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Erlebnis Nahost „Der Libanon“ Besuch bei Freunden

Ein Bericht von Dr. Clemens Weiss, Leipzig

 

Den Libanon kenne ich seit 1996.

Der Zufall wollte es, dass sich 1992 bei mir im Krankenhaus Wurzen, dessen chirurgische Abteilung ich seit 1989 leitete, ein libanesischer Assistent, Ahmad Ahmad, nach abgeschlossenem Studium in Leipzig, um eine Facharztausbildung bewarb.

Seit ich ab 1972 als leitender Oberarzt des Klinikums St. Georg in Leipzig die Möglichkeit hatte, mich persönlich der bewerbende Assistenten anzunehmen, richtete ich mein Augenmerk verstärkt auf ausländische Absolventen, weil ich immer schon die Auffassung vertrat, dass ausschließlich direkter Kontakt zwischen uns Europäern und auswärtigen Menschen bewirken könne, dass sich Bürger verschiedener Nationalitäten, Religionen und Ethnien unbehindert aufeinander zu bewegten.

So kam meine Abteilung seit 1972 intensiv in Berührung mit Assistenten aus dem Irak, Iran, aus Syrien, aus Palästina, Afrika u.v.m.

Diese Tradition setzte ich in Wurzen fort, so dass 1992 Ahmad Ahmad bereits auf einen Schwarzafrikaner aus Tansania stieß, der in der Sowjetunion studiert und promoviert hatte, und nach deren Zusammenbruch, bis ich ihn zu mir nahm, seit 1990 gewissermaßen in der Luft hing.
In Wurzen begann ich die Ausbildungsassistenten und Studenten des sogenannten sechsten Studienjahres (eine Pflichtassistentenzeit) „meine Kinder“ zu nennen, was zu einer ausgesprochen familiären Arbeitsatmosphäre führte.

So nahm es nicht Wunder, dass beide – Ahmad Ahmad und Dr. Edward Salim – in mir eine Art Ersatzvater sahen.

Ahmad, der inzwischen auch promovierte, war ein wahrhaft begnadeter Chirurg, der über eine imponierende operative Technik und über Fähigkeiten verfügte, wie sie mir bis dahin nur einmal im Klinikum St. Georg begegnet waren.

Ich förderte ihn auf allen Gebieten der allgemeinen Chirurgie und ich vermittelte ihn – nach Absolvierung seiner vierjährigen Ausbildungszeit bei mir – weiter in andere Krankenhäuser, wo er sich dann zu einem vielseitigen Traumatologen (Unfallchirurgie) und operativen
Orthopäden entwickelte.

1996 lud er mich zu einem Besuch in den Libanon nach Beirut ein. Diese Einladung beglückte mich, weil ich mich schon seit meiner Jugend brennend für das Zweistromland und den Nahen und Mittleren Ostens interessiert hatte und damals alles über diese Länder bis hin zu Pakistan und Tibet las (s. Sven Hedin „Aro,Aro, so sah ich Tibet“).

Im Grunde schien sich ein Kindertraum verwirklichen zu wollen. Zur Vorbereitung dieser Reise informierte ich mich ausführlich an Hand Gerhard Konzelmanns „Der Unheilige Krieg“ über dieses vom Bürgerkrieg zerrissene Land.

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches hatte Frankreich den Libanon als sogenanntes Protektorat übernommen und damit eine Verfassung festgeschrieben, die von Alters her, wegen der im Lande bestehende Mehrheit der Christen, vorschrieb, dass das Amt des Präsidenten immer von einem Christen versehen werden müsse, das Amt des Ministerpräsidenten von einem Sunniten, und das des Parlamentspräsidenten von einem Schiiten.

Im Laufe der Jahrzehnte hatten sich allerdings die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der moslemischen Bürgerschaft geändert, so dass eine Änderung dieses Status Quo anstand. Dies führte dann in den siebziger Jahren zu dem zunächst rein politisch geführten Bürgerkrieg, der aber dann unaufhaltsam als Folge der multiethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung religiös motivierten Charakter annahm.

Bis dahin hatten Maroniten, orthodoxe, katholische und protestantische Christen, Schiiten, Sunniten, Alawiten, Drusen und Moslembrüder, um nur die wichtigsten Glaubensgemeinschaften zu nennen, friedlich miteinander in diesem gesegneten Lande gelebt.

