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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

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Schüler, Studenten, Verwaltungskräfte – die Arbeitskräftereserve der DDR

Ein Bericht von Wolfgang Hirsch, Eilenburg

Auf den Kartoffel-, Rüben- und Getreidefeldern

Als ich unsere kleine Dorfschule in der Nähe von Stadtroda besuchte, machte ich etwa ab dem 5. oder 6. Schuljahr meine ersten Erfahrungen mit der Arbeitswelt.

Von entsprechendem Propagandarummel begleitet, wurden wir zu Beginn der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in den letzten August- oder ersten Septemberwochen nachmittags auf die Felder geschickt, um Kartoffelkäfer von den Pflanzen abzulesen. Die Amerikaner sollten, wie man in den Zeitungen lesen konnte, mit ihren Flugzeugen über die junge DDR geflogen sein und über den Feldern Kartoffelkäfer bzw. ihre Larven abgeworfen haben.

Wurde in den ersten Wochen noch jeder gesammelte Käfer mit 0,50 DM vergütet (bis Juli 1964 trug auch die DDR-Mark die Bezeichnung DM), so sank mit wachsenden Sammelerfolgen der Preis drastisch nach und nach auf 0,05 DM, bis es schließlich überhaupt nichts mehr gab. Diese Vergütung wurde uns vom beaufsichtigenden Lehrer ausgezahlt. Gefüllt wurde seine Kasse, wie man hörte, aus einem entsprechenden Fonds des Rates des Kreises Abt. Landwirtschaft. Zum Schluss konnten wir uns aber noch freuen, wenn der Bauer für unsere Sammelleistung wenigstens etwas essbares spendierte.

Als wir Kinder größer wurden, konnte man uns auch für körperlich schwerere oder verantwortungsvollere Arbeiten einsetzen. Also war dann auf den Feldern unseres Dorfes, die mittlerweile zu einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) gehörten, im Frühjahr das Verziehen von Rüben bzw. während der Herbstferien das Verladen von Rübenblättern angesagt. Bei letzterer Tätigkeit machte ich die Erfahrung, dass es in der Landwirtschaft (vielleicht mit Ausnahme des Verladens von Stalldung mittels einer einfachen Gabel) kaum eine körperlich anstrengendere Arbeit gibt, als diese.

 

Vergleichsweise einfach war dagegen das Einbringen der Kartoffelernte. Das Lesen der Knollen aus den frisch gepflügten Furchen war zwar auch anstrengend, aber daran gewöhnte man sich schnell. Allerdings konnte es vorkommen, dass uns das kalte und/oder nasse Herbstwetter den einen oder anderen Streich spielte.

In den großen Sommerferien war ein Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Tätigkeit das Einbringen der Getreideernte. Eines Tages fand ich mich auf dem Sitz eines Mähbinders wieder, der zum Maschinenpark der örtlichen Maschinenausleihstation (MAS) gehörte. Die noch verbliebenen Kleinbauern, aber auch die LPG, konnten in den fünfziger Jahren für ihre Erntearbeiten diese Maschinen samt Besatzung mieten. So lernte ich in meiner Freizeit, wie man einen Mähbinder schwer bestimmbaren Alters bedient, der von einem Traktor des Typs „BTW Aktivist“ oder „Pionier“ durch die Getreidefelder gezogen wurde.

Als Oberschüler im keramischen Werk Hermsdorf

Als ich später zur Oberschule ging, änderte sich auch das praktische Tätigkeitsfeld. Arbeitskräfte waren, wie ich inzwischen gelernt hatte, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Industrie knapp. So fand ich mich in den großen Ferien als Oberschüler zunächst in der Verpackungsabteilung der keramischen Werke Hermsdorf wieder. Im Unterschied zu meinen einschlägigen Erfahrungen in der Landwirtschaft erhielt ich hier, entsprechend dem damaligen bescheidenen Lohnniveau, eine Vergütung.

Ich lernte, wie man Kisten herstellt, sie mit Holzwolle fachgerecht auskleidet und darin die stoßempfindlichen Keramikteile verpackt, die vor allem von der Elektroindustrie dringend für diverse Baugruppen der Stark- und Schwachstromtechnik benötigt wurden.

