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Universität Leipzig

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Wie sich unsere Hausgemeinschaft selbst half

Ein Bericht von Udo Kruse, Leipzig

Ich möchte heute dem interessierten Leser mit einem Beispiel einen kleinen Einblick in das Leben einer Hausgemeinschaft in der DDR geben.

Hausgemeinschaften waren in der Regel Interessengemeinschaften von Mietern in Mehrfamilienhäusern und wurden aus der Notwendigkeit heraus ins Leben gerufen um den Erhalt der fast immer unter schwierigsten Umständen zugewiesenen Wohnungen und deren baulicher Hülle möglichst lange zu erhalten. Um eine Hausgemeinschaft zu gründen, musste sich einer der Mieter ein „Herz“ fassen und die anderen Mitbewohnern ansprechen um sie von der Idee zu überzeugen, dass ohne Eigeninitiative sich nichts bewegt und von niemandem Hilfe zu erwarten ist. Das kostete natürlich einen Mehraufwand an Zeit, Beharrlichkeit und viele Vorsprachen bei den entsprechenden Verwaltungs-/ Zuteilungsstellen. Und wie das so ist, wer die Idee hat, hat auch gleich den „Hut“ auf und die nicht immer ganz ernst gemeinte tatkräftige Unterstützung der angesprochenen Leute.

Unser Gebäude „Heinrich-Budde-Str. 16“ wurde von dem VEB (Volkseigenem Betrieb) Gebäudewirtschaft in Treuhand verwaltet und die Hausgemeinschaft 1976 aus der Taufe gehoben (sprichwörtlich, weil mit Umtrunk verbunden). Sie bestand aus 13 Familien mit und ohne Nachwuchs, Rentnern, Angestellten, Arbeitern, Leuten mit und ohne Abzeichen, alle hatten wir ein Miteinandergefühl weil die Erfolge durch die vielen „Mach - Mit – Einsätze“ und Nachbarschaftshilfen zur Selbstverständlichkeit wurden.
Einen bis zur Gründung unserer Hausgemeinschaft mir nicht bekannten „Schönheitsfehler“ hatte die Sache aber doch. Es musste eine HGL (Hausgemeinschaftsleitung) gewählt werden zu deren Aufgabe es gehörte, das Hausbuch in welchem jeder Hausbewohner eingetragen sein musste, für Besucher aus dem Ausland gab es eine extra Seite, zu führen. Dieses Buch wurde einmal jährlich vom ABV (Abschnittsbevollmächtigten) der Volkspolizei kontrolliert und musste mit den Daten der Meldestelle übereinstimmen.
Ebenso musste sich jemand als Brandschutzverantwortlicher benennen lassen. Im Treppenhaus war dann auch eine Haustafel angebracht, auf welcher verzeichnet war, wer für welche Funktion zuständig ist, in welcher Etage welcher Mieter wohnt und welche Telefonnummer im Bedarfsfall (Feuerwehr u.s.w.) zu wählen ist.