Die Auswirkungen dieses Bürgerkrieges waren grässlich, zumal sich ausländische Interessen mit diesen Problemen vermischten. Sowohl Syrien, Ägypten, die USA, als auch die PLO mit Arafat und Israel sahen Möglichkeiten, ihre Machteinflüsse im Nahen Osten entscheidend zu stärken.

In diesem Durcheinander von sich bekämpfenden Gruppierungen und Armeen entwickelte sich übrigens eine neue schiitische Bewegung, die sich Hisbollah nannte, zunächst zu einer ausgesprochen terroristischen Vereinigung, die vor allem Israel Paroli zu bieten sich anschickte. Sie war es auch, die 2002 die Befreiung des Südlibanon von einer langjährigen Besetzung durch Israel militärisch erzwang.

In den letzten Jahrzehnten änderte die Hisbollah ihren Charakter und mauserte sich zu einer ausgesprochen sozial engagierten Macht, die sich um Schulen, Krankenhäuser, Kindereinrichtungen, Infrastrukturen und auch Moscheenbau kümmerte und dadurch große Akzeptanz in der Bevölkerung gewann.
Der sunnitische Ministerpräsident Hariri und der schiitische Hisbollah-Chef Nasrallah schienen sich Anfang des neuen Jahrhunderts einander nähern zu wollen, was auf erheblichen innermoslemischen Widerstand stieß und wohl auch ausländischen Interessen zuwiderlief, so dass Hariri 2006 durch ein geradezu wüstes Attentat ermordet wurde. Die Hintergründe dieser Mordtat wurden bis heute nicht geklärt, wie auch nicht das Verschwinden des einflussreichsten Schiitenführers, des Imam Musa Sadr, der anlässlich eines Besuches bei Gaddafi in den späten siebziger Jahren spurlos verschwand.
Der Vater Ahmads war zu Beginn der ausufernden Feindseligkeiten Anfang der siebziger Jahre mitten in Beirut auf offener Straße von christlichen Nachbarn erschlagen worden. Der älteste Sohn Hamad übernahm nach libanesischer Sitte die väterliche Stelle und wurde somit zum Familienoberhaupt.

 

Der erste Besuch im Libanon 1996

Ich selbst hatte überhaupt keine Bedenken so kurz nach dem Ende des grausamen Bürgerkrieges, dieses Land aufzusuchen. Familie und Freunde, allerdings, schüttelten verständnislos ihre Köpfe.

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So flog ich denn an einem Sommertag des Jahres 1996 von Berlin aus über Zypern nach Beirut. Während des Anfluges dicht über die bis fast  an die Rollbahn reichenden Siedlungen, wurde mir allerdings angesichts der ausgedehnten Zerstörungen der Stadt sehr Bange zu Mute. Der Flughafen war zu großen Teilen noch zerstört, und die Abfertigung für Passkontrolle und Zoll verlief nervtötend langsam, so dass ich dann erst nach über dreistündigem Gedränge sehr erleichtert Ahmad begrüßen konnte.

Kurz nach Sonnenuntergang wurde es ziemlich übergangslos dunkel, so dass die gespenstisch wirkenden Zerstörungen der Stadt, der geradezu zügellose Autoverkehr, die überfüllten und auch zerstörten Straßen mich tief erschreckten und beunruhigten.

Wir verließen Beirut in südlicher Richtung. Während dieser ersten Fahrt durch das auffallend stark zerstörte Südbeirut fielen mir unzählige Plakate und Poster ein und des selben Gesichtes auf, die an Masten befestigt waren und an Wänden klebten.

Auf meine Frage hin, um wen es sich dabei handele, sagte mir Ahmad, der am Steuer saß, dass es sich um das Bildnis des sehr verehrten und geliebten Imams handele, der vor Jahren in Libyen verschollen und verschwunden sei. „Ach“; sagte Ich, „ ich erinnere mich. Es gab da einen schiitischen Geistlichen, der anlässlich eines Besuches bei Gaddafi spurlos verschwand. Hieß er nicht Sadr?“. Und als ich diesen Namen aussprach, gab es einen Überraschungsruf im Fond des Autos von einem Verwandten Ahmads, der Deutsch verstand.

Der Umstand, dass ich nicht nur den Vorgang selbst, sondern auch den Namen dieses Geistlichen kannte, stiftete namenlose Überraschung und auch hohe persönliche Anerkennung meiner Person. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht, dass diese kleine Episode in der gesamten Großfamilie weitererzählt und gewürdigt werde.

