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Reiseleiter des Reisebüros der DDR und was dazu gehörte

Ein Bericht von Dr. Rolf Beyer, Leipzig

In meinem Beitrag „Möglichkeiten für Urlaubsreisen der DDR-Bürger ins Ausland“ hatte ich bereits berichtet,  dass das Reisebüro der DDR viele Reiseleiter für Reisen in das sozialistische Ausland benötigte, die nebenberuflich tätig waren. Diese betreuten jeweils Touristengruppen bis 40 Personen. Ich hatte das Glück einer von diesen zu sein. Erforderlich war, dass ich jeweils für die Zeit einer Reise in meinem Betrieb Urlaub nahm. Für mich war die Reise kostenlos, meine Frau musste, wenn sie mitfuhr, den vollen Preis bezahlen.

Für den Reiseleitereinsatz konnte man jährlich seinen „Wunschzettel“ abgeben (Anzahl der Reisen, Reiseziele, Reisezeiten, allein oder mit Frau). Ich selbst nannte jedes Mal neue Reiseziele, um möglichst viel kennen zu lernen. Seitens des Reisebüro war man bemüht, den Wünschen zu entsprechen, was in der Mehrzahl der Fälle auch gelang. Jedoch gab es Reiseziele, die immer wieder von sehr vielen Touristen gewünscht wurden, so dass man dort nicht nur einmal war. Natürlich kam es auch vor, dass das Telefon klingelte und die Frage kam, es ist jemand erkrankt, können sie kurzfristig die und die Reise zusätzlich übernehmen. 


Zur Weiterbildung der Reiseleiter

Am Anfang jeden Jahres kamen alle Reiseleiter aus dem Bezirk Leipzig (analog in den anderen Bezirken) zu einer Weiterbildung von etwa 2 Stunden zusammen. Diese begann mit einem Vortrag über Neuigkeiten in den Reiseländern, die zu beachten sind (z.B. gesetzliche Regelungen), Änderungen in den Verträgen mit den Reisebüros anderer Länder, Veränderungen bei Flug und Bahn in den Urlaubsgebieten usw.

Dann folgte eine Auswertung der Reiseleitereinsätze im vergangenen Jahr. Dort ging es um die Übermittlung guter und schlechter Erfahrungen, und was künftig verbessert werden muss. Zum Schluss konnten die Anwesenden noch Fragen stellen.


Meine persönliche Vorbereitung

Die persönliche Vorbereitung hatte große Bedeutung, da man als Reiseleiter bestrebt war, alle Möglichkeiten zu nutzen, damit der Urlaub für die Touristen so angenehm wie möglich wurde. Und waren die Touristen zufrieden, ging es auch dem Reiseleiter gut.

Da mich schon immer sehr interessierte, was sich in der Welt tat, entwickelte sich bei mir als Reiseleiter eine spezielle persönliche Neugier hinsichtlich der Reiseländer. So verfolgte ich ständig die Presse und schnitt alle interessanten Artikel aus. So entstand ein kleines  Archiv. Hinzu kamen Landkarten, Bücher und aktuelle Materialien, die ich mir bei den Reisebüros der Partnerreiseländer besorgte.  

Da meist sehr zeitig bekannt war, wann man wohin reist - man musste ja im Betrieb den Urlaub einreichen – war genügend Zeit um sich mit dem Reiseziel vertraut zu machen.

Ausgangspunkt der Vorbereitung waren die Fragen, die Touristen erfahrungsgemäß immer wieder stellten. Das waren vor allem:

  • Größe des Landes, Einwohnerzahl, Sehenswürdigkeiten, Tourismusgebiete usw.
  • Geschichtliche Ereignisse
  • Wichtige Wirtschaftszweige
  • Was verdient der Durchschnittsbürger
  • Was kosten die wichtigsten Waren
  • Wie ist der Lebensstandard im Vergleich zu dem in der DDR.

Wie ich immer wieder feststellte, gab es bei den Fragen der Touristen große Unterschiede. So hatten sich einige sehr gründlich auf die Reise vorbereitet und stellte nur noch Fragen zu Details. Andere gingen davon aus, dass sie unterwegs das Wichtigste schon erfahren würden.


Einweisung vor einer Reise durch das Reisebüro 

Die unmittelbare Vorbereitung einer Reise erfolgte am Vortag des Reisebeginns. Hierzu erhielt man eine Einladung zu einer Einweisung in die Generaldirektion des Reisebüros in Berlin mit genauer Zeitangabe. Diese war für beide Seiten verbindlich, da sich dort die  Reiseleiter aus der gesamten DDR „die Klinke in die Hand gaben“.

Bei der Einweisung bekam man alle Unterlagen die benötigt wurden, um mit allen Touristen alle Grenzen passieren zu können. Hinzu kamen die Tickets für die Flüge sowie die Voucher (Gutscheine). Mit diesen wurden die Hotels, das Essen usw. bezahlt. Dann konnte man in die Verträge, die mit den Touristen abgeschlossen worden waren, einsehen. So bekam man eine Übersicht, aus welchen Gegenden die Touristen anreisten und wer zusammengehört. Hierzu konnte man sich Notizen machen. Zum Schluss erhielt man noch - wenn erforderlich -  die aktuellsten Informationen über Neuigkeiten im Reiseland, Hinweise auf Veränderungen im Flugverkehr usw.

Einen Zeitverzug – den man am Vortag der Reise gar nicht gern hatte - gab es, wenn im letzten Moment noch ein Reisender abgesagt hatte oder ein neuer hinzu gekommen war. Dann mussten die Visa-Unterlagen neu ausgefertigt und nochmals von der amtlichen Stelle des Reiselandes, die es nur in Berlin gab, „abgesegnet“ werden. Hinzu kamen die Veränderungen bei den Flugscheinen, Voucher usw.