Aber nun zu einem konkreten Beispiel: Der Zahn der Zeit hatte an unserem Treppenhaus tüchtig genagt, es musste renoviert werden! 1985 stellten wir also den entsprechenden Antrag bei der zuständigen Stelle. Es verging fast ein Jahr der ständigen Vorsprachen, Eingaben und den begründeten Ablehnungen (Materialschwierigkeiten, fehlende Kapazitäten usw.) Doch die hartnäckigen Vorsprachen unsererseits und schließlich unser ernst gemeinter Hinweis auf eine Eingabe bei dem Staatsratsvorsitzenden, brachte endlich Bewegung in die Angelegenheit. Da man dies aber nicht wollte und unbequeme Fragen von „Oben“ mit erheblichem Mehraufwand für die Verwaltung verbunden war, schickte man uns Maler einer Berufsgenossenschaft zur Begutachtung des Treppenhauses vorbei. Fazit des Gutachtens: sieht wirklich schlecht aus und wir würden es ja machen, aber vorher muss der Treppenhauskopf repariert werden.
Nachdem wir der für uns zuständigen Gebäudewirtschaft nachdrücklich versicherten, die Reparatur selber zu erledigen, wenn man uns die erforderlichen Materialien zur Verfügung stellen würde, bekamen wir den RSP-Auftrag (Reparaturstützpunkt) mit dem Vorbehalt, die Materialien wie Sand, Zement und Kalk selber transportieren zu müssen, da auch hierfür keine Kapazitäten vorhanden seien. Nun begann der aufregende Teil des Vorhabens im Haus, Gespräche in den Familien wegen der Arbeitseinsätze, Beschaffung des benötigten Materials und die Organisierung von Gerüstmaterial. Mit einem kleinen Handwagen haben wir aus verschieden Objekten das benötigte Gerüstmaterial umgelagert und mit eigenem PKW mit Anhänger Sand und Kalk herantransportiert. Das Gerüst im Haus musste 8x umgesetzt, zuletzt gereinigt und wieder zurückgebracht werden. Der Sand wurde gesiebt und wie alles andere in die 5. Etage per Eimer getragen werden. Ziegelmatten mussten zugeschnitten und über Kopf mittels Schrauben befestigt werden, weil ein Nageln in die dürren Bretter durch deren Eigenfederung unmöglich war. Der abgeklopfte Putz konnte auch nur eimerweise nach unten getragen werden. Natürlich war abendliches Saubermachen des Treppenhauses entsprechend der gestellten Gerüstteile angesagt, sonst hätten wir in den Wohnungen noch mehr Staub als notwendig gehabt. Bei der Gelegenheit mussten wir ein Dachfenster aushacken, neu befestigen und verputzen.

Für diesen Einsatz wurden von der Hausgemeinschaft

  • 313,0 Std. à 5,00 M = 1.565.00 M
  • Sonntagszuschläge 74,0 Std. à 1,00 M = 74,00 M

dem VEB Gebäudewirtschaft berechnet. Die Summe wurde ohne Abzüge auf unser Hauskonto überwiesen. Das Geld ist entsprechend der Stundennachweise an die beteiligten Mieter bei der zu diesem Zweck organisierten Hausfeier ausgezahlt worden. Durch die tatkräftige Mitwirkung aller Hausbewohner haben wir in der Zeit vom 04.10. – 21.10.1986 das Treppenhaus maurermäßig instand gesetzt und die Maler hielten, was sie versprachen, indem sie nach wiederholten Vorsprachen unsererseits dann im Februar 1987 das Treppenhaus für die nächsten Jahre wieder farblich neu erstrahlen ließen.

Einsätze wie der oben beschriebene waren auch:

  • Errichtung eines Containerplatzes durch Umgestaltung des Hofgeländes
  • Neugestaltung des Hausvorgartens mit Zaunerneuerung
  • Schaffung eines Gemeinschaftsraumes für Freizeitaktivitäten im Keller
  • Beschaffung, Aus –und Einbau der gesamten Kellerfenster
  • Errichtung einer Gemeinschaftsantenne
  • tätige Nachbarschaftshilfe für die „Alten“ wie Kohlen tragen, amtl. Wege besorgen und ähnliches
  • sowie viele kleine Aktivitäten deren Aufzählung müßig ist weil sie für uns selbstverständlich waren.

Am 18.10.1986 ist unsere Hausgemeinschaft mit der „Goldenen Hausnummer“ auf einer Festveranstaltung in der Kongreßhalle am Zoo mit 12 weiteren aktiven Hausgemeinschaften ausgezeichnet worden.

Neben den gemeinsam erzielten materiellen und Lebensverhältnisse verbessernden Erfolgen ist aber der zwischenmenschliche Zugewinn an gewachsenen Freundschaften durch das gemeinsame Miteinander und Füreinander nicht hoch genug einzuschätzen. Sind auch über 25 Jahre seit Bestehen der Hausgemeinschaft vergangen, fast alle ehemaligen Familien aus- und umgezogen, einige Leute verstorben, erwachsen gewordene Kinder ihre eigenen Wege gegangen, so sind Freundschaften erhalten geblieben und wir treffen uns zu den unterschiedlichsten Ereignissen, zu welchen auch die verwitweten Freunde mitgebracht werden.
Die Zeit der Hausgemeinschaft war eine Zeit des Werdens, Denkens und Handelns vom Ich zum Wir.

 

 



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