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Hospiz –  „Sterben zulassen“

Von Hans-Rainer Herold, Ellefeld

Wo möchte ich sterben? Bevor ich meine Wünsche äußere, zunächst einmal statistisch aktuelle Vorstellungen der Deutschen insgesamt.

Gewünschter Sterbeort:
                    zu Hause: 76 %
                    im Hospiz: 16 %
                    im Krankenhaus: 6 %
                    im Alten- u. Pflegeheim: 2 %

Der tatsächliche Sterbeort sieht ganz anders aus:
                    zu Hause: 20 %
                    im Hospiz: 3 %
                    im Krankenhaus: 46 %
                    im Alten- u. Pflegeheim: 31 %

Wie weit die Wünsche  und die Realität des Sterbeortes auseinanderliegen, zeigt uns die Übersicht. Das 3 von 4 Deutschen zu Hause sterben möchten, kann ich gut verstehen. Dass der Wunsch im Hospiz zu sterben so hoch ist,
muss doch begründet sein. Welche Vorstellungen vom Hospiz haben wir eigentlich? Das in Krankenhäusern oder in Alten- und Pflegeheimen die Mitarbeiter individuell auch bei der Betreuung Sterbender ihr Bestes geben, steht  außer Frage.

Was ist nun ein Hospiz? Schauen wir in die Brockhaus Enzyklopädie, Band 10, so lesen wir: Hospiz von lat. hospitium „Herberge“ in oder bei einem Kloster bzw. Beherbergungsbetrieb, Hotel, Pension mit christlicher Hausordnung.

 

Ein kurzer geschichtlicher Abriss.

Seit etwa dem Jahre 1500 entstanden in Europa spezielle Einrichtungen für unheilbar Kranke (Hospices des incurables). In Nürnberg eröffnete 1780 ein Krankenhaus, eine Art Vorläufer für stationäre Hospize, deren Motto: „Nicht um curirt zu werden, sondern unter wohlthätiger Pflege zu sterben.“

1967 erfolgte die Eröffnung  des ersten stationären Hospizes neuer Art durch die frühere Krankenschwester und spätere Ärztin Cicely Saunders (1918 – 2005) in London.

In Deutschland entstand 1986 in Aachen das erste Hospiz gefolgt 1987 vom  Hospiz Recklinghausen, welches zum Prototyp deutscher stationärer Hospize wurde. Unterdessen gibt es in Deutschland, Stand April 2016, 235 stationäre Hospize.

Der bundesweite Durchschnitt aller Hospizbetten liegt bei 27 auf eine Mio Einwohner. Sachsen verfügt über 7 stationäre Hospize: Görlitz, Meißen, Mittelsachsen (Oederan), Chemnitz, Leipzig 2, Erzgebirge (Erlabrunn) . Das einzige stationäre Hospiz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für Sachsen befindet sich in Leipzig Markleeberg.

Die Versorgung mit stationären Hospizplätzen ist in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Der Bundestag hat am 5. November 2015 das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung beschlossen, das am 8. Dezember 2015 in Kraft  getreten ist. Im Gesetz sind Ziele festgelegt, die den flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in allen Teilen Deutschlands, besonders in strukturschwachen und ländlichen Gebieten fördert.

Es ist lobenswert, dass der junge Apotheker Robert Herold, Fachapotheker für klinische, onkologische und geriatrische Pharmazie aus Falkenstein 2011 die heruntergekommene Villa (gebaut 1896) der Fabrikantenfamilie Thorey, die Gründer der weltbekannten Falkensteiner Gardinenwebereien (Falgard) gekauft hat, um sein „Herzensprojekt“, den Bau eines Hospizes, zu verwirklichen. Der Altbau der Villa wird restauriert, durch einen Neubau erfolgt die Erweiterung. Im April 2017 wird das Hospiz Vogtland „Villa Falgardin Falkenstein eröffnet. Der Träger ist das Diakonische Werk im Kirchenbezirk Auerbach e.V..

 

Im Jahr 2017 werde ich 77 Jahre alt, ich sehe mir die Werte des Statistischen Bundesamtes zur Lebenserwartung an und  meinen derzeitigen Gesundheitszu- stand. Sterben im Hospiz? Für mich schon ein „aktuelles“ Thema.

Als Zeitzeuge betrachte ich die Zeit ab 1960.

Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus finanziellen Gründen habe ich als Medizinstudent häufig nachts Sitzwachen (Betreuung und Beobachtung eines einzelnen schwerkranken Patienten) übernommen. Natürlich begleitete ich auch Sterbende. Empathie, das Hineinversetzen in Gefühle und Bedürfnisse dieser Menschen war und ist für mich wichtig. Im weiteren Berufsleben wurde mir klar, dass für ein würdevolles Sterben auch Zeit, kompetenter Beistand und entsprechende Räumlichkeiten dazu gehören. Auch ich habe die seltenen Situationen erlebt, wo Sterbende ins Bad der Station abgeschoben wurden. Natürlich kenne ich die großen Krankensäle, wo zwischen vielen Patienten der Sterbende lediglich durch eine Schirmwand geschützt war.

