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Universität Leipzig

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der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

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Meine Erinnerungen an den 9.Oktober 1989

Ein Bericht von Helga Brachmann, Leipzig

Die Tage im Oktober 1989 waren so aufregend für alle Menschen in der DDR, und jeder wird dabei seine ureigensten Erlebnisse haben. Mir fällt in diesem Zusammenhang vor allem mein 19jähriger Enkel Peter ein, der 1988 sein Abitur mit "Eins" ablegte. Der Junge hatte nach der Selbstverpflichtung, drei Jahre zur "Fahne" zu gehen, wie man damals den Wehrdienst hier nannte, die Zusage für das Medizinstudium in der Tasche. In der Abiturzeit war er sehr verbunden mit einer Mitschülerin und der Abschied für 3 Jahre aus Leipzig, und damit von seiner Freundin, schien ihm unendlich traurig.
Da erfuhr Peter, er könne auch bei der Polizei die drei Jahre Armeedienst ableisten. Das sei ein bequemer Dienst und vor allem, man verbringe die Zeit in Leipzig, genauer gesagt in der Kaserne der Volkspolizei Leipzig-Eutritzsch, Essener Strasse.
Zu Anfang schienen die Voraussetzungen auch günstig. Es gab relativ oft Ausgang und Peter meinte, seine Entscheidung für die Polizei sei die richtige gewesen
Doch dann wurde es Mai 1989. Meine jüngste Tochter, die vor 16 Jahren illegal nach der Bundesrepublik geflohen war, also Peters "Westtante", kam zu Besuch nach Leipzig. Man muss wissen, dass jeglicher Kontakt zu BRD-Bürgern den Angehörigen der Armee und der Volkspolizei verboten war.
Während sich mein ältester Enkel immer an diese Vorschriften gehalten hatte, meinte Peter: "Ich lass mir doch das Treffen mit Tante Bärbel nicht verbieten." Zunächst wussten wir nicht, ob Peters verbotenes Tun im Familienkreis bemerkt worden war. Dann rückte der Oktober heran. Den jungen Polizisten wurde gesagt, ihr Einsatz gegen die Montagsdemonstranten, die von der Nikolaikirche aus in "staatsfeindlicher" Weise "randalierend durch die Stadt zögen", stünde bevor und die jungen Männer hätten mit der Waffe "Ruhe und Ordnung" wieder herzustellen. Peter war verzweifelt:"Ich schiesse nicht auf Demonstranten! Und wenn ich das nicht tue, gibt es Strafarrest und mein Studium ist futsch! Ich weiß nicht ein, noch aus! Wäre ich nur nie zur Polizei gegangen! Ich bin verzweifelt! Am liebsten würde ich mich vom 4.Stock unseres Hause stürzen!" Meine Leipziger Tochter, seine Mutter, und ich waren erklärlicherweise in höchster Angst um den sonst so liebenswürdigen und fröhlichen Jungen. Tagelang war man nun voller Sorge und Unruhe. Doch plötzlich am Morgen des 9.Oktober rief Peter seine Mutter an:"Ich gelte als politisch unzuverlässig und werde daher heute nicht eingeteilt zum Dienst vor der Nikolaikirche!" Meine Tochter gab mir die gute Nachricht gleich weiter, eine Zentnerlast fiel uns vom Herzen. War an dieser polizeilichen Entscheidung, Peter sei "unzuverlässig", das Treffen mit der "Westtante" schuld? Wir erfuhren das nie - aber es war ja eigentlich auch nicht so wichtig, dieses WARUM! Wichtig für uns war, dass Peter nicht für diesen schrecklichen Einsatz eingeteilt war. Und als dann der Abend des 9.Oktober 1989 in Leipzig friedlich verlief, waren wir alle glücklich!



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