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Reise nach Debre Libanos – Übernachtung in Finote Selam

Ein Bericht von Prof. Dr. Gerhard Asmussen, Leipzig

Während unserer Zeit in Gondar – wir haben dort am Medical College of Gondar Ärzte ausgebildet - war unsere Verbindung zu den offiziellen Stellen der DDR in Äthiopien  lose, aber nicht abgerissen und wir waren Diener zweier Herrn. Wir unterstanden einmal der Botschaft (die schwebte über allem) und außerdem noch der Handelspolitischen Abteilung (HPA). Man hatte uns einfach verkauft, wie man sonst eine Kiste verkauft (nur das wir Ärzte auszubilden hatten). Wir verhandelten auch nicht mit der Hochschule über unsere Verträge, das war der HPA vorbehalten (dass sie an uns verdient, daran besteht kein Zweifel,  wohl aber über die Summe?

Asmussen

„Portugiesische Brücke“ (Trockenzeit)

 

Asmussen

„Portugiesische Brücke“ (Regenzeit)

 

So bestand zwischen uns und Botschaft (HPA) ein loser Kontakt, der vor allen Dingen von uns selbst abhing. Denn schon damals herrschte die Regel „Gehe nie zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst!“. Die Gefahr eines unangemeldeten Besuchs (möglich in Addis) bestand nicht (wegen der großen Entfernungen). Wir hatten in jedem Fall eine Strecke von 750 km zu bewältigen – 200 km bis Bahir Dar, als Zwischenstation zu den Lehrern – und dann noch 550 km bis nach Addis Abeba – dazwischen lag noch das Niltal, mit seinen steilen Auf- und Abstiegen (wurde schon berichtet).

Im Zusammenhang mit der HPA möchte ich zwei kleine Anekdoten erzählen, die deutlich machen, weshalb ich die Worte „Entwicklungshilfe“ (manchmal auch „sozialistische Bruderhilfe“ genannt) nicht leiden kann, denn es handelt sich fast immer um Hilfe für den eigenen Stamm. Äthiopien zahlt seine Schulden mit Kaffee zurück. Nun hat die DDR (eines der reichsten Länder, der untergegangenen Welt des Sozialismus) seine Kaffeeschulden trotz mehrfacher Mahnung der äthiopischen Regierung nicht beglichen. Dann kam man auf folgende Lösung des Problems (an der das halbe Erzgebirge mitgearbeitet haben muss) – man deckte die Schulden der DDR mit Biesen, Posamenten, Kokarden, Schnüre und was die Soldaten so gerne tragen, ab. Man stelle sich einmal vor, Äthiopien liefert Kaffee und bekommt als Gegenwert Schützenschnüre (genau die Dinge, die das Land so nötig braucht). Die Geschichte habe ich übrigens von einem Mitarbeiter der HPA, der stolz darauf war, „wie herrlich sie die Äthiopier über den Löffel balbiert hätten“.

 

Asmussen

Debre Libanos

 

Eine Chance für die Äthiopier zu Geld zu kommen besteht in dem Export von Fellen oder Häuten. Allerdings ist die Mehrzahl mit Erregern wie Milzbrand oder Tuberkulose infiziert, und es besteht keine Möglichkeit zum autoklavieren. Man erwirbt also die genannte Gegenstande ausgesprochen billig. Nun liegen vor der äthiopischen Küste einige Schiffe (außerhalb der Dreimeilenzone) die Desinfektoren an Bord haben. Sie machen aus etwas Minderwertigen etwas Hochwertiges. Ich finde das Ganze schäbig, und es wird auch dadurch nicht besser, dass alle anderen es genau so machen.

Wir besuchten auch das Kloster Debre Libanos beim Ort Fiche in der Region Shoa. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Fluss – der Jordan – wie viele Flüsse es dieses Namens gibt, weiß ich nicht, zumindest heißt ein Fluss nahe Lalibela ebenso. Der Fluss ändert mit der Jahreszeit seinen Charakter (s. Bilder). Hier sieht man auch oft Blutbrustpaviane (Geladas, ein Endemit, seine Behaarung dient den Männern bei religiösen Festen oft als Kopfschmuck) in großer Anzahl über die Felsen tollen. Den Fluss überspannt eine „portugiesische Brücke“, von dieser weiß man allerdings, dass sie vom Ras Darge, einem Onkel des Kaisers Menelik II, geplant wurde.

Das Kloster ist ein religiöses Kleinod erster Güte; Frauen haben keinen Zutritt. Das Kloster ist malerisch anzusehen; auf einem Hochplateau mit steil abfallenden Wänden gelegen. Die Kirche mit ihrer achteckigen Form und der Silberkuppel mit dem Kreuz und Straußeneiern wurde erst in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder aufgebaut. Die Malereien der Glasfenster wurden von Afework Tekle entworfen, der auch für die Fenster der Afrikahalle in Addis Abeba verantwortlich ist.

