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Universität Leipzig

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Episode einer Nahost-Reise im Jahre 2004

Ein Bericht von Peter Hobe, Leipzig


Der Reiseleiter mit der angenehmen akzentfreien Aussprache hatte sich verabschiedet, nicht ohne seine Mobil-Nummer für unerwartete Situationen einem Teilnehmer der Gruppe übergeben zu haben. Seine guten Wünsche für den weiteren Verlauf unserer Reise, die uns bereits von Amman zum salzigen Toten Meer und zu den versteckten Ruinen von Petra geführt hatte, noch im Ohr, begab sich die Gruppe zum Abfahrtterminal des Tragflächenbootes im Hafen von Aqabah, in jenem schmalen jordanischen Landzipfel am Roten Meer, den die Saudis ihren königlichen Brüdern überlassen hatten. Nach Plan hatten wir noch genügend Zeit bis zur Überfahrt nach Ägypten. Den englisch-arabischen Informationen in dem schlicht eingerichteten Terminal, entnahmen wir überrascht, dass die vorgesehene Abfahrt wetterbedingt auf unbestimmte Zeit verschoben sei.

Das flotte Gleiten über den Wellen mit der Tragflächenfähre zum ägyptischen Hafen am gegenüberliegenden Ufer des aufgewühlten Roten Meeres war bei diesem heftigen Wind nicht möglich. Die Wellentäler waren tiefer als die Stelzen der Flitzer, die das Schiff über Wasser hielten.

Sollten wir abwarten bis sich die Elemente beruhigt hatten? Und - wie lange würde das dauern? Die jordanische Hafenbehörde hielt sich bedeckt, so wie der dunkle stürmische Himmel. Deutsche achten auch im Auslandsurlaub auf Pünktlichkeit und Ungewissheit ist ärgerlich. Der Reiseleiter solle die Situation klären. Jetzt war das Glück auf unserer Seite, wir konnten ihn zurückrufen. Das heißt nicht, dass er bald erschien. Er versicherte uns jedoch, so schnell wie ihm möglich sei, zu kommen. Die Gruppe verkrümelte sich daraufhin über das nüchtern gestaltete Terminal.

Die Luft war angenehm. Nach den heißen Tagen, in denen der klimatisierte Reisebus nach jedem Ausflug zu historischen Sehenswürdigkeiten immer wieder mit Erleichterung aufgesucht wurde, genossen wir die Kühle. In der frischen Brise schlendernd ließen wir den letzten Abend im Hotel noch einmal Revue passieren und meine Frau kam wieder auf die unangenehmen, aufdringlichen Blicke der männlichen Badegäste am Swimmingpool auf dem Hoteldach zu sprechen. Die in arabischen Ländern unterschiedlich streng gehandhabte Trennung der Geschlechter schien auch in der hier üblichen moderaten Form nicht im Einklang mit der männlichen Natur zu stehen.

Während unseres Gesprächs hatte ein junger Mann Muttersprachliches entdeckt und freute sich offensichtlich, ein wenig zu plaudern. Bei dem gegenseitigen Austausch über das Woher und Wohin entdeckten wir in ihm einen Weltenbummler. In Thüringen hatte er sich auf den Weg gemacht, nicht ohne einen Erfurter Fahrradhändler als Sponsor verpflichtet zu haben. Der sollte ihm rund um die Welt mit den notwendigen Ersatzteilen für das Rad versorgen. Die Nachsendung an eine eigentlich unbekannte, weil flüchtige Adresse glaubte er abgesichert, indem er die jeweiligen deutschen Botschaften für diesen Zweck einspannte. Und diese waghalsige Strategie sollte klappen – meinte er. Auf seine bisherigen Erlebnisse angesprochen, schilderte er den unkomplizierten Aufenthalt bei Fellachen in den Oasen. Dort verdiente er sich einmal die arabische Gastfreundschaft indem er das Bewässern der Felder seiner Gastgeber überwachte. Lediglich das Fließen des Leben spendenden Nass musste er, nachdem die Lehmweiche an der angewiesenen Grabengabel umgelegt war, beobachten – das war‘s. Diese archaische Bewässerungsmethode, bei der viel Wasser in der heißen Luft verdunstet, steht der modernen israelischen, die Abwässer über ein verzweigtes Schlauchsystem tropfenweise an die Pflanzen bringt, gegenüber. Nur zwei statt fünf Ernten im Jahr wachsen so in den Oasen.

Die Unwettervariante

Der inzwischen eingetroffene Reiseleiter eröffnete uns, alternativ entweder auf besseres Wetter im ungemütlichen Terminal zu warten, mit der Aussicht, eine Nacht in den harten Sitzmöbeln zu verbringen, oder den kurzen Landweg an der Küste entlang einzuschlagen. Nur, – dort musste die israelische Grenze zweimal passiert werden. Diese Variante sei schon mehrfach genutzt worden und wir wurden versichert, dass alle Grenzposten entsprechend eingeübt sind, die wetterbedingte Abweichung also abgesichert sei. Er könne uns nicht begleiten, aber für den Katzensprung in Israel stünden hinter dem Grenzübergang Taxen bereit, die uns für acht Dollar zum nächsten, wenige Kilometer entfernten Grenzübergang nach Ägypten fahren würden. Dort stünde der dortigen Reiseleiter bereit, uns zu empfangen – mit Garantie, er unterrichte diesen telefonisch von der geänderten Route.