Später stand ich in den Ferien selbst an von Hand zu bedienenden Pressen aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Mit diesen wurden aus keramischer Rohmasse diverse Kleinteile gepresst, wie z.B. Laufräder von Fahrraddynamos und vieles andere. In elektrisch beheizten Brennöfen erhielten diese Bauteile bei Temperaturen um 1400 Grad ihre endgültige Form und Stabilität. Dort lernte ich das Diktat der Arbeitsnormen und ihrer Auswirkungen auf die Lohntüte kennen. Wenn ich hörte, wie sich die Stammarbeiter über diese Lohndiktate unterhielten, wurde mir auch klar, wieso die pauschale Erhöhung der Arbeitsnormen 1953 der Anlass war, der den Arbeiteraufstand vom 17. Juni ausgelöst hatte.

Arbeitseinsätze während der Studentenzeit

Das Studium an der Leipziger Karl-Marx-Universität bescherte mir in den Semesterferien auch neue Betätigungsfelder in der Arbeitswelt. Mit meiner ersten Tätigkeit half ich das Ferienangebot der Universität für ihre Studenten zu verbessern. Meine Entlassung aus den Reihen der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) fand bereits Ende Mai des Jahres 1962 statt. Der Studienbeginn sollte aber erst im September erfolgen. Um diese Zeit teilweise zu überbrücken, kam man auf die Idee, die Armeeabsolventen zu einem Arbeitseinsatz an der Ostsee zu verpflichten, um dort für die Studenten ein Ferienlager zu errichten.

So befasste ich mich diesmal zur Abwechslung unter fachlicher Anleitung für zwei Monate mit Maurer-, Putz-, sowie Handlangerarbeiten im studentischen Ferienlager Dranske-Bakenberg auf Rügen, das damals gerade errichtet wurde. Wir fingen praktisch bei Null an. Alles musste neu gebaut werden: Wasch- und Toilettenanlagen, Ausbau eines Hauptgebäudes mit Speisesaal, Küche und einem winzigen Büro. Das Hauptgebäude stand zwar schon, aber Ausbau und Einrichtung waren unsere Sache. Als das erledigt war, durften wir zum Schluss noch Dutzende von Zelten errichten, in denen die Studenten, die einen solchen Ferienplatz erhalten hatten, die Nächte verbringen konnten. Wie später aus Schilderungen von Kommilitonen zu hören war, müssen wir eine recht ordentliche Arbeit abgeliefert haben, denn die von uns errichteten Anlagen hatten bis zur Wende Bestand.

Zur Leipziger Herbstmesse wurde auch der Wohnraum der Studenten für die Unterbringung der vielen Messegäste benötigt. Deshalb wurden die Studenten während dieser Zeit zu Ernteeinsätzen verpflichtet. Dazu gehörte das schon aus der Schulzeit wohlbekannte Einbringen der Kartoffelernte. Aber auch andere wichtige landwirtschaftliche Güter mussten geborgen werden und Arbeitskräfte waren auch fünfzehn Jahre nach Gründung der DDR nach wie vor knapp. Auch die maschinelle Ausrüstung der LPG war, nun ja, „ergänzungsbedürftig“. So fiel uns z.B. die zunächst gewöhnungsbedürftige Aufgabe zu, in der Nähe von Schwedt an der Oder die Tabakernte einzubringen. Wir lernten bei dieser Gelegenheit einiges über den Tabakanbau, die Pflanzenpflege, Schädlingsbekämpfung und ihre fachgerechte und vor allem schonende Ernte.

Aber nicht nur zu Ernteeinsätzen wurden wir Studenten verpflichtet. Auch in den Braunkohletagebauen und den dazugehörigen Kraftwerken „brannte immer mal wieder die Luft“ und dass nicht nur zur Winterszeit. Also stand auch für uns ein Arbeitseinsatz im Braunkohlenveredlungskombinat „Schwarze Pumpe“ an. Dort fiel uns die Aufgabe zu, die von den hunderte Meter langen Förderbändern herab gefallene Rohbraunkohle wieder per Schaufel dorthin zurück zu befördern. Das war eine anstrengende, stupide und schmutzige Arbeit, wie man sich vorstellen kann.

