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Israel 1968: Arbeitseinsatz im Kibbuz

Ein Bericht von Claus Engels, Leipzig

Vorbereitung der Reise

der 1968er Befreiungsbewegung und lud deshalb öfter zu Sit-in`s (Sitzstreiks) ein. Durch den Verlag war ich bestens über diese Veranstaltungen informiert und ging als politisch offener und an der Zeitgeschichte interessierter junger Mann gern dorthin. So lernte ich in den diversen Diskussionen auch viele engagierte Philosophen wie beispielsweise Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno kennen, die maßgeblich den Zeitgeist der opponierenden Studenten prägten. Ein zentraler Punkt, um den sich der Widerstand rankte, war der Krieg in Vietnam.

Bei einer dieser Veranstaltungen lernte ich auch Studenten/Innen von der Pädagogischen Hochschule (PH) Westberlin  kennen. So kam ich, in nächtlicher Runde auf dem Fußboden der Mensa bei Rotwein und in rauchgeschwängerter Luft sitzend, auch mit der Pädagogikstudentin Daniela ins Gespräch. Sie erzählte mir von einer bevorstehenden Studienreise von Pädagogikstudenten nach Israel für DM 650.-, wobei ein mehrwöchiger Arbeitseinsatz in einem Kibbuz unterhalb der Golan Höhen mit eingeplant war. Um an dieser Reise teilnehmen zu können, musste man sich allerdings gegen Pocken impfen lassen. Daniela war dagegen aber allergisch und konnte daher nicht mitreisen. So wurde ein Platz in der Reisegruppe frei, den mir Daniela anbot und wo ich sofort zugriff.

Ziel dieser Studienreise aus Sicht der PH war es vor allem, den Studenten vor Ort in Israel Einblicke in die Kleinkinderziehung im Kibbuz zu gewähren. Da es aber auch darum ging, den westdeutschen Bürgern einen Eindruck von Israel ein Jahr nach dem 6-Tage-Krieg zu vermitteln, sollten im Rahmen der Studienreise quer durch das Land auch die von Israel besetzten Gebiete in der Westbank und im Gazastreifen besucht und erlebt werden. Die Studenten sollten auch diese politischen Erfahrungen zur Grundlage Ihrer Diplomarbeiten machen. Deshalb wurde diese Reise durch den Staat besonders subventioniert. So entstand auch der unerhört günstige Preis, der auch für Studenten erschwinglich war. So bekam ich also die Möglichkeit, den Platz von Daniela in der Gruppe einzunehmen und somit die Gelegenheit, außergewöhnliche Erfahrungen in Israel zu machen.

Sechs Wochen bevor die Reise losging, bekamen wir die Nachricht, dass unser vorgeschlagener Kibbuz von den damals durch Syrien besetzten Golan Höhen aus unter Granatwerferbeschuss geraten war. Die deutsche Botschaft in Israel intervenierte deshalb und musste einen anderen Kibbuz für unseren Arbeitseinsatz auswählen. So wurde uns ein Kibbuz mit Juden vornehmlich aus Brasilien und Argentinien vorgeschlagen. Nun muss man wissen, dass Kibbuze neu gegründete jüdische Kommunen sind, die sich zur Erschließung der vormals unter englischem Protektorat stehenden Gebieten Palästinas genossenschaftlich zusammengeschlossen haben. 1968 (und wahrscheinlich auch heute noch) war es so, dass es für deutsche Gruppen aufgrund der Geschichte des Dritten Reiches kaum möglich war, in einen vornehmlich mit deutschen Juden bewohnten Kibbuz zu gelangen. Denn dort wurde wie in einem genossenschaftlich regierten Betrieb quasi parlamentarisch auch darüber abgestimmt, wer bei einem solchen Arbeitseinsatz erwünscht oder geduldet ist.

Ankunft im Kibbuz Beror-Hayil

Somit wurde schließlich entschieden, dass wir in dem Kibbuz in Beror-Hayil arbeiten sollten. Dieser Kibbuz liegt in einer sehr fruchtbaren Gegend zwischen Beer-Sheva und Ashkelon am Mittelmeer.

Beror-Hayil bestand zu etwa 80% aus Juden, deren Heimatländer Brasilien und Argentinien waren. Da dort hauptsächlich Portugiesisch oder Spanisch gesprochen wurde, das wir nicht gelernt hatten, ergaben sich für uns viele Verständigungsschwierigkeiten. Zum Glück konnte unser Einsatzleiter vor Ort ein wenig gebrochenes Englisch und Jiddisch sprechen, so dass wenigstens die Arbeitseinteilung einigermaßen verständlich war. Nur in dem kibbuzeigenen  Laden, wo wir gegen die Wertmarken, die wir für unsere Arbeit bekamen, einige Dinge des täglichen Lebens erstehen konnten, verstand die dortige Frau etwas Deutsch. Aber sie ließ uns spüren, dass sie uns gegenüber misstrauisch war und uns nur ungern bediente.

