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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

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Die große und die kleine Usch während des Lehrerstudiums

Ein Bericht von Ursula Bückner, Markkleeberg

Die Geschichte erzählt von zwei jungen Mädchen, die beide Lehrerin werden wollten und zufällig im Jahre 1952 in einer Klasse am Lehrerbildungsinstitut aufgenommen wurden. Unterschiedlicher konnten zwei fast gleichaltrige junge Mädchen nicht sein. Das eine groß, massig mit Bauch und Doppelkinn, wie eine Frau die nie jung war, das andere noch Kind, figürlich unfertig, unreif im Denken und Handeln. Gemocht haben sich die beiden nie. Für die Große war die Kleine zu unfertig. Der Kleinen die Große zu herrschsüchtig.

Trotzdem gab es einen Tag während ihrer Ausbildungszeit, an dem die beiden Hand in Hand gingen und sich auch nicht losließen. Das war der Karnevalsdienstag 1953. Institutsfasching mit Kostümzwang war von Schulleitung, Partei und FdJ angesagt. Das galt für alle. Wer sich ausschloß, mußte schon wichtige Gründe haben, um nicht als Feind des Kollektivs zu gelten. Sogar unterrichtsfrei gab es an diesem Tag. Und die streng vorgeschriebene Hausaufgaben-zeit durfte am Vortag zur Vorbereitung der Kostümherstellung genutzt werden. Das war auch notwendig, denn Kostümverleih oder Geschäfte, die Glimmer und Glitzer verkauften, gab es nicht. Geld dafür hätten die Studenten sowieso nicht gehabt.

Die rank und schlank gewachsene Ingrid ließ sich das geliehene Badetuch geschickt um den Körper drapieren und tanzte als Aphrodite durch den Fasching. Die mollige Susi dagegen, wurde als Hund widerstrebend in eine Decke eingenäht und hatte sich schwitzend durch den Tag zu bellen.

Bückner Wer auf die Idee kam, oder ob es sich bei den bescheidenen Verkleidungsversuchen so ergab. Eine Ursula war plötzlich Gouvernante mit Hut und Glacehandschuhen und hatte die andere als Schulkind mit Zöpfchen und Ranzen, aus dem der Schwamm heraus baumelte, an der Hand. Allen fiel das ungleiche Paar auf, bei dem jeder sich selbst spielte. Seit diesem Tage waren nicht nur in der Klasse, sondern im ganzen Institut, als die kleine und die große Usch bekannt. Ab Aschermittwoch ging wieder alles seinen bis ins Detail vorgeschriebenen Gang. Die Große herrschte weiterhin als Klassensprecherin, die Kleine wurde nun langsam für die Jungen interessant.

Eines Tages hieß es, Stalin sei gestorben. Große Trauer war angesagt. Student Hauenschild heulte, ob echt oder geheuchelt, das war schwer zu sagen. Auf Befehl der Institutsleitung mußten die Studenten und Studentinnen rund um die Uhr an der Büste des damals fast als Heiligen verehrten und später verdammten Stalin mit Trauerflor am Arm und Gewehr bei Fuß Totenwache halten. Im Zweistundentakt wurde gewechselt Die kleine Usch hatte zwei Uhr morgens abzulösen. Sie legte sich auch das von ihrer Mutti genähte Blauhemd (Das sah nicht ganz so nach Uniform aus.) parat. Aber ihr kindlicher Schlaf ließ sie nicht wach werden.

Riesige Angst am Morgen. Da kam auch schon die große Usch als grollende Woge mit den schrecklichsten Verheißungen auf den Lippen daher. Genosse Hauenschild, der Partei eifrigster Diener, der vergeblich auf seine Ablösung gewartet hatte und seinen Platz nicht verlassen durfte, hatte notgedungen für die kleine Usch weitere zwei Stunden regungslos an der Büste gestanden.

Wer von den beiden linientreuen Klassenfunktionären die Ahnung hatte, wenn der Vorfall an die große Glocke kommt, ist es aus mit der Urkunde fürs beste Klassenkollektiv, hat die kleine Usch nie erfahren. Sie brauchte jedenfalls nicht lange zittern, wurde auch nicht von der Schule gewiesen, sondern sollte nur schweigen.
Hatte die Kleine einen Schutzengel? Aber wen?

Die drei Jahre Lehrerausbildung wurden auf zwei verkürzt. Der Grund war akuter Lehrermangel in der ganzen DDR, vor allem im Norden. Viele der wenigen Lehrer, die nicht mit nationalsozialistischer Vergangenheit behaftet waren, gingen enttäuscht von dem sich vom antifaschistischen zum komunistischen entwickelnden Regime nach dem Westen. Und viele der Neulehrer, die nach wenigen Wochen Unterweisung unterrichten mußten, suchten sich einen anderen Broterwerb. Beide Usch´s bestanden die vorgezogenen Prüfungen gut und besser und sollten nun da eingesetzt werden, wo Staat und Regierung sie brauchte.

Die Große saß an dem mit blauem Fahnentuch eingehüllten Tisch und verteilte mit Vertretern von Partei- und Institutsleitung neben dem Klassenlehrer die Einsatzgebiete an die anderen. Die Kleine saß davor einsam auf einem Stuhl, gerade 18jährig und immer noch Kind und fürchtete nur ein Wort: Mecklenburg. Da war bisher kaum jemand gewesen. und keiner wollte so weit von zu Hause weg und so endgültig von den Freundinnen getrennt sein. Das gefürchtete Wort kam, eingepackt in Worte, die den Einsatzort weniger weit und weniger schlimm erscheinen lassen sollten. Aber diese Worte hörte die Kleine schon nicht mehr. Sie weinte. Die Mächtigen versuchten zu überzeugen, als das nichts half, drohten sie. Die Kleine heulte noch mehr. Ratlosigkeit hinter dem Tisch. Man sah sich nun schweigend an. Da bot die große Usch der kleinen ihre bevorzugte Stelle in Mitteldeutschland an. Fassungslos starrte die Kleine die Große an. Da wurde sie auch schon aus dem Zimmer geschickt.
Mußte sie nun ewig dankbar sein? Sie glaubte es.

Nur noch wenige Tage, dann ging jeder in eine andere Richtung und wurde Lehrer.

Viele Jahre später erfuhr die kleine Usch auf einem Klassentreffen, daß die der Staatsführung treu ergebene Große nicht lange in Mecklenburg gewesen sei, sondern bald darauf im westlichen Teil Deutschlands bei dem von ihr so bezeichneten Klassenfeind Kinder unterrichtete.
War das der Ort, wo Partei und Regierung sie hingeschickt hatte?

Selbst hat sie sich nie bei einem Treffen sehen lassen.
Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung ist sie gestorben.

 



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