Zu den Touristen

Wie mir Touristen erzählten, war es gar nicht so einfach an ganz bestimmte Reisen heranzukommen. Wer eine solche haben wollte, musste sich am Tag, an dem der Verkauf dieser Reise begann, viele Stunden vorher bei einer Filiale des Reisebüros anstellen.

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Um Schlangen vor den Filialen zu vermeiden, wurden später Anmeldeformulare ausgegeben, auf denen man seine Wünsche eintrug. Bei nicht so gefragten Reisen  musste das Reisebüro allerdings werben. 

Die Mehrzahl der Touristen des  Reisebüros waren altersmäßig meist über die Vierzig. Das hing vor allem mit den Interessen der Menschen zusammen. Jüngere buchten Jugendtourist, da das dortige Programm besser ihren Wünschen entsprach. Die Familien mit Kindern bevorzugten Urlaubsziele in der DDR. Diese waren billiger und verfügten meist auch über  Bedingungen, die den Interessen des Nachwuchses besser entsprachen.

Da es in den Reisegruppen des Reisebüros öfter auch einmal ältere Touristen gab, die zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flieger saßen oder im Ausland Urlaub machten und für die alles völlig neu war, habe ich mich auf diese speziell eingestellt. Sie hatten das Bedürfnis, oft Fragen zu stellen und sich auch „anzulehnen“. Deshalb versuchte ich immer im Hotel in der gleichen Etage ein Zimmer zu erhalten, in der auch die „Neuen“ übernachteten. Sie fühlten sich schon geborgen, wenn sie mich öfter einmal sahen und die Möglichkeit der Kontaktaufnahme bestand.

Für die „alten Hasen“ war das jedoch völlig uninteressant. Sie erwarteten klare Aussagen über Essenszeiten, Busabfahrten usw. Dann gestalteten sie sich alles selbst.  

Erlebt habe ich einmal, wie mich ein Tourist mit politischen Bemerkungen testen wollte. Als ich seine Worte überhörte, hatte er keinen Spaß mehr daran und es ging wieder um Urlaub.

Bei den Touristen hatte sich eine Tradition herausgebildet, die in den Gastländern gut ankam. Viele brachten kleine Geschenke für die Dolmetscherin, den Busfahrer oder die Zimmerfrauen mit. Auch Süßigkeiten für Kinder – vor allem Kaugummi – gehörten „zur Ausrüstung“.

Von Zeit zu Zeit ergab es sich, dass in einem Speiseraum gleichzeitig Reisegruppen aus Westdeutschland und der DDR ihr Essen einnahmen. Dabei war festzustellen, dass man sich zwar freundlich grüßte, es erstaunlicherweise aber nie längere Gespräche gab. Jeder machte seins. Was unsere Touristen aber ärgerte war, wenn sie merkten, dass die Westdeutschen von Kellnern – in der Hoffnung auf Trinkgelder in Westmark – schneller bedient wurden. 

An Politik hatte im Urlaub zwar niemand Interesse, jedoch wurde man im Gastland mit diesem Thema manchmal überraschend konfrontiert. Auf Beispiele hierzu wird in dem Bericht „Einige Erlebnisse als Reiseleiter des Reisebüros der DDR“ eingegangen. 


Programmablauf

Hier gab es nie größere Probleme. Ob beim Baden oder bei einem Ausflug, ob beim Besuch eines Museums oder Theaters, bei einer Weinverkostung oder bei Sehenswürdigkeiten, alles lief immer wie geplant ab. Der Grund dafür war, dass es sich um Programme handelte, die ständig den Reisegruppen der verschiedenen Länder geboten wurden und diese so vielfach erprobt waren. Erlebt habe ich einmal, dass ein Bus wegen einer Panne ausfiel. Das kann aber passieren. Hier erhielten wir schnell Ersatz.

Nach der Reise

Jede Reise musste der Reiseleiter, also auch ich, hinterher schriftlich abrechnen. Das begann mit den Leistungen der Vertragspartner und einer Einschätzung der gebrachten Qualität. Dann mussten noch besondere Vorfälle aufgeführt werden. Hier war eine klare Aussage gefragt, die bei Beschwerden von Reisenden, verbunden mit Geldrückforderungen, bedeutsam waren.

Ich selbst habe nur einmal erlebt, dass ein Tourist während einer Reise auf die „Barrikade“ ging. Wir waren in der rumänischen Hauptstadt Bukarest in einem Hotel beim Frühstück. Plötzlich begann ein Tourist so laut den Kellner zu beschimpfen, dass im Raum schlagartig peinliche Ruhe eintrat. Er sagte diesem, dass er zu Hause immer frische,  knusprige Brötchen isst. Die er hier bekommt sind so „pappig weich“, dass sie keinem Gast zuzumuten sind. Er kann das beurteilen, da er aus der Gastronomie kommt. Und wenn er nicht richtig frühstücken kann, ist der ganze Tag verdorben, ihm geht also ein ganzer Urlaubstag verloren.

Der lautstarke Tourist versuchte dann noch andere Reisende so zu beeinflussen, dass sie ihm recht gaben, hatte damit aber keinen Erfolg. Ich bemühte mich um einen Ausgleich und konnte nach einiger Zeit die Urlaubsstimmung wieder herstellen. Der Kritiker der Brötchen musste sich in den nächsten Tagen aber bei jedem Frühstück von einigen Witzbolden immer wieder „knusprige“ Sprüche anhören. Ob er sich beim Reisebüro beschwert hat um Geld zurückzufordern, habe ich nie erfahren



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