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Mein Gastspiel in der Kampfgruppe der Arbeiterklasse

Ein Bericht von Dr. Hubert Marusch, Leipzig

 

Zum 25. Gründungstag des Flachglaskombinates in Torgau im Jahre 1988 beschrieb ein Genosse der SED, wie es zur Bildung von Kampfgruppen kam:
"Als Mitte 1953 aggressive Kreise der imperialistischen Reaktion einen konterrevolutionären Putschversuch inszenierten, übernahmen in zahlreichen Großbetrieben, geführt von ihren Parteiorganisationen, Arbeiter und klassenbewusste Werktätige den Schutz ihrer Betriebe und sicherten so den Fortgang der Produktion. Auf seiner 14. Tagung am 21.6.1953 zog das ZK der SED erste Schlussfolgerungen aus der Abwehr der Konterrevolution und regte die Bildung von Arbeiterwehren in den Betrieben an" /1/.

Ich erinnere mich, dass im Jahre 1955 oder 1956 auf dem Hof des Spezialglaswerkes Einheit in Weißwasser eine Kampfgruppe in blauen Overalls das Marschieren übte. Der damalige Werkdirektor lief im Mantel und Hut hinterher, obwohl er dies in seiner Funktion gar nicht sollte!

Im Frühjahr 1968 hatte ich dem Werben der Betriebsparteiorganisation (BPO) der SED im Wissenschaftlich Technischen Zentrum (WTZ) Bauglas in Torgau nachgegeben und war mit mehreren Nichtgenossen als "klassenbewusster Werktätiger" in die "Kampfgruppe der Arbeiterklasse" im Flachglaskombinat eingetreten.

Normale Kampfgruppeneinheiten  trafen sich im Jahr etwa dreimal an einem Abend in der Woche und einmal zu einer Abschlussübung von Sonnabend früh 6.oo Uhr bis Sonntagmittag.

Wir mussten jeden Monat einmal an einem Sonnabend früh um 4 Uhr in der Kleiderkammer der Kampfgruppe erscheinen, um die Uniform, die aus einem olivgrünen Overall mit Koppel bestand, anzuziehen. Dann ging es in den Schulungsraum. Hier las ein Mitglied der Kampfgruppe mit eintöniger Stimme aus einer Parteibroschüre vor. Dabei stolperte er über jedes Fremdwort - und davon gab es viele -, was natürlich bei den Zuhörern ein leichtes Schmunzeln hervorrief. Nun dauerte es nicht mehr lange, und die Ersten nickten ein. Mir ging es bald ebenso!

Danach fuhren wir auf einem LKW-Pritschenwagen zu einer Übung in ein Wäldchen westlich von Torgau in der Nähe der Gaststätte "Entenfang". Gegen 9 Uhr erschien das Verpflegungskommando und brachte Brötchen, Wurst und Hackepeter sowie mehrere dicht verschlossene Behälter mit heißem Tee. Leider ließen sich die Behälter nicht öffnen. Nun entspann sich eine "wissenschaftliche Diskussion", ob Luft in die Behälter hinein oder heraus muss. Sie entschied ein Genosse Kämpfer, indem er mit einem Bajonett den Deckel durchstach. Natürlich war klar, dass sich der Tee in den Kübeln allmählich abkühlte und dadurch ein gewisser Unterdruck entstanden war.

Nach dem Frühstück begrüßten die führenden Genossen der SED-Kreisleitung die Mitglieder der Kampfgruppe und informierten sich über den Ausbildungsstand. Natürlich musste in "Gottes freier Natur" auch eine Wandzeitung gestaltet werden, die über die Erfolge in der Ausbildung berichtete.

Nun wurden mehr oder weniger militärische Übungen absolviert, z.B. Marschieren, sich leise im Gelände bewegen und militärische Körperertüchtigung. Zu Schießübungen (nur mit Platzpatronen) wurden die Gewehre von der Waffenkammer des Volkspolizei-Kreisamtes geholt und auch dort wieder abgeliefert. Größere Schießübungen, die mit scharfer Munition auf dem Truppenübungsplatz in Züllsdorf in der Annaburger Heide absolviert wurden, fanden zu meiner Zeit nicht statt. Zum Mittagessen kam die Gulaschkanone, oft mit Erbsensuppe. Die Verpflegung war immer sehr gut.

Allmählich wurde mir klar, dass ich hier wohl eine Fehlentscheidung getroffen hatte, und ich überlegte, wie ich der Kampfgruppe entkommen könnte. Schließlich war es normalerweise kaum möglich, sich von einer einmal eingegangenen Verpflichtung freistellen zu lassen. Nachdem ich einige Male nicht zu den Übungen erschienen war, schrieb ich an die BPO und bat um Freistellung von der Mitarbeit in der Kampfgruppe. Als Gründe gab ich meine vielfältigen fachlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten und die Beaufsichtigung unserer kleinen Tochter an, da meine Frau als Lehrerin sonnabends arbeiten musste (die im August 1967 eingeführte Fünftagewoche galt noch nicht für Lehrer).

Nach einigen Wochen erhielt ich ein Schreiben der BPO des WTZ, in dem mir mitgeteilt wurde, dass man meinen Antrag beraten habe und der Meinung sei, dass meine angeführten Gründe nicht ausschlaggebend für den Antrag waren. Es müssen hauptsächlich ideologische Gründe bei mir vorliegen. Offenbar fehle mir das bewusste Bekenntnis zu den Idealen des Sozialismus und zur Politik der SED und damit die Bereitschaft, jederzeit die sozialistischen Errungenschaften mit der Waffe in der Hand zu schützen. Man stimmte aber letztendlich meinem Antrag auf Freistellung zu, da trotz mehrerer Aussprachen mit der staatlichen Leitung keine Änderung meines Verhaltens zu verzeichnen war.

 

 

/1/ Broschüre über das 1. betriebsgeschichtliche Kolloquium des VEB Flachglaskombinat Torgau - Stammbetrieb am 30.11.1988, Seite 42.

 

März 2015

 



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