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Universität Leipzig

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Libanon in den Jahren 1973/1974

Ein Bericht von Claus Engels, Leipzig

Ich möchte dieser Zeitreise einen Chortext aus „ANASHID“ des libanesischen Komponisten Zad Moultaka voranstellen, weil in diesem Werk das Spannungsfeld zwischen europäischer Klassik und der typischen arabischen Realität des Libanon der siebziger Jahre sehr eindrucksvoll dargestellt wird. Der Komponist hat den Bruderkrieg im brennenden Stadtviertel an der Grünen Linie zwischen den arabischen und christlichen Stadtteilen von Beirut in der Zeit von 1974 -1984, als die Stalinorgeln und Uzis auf das Herz der zerstörten Stadt zielten, selbst miterlebt. Deshalb wurde diese Komposition auch auf dem Internationalen Festival von Baalbeck im Juli 2000 im Tempel des Jupiter aufgeführt.

Komm doch mit mir,
meine Braut, vom Libanon,
weg vom Libanon komm du mit mir!
Weg vom Gipfel des Amana, von den Höhen des Senir und Hermon;
Weg von den Lagern der Löwen, den Bergen der Leoparden.
Verzaubert hast Du mich,
meine Schwester Braut;
ja verzaubert mit einem deiner Augen,
mit einer Perle deiner Halskette.
Wie schön ist deine Liebe,
meine Schwester Braut;
wie viel süßer ist deine Liebe als Wein,
der Duft deiner Salben
köstlicher als alle Balsamdüfte.
Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig;
Milch und Honig ist unter deiner Zunge.
Der Duft deiner Kleider ist wie des Libanon Duft.

Auch ich war wie der Bräutigam in diesem Hymnus dem einmaligen Charme aus der Mischung zwischen französischem Kolonialismus und der ursprünglichen arabischen Kultur der Stadt Beirut und des Libanon als Schweiz des Nahen Ostens erlegen, als ich in den Jahren 1973 – 1975 beruflich im Nahen und Mittleren Osten unterwegs war.

Meine Geschäftstätigkeit in Beirut

IsraelAls Exportleiter einer westdeutschen Modefirma war ich zuständig für den Verkauf der Kollektionen in dieser Weltgegend. Da der Absatz für die gesamte Region über einen zentralen Agenten in Beirut abgewickelt wurde, der von dort aus die Ware in angrenzende Länder wie Syrien oder die Vereinigten Arabischen Emirate weiter verkaufte, war ich vor allem in Beirut beschäftigt.

Die Stadt Beirut war sowohl als Hafen als auch als Finanzplatz für die gesamte Region
maßgeblich. Alle finanztechnischen Transaktionen liefen über arabische Banken entweder in Beirut oder via London über die Barclay`s Bank. Als Exportmanager für den Nahen und Mittleren Osten hatte ich insbesondere die Restriktionen der Black List in der Logistik zu beachten. Infolge des 6-Tage-Krieges von Israel gegen die arabischen Nachbarländer 1967 beschloss die Liga der arabischen Staaten eine Black List, also eine Boykotterklärung besonders in der Logistik, die sich gegen Israel richtete. Dies bedeutete für mich als
Exportmanager, dass ich sicherstellen musste, dass bei der Verschiffung unserer Ware nach Beirut der Frachter auf seinem Weg von Hamburg oder Bremen aus keinen Zwischenstopp in einem israelischen Hafen machte. Wäre ein Verstoß dagegen aus den Frachtpapieren ersichtlich gewesen, wäre die Ware zwar in Beirut angekommen, aber nicht mit einem Akkreditiv ausgelöst, also nicht bezahlt worden.

Die intensiven Geschäftsbeziehungen mit dem zentralen Agenten machten es erforderlich, dass ich erstmals im November 1973 mit der MEA ( Middle East Airlines) von Frankfurt nach Beirut flog. In Beirut war ich in einem Hotel in einem  christlichen Viertel untergebracht. Meine dienstlichen Besprechungen mit unserem Agenten führte ich in der Lobby oder dem Restaurant des Hotels durch. Hier herrschte eine eigenartig diffuse Stimmung. Ich fühlte mich ständig beobachtet und belauscht, denn ich wusste, dass viele Araber libanesischer Herkunft oftmals in Deutschland studiert hatten und so auch die deutsche Sprache verstanden. Unser Agent gehörte zu diesem Kreis. Er verstand sowohl Deutsch und neben Arabisch natürlich auch Englisch, während ich kein Wort Arabisch verstand und so auch nicht wusste, was um mich herum gesprochen wurde.

