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Universität Leipzig

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Mein Studium in Berlin und Leipzig
- Begebenheiten am Rande -

Ein Bericht von Dr. Hubert Marusch, Leipzig


1. Wahl eines Studienplatzes

Nach dem Abitur in Weißwasser/Oberlausitz im Jahre 1947 wollte ich entweder an der TH Berlin- Charlottenburg oder an der TH Dresden technische Chemie studieren. Beide Hochschulen forderten ein einjähriges Praktikum als Voraussetzung zum Studium.

Am 1.8.1947 begann ich ein Praktikum in der Maschinenfabrik Kreisel in Krauschwitz bei Muskau. Hier wurden riesige Gebläse und Saugzuganlagen, besonders für Zementwerke, hergestellt. Die produzierten Anlagen wurden in großen Transportkisten aus ca. 5 cm dicken Bohlen mit der Aufschrift "RASNO- Export" verpackt, d.h. es waren Reparationsleistungen für die Sowjetunion.

Die Verkehrsverhältnisse waren damals nicht gerade günstig. So fuhr ich anfangs um 5 Uhr mit dem Fahrrad los, um nach ca. 12 km um 6 Uhr im Betrieb zu sein. Später benutzte ich den Zug von Schleife nach Weißwasser, hatte hier eine Stunde Aufenthalt und fuhr dann mit einem Zug von Weißwasser in Richtung Muskau bis Krauschwitz (durch die Neiße- Grenze fuhren die Züge nicht mehr bis Sommerfeld, später wurde der Zugverkehr auf dieser Strecke eingestellt). Diese Strapaze war auf Dauer nicht durchzuhalten!

Mein Heimatort Schleife/Oberlausitz gehört zu einem der Zentren der sorbischen Sprache und Kultur. Zu dieser Zeit erzählte mir der Vorsitzende der Domowina (Bund Lausitzer Sorben) im Kreis Weißwasser, dass seine Tochter und sein Sohn in Prag studieren und die Domowina von dort Studienplätze erhält.

Ein Cousin von mir arbeitete in Rumburk in der Tschechoslowakei. Von dort brachte er Fahrräder, Radios und andere in Deutschland nicht erhältliche Waren über die grüne Grenze. Die Tschechoslowakei gehörte damals noch zu den Ländern, die vom Marshall- Plan der USA für Westeuropa profitierten.

Damit hatte ich ein neues Ziel: Studium in Prag! Nach drei Monaten beendete ich die Praktikantentätigkeit, um zunächst meine Sorbisch- Kenntnisse in einem Lehrgang an der Internatsschule in Crosta bei Bautzen zu vervollständigen. Daneben lernte ich etwa tschechisch.

Im Februar 1948 stürzte die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei die Regierung. Nun hatte sie die alleinige Macht! Die alten deutschen Studenten durften weiter studieren, neue wurden nicht mehr aufgenommen. Nun war guter Rat teuer!

Ich erhielt daraufhin vom Sorbischen Volksbildungsamt als Teil des Ministeriums für Volksbildung der Sächsischen Landesregierung eine Bescheinigung mit der ich im Oktober 1948 in Berlin bei der Zentralverwaltung für Volksbildung in der Wilhelmstraße vorsprach.

Dort erklärte man mir, dass gerade die chemischen Institute der Universität starke Kriegszerstörungen aufweisen und außerdem durch die Spaltung Berlins in die drei Westsektoren und den Ostsektor und mit der Gründung der Freien Universität in Westberlin die dortigen Institute nicht mehr zur Verfügung stehen.

Nun wartete ich zu Hause auf eine Antwort. Endlich, am Heiligabend 1948 traf ein Telegramm ein: "Zulassungsbescheid abholen!" Am 30. 12. 1948 fuhr ich nach Berlin. Ein Zimmer war relativ leicht zu bekommen, sowohl in Ostberlin als auch in Westberlin. Ich wählte ein möbliertes Zimmer in Ostberlin für 40 RM pro Monat.