Arbeitseinsätze im Kibbuz

gsgräben im Gürtel der Negev-Wüste abkommandiert. Um der glühenden Tageshitze zu entgehen, fuhren wir bereits um 6.oo Uhr früh auf dem Jeep zur Feldarbeit. Bis um 11.oo Uhr wurde dann in der Regel gearbeitet. Deshalb mussten wir bereits um 4.3o Uhr am Morgen aufstehen. Eine halbe Stunde war vorgesehen zum Waschen vor den Baracken, in denen wir wohnten. Soweit ich sehen konnte, waren wir die einzigen Arbeiter, die sich Männer wie Frauen oben ohne in aller Öffentlichkeit an Waschtrögen aus Beton und mit kaltem Wasser waschen mussten. Nur nach dem Arbeitseinsatz wurden Duschen in abgetrennten Verschlägen zur Verfügung gestellt, denn es wurde großer Wert darauf gelegt, dass wir nicht verschwitzt und staubig zum Essen erschienen.

Auch der übrige Alltag war paramilitärisch organisiert, denn wir wohnten in Baracken mit Hochstockbetten. Wir wurden gewarnt, nicht morgens mit nackten Füßen aus den Betten zu springen, da die Gefahr bestand, dass während der Nacht Skorpione aus den Zwischenräumen unter den Dielen in unsere Baracke eingedrungen waren. Gott sei Dank hatten wir nie Besuch von diesen niedlichen Tieren, denn im Kibbuz gab es kein Antiserum gegen Skorpionstiche und die nächste Klinik war mindestens 100 km entfernt.

Die zweite Gruppe von 4 Leuten wurde eingeteilt zum Einsatz in der Hauswirtschaftsbaracke. Man muss sich vorstellen, dass dort täglich koscheres Essen für ca.600 Menschen gekocht bzw. zubereitet werden musste, und zwar zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.

Während meines Einsatzes im Wechsel zweimal eine Woche wurden wir nicht zum Kochen zugelassen, weil wir keine Ahnung von der Zubereitung koscherer Kost hatten. Auch mir war nämlich nur bekannt, dass koscheres Essen nach den religiösen Vorschriften des Alten Testaments zubereitet werden musste und dass es deshalb kein Schweinefleisch gab und ansonsten nur Fleisch von geschächteten, d. h. ausgebluteten Tieren verarbeitet werden durfte.

Also wurden wir zum Spüldienst eingeteilt. Ein Riesenberg von schmutzigem Geschirr, das auf gewaltigen Rollwagen in den hinteren Teil der hangarartigen Baracke gefahren wurde, türmte sich nach jeder Mahlzeit vor uns auf. Außerdem mussten wir natürlich auch die riesigen Kessel und Töpfe und sämtliche Küchengerätschaften reinigen.

Zunächst wurden die Riesentöpfe und –becken mit Gartenschläuchen ausgespritzt, um sie erst einmal von groben Essensresten wie Nudeln oder Reis zu säubern. Die dafür nötigen Wasserschläuche waren übrigens von außen zwischen den Dielen und der Bretterverschalung in die Küchenbaracke gelegt worden. So standen wir während der Arbeit, mit Gummistiefeln bewehrt, bis zu den Knöcheln im Reis oder den Nudelresten, da der Ablauf, der in den Boden eingelassen war, ständig verstopft war. Wir mussten dann mit bloßen Händen das Gitter herausnehmen und den Abfluss wieder betriebsfertig machen. Da die groben Essensreste trotzdem nicht abliefen, wurden sie schließlich mit einer Kehrschaufel aus Metall auf eine Schubkarre gekippt und dann in eine Grube gefahren.

Das allgemeine Leben im Kibbuz

Einwohner des Kibbuz nicht schichtweise, sondern gleichzeitig zu bestimmten Tageszeiten in diesem Hangar erschienen, um ihr Essen einzunehmen. Wir hatten ebenfalls unseren Essensplatz in diesem Mitteltrakt, allerdings in einem extra abgetrennten Bereich. Auch wir bekamen dieselben Speisen serviert wie die Kibbuzims - nämlich koscheres Essen.