Gern erinnere ich mich an die strenge Oberschwester der Orthopädischen Klinik der Karl-Marx-Universität Leipzig. Als „Ruheständlerin“ hatte sie ihre Wohnung im Dachgeschoss der Klinik. Konnte sie nicht schlafen, durchquerte sie nachts das Haus, nicht unbedingt zur Freude des Personals, aber für Sterbende war sie eine Begleiterin, sie saß am Bett, hielt die Hand und der Gesichtsausdruck des Betreuten war friedlich entspannt. Auch lernte ich Situationen kennen, wo Sterbende mit verbittertem und schmerzerfülltem Gesicht fluchten. Persönlich beeindruckte mich immer wieder, dass gläubige Menschen mit dem Sterben leichter zurechtkamen.

 

Empfehlen möchte ich den Bildband „Noch mal Leben vor dem Tod, wenn Menschen sterben.“ Von Lakotta und Schels. Deutsche Verlags-Anstalt München,  9. Auflage 2014. Die Journalistin und der Fotograf  begleiteten Menschen am Ende ihres Lebens. Hierbei entstanden einfühlsame Schilderungen und Fotos.

 

Als ich als Diplom-Medizinpädagoge in der DDR an der Medizinischen Fachschule Zwickau Innere Medizin und Ethik unterrichtete, waren im Studienplan für die Fachrichtung Krankenpflege im Lehrgebiet Ethik 36 Unterrichtsstunden vorgesehen. Natürlich beinhaltete das auch das Sterben. Hierfür kamen mir die langjährigen praktischen Erfahrungen zu Gute. Als Literatur dienten zum Beispiel  „Ethik in der Medizin“ von Prof. Ernst Luther, Verlag Volk und Gesundheit Berlin 1986. Im gleichen Verlag erschien auch 1986 „Wenn ein Mensch stirbt“ von Kay Blumenthal-Barby.

Nach der Wende wurde für uns das Krankenpflegegesetz von 1985,  zuletzt geändert 1992 (BGBI), bestimmend.

Namen, wie Liliane Juchli (geb. 1933), die „Grande Dame“ der Pflege, ich selbst habe sie in der Leipziger Kongresshalle kennengelernt. Ihr lebhafter Vortrag bleibt allen Teilnehmern unvergesslich. In Fachkreisen ist ihr Buch „Krankenpflege-Praxis und Theorie“  Thieme Verlag Stuttgart, 6. Auflage 1991 das Standardwerk. Im November 2016  hielt sie auf dem Pflegekongress in Berlin einen mit Begeisterung aufgenommenen Vortrag. Da war sie bereits 83 Jahre alt. Ihre Forderung: „Die Hospizarbeit möchte auch  das Bewusstsein unserer Gesellschaft beeinflussen und dazu beitragen, dass das Sterben wieder Teil des Lebens werden kann und von einer tragfähigen Gruppe begleitet wird.“

Oder: Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) wurde durch ihre Forschungen über Tod und Sterben zur anerkannten Expertin auf diesem Gebiet.

 

Auf ihre Initiative hin wurden in den Vereinigten Staaten mehrere „Hospices“ eingerichtet, in denen Sterbenskranke bis zu ihrem Tod liebevoll gepflegt werden. Übrigens, Cicely Saunders starb 2005 in ihrem eigenen stationären Hospiz.

 

Wie wir in der einführenden Statistik gesehen haben, möchten viele Menschen nicht im Krankenhaus oder im Alten- und Pflegeheim, sondern im Hospiz sterben.

Regelmäßig besuche ich das Hospiz Naila. Die Diakonie Martinsberg ist Träger des Hospizes. Was gefällt mir hier? Schon das Betreuungskonzept, hier heißt es: „Aufgenommen werden alle erwachsenen Menschen unabhängig von Alter, Nationalität und Religion, die eine Krankheit haben, welche unheilbar und weiter fortschreitend verläuft. Allein die persönliche Bedürftigkeit, nicht die finanzielle Situation, entscheidet.“ 

Bedürfnisse (liebevolle pflegerische Betreuung, Schmerzlinderung, spirituelle Begleitung) und Wünsche der schwer kranken Menschen (im Hospiz „Gäste“) zu erfüllen, steht im Mittelpunkt des gemeinsamen Handelns von Kranken-
pflegefachkräften, Ärzten, ehrenamtlichen Helfern, hauswirtschaftlichen Mitarbeitern und Seelsorgern.

In vielen Gesprächen, die ich mit „Gästen“ führen durfte, war die hohe Wertschätzung eines stationären Hospizes deutlich erkennbar.

 

Und ich?  Wann, wie und wo ich sterben werde, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich, dass es stationäre Hospize gibt, ist für mich eine beruhigende Angelegenheit.

 

Zum Schluss möchte ich einen der führenden Palliativmediziner Europas zu Wort kommen lassen. Prof. Domenico Borasio, die drei goldenen Regeln für Entscheidungen am Lebensende lauten: „Erstens reden, zweitens reden, drittens reden.

Jeder sollte mit den Menschen, die ihm nahe stehen, darüber sprechen, wie man sich das Lebensende vorstellt- und zwar rechtzeitig, bevor diese Situation eintritt.

 

Januar 2017



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