Da wir ja nun westliche Mode in arabische Länder exportierten, gehörte diese Art von Geschäften nicht unbedingt zur Headline arabischer Hisbollah Milizen, denn diesen Gotteskriegern war jeglicher westlicher Einfluss verhasst. Es war auch zu bedenken, dass Vertreter der Hisbollah in der libanesischen Regierung saßen, Ministerämter innehatten und deshalb mächtig waren. So fühlte nicht nur ich mich mit meiner westlichen Geschäftstätigkeit in der Öffentlichkeit unwohl, sondern auch der Agent, der mit mir verhandelte und außerdem noch Christ war. Während wir an der Bar saßen, beobachtete ich aber auch etliche Araber, die entgegen ihren religiösen Vorschriften lässig Whisky tranken und Zigaretten rauchten, also einen französischen Lebensstil pflegten und möglicherweise meine bzw. die Kunden meines Agenten waren. Bekanntlich hatten viele reiche Araber aus den Emiraten und Saudi Arabien in Beirut ihren Zweitwohnsitz, da die Lebenskultur im Libanon im Allgemeinen liberaler war als in ihren Heimatländern. Indem ich also als ausländischer Geschäftsmann das Treiben im Hotel um mich herum beobachtete, spürte ich bereits einen Vorgeschmack auf den beginnenden Bürgerkrieg.

Palästinenserlager in Beirut

In zahlreichen Gesprächen über die Gefahr eines bevorstehenden Bürgerkrieges hat mein Agent mir nahe gelegt, ohne ihn ein palästinensisches Flüchtlingslager zu besuchen, um mir ein eigenes Bild von der explosiven Lage zu machen. Ich befolgte seinen Rat und bekam so einen ersten Eindruck von der politischen Zerrissenheit des Landes.

In diesem Lager vegetierten seit 1948 Tausende von Palästinensern unter teilweise erbärmlichen Zuständen. Entlang enger ungepflasterter Gassen zogen sich dicht an dicht gedrängt Baracken aus Holz oder Lehmziegeln hin, in denen auf engstem Raum unglaublich viele Menschen konzentriert waren. Es gab kaum Wasserstellen und wahrscheinlich überhaupt keine Hygieneeinrichtungen. Etwas Ähnliches habe ich später nur noch in den Elendsvierteln von Tondo in Manila gesehen.

Diese Palästinenser sind bei der Staatsgründung Israels vertrieben und in Lagern in Beirut kaserniert worden. Da diesen Menschen nie wieder das Recht auf eine Heimat zugebilligt wurde, sind hier die Wurzeln des berechtigten Hasses gegen die israelische Politik zu suchen. So wurden diese Lager auch zu willkommenen Rekrutierungsstätten für die radikalen Hisbollah Milizen. Diese Milizen werden finanziell, materiell und politisch von Syrien unterstützt. Syrien wiederum ist ein politischer Weggefährte des Iran. Nun ist es also verständlich, weshalb diese Lager in Beirut immer wieder Ziel von israelischen Luftangriffen waren und sind. Spuren der Luftangriffe, bei denen nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen, Kinder und alte Menschen gestorben sein sollen, habe ich mehrfach gesehen. So fehlte bei einigen Baracken ein Stück Dach oder in Lehmziegelhütten klaffte ein großes rundes Loch vom Raketeneinschuss.

Besuch bei christlichen Minderheiten im Libanon

Nun verstand ich auch den Hass der arabischen Fundamentalisten gegen die Christen, da für sie christliche und jüdische Religionen identisch und so zum Feindbild erklärt worden sind.
Unser Agent entstammte auch einer Familie mit christlichem Hintergrund, den Drusen. Er erzählte mir,  dass die Drusen – seine christliche Ethnie – seit Jahrhunderten ihre  Siedlungsgebiete im Libanon Gebirge haben. Einer der bekanntesten Drusenführer, der auch politischen Einfluss im Libanon hatte, war damals Dschumblad.

