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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

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Meine Liebe zur klassischen Musik

Von Hans-Rainer Herold, Ellefeld

Mein Großvater mütterlicherseits war Musiker. Vor mir liegt sein Abgangszeugnis vom 31. Juli 1900 der Musikschule Petschau. In der 6-jährigen theoretisch-praktischen Ausbildung erzielte er vorzügliche Ergebnisse, z.B. bei seinen Haupt-Instrumenten Posaune und Waldhorn. Als Musiker ging er nach Wien und blies das Waldhorn bei der Militärkapelle Hoch- und Deutschmeister. 1914 ist er im 1. Weltkrieg gefallen.


Mein Vater (1909 - 1982) studierte in Leipzig Musik. Bratsche und Waldhorn waren seine Hauptinstrumente. Am 20.02.1949 schreibt er als Kriegsgefangener aus dem Lager 7444 in der UdSSR an meine Mutter:
 „Wenn durchführbar, bitte Rainer Klavierspielunterricht bei gutem Lehrer geben lassen.“ So ist es dann auch gekommen. Damit beginnt meine „Zeitzeugenberichtschreibung“. Im Jahr 1940 wurde ich in Treuen/Vogtland geboren. Ab dem 9. Lebensjahr erhielt ich nacheinander von 3 Klavierlehrern in meiner Geburtsstadt Unterricht.


Bei Kantor Grösel erlernte ich die Grundlagen des Klavierspielens mit Hilfe der damals sehr weit verbreiteten Klavierschule von Damm: „Praktisch bewährte Anleitung zur gründlichen Erlernung des Klavierspieles“ aus dem Jahre 1905.


Übrigens, Gustav Damm ist das Pseudonym von Theodor Steingräber, dem Gründer des Steingräber Musikverlages Hannover, der 1890 nach Leipzig, in die Stadt der Musikverlage, übersiedelte. Hatten wir Besuch, so spielte ich aus der Damm–Schule Robert Schumanns „Fröhlichen Landmann“ vor. Die Gäste und die Verwandtschaft akzeptierten das. In der Goethe-Halle Treuen durfte ich dann bei einem Schülerkonzert Ludwig van Beethovens Sonatine in F–Dur vortragen.


Mein zweiter Musiklehrer war K. Perlitz. Sein erster Kommentar: „Grösel will aus jedem Schüler einen Musikprofessor machen.“ Bei ihm lernte ich das Auswendigspielen, Dreiklang, das Oktavenspiel im Bass-Bereich usw. Lustig fand ich immer, wenn die Frau des Klavierlehrers mit der Geige kam und wir zu dritt musizierten.
Der dritte Klavierlehrer war H. Rahmig. Er war der Pianist der Tanzkapelle Hart–Löscher. Der Sohn von Wilhelm Hart war der 2002 verstorbene Treuener Jürgen Hart, der Leiter der academixer Leipzig (Sein Lied: Sing, mein Sachse, sing.).


Mein Paradestück, welches ich bei H. Rahmig erlernte, war die Sonate Opus 13 Pathetique von Ludwig van Beethoven. Die konnte ich ganz gut spielen. Überall, wo sich die Gelegenheit bot, trug ich sie vor.


Natürlich habe ich meinem Vater, der spät aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, musikalisch sehr viel zu verdanken. Er spielte Geige und ich Klavier, z.B.  das Ave Maria von Bach/Gounod.


Im Jahr 1957 begann ich mein Studium in Leipzig. Ich wohnte im Internat „Nürnberger Straße“ der Karl-Marx-Universität, gegenüber des Anatomischen Institutes.


In der 2. Etage stand ein Flügel. Natürlich habe ich mein Paradestück „Pathetique“ hier nur den 1. Satz, Grave, gespielt. Warum ich am Schluss noch ein „c“ ranhängte, weiß ich nicht, aber ein polnischer Musikstudent, der mir zuhörte, war von dem Ton entsetzt. Er spielte mir anschließend noch die restlichen beiden Sätze (Adagio cantabile und das Rondo allegro) vor. Mein Spiel fand er gut, aber das zusätzliche „c“ am Ende verstand er nicht. Ich, aus heutiger Sicht, auch nicht.


Als Student in so einer Musikstadt wie Leipzig zu wohnen, in der so große Musiker wie Bach, Mendelssohn Bartholdy, Wagner, die Schumanns, Grieg, Mahler wirkten, wo Gewandhausorchester und der Thomanerchor zu Hause sind, erweckt einfach die Liebe zur klassischen Musik.


Als ich später in meiner „Studentenbude“ in Gohlis, Menckestraße, in der Nähe des Gohliser Schlösschens wohnte, besorgte mir mein Studienfreund R.M. über seinen Vater, der in der Julius Blüthner Pianofortefabrik Leipzig als Klavierbauer, speziell für Hammerköpfe zuständig war, ein Klavier. Für mich eine tolle Sache.       


Kaum erhielt ich  180,- Mark Stipendium, kaufte ich mir außer weniger medizinischer Literatur (ich besaß ja eine Jahresbenutzungskarte der Deutschen Bücherei für 1,-Mark Einschreibgebühr, die ich auch sehr nutzte) natürlich Noten. Dazu bin ich gern in die Musikalienhandlung Rudolf Haase in die Nikolaistraße gegangen, auch in die Musikhandlungen im Schuhmachergässchen und am Neumarkt zur Musikalienhandlung M. Oelsner, neben dem Kino „Casino“. Seit 1998 befindet sich dieses Musikhaus in der Schillerstraße.