Während die Kibbuzims allerdings ganztäglich arbeiteten, hatten wir nur begrenzte Arbeitszeiten und meist einen halben Tag Freizeit. Zudem durften wir nur in den ungefährlichen Dienstleistungsbereichen tätig sein, während die Kibbuzims natürlich auch in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Wachdienst, Kindererziehung, Bau von Häusern etc. eingesetzt waren. Da unser Kibbuz im Bereich der HKL (Hauptkampflinie) lag und der 6- Tage-Krieg erst ein Jahr vorbei war, war der Kibbuz von einer Sicherheitszone mit Stacheldraht umgeben. Bei Einbruch der Dunkelheit hatten wir Ausgehverbot. Wir wurden außerdem darüber informiert, dass bei Betreten der Sicherheitszone jede Nacht ein anderes Codewort auf Hebräisch abgefragt wurde. Bei Nichtkenntnis dieses Codewortes wurde sofort ohne Ankündigung mit der MP scharf geschossen. So kam ich mir bald nicht mehr wie ein normaler Studienreisender, sondern eher wie ein Kriegsberichterstatter vor.

Kleinkinderbetreuung im Kibbuz

ehung in einem Kibbuz funktioniert, um diese Erfahrungen in ihre Diplomarbeiten einbringen zu können.

Die Betreuung und Erziehung von Kleinkindern erfolgte hier unter besonders erschwerten und kriegsähnlichen Bedingungen, denn täglich musste mit Angriffen von Palästinensern gerechnet werden. Da die übergriffe zu Luft mit Raketen oder auch nachts durch Bodeneinsätze möglich waren, wurden die Babys und Kleinkinder in bombensicheren Bunkersystemen untergebracht. Unterirdisch angelegt, war die Luft- und Lichtzufuhr entsprechend ungünstig, zumal die Kinder auch am Tage kaum unbeschwert in der Sonne spielen konnten.

Da für die israelische Armee eine allgemeine Dienstpflicht nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen ab 18 Jahren galt, mussten auch die jungen Frauen, die gerade entbunden hatten, schnellstmöglich an ihren Platz in der Armee zurückkehren. Die Frauen, die nicht direkt auf den Panzer zurück mussten, wurden selbstverständlich auch zum nächtlichen Wachdienst oder zum Häuserbau eingeteilt. Jeder Kibbuz hatte nämlich als Gegenleistung für die kostenlose Bereitstellung von Studienplätzen durch den Staat ein bestimmtes Kontingent an wehrpflichtigen Frauen und Männern zu stellen. Der Kibbuz hat also entschieden, wer für bestimmte Zeiten zur Armee gehen musste und wer studieren durfte.

Ebenso hat der Kibbuz dafür gesorgt, dass die Kleinstkinder der Mütter, die ihren Armeedienst ableisteten, durch Leihmütter und auch Leihammen gefüttert und betreut wurden. Da diese Babys nicht durch ihre Mütter gestillt werden konnten, bekamen sie entweder Milch aus Milchpulver oder abgepumpte Muttermilch. Die ärztliche Versorgung dieser Kinder bis hin zum Impfen übernahmen in der Regel auch Angehörige der Armee. So wurden diese Kinder in einer kriegsbedingten Umgebung stabsmäßig betreut. Die besonderen Auswirkungen auf die Psyche der Kinder war nun Gegenstand der Diplomarbeit der Studenten der Pädagogischen Hochschule.

Da ich kein Student der PH war, hatte ich selbst keinen Zutritt zum Bunkersystem der „KITAS“. Ich sah die Bunker also nur von außen und kannte die unterirdische „Welt der Kinder“ nur vom Erzählen der anderen Gruppenmitglieder.

Wegen der pädagogischen Brisanz der Kindererziehung im Kibbuz hat wohl der Studiendirektor, der für dieses Projekt und natürlich für die Betreuung der Diplomarbeiten zuständig war, diese Bedingungen als besondere Schwerpunktarbeit spezieller praxisbetonter Projekte der Hochschule hervorgehoben. Für dieses Studienprojekt gab es deshalb selbstverständlich auch Scheine. Doch kein Student war gezwungen, an dieser Studienreise teilzunehmen. Aber die Darstellung im Exposee` einiger Studenten, dass die weltpolitische Lage Israels 1968 - natürlich aus westdeutscher Sicht - notwendig einen kriegsähnlichen überlebenskampf erforderte, war von der PH durchaus gewollt und wurde über den günstigen Reisepreis auch von westdeutschen Regierungsstellen finanziell subventioniert.



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