Zu anderen christlichen Ethnien im Libanon Gebirge gehörten Derwische und deren Sufi Kultur. Durch Vermittlung meines Agenten wurde ich an einem Wochenende zu einem Fest von den Derwischen eingeladen. So erhielt ich einen Einblick in deren mystische Männerwelt, zu der Frauen keinen Zutritt haben. Derwische treffen sich zu besonderen Anlässen und Festen, bei denen sie sich an den Händen fassen und im Kreis bis zur religiösen Verzückung tanzen. Durch Tanzen zum Trommeltakt und gemeinsames Singen ähnlich wie beim Zungen-reden der Pfingstler wird die ganze Nacht lang ein Gruppenerlebnis erzeugt, bis die Derwi-sche in eine religiöse Trance verfallen. Einen größeren Gegensatz als die friedlich tanzenden Derwische und die militanten Hisbollah Milizen, die mit ihren Uzis (Maschinenpistolen) Fakten schaffen wollen, kann man sich kaum vorstellen.
Aber genau diese Situation kennzeichnete die Lage im Libanon 1973.

Besuch in Baalbeck

Besonders beeindruckend war für mich der Besuch von Baalbeck, dem früheren Hesepolis,
direkt an der syrischen Grenze gelegen. Baalbeck, eine Stadt von 18000 Einwohnern, war bereits in phönizischen Zeiten ein Heiligtum des Sonnengottes Baal. Genau auf diesem uralten Kraftplatz bauten später die Griechen und Römer Tempelanlagen. Baalbeck ist heute besonders berühmt durch die Überreste eines römischen Jupitertempels. Jupiter war ja in der römischen Mythologie nicht nur ein Himmelsgott, sondern Schirmherr des römischen Staates und hat damit den griechischen Zeus abgelöst.

Auf späteren Reisen in die Türkei und Tunesien habe ich noch andere römische Tempelan-lagen gesehen, aber an die Faszination des Jupitertempels in Baalbeck reichte keiner heran. Die Einmaligkeit dieses Kraftplatzes ist nur zu vergleichen mit Orten in Theben oder Karnak in Ägypten. Als ich nun zwischen den mächtigen Säulen des Jupitertempels saß und auf die Beeka Ebene, die schon zu Syrien gehört, heruntersah, durchströmte mich ein eigenartiges Gefühl eines weltabgehobenen Seins. Dies ist nur zu erklären mit diesem  besonderen Kraftplatz, dessen eigenartiger Mythos bis heute zahlreiche Kulturfestivals und Künstler wie den oben zitierten Zad Moultaka anlockt, obwohl Baalbeck selbst eigentlich ein ganz unscheinbarer Flecken ist. Aber auch die Römer haben wohl schon den Wind der Geschichte gespürt, dem man sich hier nicht entziehen kann und deshalb hier ihren Jupitertempel  erbaut. Für mich jedenfalls gehörte der Besuch von Baalbeck zu den faszinierendsten Erlebnissen im Libanon.

Aber auch die Rückfahrt durch das Libanon Gebirge mit seinen fast 3000 m Höhenunter-schied zurück nach Beirut war beeindruckend. Durch uralte Zedernwälder schlängelte sich die Straße nach Beirut. Vorbei an archaisch anmutenden Ziegenhirten mit ihren Herden, die an kargen Hängen zwischen Weinbergen grasten, erreichte ich Beirut.
Meine Zeit in Beirut neigte sich nun dem Ende zu, da alle geschäftlichen  Dinge auf einen guten Weg gebracht waren. So flog ich im Dezember 1973 nach Deutschland zurück.

1974: Der Bürgerkrieg zwingt zum Geschäftsumzug

Die politische Lage wurde für unseren Agenten und die Abwicklung unserer Geschäfte im Libanon immer  bedrohlicher, weil die bürgerkriegsähnlichen Unruhen zwischen den Christen und den Hisbollah Milizen eskalierten. Die Zollabwicklung im Hafen funktionierte nur noch sporadisch und die Banken, die teils in arabischen und teils in christlichen Vierteln lagen, waren andauernd unter wechselseitigem Granatwerferbeschuss. Unter diesen Umständen konnte unser Agent die gekauften Waren nicht mehr an die Endkunden in Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten weiterleiten. Abgesehen davon war unser Agent als Christ persönlich an Leib und Leben bedroht. Da er nicht rechtzeitig seine Frau und seine Kinder außer Landes bringen konnte, sind diese bei einem Angriff auf ihr christliches Viertel in Beirut ums Leben gekommen.

