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Universität Leipzig

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Telefongeschichten

Ein Bericht von Dr. Gerlinde Fellmann, Leipzig

Als mein Enkel zu seinem 14. Geburtstag das lang ersehnte Handy bekam, überlegte ich mir, dass man der heutigen Generation einmal erzählen müsste, wie das Telefonieren früher ablief. Man kann sich selbst nicht mehr vorstellen, wie es quasi ohne die selbstverständlich gewordene Verständigungsmöglichkeit ging und welche Probleme dabei auftraten.

In den 50iger Jahren, als ich so alt war wie mein Enkel, gab es nur wenige Telefonanschlüsse. Das war eine Folge des 2. Weltkrieges, in dem viele Versorgungs-leitungen, so auch das Telefonnetz, zerstört wurden. Anfang der 60iger Jahre erhielten die ersten privaten Antragsteller ein Telefon. Der Antrag musste eine dringende dienstliche Befürwortung beinhalten, sonst wurde er abgelehnt. Wenn ich mir überlege, dass diese Verfahrensweise bis zum Ende der DDR so blieb, dann bin ich heute noch erschüttert.

Da ich als Studentin nicht mehr zu Hause lebte, ergab sich doch hin und wieder die Notwendigkeit der fernmündlichen Kontaktaufnahme mit meinen Eltern, die ein privates Telefon besaßen. Aber so einfach ging das nicht. Da es sich um ein Ferngespräch handelte und der Selbstwählverkehr noch nicht eingeführt war, musste ich auf die Post gehen. Das war mit mehr oder weniger langen Wartezeiten verbunden, da die Vermittlung von Ferngesprächen im Fernamt von Telefonistinnen per Hand mit teilweise veralteter Technik erfolgte. Außerhalb der Öffnungszeiten der Post durfte ich kein Anliegen haben, da ich keinen privaten Anschluss nutzen konnte.

Der Aufbau des Selbstwählverkehrs begann dann schrittweise in einzelne Zonen. So konnte ich in den 60iger Jahren ganz einfach tagsüber mit meinem Vater von Leipzig nach Berlin telefonieren, da er in Berlin arbeitete. Mit meiner Mutter gab es fast keinen telefonischen Kontakt, da diese Fernsprechzone noch nicht im Selbstwählverkehr erreichbar war.

Langsam erweiterte sich der Selbstwählverkehr, so dass am Ende der DDR sogar in das sozialistische Ausland selbst gewählt werden konnte, aber eine Direktanwahl nach West-Deutschland oder West-Berlin gab es da immer noch nicht. Diese Verbindungen gingen nur über das Fernamt und dauerten meist viele Stunden. Wenn man abends - es ging nur abends oder am Wochenende, da ein Telefonat vom Betrieb aus in die BRD verboten war- ein Gespräch anmeldete, hatte man Glück, wenn es vor dem Zubettgehen zustande gekommen war. Diese Verfahrensweise führte auch dazu, dass mehr nachbarschaftliche Kontakte entstanden. Die Nicht-Telefonbesitzer gingen zu Nachbarn und erledigten dort ihre Telefonate, denn über die Poststellen konnte man das rein zeitmäßig nicht abwickeln.
Auch für die doppelte Gebühr gab es keine Garantie einer schnellen Verbindung, die hatte man nur bei der Anmeldung als Blitzgespräch für die 10-fache Gebühr.
Aus der BRD konnte man per Selbstwählverkehr in die DDR telefonieren. Dort gab es den Selbstwählverkehr flächendeckend seit 1972.

Der Zustand der wenigen öffentlichen Telefonzellen, an denen sich nicht selten auch Warteschlangen bildeten, war katastrophal. Sie waren oft defekt. Ich erinnere mich noch sehr, welche Aufstände ich machen musste, wenn ich morgens im Betrieb anrufen musste, weil ich wegen der Erkrankung eines meiner Kinder nicht zur Arbeit kommen konnte. Wenn dann noch in der nächsten Telefonzelle das Geld immer durchfiel ...
Da nützte es einem auch nichts, dass die Telefongespräche im Ortsnetz unabhängig von der Dauer sehr billig waren, nämlich 20 Pfennig. Manchmal bekam man trotz nicht zustande gekommener Verbindung auch mehr Geld heraus als man hinein gesteckt hatte.
Es konnte aber auch sein, dass nichts wieder erschien oder das nach einem Telefonat das Geld wieder da war.
In Betrieben und Einrichtungen mit mehreren Apparaten musste man immer über die Telefonzentrale gehen. Bei der Einwahl musste man sich verbinden lassen und wenn man nach außerhalb telefonieren wollte, musste man sich in der Anfangszeit sogar erst ein Amt geben lassen oder man konnte nur über einen sogenannten Nullapparat (Apparat mit Amtsanschluss) beim Leiter telefonieren.

Später, Mitte der 70ger Jahre, erhielten wir endlich ein privates Telefon, aber keins in der Standardfarbe schwarz, sondern ein rotes. Das "Kremltelefon" wollte allerdings wegen seiner Farbe nicht so recht in unsere Wohnungseinrichtung passen, aber die Wahl hatten wir nicht und telefonieren konnte man schließlich auch mit einem roten. Wir konnten es kaum fassen und waren glücklich. Das ging deshalb so schnell, weil wir in ein Neubaugebiet mit neu geschaffenen Telefonanschlüssen gezogen waren und ich einen dienstlichen Dringlichkeitsantrag vorweisen konnte. Aber so schön wie dieser Komfort auch war, so gab es doch einen Haken bei der Sache: Es handelte sich um einen Doppelanschluss. Es gab also einen zweiten Anschluss im Haus mit einer separaten Nummer über dieselbe Leitung, so dass bei uns besetzt war, wenn der andere Teilnehmer sprach und umgekehrt. Das war natürlich manchmal sehr nervig. Aber noch mehr entsetzt waren wir, als wir merkten, dass man die Gespräche anderer Telefonteilnehmer aus unserem Haus mithören konnte, da die Verbindungsleitungen mangelhaft isoliert waren. Damit war unsere Identifizierung möglich und die Inhalte unserer Telefonate waren nun offene Geheimnisse. Kein schöner Gedanke.

Es gab noch eine andere Art von Anschlüssen: den Zeitgemeinschaftsanschluss. Dabei wurde abends eine Leitung genutzt, die an Werktagen tagsüber für einen Betrieb oder eine Einrichtung bestand.

Damit komme ich noch zur Qualität der Telefonverbindungen. Oft war die Verbindung gestört oder sehr leise bis unverständlich. Man musste meist sehr laut reden, was gerade bei dienstlichen Telefonaten sehr zur Störung anderer Kollegen führte. Manchmal musste man auch die Kollegen um absolute Ruhe bitten, um etwas zu verstehen. Hinzu kam, dass Gespräche plötzlich unterbrochen waren. Dann durfte man die Wählscheibe noch ein oder mehrmals drehen. Das Tastentelefon, obwohl es bereits 1955 entwickelt wurde, stand uns nicht zur Verfügung und die Wahlwiederholung gab es noch nicht. Bei vielen Telefonaten taten einem dann doch schon die Finger erheblich weh, abgesehen vom Zeitaufwand. Oft waren die Leitungen wegen Überlastung besetzt. Was haben wir dann für Anstrengungen unternommen, um endlich eine Verbindung zu bekommen, und dann brach sie auch noch manchmal zusammen. Man konnte auch mitten in einem anderen Telefonat landen und vielleicht als Dritter an dem Gespräch teilnehmen. Oder man hatte selbst noch einen anderen stillen Mithörer. Manchmal erkannte man das an einem plötzlichen Knacken. Dass abgehört wurde, wussten wir. Wir stellten uns darauf ein.
Bei den relativ häufigen Defekten musste man eine erhebliche Wartezeit auf die Reparatur in kauf nehmen.
Ich hatte einmal Glück, da der Defekt im Wochenendbereitschaftsdienst, den man zu Hause ableistete, auftrat. Es kam deshalb sofort jemand. Ob dabei auch gleich eine "Wanze" für das MfS eingebaut wurde, ist uns nicht bekannt geworden.

Erst nach der Wende lernten wir einen einwandfreien Telefonverkehr kennen und jetzt galt auch für uns der Slogan "Ruf doch mal an", der bis dahin nur in der BRD üblich war, statt der Aufforderung "Fasse dich kurz" in den Telefonzellen der DDR
Manch einer konnte es kaum fassen, dass er jetzt auch ein Telefon zu Hause haben konnte. Welche Erleichterung war das!!! Dabei ist ganz zu schweigen von den technischen Fortschritten an den Apparaten.
Und dann kamen auch noch die Handys Ende der 90iger Jahr auf den Markt. Was für ein Luxus, obwohl auch wir Älteren den Umgang mit dem Handy erst mehr oder weniger erfolgreich lernen mussten.

Vielleicht liest mein Enkel diese Zeilen einmal. Er wird es kaum für möglich halten. Wie selbstverständlich ist für die meisten, insbesondere die Jugend, die jetzige Situation mit den schier unendlichen Möglichkeiten - wenn man Geld hat.



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