 

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Sehr bald erreichten wir nach kurzem Einkaufstopp das Dorf Jiyeh, in welchem oben auf dem Hange die Brüder Ahmads und er selbst ein noch unfertiges, fünfstöckiges Haus bewohnten. Ich wurde von Ahmads Frau Anja und Söhnchen Hamudi, die ich bereits kannte, und der gesamten anwesenden Familie Ahmads, vor allem vom ältesten Bruder Hamad und seiner Familie überaus herzlich begrüßt, und sofort geriet die Sadr-Geschichte in Umlauf.

 

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Bei diesem Besuch erlebte ich erstmals die moslemische Großfamilie der Brüder Ahmads mit ihren Frauen und unzähligen Kindern, die zu unterscheiden mir sehr schwer fiel, denn alle Kinder – auch die der in der Nähe wohnenden Schwestern Ahmads – tauchten immer und  gemeinsam mit ihren Freunden in allen drei Familien auf, so dass ich nie zu einer eindeutigen Zuordnung fand.

Schon der erste Abend in diesem quirligen Kreise faszinierte mich zutiefst.Diese Faszination besteht bis auf den heutigen Tag, da ich das Osterfest 2015 bei ihnen verlebte, allerdings bereits mit Generationswechsel, denn die Kinder von damals brachten nun ihre eigenen Kleinen zu mir.

Zunächst aber machte mich Ahmad mit dem Lande vertraut, indem er mich durch das wundervolle libanesische Land fuhr. Wir fuhren ins Gebirge nach Muchtara und Bed e Dine, bis hinein nach Baruk und Zahle, in die fruchtbare Bekaa-Ebene, die weiter südlich ins Jordanland übergeht und östlich vom Antilibanon, einem beeindruckenden Gebirgskamm, gegen Syrien hin begrenzt wird. Wir fuhren auch nach Süden über Sarafand in die Stadt Tyros am Litanefluss, die auf eine über dreitausendjährige Geschichte zurückblickt mit Phönizischer und Griechischer Vergangenheit, und gen Norden erreichten wir Die Orte Junì, Ehden, Byblos und Tripoli.

weiss4 Eine Zeder in voller Pracht

Die früher einmal diese Landschaft prägenden Zedern sind nach Jahrhunderten des Raubbaus für den Schiffbau fast vollständig verschwunden, so dass Aleppo-Kiefern und Pinien die kargen und felsigen Hänge besiedeln, sofern überhaupt noch Baumwuchs besteht. Alle diese Ortschaften, die ich ja seit früher Jugend aus Büchern kannte, faszinierten  mich. Ich befand mich pausenlos in euphorischer Stimmung.

Natürlich lernte ich auch die libanesische Küche kennen, die entfernt an die türkische zu erinnern vermag, aber wesentlich feiner, schmackhafter und auch reichhaltiger ist.  

weiss5  Ende der neunziger Jahre

 

Aber anlässlich des jetzigen Besuches zu Ostern 2015 fielen mir deutliche Unterschiede zu den neunziger Jahren auf. Damals trugen nur ältere und alte Frauen Kopftücher und die Arme verhüllende Gewänder. Junge Frauen mit Kopftuch erregten äußerst selten meine Aufmerksamkeit. Nur in Beirut und den südlichen Städten Side, Nabatije und Tyros konnte man gelegentlich auf  tiefverschleierte Frauen treffen, die offensichtlich aus den Emiraten oder Saudi-Arabien stammten. Lediglich die sehr junge Freundin des jüngsten Bruders von Ahmad, Fadja, verhüllte seinerzeit ihr Haupt. Heute aber fällt auf, wenn junge Frauen und Mädchen keine Kopftücher tragen.


weiss6 Die neue Hariri-Moschee in Saida / Side

Natürlich ist der Libanon – vor allem in den südlichen und ganz nördlichen Gebieten – moslemisch geprägt. So finden sich in allen Dörfern, Gemeinden und Städten Moscheen, die teilweise Jahrhunderte alt sind und alle über mindestens ein Minarett verfügen. Über Lautsprecher ruft der Muezzin die Gläubigen fünf Mal am Tage zum Gebet auf. Dieser Ruf, der landesweit zu gleichen Zeiten ertönt, hat mich – ich wusste aus der Literatur von seiner Existenz, da ich Ihn 1959 erstmals in Ägypten hörte –  sehr berührt. Ich wusste damals nicht, dass es in diesem Aufruf immer um die gleichen Worte der Anbetung und des Bekennens geht.  

