht an der Front waren). Der Luftschutzwart hatte für Ordnung zu sorgen und im Ernstfall Entscheidungen zu treffen.
Luftschutzkoffer wurde der Koffer genannt, indem das Wichtigste der Familie zusammengefasst wurde wie z.B. alle Dokumente, Wertsachen, Medikamente, wichtige Kleidungsstücke. Er wurde bei Luftangriffen immer mit in den Luftschutzkeller genommen. Erhielt das Haus einen Treffer und alles ging verloren, so hatte man wenigstens das Wichtigste gerettet.



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates