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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Der Einmarsch der Warschauer-Vertrags-Staaten in die CSSR 1968
und die Folgen für die eigene Arbeit

Ein Bericht von Dr. Klaus-Dieter Schmidt, Leipzig

1968 arbeitete ich intensiv an meiner Doktorarbeit auf dem Gebiet der Kernphysik, ich begann mit den Experimenten an unserem Van-de-Graaff-Beschleuniger an der Uni in Leipzig.

Parallel zu den Experimenten liefen in Dresden am Rechenzentrum der TH auf der „Elliot“, einem der wenigen Importrechner der DDR, die Berechnungen für die Diplomarbeit unseres Spitzenstudenten Ralf D., die auch Bestandteil meiner Arbeit sein sollten. Ralf bearbeitete den theoretischen Teil, der meine experimentellen Ergebnisse erklären sollte.

Der Rechner „Elliot“ war einer der modernsten und schnellsten, über die die DDR damals verfügte. Die Berechnung der Winkelverteilung und der Winkelkorrelation dauerte für eine Einschußenergie der Deuteriumkerne für verschiedene Parameter mehr als 8 Stunden. Wenn ich daran denke, daß mein PC, auf dem ich diese Erinnerungen schreibe, ca. 1000 Mal schneller ist, dann hat man einen Begriff von der Weiterentwicklung der Technik. Dabei füllte die Elli, wie sie liebevoll genannt wurde, mit Peripherie einen Raum von 150 m², mein PC füllt mit Peripherie gerade mal meinen Schreibtisch und einen Beistelltisch. W a h n s i n n der technischen Entwicklung!

Bei alledem war es schließlich Spätsommer geworden. Ralf hatte seine Diplomarbeit vorzeitig abgeschlossen, und so haben wir unsere Rechnungen und Ergebnisse, die das Ergebnis seiner Diplomarbeit waren, schließlich zur Veröffentlichung eingereicht. Auf Vorschlag unserer Chefs haben wir die Veröffentlichung in die für Kernphysiker maßgebende Zeitschrift „Nuclear Physics“ an die North Holland Publishing Company gesandt.

Dann kam die ČSSR-Krise.

Die Russen marschierten in die ČSSR ein, ein bißchen Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus war hinüber. Die Volksarmee der DDR lag im Erzgebirge in Bereitschaft, jederzeit in der Lage, ebenfalls einzumarschieren. Wir hörten ewig nichts von unserer Veröffentlichung. Eines Tages wurde sie zurückgeschickt. Als Begründung wurde angegeben, daß bei den sog. DWBA-Rechnungen vielleicht doch eine sog. Parametrisierung passiert sei, nach dem Motto, mit beliebig vielen Parametern bekommt man alles hin.

Wir schlugen das Manuskript auf, und siehe da, es enthielt bereits die Satzanweisungen.

Später erfuhren wir, daß der Verlag nicht nur unsere Veröffentlichung zurückgeschickt hatte, sondern alle Veröffentlichungen von Wissenschaftlern der Länder, die an der ČSSR-Krise beteiligt waren. Was konnten wir für die Politik der SU und unserer Regierung.

Das war eben der kalte Krieg.

Wir haben den Artikel dann in der Hungaria Physica Acta in dem Festheft für Prof. Szalay, einem ungarischen Physiker in Debrecen, 60. Geburtstag veröffentlicht. Ich hatte Prof. Szalay 1966 auf einer Tagung im Kernforschungszentrum in Dubna bei Moskau kennen gelernt. Für die Veröffentlichung haben wir dann auch noch ein Dankschreiben von Prof. Szalay erhalten.



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