   
Es liegt im Ermessen des Muezzins, wie er die Aussage seines Gebetsrufes ausgestaltet. Er darf alle Phrasen des Aufrufs nach seinem Können und seinen Empfindungen musikalisch ausschmücken.
In vergangenen Zeiten musste der Sänger noch die umlaufenden Galerien erklimmen und seine Aufforderung zum Gebet in alle Himmelsrichtungen rufen. Heute übernimmt das ein elektronisches Gerät mit starken Lautsprechern auf den Balkonen der Minarette. Aber es gibt Geistliche, die original in Mikrophone singen. Man erkennt das, wenn man aufmerksam immer wieder hinhört, an der Vielseitigkeit der Melodien.

In Saida gibt es einen Muezzin, der seine Lobpreisungen so wunderbar melodisch singt, dass es mich geradezu ins Herz traf, zumal die arabische Musik auch über Vierteltöne verfügt, deren ziehender, ja geradezu saugender Charakter den uns gewohnten Halbtönen schwebenden Charakter verleiht.

Mich bewegten diese Rufe aus den Höhen der Minarette von Anbeginn an sehr, nicht nur als Ausdruck eines mir damals fremden Glaubens, sondern der unmittelbare Bezug des Geistlichen zu seinen Mitmenschen durch den Gesang beeindruckte mich sehr.

Die Anzahl der Minarette an den Moscheen wird willkürlich, also abhängig von den Finanzen,  festgelegt. Die Größe einer Gemeinde spielt dabei keine Rolle.

Damals, 1959, reagierten die Gläubigen sofort, unterbrachen ihre Tätigkeiten – egal ob Verkäufer, Taxifahrer oder Polizist – und legten Teppiche in Richtung Mekka aus, auf denen sie ihre Gebete verrichteten. Heute werden die Moscheen zwar so häufig aufgesucht, wie zu alten Zeiten, und die Frauen und Mädchen verbergen ihre Haare unter einem Kopftuch, aber der Ruf des Muezzins wird fast vollkommen ignoriert.

Und noch etwas fiel mir bei diesem Osterbesuch auf.

weiss7 Südstadt Beirut 1998


Damals, 1996 und 1997 achtete Ahmad, der sich sehr aufmerksam um mich bemühte, akribisch darauf, dass ich in seiner Nähe blieb. Namentlich im südlichen Tyros bat er mich dringlich, mich nicht zu weit zu entfernen, da er nicht wolle, dass ich entführt würde, denn die sich gerade etablierende Hisbollah hatte durch spektakuläre Entführungen weltweit für Aufregung gesorgt.
In den späteren Jahren lief ich dann sorglos und unbelastet durch Beirut und durch Saida,
besuchte Läden, Museen und Gaststätten.

Das ließ nun jetzt, 2015, Ahmad nicht mehr zu. Ohne es zu begründen, verweigerte er mir einen
selbstständigen Besuch der Saider Altstadt. Dass sich die Situation im Lande geändert haben könnte, kam mir zunächst gar nicht in den Sinn.

Die zahllosen Flüchtlinge aus Syrien – es sollen mehr als 1,5 Millionen sein – sind unsichtbar. Auch in Beirut hatte sich in der quirligen Stadt äußerlich nichts geändert. Aber Ahmad unternahm diesmal mit mir keine Touren durch das von mir so geliebte Land.

Der Libanon war übrigens Flüchtlinge gewohnt. Schon der Bürgerkrieg verursachte seinerzeit erhebliche Flüchtlingsbewegungen, die dann durch israelitische Invasionen und durch die Besetzung des Südlibanon verstärkt wurden.

 

weiss8 Südvorstadt Beirut Unmittelbar vor der Landebahn

 

Südlich Beiruts entstanden in den späten siebziger Jahren ausgedehnte Flüchtlingssiedlungen, die sich bis dicht an die Rollbahnen des Flughafens ausdehnten und sichtlich illegal erbaut worden waren.

