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Universität Leipzig

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Zwischen Russen und Amerikanern in Eilenburg

Ein Bericht von Ursula Bückner, Markkleeberg

Der Beschuss im April 1945

Ursel kannte ihren Vater kaum. Er war seit mehr als 5 Jahren Soldat. Wie ein Wunder hatte er zuerst an der West- und später an der Ostfront als Kradmelder in vorderster Reihe den Krieg überlebt. Ursel hatte inzwischen Lesen und Schreiben gelernt, obwohl der Unterricht wegen Bombenalarm immer häufiger ausfiel. Regelmäßig hatte sie kleine Briefchen an eine Feldpostnummer geschrieben.
Viele Städte waren in rauchende Trümmerwüsten verwandelt worden, auch das nahe Leipzig. Auf das kleine Eilenburg mit der Sorbenburg und dem schönen Renaissance-Rathaus waren nur ein paar verirrte Bomben gefallen, und diese hatten wenig Schaden angerichtet. Die Verwandten aus Breslau hatten bei Ursels Mutter in der kleinen Zweizimmerwohnüng Zuflucht gesucht. Schlesien war von den Russen überrollt. Und der Lehrer hatte doch so viel von einer Wunderwaffe und dem Endsieg erzählt.

Ein kalter April 1945. Ursel fror nicht. Sie hatte ja eine warme graue Mütze mit Krimmerbesatz. Aber noch nach vielen Jahren konnte sie die Gänsehaut fühlen, die ihren Körper überzog, als plötzlich aus Richtung Leipzig Donner grollte. Es waren die großen Militärfahrzeuge der Amerikaner, die man kilometerweit hörte, die von den Müttern angstvoll zwar, doch auf ein Ende des Krieges hoffend, erwartet wurden. Kurz vor der Stadt blieben sie stehen.

Als wenig später Granaten über den Bergstadtteil pfiffen, hörte Ursel Töne, die sie nie vergessen wird, ebensowenig wie das Geräusch beim Einschlagen der Geschosse und das darauffolgende Krachen und Bersten.
Im Luftschutzkeller war das Ausmaß des Infernos, das sich im unteren Stadtteil entlud, nur zu ahnen. Am nächsten Morgen gab es eine Feuerpause. Oder war es das Ende des Wahnsinns?
Es war nur eine kurze Unterbrechung, die aber Ursels Mutter dazu verleitet hatte nach ihrem Vater in der Stadt zu sehen. Über Hindernisse kletternd, wo sich Überlebende aus den rauchenden Trümmern herausarbeiteten, vorbei an sterbenden Menschen und Tieren, gelangte Ursel mit ihrer Mutti doch zum Großvater. Das große Haus, ein ehemaliges Lazarett, stand noch. An ein Zurück war nicht zu denken, denn das Inferno begann von Neuem. Diesmal steckte die Achtjährige mitten drin im überfüllten Luftschutzkeller, bei völliger Dunkelheit, immer wieder Einschläge und betende alte Frauen, schreiende Kinder und beherzte Frauen, die die Brandherde sofort zuschütteten. Als der hintere Eingang zum Keller zusammenbrach, gab es kein Halten mehr. Hinaus ins Freie! Lieber draußen von einer Granate oder einer Bombe zerfetzt werden, als im Keller zu ersticken. Die Menschen versteckten sich in den Bombentrichtern. Aber als das nächste Geschoss einschlug und die Wiese neben ihnen in einen Krater verwandelte, die Druckwelle weitere Todesängste erzeugte, versuchten die völlig in Panik geratenen Menschen vor dem nächsten Einschlag das teilweise verschüttete Loch, das wieder in den Keller führte, zu erreichen. Wie lange Ursel dann wieder dort zugebracht hat, weiß sie nicht mehr.
Plötzlich anhaltende Stille. In allen steckte noch die Angst, die nächsten Sekunden, Minuten nicht zu überleben. Plötzlich Geräusche, die vermuten ließen, daß jemand von außen die vordere Kellertür freiräumt. Kommen jetzt die Russen, die gefürchteten, oder die Amerikaner? Wieder Angst.
Helles Licht und Staub, drang durch die Öffnung. Plötzlich waren die Umrisse eines Soldaten zu erkennen. Wer aber? Der Mann sagte etwas. Kaum einer konnte es deuten.
Aber Ursels Mutter löste sich aus der verängstigt dahockenden Menschentraube. Sie und der Fremde lagen sich in den Armen. Unter Tränen, ob des wie ein Wunder erscheinenden Wiedersehens, erfuhr sie, daß ihr Mann verwundet die Ostfront überlebt hatte und leidlich wiederhergestellt nun an der Heimatfront weiterkämpfen sollte. Sie gratulierte ihm, der inzwischen seine verängstigte Tochter auf dem Arm hatte, noch zum 35. Geburtstag. Bevor Ursel etwas begreifen konnte, schon wieder Abschied. Der Vater wollte sich, wenn er schon nicht bei seinen Lieben bleiben konnte, lieber in amerikanische Gefangenschaft begeben, als sich von den Russen aufspüren zu lassen.

Den Keller verlassend, blinzelten alle in die Sonne. Trotz des 40stündigen Beschusses waren auf den verstümmelten Bäumen die Kirschen aufgeblüht. Dies ließ die Verwüstung weniger schrecklich erscheinen.



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