Zuvor (1937) hatte die italienische Besatzung das Kloster einfach niedergebrannt. Es war eine Rache für das (übrigens fehlgeschlagene) Attentat auf den italienischen Vizekönig Marshall Graziani. In diesem Zusammenhang haben die Italiener 500 Mönche, Diakone und Laien umgebracht – alle die man im Kloster fand. Besonders bemerkenswert ist der Tod vieler Azmari, die als fahrende Sänger auch der antiitalienischen Propaganda verdächtig waren. Ein Student hat mir davon erzählt und auch davon, dass die Italiener Giftgas – Senfgas und Phosgen – eingesetzt haben und das „die vollständige Vernichtung der abessinischen Führung und Ihrer Eliten“ offenbar ihr Ziel war.

Verbunden ist ein Besuch von Debre Libanos immer mit dem Heiligen Tekle Haymanot, der in Shoa und den davon südlichen Provinzen heftig missioniert hat. Möglicher Weise war er der Gründer dieses Klosters. Er wird gewöhnlich mit einem Vollbart, die Hände und das Gesicht himmelwärts zum Gebet erhoben und von Speeren umgeben (damit er nicht umfallen kann) dargestellt. Er hat ein Holzbein, er hatte nämlich geschworen immer stehend zu beten, als er dann (wie man es bei den Hirten noch heute beobachten kann) das betroffene Bein anzog, starb es ab, und Gott gab ihm Flügel, damit er auch weiterhin auf einem Bein beten konnte.

Abschließend noch ein kleiner Bericht über eine Übernachtung aus Finote Selam. Dieses Städtchen (nach unserem Dafürhalten ist es eher ein Dorf) liegt etwa 200 km südlich von Bahir Dar. Wie es ist, wenn man gelegentlich keinen Strom oder kein Wasser hat (beides zu haben, etwa beim Betreiben einer Waschmaschine, gehört zu den seltenen Glücksfällen), hatten wir schon erlebt. Wir wussten auch, dass das College einen Sonderstatus hatte und dass es als Krankenhaus bevorzugt mit Wasser und Strom versorgt wurde – aber wir wussten nichts über die Versorgung auf dem flachen Land. So kamen wir nach etlichen Reifenpannen nach Finote Selam. Weiterfahren wollten wir nicht, wegen der Baumstämme und weil keiner von uns Amharisch konnte (darüber wurde schon berichtet). Wir mieteten uns in einem ländlichen Gasthof ein (findet man überall an der Landstraße), die Zimmer (separat für jeden von uns) waren einfach – ein Hocker und ein Bett, sonst nichts – verschlossen durch eine Cowboytür (eine Tür wie man sie nur aus Westernsaloons kennt, oben und unten frei). Dann ging die Sonne unter, eine Kerze wurde uns gebracht. Das Essen bestand aus national food, war wenigstens warm, aber es wurde unfreundlich serviert. Gegen acht Uhr (europäischer Zeit) bedeuteten uns die Gastgeber, dass es nun an der Zeit wäre, ins Bett zu gehen. Das taten wir dann auch – wir bezogen bei Kerzenlicht, die uns zugeteilten Räume, und wurden eingeschlossen. Noch etwas ungläubig lauschte ich dem Klang der Schlüssel, dann war ich allein, um mich herum war die stockfinstere Nacht.

Tastend fand ich meinen Hocker, zog mich bis auf die aus Unterwäsche aus, die kleine Wäsche fiel aus, fand mein Bett und schlüpfte unter die Decke. Mit einem Aufschrei des Entsetzens richtete ich mich wieder auf, das Bett war nass, so als ob schon jemand darin gelegen und sich vergessen hatte. Tastend und fluchend fand ich meinen Hocker wieder und begann mich wieder anzuziehen – ich fror entsetzlich. Tagsüber war es sehr heiß gewesen und ich hatte nur einen dünnen Unterziehpulli mit – genau das richtige für die staubige rough road. Aber nun, des Nachts, wo die Temperaturen auf fast null Grad fielen, war das nicht die richtige Bekleidung. Wenn ich doch wenigstens eine Kerze dabei gehabt hätte, oder eine Taschenlampe, aber beides lag in Gondar. Leises und schließlich lautes Rufen hatte keinen Effekt, und es blieb kein anderes Mittel, als die Nacht auf dem Hocker zu verbringen – es ist schon erstaunlich was einem dabei so durch den Kopf geht. -- Jedenfalls nie wieder: über Nacht in Finote Selam.

Aber auch diese Nacht ging vorbei, gegen sechs Uhr früh wurde ich aus meinen Gefängnis befreit – ein heißer buna (Kaffee) weckte die Lebensgeister. Sonst gab es kein Frühstück. Der Rest der Fahrt nach Bahir Dar verlief ohne Probleme. Und für das ausgefallene Frühstück würden schon die Lehrer sorgen. Das alles hat mir gezeigt, dass wir doch sehr abhängig sind, von den „Segnungen“ der Zivilisation.


Februar 2014

 



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