 

2. Studium in Berlin 1949

Anfang Januar 1949 begann ich mein Chemiestudium an der Universität Berlin. Den Namen Friedrich- Wilhelm- Universität hatte sie abgelegt, den späteren Namen Humboldt- Universität noch nicht erhalten. Ich hatte nur noch zwei Monate vor mir, so dass ich viel nachholen musste. Mein wichtigster Weg ging jeden Tag zum teilweise zerstörten Hauptgebäude der Uni Unter den Linden. Hier gab es oft Bescheinigungen für Sonderzuteilungen an Studenten, z. B. für Kartoffeln oder Kohlen.

Durch den Krieg war viel zerstört, doch einen gewissen Flair hatte sich die ehemalige Reichshauptstadt und jetzige Viersektorenstadt erhalten. Die S- und U- Bahnen fuhren durch alle vier Sektoren der geteilten Stadt.

Nach der Währungsreform in Westdeutschland mit der Einführung der Deutschen Mark (DM) zum 20.6.1948 wurde auch in Westberlin die DM ein immer wichtigeres Zahlungsmittel.

Seit dem 23.6.1948 umklammerte die Rote Armee die drei Sektoren von Westberlin mit einer tief in das tägliche Leben eingreifenden Blockade aller Zugänge. Auf dem Landweg kamen nun keine Versorgungsgüter (Lebensmittel, Kohle) nach Westberlin. Äußerer Anlass war wohl die Einführung der DM in Westberlin. Von nun  an versorgten die westlichen Alliierten Westberlin aus der Luft (Flughafen Tempelhof, Tegel und Wasserflughafen Gatow). Ende April 1949 sah ich mir das imposante Schauspiel vom S- Bahnhof Tempelhof an. Von hier hat man eine gute Sicht auf den gesamten Flughafen. Die Flugzeuge, im Volksmund "Rosinenbomber" genannt, näherten sich mit einem tiefen Brummen aus südwestlicher Richtung dicht über dem Bahnsteig. Sie schalteten die Landescheinwerfer ein, landeten und rollten zur Entladestelle. Inzwischen startete das vorher gelandete Flugzeug. So ging es ununterbrochen im Eineinhalbminutentakt. Allerdings reichte diese Versorgung aus der Luft nur für das Allerwichtigste zum Leben in Westberlin. Gas zum Kochen gab es für einige Stunden am Tag. Deshalb saß man dort in Decken gehüllt im Wohnzimmer und wärmte die Hände an der Teekanne!

Zu dieser Zeit blühte der Schwarzmarkt an wichtigen zentralen Punkten, besonders in Westberlin. Ich wollte mal ein Stück Butter verkaufen. Der Preis war wohl 10 DM. Da es im Februar recht nasskalt war und ich langsam fror, verkaufte ich das Stück für 9 DM. Kurz danach erschien ein Mann und drohte mir: "Verschwinde, hier werden keine Preise unterboten!"

Um in den Besitz von DM zu kommen, verkaufte ich während der Blockade Westberlins Waschpulver und Streichhölzerpackungen an Drogerien, die ich aus dem Geschäft meines Bruders in Schleife mitbrachte.

Am 12.5.1949 hob die Sowjetunion die Blockade der drei Westsektoren wieder auf. Ab sofort wird die DM alleiniges Zahlungsmittel in Westberlin. Am nächsten Tag sind die Geschäfte in Westberlin voll mit allen Waren. Für die meisten Menschen ist es nach 10 Jahren des Mangels und der Entbehrung eine riesige Freude. Sofort standen in Westberlin an markanten Plätzen Schwarzhändler, die Ostmark gegen Westmark oder umgekehrt tauschten. Dann etablierten sich vom westberliner Senat genehmigte Wechselstuben. Eine zeitlang lag der Kurs bei 4:1, d. h. für 4 Ostmark erhielt man 1 DM.

