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Zum Begriff der Würde des Menschen

Von Hans-Rainer Herold, Ellefeld

Ich bin Jahrgang 1940, also in der DDR aufgewachsen. Meine Vorstellung vom Begriff „Würde“ war bescheiden. Für mich hatte er etwas mit „Ansehen“ und „Charakter“ eines Menschen zu tun.

Schau ich in die Verfassung der DDR von 1974, so erscheint der Begriff „Würde“ im Artikel 4: „Alle Macht dient dem Wohle des Volkes. Sie sichert sein friedliches Leben, schützt die sozialistische Gesellschaft und gewährleistet die sozialistische Lebensweise der Bürger, die freie Entwicklung des Menschen, wahrt seine Würde und garantiert die in der Verfassung verbürgten Rechte.“

Im Artikel 19 heißt es: „Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit sind Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger.“

Konkreter wurde für mich der Begriff „Würde“ durch meine Lehrtätigkeit in den Fächern „Innere Medizin“ und „Ethik“ an der Medizinischen Fachschule in Zwickau. Im Studienplan für die Fachrichtung Krankenpflege von 1985 heißt es auf S. 16 u.a. im Absolventengelöbnis: „Kranke und hilfsbedürftige Menschen gewissenhaft zu betreuen, mich dem Patienten gegenüber aufmerksam zu verhalten und seine Persönlichkeit und Würde zu achten.“

Ich „studierte“ Literatur, las Beiträge von Philosophen und Medizinern der DDR, machte mich mit Kant vertraut und verschaffte mir so eine gewisse Vorstellung über Würde. Wer von uns den in der DDR unerwünschten Radiosender RIAS hörte, konnte seit 1950 jeden Sonntagmittag zum Geläut der Freiheitsglocke im Turm des Schöneberger Rathauses das Freiheitsgelöbnis hören: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen.“

Auf der Grundlage des Einigungsvertrages gilt seit dem 3. Oktober 1990 das Grundgesetz für das ganze Deutschland. Im Artikel 1(1) heißt es:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Hierzu schrieb der damalige Bundespräsident  Johannes Rau (1931 – 2006):
„Im Artikel 1 heißt es nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar, es heißt auch nicht die Würde des Gesunden oder des gut Verdienenden, sondern es heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

In der Verfassung des Freistaates Sachsen von 1992 erscheint ebenfalls der Begriff Würde. So zu lesen im Artikel 14(2): „Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist Quelle aller Grundrechte.“  Auch international taucht häufig der Begriff Würde auf.  Z.B. in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 im Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Damit ist der Inhalt des Begriffes Würde noch nicht erklärt.                              

Das Bundesverfassungsgericht definiert so:
„Die Menschenwürde ist ein Wert, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen
Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status.“

Da die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar ist, die Menschenwürde somit absolut ist, führt jeder Verstoß gegen die Menschenwürde  zur Verfassungswidrigkeit.

 

Ein Blick in die Geschichte
Im Deutschen Wörterbuch von Jakob Grimm (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859) (Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften der Universität Trier in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften Berlin) kann man lesen:
„Würde ist die Bezeichnung für Rang, Amt, hohe Stellung und Funktion. Ahd. wirdi (Wert), lat. dignitas.“

Schon in der Antike galt der Begriff Würde als herausragender sozialer Rang, den eine Person innehat. Cicero (106 v.Chr. – 43 v.Chr.)  Politiker und Philosoph in Rom schreibt im Standardwerk  antiker Ethik De officiis 1/107 (Pflicht, pflichtgemäßes Handeln):
„Der Mensch besitzt eine mit der Geburt gelieferte Würde. Er kann seine Würde erhalten und vergrößern (durch Nützlichkeit für die Gemeinschaft)   oder verlieren (durch unsittliches und ungebührliches Verhalten).“ In der Antike ist Würde somit abstufbar und veräußerlich.

Für den christlichen Würdebegriff möchte ich Reiner Anselm, Prof. für Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Wort kommen lassen:
„Aus christlicher Sicht wird dem Menschen seine Würde von Gott zugesprochen, unabhängig von äußeren Voraussetzungen, menschlichen Fähigkeiten und Wesensmerkmalen. Die ein für allemal zugesprochene Würde ist nicht wieder entziehbar, sondern unbegrenzt.“

Am einflussreichsten bis in die heutige Zeit hat Immanuel Kant (1724 – 1804) in seiner Moralphilosophie den Würdebegriff geprägt. Für Kant ist es wichtig, dass die Würde dem Menschen aufgrund von Vernunftbegabung, Sittlichkeit und Autonomie gegeben ist.  Sein kategorischer Imperativ setzt Vernunft voraus.
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (aus Grundlegung zur Metaphysik der Sitten).

Der Mensch ist Kant zufolge prinzipiell Selbst-Zweck, denn durch seine Vernunft ist es ihm allein möglich, Zweck zu setzen. Unter Zweck wird der Beweggrund  einer zielgerichteten Tätigkeit oder eines Verhaltens verstanden.
„ Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent gesetzt werden, was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äqui- valent gestattet, das hat einen inneren Wert, eine Würde“ (aus Grundlegung der Metaphysik der Sitten).

Professor Thomas Gutmann, Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Medizinethik an der Universität Münster:
„Würde liegt nach Kant in der aktuellen Fähigkeit zur vernünftigen (moralischen) Selbstbestimmung. Sie, und nur sie definiert den Status „Person“ bzw. „moralisches Subjekt“, über diese Fähigkeit verfügen nicht alle Menschen z.B. Kleinkinder, schwer geistig Behinderte, demente oder komatöse Menschen.“

Über den Begriff Würde, der in jüngster Zeit fast „inflationär“ geworden ist, äußerte sich Professor Edgar Dahl, Biomediziner, Philosoph und Bioethiker, Universität Münster: „Angesichts der Beliebigkeit, mit der man die Idee der Menschenwürde verwenden kann, wird er denn auch immer häufiger als eine bloße Leerformel abgetan. Am besten sollte man sich überhaupt nicht auf ihn berufen.“

Noch weiter ging Professor Wolfgang Wickler, Verhaltensforscher: „Würde ist ein Konjunktiv.“

 

Ich wünsche mir, dass sich Philosophen, Ethiker und auch andere Geisteswissenschaftler um eine zeitgemäße Definition der Würde bemühen. Für mich ist der Begriff Würde unverzichtbar.

 

September 2017



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