Mein Klavierrepertoire wurde umfangreicher, nicht nur die Klassik. Ob im Arbeitseinsatz, Ernteeinsatz oder zu irgendwelchen Feiern hätte ich meine Kommilitonen mit einer Beethoven-Sonate kaum vom Hocker reißen können.


So spielte ich von den Verlagen VEB Lied der Zeit und dem Harth Musik Verlag Einzelausgaben von Schlagern nach der 60/40 Regelung. So gehörte z.B. Gershwins „Rhapsody in Blue“ zum 40% Anteil. In Erinnerung ist mir das Hotel Hochstein (heute Hotel am Bayrischen Platz) geblieben. Hier stand ein Flügel, den ich benutzen durfte. Ich sehe noch den Hotelchef, mit dem Schlüssel kommend, um den abgesperrten Flügel zu öffnen. Das ich im Gohliser Schlösschen die Leipziger Konzertpianistin Lo Bücheler-Gerfin kennen lernen durfte, war für meine Liebe zur klassischen Musik von Vorteil. Von ihr erhielt ich viele Hinweise für mein Klavierspiel, auch Noten, Impromptus von Franz Schubert. Ich zieh´ aus einem Notenstapel das Heft heraus Impromptus, Opus 90, Nr. 2. Ich erkenne ihre Unterstreichungen, das war im Jahr 1965. Es sind 52 Jahre vergangen, jetzt, am 15. Februar 2017 setze ich mich ans Klavier und spiele das. Sie ist 1983 verstorben und auf dem Südfriedhof begraben.
  
Mit meiner Frau, die ebenfalls in Leipzig studierte, besuchte ich die Gewandhauskonzerte, damals noch in der Kongresshalle am Zoo. So erlebten wir Dirigenten wie Franz Konwitschny, Vaclav Neumann und Kurt Masur.
Im Flachtraktbau zwischen den drei 10 geschossigen Wohnhochhäusern am Brühl, befand sich ab 1969 das „Polnische Informations- und Kulturzentrum“.


Als Liebhaber der Klavier-Musik von Fryderyk Chopin hatte ich die Chance, dort über längere Zeit die Gesamtausgabe von Chopins Klavierwerken der Schallplatten-Firma Polskie Nagrania Muza,  billig zu erwerben. Übrigens war Chopin 1835 auch Gast bei Clara und Robert Schumann in Leipzig.


Im Jahr 1977 ging ich von Leipzig nach Zwickau. An der Medizinischen Fachschule unterrichtete ich Anatomie/Physiologie und Innere Medizin. Beruflich hatte ich mit Musik nichts zu tun.


Natürlich gestalteten wir Lehrer und Studenten auch Kulturprogramme. So begleitete ich am Klavier eine Studentin, die vorher das Robert-Schumann-Konservatorium besuchte. Sie sang hervorragend Schumanns „Marienwürmchen“ (aus Op. 79). Auch zu Aufnahmefeiern für unsere Studenten spielte ich gern Klavier, z.B. Chopins Etüde Opus 10 Nr. 3, Liszt´s Notturno Nr. 3 (Liebestraum) oder eine Klavierbearbeitung von Lloyd Webbers „Argentina“. 


Warum höre ich überhaupt so gern klassische Musik? Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkung der Musik (sie lindert Schmerzen und Depressionen, sie heilt, lässt besser schlafen usw.). Für mich gilt schlicht und einfach: sie gefällt mir, sie ist abwechslungsreich und bewirkt  Emotionen.


Ein totaler Höhepunkt für Leipzig war der Bau und die Eröffnung des Gewandhauses am 8. Oktober 1981 mit Beethovens Sinfonie Nr. 9 unter der Leitung von Kurt Masur. Übrigens, den Text „Freude schöner Götterfunken“ für den 4. Satz der 9. Symphonie schrieb 1785 Friedrich Schiller in der heutigen Menckestraße, wo ich viele Jahre wohnte.


Unvergessen im Gewandhaus sind für mich Konzerte, wie z.B.: Gustav Mahler, Symphonie Nr. 8 unter Riccardo Chailly am 26.05.2011 oder Konzerte mit Pianisten, wie Martha Argerich, Helene Grimaud  und Maurizio Pollini. Gern erinnere ich mich an mehrere Konzerte mit Kurt Masur oder an ein Neujahrskonzert  unter der Leitung von Herbert Blomstedt.


Die Liebe zur klassischen Musik ist für mich geblieben, das heißt, für uns, denn schon viele Jahre besuchen meine Frau und ich gemeinsam Musikveranstaltungen.  

Wir sind nun beide Rentner, wohnen in Ellefeld / Vogtland. Seit 10 Jahren besuchen wir die Seniorenakademie/Seniorenkolleg der Universität Leipzig.


Hierzu fahren wir sehr gern vierzehntägig in die wunderschöne Stadt, die zum Rundgang (z.B. „Leipziger Notenspur“)  einlädt und zum kurzen Verweilen in der von uns hochgeschätzten „Kümmel-Apotheke“ der Mädler-Passage.


Und die klassische Musik? Ja, in Kürze besuchen wir ein Gewandhauskonzert  unter der Leitung von Herbert Blomstedt mit Anne-Sophie Mutter als Solistin.

 

Februar 2017



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