Natürlich hatten nun auch meine Eltern und Nachbarn zu Hause viele Wünsche nach Dingen, die es in der sowjetischen Zone nicht gab. Deshalb fuhr ich nun jedes Wochenende nach Hause, beladen meist mit einer Kiste Bücklingen, Margarine, Seife, Glühbirnen und Fahrradbereifung. Ich verdiente zwar etwas durch diese Geschäfte, aber allmählich wurde mir das Ganze lästig, denn die Bahnfahrt von Berlin Bahnhof Zoo nach Schleife (150 km) dauerte damals sechs Stunden!

Kurz vor Pfingsten 1949 streikten die Eisenbahner in Westberlin. Alle Züge, die in Westberlin begannen, fielen aus und dies während des Pfingstverkehrs! So war ich froh, als ich einen Platz im Freien unter einem der an den alten Waggons noch vorhandenen Bremserhäuschen fand. Natürlich war der Platz sehr schmutzig und voller Ruß, doch ich hatte ja den Telegraf, eine Westberliner Zeitung, die ich unterwegs lesen wollte, aber jetzt als Unterlage benutzte. So fuhr ich an der frischen Luft bis Lübben, wo wieder Plätze frei wurden.

An der Uni merkte ich nichts von der FDJ (Freie Deutsche Jugend). Lediglich die Vorlesung von Professor Niekisch "Politische und soziale Probleme der Gegenwart" war Pflicht.

 

3. Studium in Leipzig

Im Sommer 1949 bemühte sich das Sorbische Volksbildungsamt, all ihre Studenten in Leipzig zu konzentrieren. Ich war deshalb nicht böse, da ich hier sofort mit dem Laborpraktikum beginnen konnte. Allerdings ging ich nicht in das Studentenwohnheim, sondern suchte mir ein Privatzimmer.

Abends traf ich mich immer mit zwei Schulfreunden aus Weißwasser, die privat bei dem Pächter der Gaststätte "Völkerschlachtdenkmal" in der Reitzenhainer Straße (jetzt Prager Straße) schräg gegenüber vom Haupteingang zur Technischen Messe wohnten, zum Abendessen (50 Pf. für das Essen und 50 Pf. für ein Bier).

Ich war zwar formal im dritten Semester, doch das Praktikum begann ich mit den Erstsemestern. Im Laborsaal in der Brüderstraße standen wir dicht an dicht an den Labortischen. Jedem stand nur eine Breite von 50 cm zur Verfügung. Da die Rauchabzüge nicht reichten und vieles am Labortisch erledigt wurde, bildete sich bald im Saal eine undefinierbare Wolke aus Säuredämpfen und den zu suchenden Elementen bzw. ihren Verbindungen.

Neben der fachbezogenen Arbeit mussten auch gesellschaftswissenschaftliche Vorlesungen besucht werden. Allerdings standen dafür nur wenige Lehrkräfte zur Verfügung, die oft wechselten. Deshalb wurden diese Vorlesungen in der Mensa am Neumarkt gleich für mehrere Fakultäten gehalten und ins Untergeschoß per Lautsprecher übertragen. Für kurze Zeit war sogar das Filmtheater "Capitol" in der Petersstraße am Montagmorgen Hörsaal. Hier saß man natürlich sehr bequem in den Sesseln, so dass einige einschliefen.

Daneben war für mich "Sorbisch für Fortgeschrittene" mit vier Wochenstunden Pflicht. Dafür war ein bereits recht betagter sorbischer Lehrer aus Radibor bei Bautzen zuständig. Natürlich nahm ich auch an den wöchentlichen Versammlungen der sorbischen Studentengruppe "Sorabija" teil. Hier führte ein Jurastudent das große Wort. Da ich nicht im Internat wohnte, hatte ich allerdings eine gewisse Freiheit.

Wie bereits in den Semesterferien 1949 arbeitete ich auch 1950 im Betriebslabor des Flachglaswerkes Uhsmannsdorf, einmal um die Finanzen etwas aufzubessern, zum anderen um mich in der Analytik zu üben und die Betriebspraxis kennenzulernen. Dadurch nahm ich nicht am jährlichen Treffen sorbischer Studenten teil.