Der recht strenge Winter des Jahres 1965 brachte im Ergebnis sehr reichlicher Schneefälle auch Aufgaben für uns Studenten mit sich. Wir wurden für mehrere Wochen in unsere Heimatorte kommandiert, um dort bei der Schneeberäumung mit Hand anzulegen. Also griff ich zu Schaufel und Hacke und belud in meinem nunmehrigen Heimatort Stadtroda zusammen mit anderen für diesen Zweck freigestellten Arbeitskräften einen Lastwagen, der die weiße Pracht außerhalb der Stadt irgendwo abkippte. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass diese Lösung gar nicht so schlecht war. Der volkswirtschaftliche Nutzen war immerhin so groß, dass das öffentliche Leben von solchen Witterungsunbilden, wie wir sie immer wieder erleben, weniger beeinträchtigt wurde, als heutzutage.

Angemerkt sei noch folgendes: Wir Studenten erhielten in der DDR monatlich Stipendien. Diese wurden auch in den Zeiten gezahlt, in denen wir zu Arbeitseinsätzen unterwegs waren.

Als Verwaltungsangestellter in den Wäldern des Erzgebirges

Als ich später in das Berufsleben eintrat, war ich der Meinung, dass sich die Sache mit den Arbeitseinsätzen nun wohl erledigt hätte. Das war jedoch ein Irrtum. Schuld war im Jahr 1980 ein schwerer Sturm, der im Erzgebirge reihenweise die Wälder gelichtet hatte. Da meine Arbeitsstelle sich vor allem mit der Verbesserung der Organisation der öffentlichen Verwaltung befasste, meinte man wohl, dass wir am entbehrlichsten wären und dass junge, gesunde, kräftige Leute dem Staat mehr nützten, wenn sie diese Sturmschäden beseitigten.

Also lernte ich alles über das Fällen von Bäumen und den fachgerechten Umgang mit Kettensägen zu einer Zeit, da diese Geräte in der DDR noch so gut wie unbekannt waren. Um den Wald zu retten, hatte Vater Staat schweren Herzens in die Devisenkasse gegriffen und in Schweden entsprechende Motor getriebene Markenfabrikate erworben.

Im erzgebirgischen Forst in der Nähe von Neuhausen angekommen, merkten wir schnell, dass die in der Öffentlichkeit publizierte Version von der Beseitigung von Sturmschäden für uns nur teilweise zutraf. Gewiss gab es auch in den dortigen Wäldern jede Menge Windbruch. Unsere Aufgabe bestand in der Hauptsache aber darin, den infolge der hohen Umweltbelastung großflächig abgestorbenen Waldbestand abzuholzen und wo noch möglich, für die industrielle Nutzung zu retten. Ob daran, wie in der ortsansässigen Bevölkerung zu hören war, die Belastung durch die Kohlekraftwerke im tschechischen Olmütz auf der anderen Seite des Gebirgskammes schuld war, oder ob es noch andere Gründe gab, vermag ich nicht zu beurteilen. Tatsache ist aber, dass der Wald ab einer Höhe von ca. 500 - 600 m so geschädigt war, dass man kaum anders konnte, als die abgestorbenen Bäume zu beseitigen.

Epilog

Am eigenen Leibe lernte ich so die Probleme kennen, die aus dem ständigen Mangel an Arbeitskräften in der DDR erwuchsen. Es gehörte offenbar dazu, dass man sich ständig mit Engpässen herumschlagen musste, weil nicht vorhersehbare Ereignisse in der Planwirtschaft keinen Platz hatten. Wenn sie eintraten, versuchte man auf dem Verordnungswege, ein Loch zu stopfen, indem man ein anderes aufriss.

Das betraf nicht nur den Bereich der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern, sondern alle Bereiche der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens. Nicht zuletzt galt das auch für den Arbeitsmarkt. So wurden insbesondere Schüler und Studenten, aber auch Angehörige von Verwaltungsorganen und in besonders katastrophalen Situationen Angehörige der bewaffneten Organe, für besonders schwere und gefährliche Arbeiten aber auch Strafgefangene, eingesetzt.

Etwas Gutes hatten diese Arbeitseinsätze aber auch: Man lernte die Arbeitswirklichkeit in der DDR aus erster Hand kennen, ähnlich, wie es der Schriftsteller Günter Wallraf für die damalige Bundesrepublik in seinem Werk „Ganz unten“ beschrieben hat. Wertvoll waren die persönlich gewonnenen Erfahrungen und manch nützlicher Handgriff für den eigenen Gebrauch. Als Oberschüler, Student bzw. Mitarbeiter einer Verwaltung lernte man so anschaulich die Arbeit in der Praxis kennen und schätzen.



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