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Universität Leipzig

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Alberts Kindheit in Leipzig nach dem Kriege

Ein Bericht von Albert Liebisch, Leipzig

Liebisch A. kennt seinen Vater nur von Bildern im Fotoalbum. Als er im August 1940 geboren wurde, befand sich sein Vater, wie die Mehrzahl seiner Altersgenossen, bereits im Krieg. Er hat seinen Erstgeborenen nur bei gelegentlichem Heimaturlaub erlebt. Nach den Feldzügen gegen Polen und Frankreich griff die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion an. Dort, bei den Kämpfen um Sewastopol/Krim, fand A´s Vater im Juni 1942 den Tod. Die Geburt seines 2. Sohnes hat er nicht mehr erlebt.

A. und sein Bruder wuchsen ohne Vater auf, da ihre Mutter, wie so viele Kriegswitwen, nicht wieder heiratete.
An den Krieg kann sich A. kaum noch erinnern. Im Gedächtnis sind nur noch die Bilder von brennenden Häusern im Wohngebiet seiner Großmutter nach Bombenangriffen der Engländer und Amerikaner auf Leipzig gegen Ende des Krieges.
Ebenfalls nur in Bruchstücken erinnerlich ist die Erinnerung an die Nacht im Keller vor dem Einmarsch der Amerikaner in Leipzig. Auch erinnert er sich an den bis dahin unbekannten Anblick schwarzer Soldaten, die den hellblonden Jungen und ihrer Mutter vom Auto aus freundlich zuwinkten und ihnen Kekse und Schokolade zuwarfen.
Die amerikanischen Truppen verließen Leipzig nach einigen Wochen und wurden vertragsgemäß von der Roten Armee abgelöst.
Im September 1946 begann für A. die Schulzeit. Die Schüler der jüngeren Jahrgänge waren in Klassen von mehr als 40 Kindern zusammengefasst und wurden oft von sehr alten Lehrern unterrichtet, denn die Jüngeren befanden sich häufig noch in Gefangenschaft oder hatten den Krieg nicht überlebt. Nazi-Lehrer durften nicht mehr unterrichten.
Während die Versorgung mit Lebensmitteln im Kriege noch einigermaßen funktionierte, waren 1946 und 1947 Jahre des Mangels. A. kann sich noch gut an Hunger, einseitige Ernährung, Brennstoffmangel, Stromsperren und Rationierung der Versorgung mit Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen erinnern.
Die Menschen mussten sich den knappen Wohnraum teilen. Auch in die Wohnung von A´s Mutter wurden zusätzlich fremde Menschen eingewiesen, die ihre angestammten Wohnorte in den ehemaligen deutschen Gebieten des heutigen Polen und der Tschechischen Republik verlassen mussten.
Leipzig, kurz nach dem Krieg, war für Kinder wie ein großer Abenteuer-Spielplatz. Die Ruinen zerstörter Häuser wurden von Frauen aufgeräumt. Der Schutt wurde auf eigens verlegten Schmalspurgleisen durch Trümmerbahnen zu zentralen Plätzen gefahren. So wurde in Leipzig später das Sportstadion für 100.000 Besucher überwiegend aus Trümmerschutt errichtet. Die verwertbaren Steine der Kriegsruinen wurden von den Frauen gereinigt und später für die ersten Neubauten wieder verwendet.
Allmählich fuhren auch die Straßenbahnen wieder mit meist völlig überladenen und teilweise uralten Wagen.
Die wenigen zivilen Automobile waren häufig mit einem Ofen zur Holzvergasung als Ersatz für Benzin ausgerüstet. Der Verkehr wurde anfangs an den großen Straßenkreuzungen von weiblichen Soldaten der Roten Armee mit Fähnchen geregelt, bis später die deutsche Volkspolizei diese Aufgabe übernahm.
Die nur teilweise zerstörten Häuser wurden von Obdachlosen in teilweise abenteuerlicher Weise behelfsmäßig bewohnbar gemacht. Auf dem Schutt wurden oft Gemüsebeete angelegt. Unbewohnte Ruinen waren tolle Spielplätze für die Kinder mit Höhlen, Bergen und Tälern. Die Mütter, die fast alle an 6 Tagen in der Woche berufstätig waren, wären sicher entsetzt gewesen, wenn sie von diesen Spielplätzen gewußt hätten.
Fortsetzung geplant:

  1. Erinnerungen an Schulzeit und Lebensumstände in den Jahren 1948 bis 1954
  2. Berufsausbildung in der DDR 1954 -1956 und "Republikflucht" in die BRD
  3. Neuanfang im "Westen" 1956 - 1960





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