Ende September 1949 erhielt ich einen Brief vom Sorbischen Volksbildungsamt aus Bautzen, in dem mir mitgeteilt wurde, mir die Studienerlaubnis für ein Jahr zu entziehen. Als Gründe wurden aufgeführt:
- Unzureichende Mitarbeit in der Gruppe in Leipzig und passives Verhalten bei der   Vorbereitung des Sorbentreffens in Bautzen
- Nichtteilnahme am Schulungslager für Studenten
- Nichtbeteiligung am Agitatorenkurs zu den Oktoberwahlen 1950.

Nach Intervention eines Onkels wurde mir mitgeteilt, dass mir die Fortsetzung des Studiums nach 1/2 Jahr ermöglicht wird, wenn ich mich in meiner Heimat aktiv an der Jugendarbeit beteilige!

Inzwischen war ich wieder in Leipzig und mit dem Semesterstempel auf dem Studentenausweis konnte ich mein Studium fortsetzen. Nach einigen Tagen wurde ich zum Justitiar der Uni bestellt, der mir sagte, dass Leipzig eine deutsche Universität ist, und eine sorbische Institution keinen Einfluss auf die Zulassung zum Studium habe. Allerdings wolle er eine Beurteilung der FDJ- Studiengruppe anfordern. Nun musste ich aktiv werden!

Anfang Oktober 1950 waren fünf Chemiestudenten des dritten Semesters verhaftet worden. Ich kannte sie gar nicht. Nun wurde ein neuer FDJ- Sekretär gesucht. Ich übernahm diese Aufgabe. Allerdings weiß ich nur, dass ich einmal einen fachlichen Vortrag über die Sauerstoffbestimmung in Rauchgasen hielt.

Im Nachhinein erfuhr ich aus Unterlagen der Staatssicherheit, dass mein weiteres Studium an einem seidenen Faden hing. Die FDJ- Leitung schrieb, dass ein Student der die genannten Mängel hat, nichts an einer Volksuniversität zu suchen habe und deshalb zu exmatrikulieren sei. Die Parteileitung der SED bemängelte, dass niemand mit mir gesprochen habe. Dies wurde auch später nicht nachgeholt.

Ich hatte Glück gehabt! Nun ging ich ungestört meinem Studium nach und trennte mich sofort von den Sorben, die mich wieder aufgenommen hätten.

Inzwischen war Dr.-Ing. Eberhard Leibnitz zum Professor mit Lehrauftrag für Chemische Technologie berufen worden. Bereits in seiner Antrittsvorlesung begeisterte er die Zuhörer durch seine rhetorischen Fähigkeiten und sein breites Fachwissen. Als Neuerung lud Professor Leibnitz führende Wissenschaftler aus der Industrie zu Vorlesungen ein, u. a. einen Wasserchemiker aus Markkleeberg. Er brachte eine Assistentin für Wasseranalysen mit. Wie so oft kamen anfangs etwa 10 Kommilitonen in der Vorlesung. Zuletzt saß ich allein da. Nun wollte ich den Herren nicht enttäuschen und blieb bis zum Ende des Semesters. Dafür erhielt ich eine Broschüre zur Wasseranalyse und eine kleine Ionenaustauschersäule. Letztere leistete mir später gute Dienste sowohl bei chemischen Analysen für die Diplomarbeit als auch für die Doktorarbeit.

Ende Februar 1952 fand im Haus Antifa (später Haus Leipzig) in der Elsterstraße der erste Chemikerball der Chemischen Institute statt. Bald mutierten die Bälle zu Jugendbällen der FDJ, der erste noch im Dezember 1952 und der nächste schon im März 1953.

Anfang 1954 beendete ich meine Diplomarbeit, und im Mai 1954 brach ich meine Zelte in Leipzig ab, um eine Tätigkeit in der Glasindustrie aufzunehmen.


Juli 2014

 



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