Ingeburgs Erinnerungen an ihre ausländischen Schüler
Ein Bericht von Ingeburg Faust, Leipzig
Eine Namibierin trifft Luther in Dresden
Mit ausländischen Lehrlingen wollte ich an einem Wandertag nach
Dresden fahren um die Stadt zu besichtigen. Zur Einführung benutzte
ich einen Bildband "Bilddokument Dresden", vom Rat der Stadt Dresden
herausgegeben 1945. Jeweils links erscheint das Bild eines bedeutenden
Gebäudes und rechts davon die Trümmer des Gebäudes nach
dem Ende des Krieges, u.a. auch die Frauenkirche mit dem Standbild Martin
Luthers.
Das rechte Bild weist auf die Trümmer der Kirche mit dem Sockel
der Statue Martin Luthers hin, er liegt daneben, das Gesicht nach oben,
die Hand und die Bibel abgeschlagen. Eine junge Afrikanerin aus Namibia
rief laut: "Martin Luther!". Alle schauten wir auf sie, und sie deutete
mit Worten und Zeichen auf Luther, dass sie ihn kenne durch den christlichen
Glauben. Nun lag es an mir, von Martin Luther zu erzählen. Hierbei
gab ich unter anderem zu verstehen, dass er die Bibel von Latein ins
Deutsche übersetzte, dazu das Meißnerische Kanzleideutsch
benutzte, da hier das sächsische Gebiet vor cirka 1000 Jahren von
Deutschen, die das Ober- und Niederdeutsch sprachen, besiedelt wurde.
Das sogenannte Hochdeutsch lernen sie, die ausländischen Lehrlinge,
jetzt in Verbindung mit ihrem Beruf. Wir besuchten Dresden, der Zwinger
war wieder aufgebaut, gingen in die Gemäldegalerie, das Lutherdenkmal
war vor den Trümmern der Frauenkirche wieder aufgerichtet. - Alles
ein unvergessenes Erlebnis.
Vietnamesische Lehrlinge in einem deutschen
Haushalt
Eine Klasse Lehrlinge aus Vietnam lud ich zu mir nach Hause ein. Ich
wohne in einem alten Lehmhaus, vor cirka 1000 Jahren gebaut, heute
unter Denkmalschutz. Ein Viertel des Hause ist unterkellert, dort
standen die Ballons mit selbstgemachtem Wein, Flaschen mit Saft und
Likör, Einmachgläser mit Obst und Gemüse, alles eigene
Ernte aus dem 1200 qm großen Garten. Nach dem gemeinsamen Kaffeetrinken
führte ich die Freunde in den besagten Keller. Die erste Frage,
die Vietnamesen stellten, war: "Wie viel Zucker haben Sie für
alles gebraucht?" und fügten hinzu, der Zucker sei in ihrer Heimat
sehr teuer. Ich konnte ihnen die Frage nicht beantworten. Aber im
Jahr darauf zählte ich die leeren Tüten, es waren 23 Stück.
Heute besteht der Garten überwiegend aus großen Rasenflächen,
jedoch ein Fünftel bestelle ich mit Kräutern, Gemüse
und Beeren. Etwas zu ernten ist mir ein Bedürfnis.
Herr Phuong Long kocht vietnamesisch
Im Ferienlager in Bad Saarow erklärte sich Herr Phuong Long
bereit, die Kochkunst der Vietnamesen dem deutschen Küchenpersonal
zu zeigen und vorzuführen. Folgendes wurde mir von den Frauen
der Küche erzählt: Herrn Phuong Longs Freunde bastelten
mit Draht und Holz einen Spieß, um damit Fische aus dem See
zu stechen. Das gelang ihnen leicht und gut. Sie brachten etliche
Fische in die Küche, und Herr Long bereitete sie mit allen
erforderlichen Gewürzen nach vietnamesischer Art zu. Die Küchenfrauen
überzeugten sich anerkennend von dem Wohlgeschmack der Speisen
vietnamesischer Kochkunst. Am Abschiedsabend erhielt Herr Phuong
Long einen Urkunde als Chefkoch von der Köchin des Heimes überreicht.
Deutsche Schülerinnen treffen Vietnamesen
Ein zwangloses Treffen bei Kaffee und Kuchen im Klubraum des Ausländerheimes
mit deutschen Schülerinnen der 10. Klasse. Gemischt saß
man am Tisch, Deutsche und Vietnamesen. Der Heimleiter sprach
eine Begrüßung, dann sollte man sich unterhalten. Dabei
ging es lebhaft zu. Jeder wollte fragen und antworten. Zwischendurch
sang Herr Hoang zur Gitarre, auch Geschenke wurden ausgetauscht.
An meinem Tisch saßen Frau Phuong und zwei deutsche Schülerinnen.
Jeder erzählte von zu Hause, alles war interessant und neu
auf beiden Seiten. Für die deutschen Schülerinnen waren
die vietnamesische Sprache und Schrift ein Mittelpunkt ihrer Fragen.
Die Antwort erfolgte mit Beispielen. Die Lateinschrift ist dem
Land Vietnam seit dem 18.Jahrhundert durch französische Missionare
bekannt. Die alte Schrift beruht auf der Grundlage der chinesischen
Schriftzeichen und wurde erst im 20.Jahrhundert völlig verdrängt,
zumal die Lateinschrift offiziell staatliches Gesetz wurde. Einige
Besonderheiten kamen zur Sprache: Zum Beispiel können Mädchen
und Jungen die gleichen Namen haben: Phuong. Aber die Silbe davor
kennzeichnet den Unterschied:
thi Phuong = ein Mädchen
van Phuong = ein Junge.
Oder: Die Zeichen über und unter dem Vokal
einer Silbe fordern eine bestimmte Tonhöhe des Vokals (Stimmlage:
ganz hoch / etwas höher / normal / ein klein wenig tiefer
/ wenig tiefer / ganz tief) und kennzeichnen auch einen anderen
Inhalt, z.B. kann die Silbe "la" je nach einem Zeichen "Musiknote
/ ist / sein / Blatt / müde / fremd" bedeuten.
Als weiteres Beispiel seien noch die unterschiedlichen Bedeutungen
von "vai" für "Schulter / Nonne / streuen / einige / ein
paar / Tonfaß / beten" benannt.
Die vietnamesische Schrift fixiert Silben, keine Wörter.
Der Fragen und Antworten nahm kein Ende, und so trennte man
sich schließlich mit einem Austausch der Adressen.