Nicht ohne Bedenken, aber einhellig fiel die Entscheidung. Sicher bedachte nicht jeder, dass zukünftige Reisen in ein anderes arabisches Land, außer Ägypten und Jordanien, den beiden, die Frieden mit Israel geschlossen hatten, mit den verhassten israelischen Stempeln im Pass unmöglich sein würden. Mit Sack und Pack zu Fuß ging es zum Grenzübergang nach Israel, – ein Glück, dass man heute mit Rollkoffern reist. Mit unbeteiligter Miene klappte der jordanische Grenzer die Reisepässe auf, knallte den Ausreisestempel hinein und reichte diese, uns kaum eines Blickes würdigend, zurück. Ein Schritt noch und wir betraten das ‚Niemandsland‘. Auf den etwa hundert Metern drängten sich unvermutet Bilder der Vergangenheit auf.

Der Rückblick

Vor drei Jahrzehnten im ‚Niemandsland‘ zwischen der DDR und der befreundeten CSSR. Erst seit Kurzem und nur hier benötigten wir keine, wochenlang vorher beantragten Visa mehr. Die erste gründliche Grenzkontrolle hatten wir hinter uns und eine zweite vor uns.  Nach dem verdeckten Abgleich unserer Pässe, am Schlagbaum, war das Auto inspiziert worden. Der um Unpersönlichkeit bemühte Zöllner bat einen Blick in unser Gepäck werfen zu können, bei dem wir ihm selbstverständlich hilfreich assistierten, – wir waren darauf vorbereitet. Mit einem Blick begnügte er sich nicht, tastend schob er seine Hand unter die Wäscheschichten und nahm diesen oder jenen Gegenstand in die Hand, um Schmuggelgut auf die Spur zu kommen. Peinlichst forderte der Zöllner Auskunft über ausgewählte Utensilien, über den Kauf der mitgeführten begehrten Anoraks und Schlafsäcke aus CSSR-Produktion oder den DDR-Fotoapparaten, eine vorgezeigte Kaufquittung des Heimatlandes war hierbei hilfreich.

Wir brachten stets alle unsere Utensilien gut durch den Zoll. Manchmal dauerte die Zollkontrolle nur kurz, wahrscheinlich war dann der Andrang der Reisenden zu groß oder der Diensteifer zu klein. Wir durften weiter, vorbei an einem aufgebockten Pkw, der offenbar einer gründlichen Inspektion unterzogen wurde. Die gleiche Prozedur wiederholte sich am zweiten Posten, egal in welcher Richtung man die Grenze der Bruderländer passierte. Das war damals, was würde uns hier im ‚Brennpunkt Nahost‘ erwarten?

Gespannt verfolgten wir die Formalitäten der israelischen Grenzer. Wir waren die einzigen Reisenden und konnten zügig den durch Sperrbänder eingefassten, mehrfach gewundenen Zutritt hin und wieder zurück zur Passkontrolle durchlaufen. Wortlos den Pass aufklappen, ein kurzer Blick zur Identität von Bild und Gesicht, der Einreisestempel knallte auf eine freie Seite – wir waren zufällig in Israel gelandet. Danach ging es zur Gepäckkontrolle, die über der Schulter hängende MP der Zöllnerin stach ins Auge, wortlos eine knappe Handbewegung von ihr. Wir deuteten es als die Aufforderung, den Koffer auf den Tisch zu legen und zu öffnen – wir waren darauf gut vorbereitet: Koffer aufklappen, die Zöllnerhand schob sich zwischen die Kleidungsstücke, öffnete Beutel und Täschchen, ein kundiger Blick verglich die Tiefe des Kofferinneren mit dem Außenmaß. Das gründliche Sichten und  Befühlen unserer Utensilien in allen Gepäckstücken verlief ohne Komplikationen für uns. 

Die Taxifahrt war unspektakulär und ebenfalls wortlos, es gab hier offenbar nur ein Ziel: der israelisch-ägyptische Kontrollpunkt. Die Ausreisekontrolle glich der bei der Einreise, ein zweites Mal wurden unsere Utensilien ‚gelüftet‘ und wieder nach so kurzer Zeit betraten wir ‚Niemandsland‘.

Einreise wenige Minuten später an der ägyptischen Grenze. Weder die Jordanis noch die Ägypter interessierten sich für uns, unsere Sachen und Pässe – Aufklappen und achtloses Abstempeln, nur die israelischen Posten prüften aus guten Gründen die Unbedenklichkeit des Gepäcks. Erleichtert begrüßten wir unseren neuen Reiseleiter, er kam etwas später, doch er kam.

Tatsächlich, vergleichbare Erlebnisse beim Grenzübertritt im Abstand von vielen Jahren, aber unter so ungleichen Verhältnissen: Touristenreise damals in einen befreundeten Staat, aber die Bürger durften nicht unkontrolliert reisen und heute, im Jahre 2004; der Grenzübertritt in einen, in den Augen der meisten arabischen Staaten, dem Dschihad ausgelieferten feindlichen Pariastaat. Es war eine unerwartete Begegnung mit unserer Vergangenheit, in der eine stetig suggerierte ‚imperialistische Bedrohungdem Alltag anzugehören hatte.

Zu Hause werden wir vorfristig unsere Reisepässe erneuern, damit auch künftige Nahost-Reisen ungehindert unternommen werden können.

 

Januar 2015

 



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