So wurde es nötig, dass ich im März 1974 erneut nach Beirut fliegen musste. Sinn und Zweck dieser Reise war es also, die Umsiedlung der Handelsagentur nach Bahrain am Persischen Golf zu organisieren, um die wichtigen geschäftlichen Transaktionen zu sichern. Unser Agent zog also nach Bahrain, welches zu den VAE (Vereinigten Arabischen Emiraten) gehörte, um.

Im Südlibanon 1974

Zufällig lernte ich in dieser Zeit des Wegzugs aus Beirut auch einen interessanten Kopten kennen, mit dem ich mich im Hotel beim Frühstück angeregt über religionsphilosophische und aktuelle politische Themen unterhielt. Kopten gehören zu einer christlichen Minderheit in Ägypten. Auch dieser Herr war von Kairo nach Beirut geflogen und musste hier einen längeren Zwischenstopp einlegen, um sich nun per Mietauto in den Südlibanon durchschlagen zu können. Er eröffnete mir die Möglichkeit, bei Interesse in das Grenzgebiet zu Israel, wo seine Verwandten lebten, mitzufahren. Ich nahm mit gemischten Gefühlen dieses Angebot an und reiste so in diese Region. Obwohl ich auf einiges gefasst war, wurden meine schlimmsten Erwartungen hier noch übertroffen.

Wer den Film Apokalypse Now über den Vietnamkrieg von Francis Coppola gesehen hat, kann sich in etwa ausmalen, wie es hier aussah. Dass die israelische Armee die Grenze zum Libanon, einem souveränem Staat, nicht ernst nahm, war mir durch den Besuch der Palästinenserlager in Beirut längst klar geworden. Dass hier allerdings ein flächendeckender Vernichtungsfeldzug gegen eine ganze Region stattfand, war nun eine andere Qualität. Man sah zwar ab und zu UNO Truppen mit ihren blauen Helmen, die in weißen gepanzerten Armeefahrzeugen mit der schwarzen Aufschrift UNO herumfuhren und einen gewissen Puffer zwischen Israel und dem Libanon bilden sollten, aber ihre Präsenz war eine Farce, weil sie nicht in Kriegshandlungen eingreifen durften.

So war ich und mein Begleiter ständig darauf gefasst, in einen kriegerischen Angriff verwickelt zu werden, zumal wir fortwährend von Luftangriffen zerstörte Siedlungen durchfuhren. Rechts und links der Straße waren zahlreiche Bombenkrater zu sehen. Dass das nicht ohne Opfer abgegangen sein konnte, war uns ganz klar. Deshalb sind wir zügig ohne anzuhalten durchgefahren.

Mein Begleiter war sehr glücklich, als er schließlich seine Verwandten lebend in die Arme schließen konnte. Aber viele insbesondere der Frauen und Kinder waren traumatisiert. Ihre Berichte waren einfach erschütternd, denn viele Frauen mussten nach ihren Kindern suchen, die bei den Angriffen in Panik davongelaufen waren. Und nur mit viel Glück fanden sie diese in anderen Dörfern lebend wieder. Wie in den Lagern in Beirut war hier die Zivilbevölkerung schutzlos und ohne Vorbereitung den Luftangriffen der  MIG`s der israelischen Luftwaffe ausgeliefert. Die dort stationierten UNO Soldaten halfen der Bevölkerung nicht wirklich. Sie waren nur Statisten in einem schmutzigen Krieg, der von der Weltbevölkerung einfach nicht wahrgenommen wurde.

Genauso wie der Krieg in Vietnam von den USA gegen die wehrlose Zivilbevölkerung geführt wurde, hat man sich die Situation auch im Südlibanon vorzustellen, denn für Israel besteht die Staatsgrenze des Libanon de facto nicht. Besonders schlimm sah es in der Region um die libanesische Hafenstadt Tyre aus, an der wir vorbeigefahren sind. Die Israelis nahmen diese Region besonders unter Beschuss, weil sie durch den Hafen von Tyre Waffenlieferun-gen an die Araber von See aus befürchteten. Mit sehr beklemmenden Gefühlen fuhr ich mit meinem Begleiter nach Beendigung des Verwandtenbesuches nach Beirut zurück, wo noch einige geschäftliche Aufgaben auf mich warteten.

Nach Abschluss meiner geschäftlichen Transaktionen und der Vorbereitungen zur Umsiedlung der Agentur nach Bahrain flog ich im April 1974 nach  Deutschland zurück.



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