Lasse ich die vergangenen 19 Jahre seit meinem ersten Besuch an mir vorüberziehen, so sehe ich als erstes den enormen baulichen Aufschwung vor mir, der nicht nur die Stadt Beirut betrifft, deren Trümmerlandschaft zügig und sehr traditionell beseitigt wurde, wobei natürlich wohl viel des alten Flairs der „Perle des Mittelmeeres“ verloren ging, auch wenn die alte „Al Hamra“, die berühmte Prachtstraße Beiruts, in früherer Schönheit erstrahlt.

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Eine „berühmte“ Ruine des schauerlichen und mörderischen Krieges, das total zerschossene Hotel „Holiday Inn“, von dessen Höhe aus Scharfschützen die verheerende Jagd auf Menschen geradezu sportlich betrieb, blieb als Mahnmal erhalten. Die Trümmerlandschaft wurde mühevoll beseitigt. Dort, wo eine Kriegswüste herrschte, wurde das neue Beirut errichtet, und man findet jetzt eine Stadt vor, die in nichts mehr an die Folgen des kriegerischen Wahnsinns zum Ende des
vergangenen Jahrtausends zu erinnern scheint. Der Autoverkehr sprengt jeden Rahmen der Vernunft, die Uferpromenaden quellen über von quirligem Leben, welches in den Abendstunden überwältigend wirkt.

 

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Aber nicht nur in der Metropole überzeugen die Aufbauerfolge. In der Peripherie führte der Bauboom die ebenfalls stark zerstörten Dörfer und Kleinstädte zu fast ausufernder Expansion, so dass die Berghänge bis in alle Höhen von Wohnblocks bedeckt sind.

Allerdings brachten Weltwirtschafts- und Finanzkrise und der Bürgerkrieg in Syrien mit der Flucht von Millionen von bedrohten Menschen nach dem Libanon ein Ende der Bautätigkeit. Schon allein die Tatsache, dass die Energieversorgung des Landes nach der gezielten Zerstörung der Kraftwerke durch Israel in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts noch immer nicht gesichert werden konnte – so wird heute noch in allen ländlichen und kleinstädtischen Bereichen zweimal täglich für 6 Stunden der Strom abgestellt –, zeigt auf, wie sehr nach wie vor dieses geschichtlich so wertvolle Land unter den Kriegsfolgen leidet.

 

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Die Besuche im Libanon brachten mir durch Ahmad beeindruckende Erlebnisse in der mir damals noch fremden Welt des Islam und in den Großfamilien dieses Landes. Ich erfreute mich der mediterranen Landschaften, die schon vor Jahrtausenden Griechen und Phönizier anlockten. Und ich tauchte auch tief in das Gesundheitssystem des Landes ein, da Dr. Ahmad Ahmad inzwischen eine traumatologisch-orthopädische Praxis mit dem Namen „German Spine Center“ in der Stadt Side betrieb, an deren häufigen Sprechstunden ich mit Interesse partizipierte. Und da er in Side durch Anbindung an eine Klinik auch operierte, konnte ich ihm mehrfach bei operativen Eingriffen assistieren. Für mich waren diese Einblicke in Bereiche „auswärtiger“ Medizin eine große und beglückende Lebenserfahrung. So auch an diesem Ostermontag des Jahres 2015,
da wir uns beide nach erfolgter Operation im Krankenhaus ablichten ließen.

Die Traditionen der libanesischen Großfamilien bedingen übrigens auch, dass alle notwendigen Arztkonsultationen immer im Familienverband erfolgen. Kein einziger Kranker erschien in der Sprechstunde ohne mehrere Angehörige. Auch in den Krankenhäusern werden die operierten Patienten Tag und Nacht von Angehörigen begleitet. Dabei handelt es sich ausschließlich um eine Art geistigen Beistand, denn die medizinische Versorgung ist lückenlos durch ausreichend Personal gesichert.

Immer wieder, wenn ich in den Morgenstunden erneut am Flughafen Beirut auf meinen Flug
nach Hause wartete, erfüllte mich sofort tiefe Sehnsucht nach diesem Land, die ich
mir selbst so richtig nicht erklären kann. Es sind wohl einfach erfüllte Jugendträume vergangener Zeiten.

Vielleicht vermag dieses Foto von einer Familienzusammenkunft am südlich gelegenen Fluss Litani im Jahre 2004 das wiederzugeben, was mich immer aufs Neue ins tausendjährige Land der Zedern lockt?

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April 2015

 



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