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Der Luftangriff auf Leipzig am 4.12.1943

Ein Bericht von Regina Matthees, Leipzig

Am Vormittag des 03.12.1943 brachte mich meine Mutti von unserer Wohnung zu meinen Großeltern nach Connewitz.
Ich war als Kind sehr oft bei meinen Großeltern, da meine Eltern ein Geschäft hatten und sich viel um geschäftliche Dinge kümmern mussten.
Bei meinen Großeltern fühlte ich mich auch geborgen. Immer wenn ich zu meinen Großeltern nach Connewitz kam, fand oft Alarm statt, so dass ich den Namen erhielt "Alarm-Regina".

Wir liefen von Gohlis nach Connewitz - am Alten Rathaus vorbei. Meine Mutter erklärte mir kindgerecht die Bedeutung und Geschichte der Alten Handelsbörse und der Alten Waage. Niemals hätte ich gedacht, dass wenige Stunden später diese herrlichen Bauwerke arg betroffen wurden. Meine Mutti erzählte mir dies später.

Meine Großeltern freuten sich über mein Kommen und waren fest überzeugt, dass mein Name "Alarm-Regina" an diesem Tage nicht angebracht sei. Trotzdem erklärte ich, dass ich Angst vor den Fliegern und Bomben hätte. Meine Großmutter spielte Klavier und ich beschäftigte mich mit einem Malbuch.Eine Atmosphäre geprägt von Gemütlichkeit und Geborgengeit.

Nachdem mir am Abend eine Geschichte vorgelesen wurde, begab ich mich ins Bett. Früh - so erinnere ich mich - heulten die Sirenen, und ich wurde aus dem Schlaf gerissen. Ich war so müde und begann zu weinen. Liebevoll trösteten mich meine Großeltern, drängten jedoch darauf, dass wir in den Keller kamen. Die Einschläge krachten und wir sahen auf dem Weg in den Keller, dass das Hinterhaus in Flammen stand. Ich schrie auf, war verzweifelt und zitterte am ganzen Körper. Wenn ich heute die Augen schließe, kann ich mich genau an diese Situation erinnern. Mein Großvater und noch weitere Bewohner des Hauses liefen zum brennenden Hinterhaus, um zu helfen. Ich wurde von meiner Großmutter in den Keller getragen. Sie tröstete mich aufopfernd - ich war aber todmüde, abgespannt und erschöpft im Innersten. Ich konnte dies alles nicht begreifen. Ich wimmerte nach meiner Freundin.
Über und über schmutzig, weinend und hilflos wurde meine Freundin von meinem Großvater in den Keller gebracht. Ich war überglücklich - aber ihre Eltern waren nicht da. Wo waren diese? Später erfuhr ich, dass sie ums Leben gekommen waren. Eine Tragödie, die ich als Kind noch nicht erfassen konnte. In unserem Kelleraum sprachen wir uns gegenseitig Mut zu, klammerten uns fest aneinander und fingen aus Verzweiflung an Lieder zu singen. Meine Freundin Susanne hatte eine wunderschöne Stimme. Ich erinnere mich noch an das eine Lied - "Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, deine Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt - Maikäfer flieg". Wir sangen immer und immer wieder das Lied - ohne die inhaltliche Bedeutung zu begreifen.

Als der Alarm vorbei war, brachte meine Großmutter mich und meine Freundin Susanne ins Bett. Wir hatten den großen Vorzug, uns in das Bett legen zu können; im Gegensatz zu den Unglücklichen, die an diesem Tage alles verloren hatten.

Ich schreibe diesen Bericht aus der Sicht meiner Kindheit; möchte nichts hinzufügen und ändern. Ich habe diese Stunden so erlebt. Ein Trauma meiner Kindheit.

Meine Mutti kam am 5. Dezember 1943 zu meinen Großeltern - abgekämpft und voller Angst um uns. Sie erzählte über die grauenhafte Verwüstung in der Stadt, von Obdachlosen und Kindern, die nach ihren Eltern riefen.

Meine Freundin ging mit uns nach Hause. Auf dem Nachhauseweg erblickten wir Schutt und Trümmer. Es fuhr keine Straßenbahn. Meine Mutter bemühte sich uns durch Erzählen von lustigen Geschichten von der Grauenhaftigkeit abzulenken. Es war ihr aber nicht gelungen: Wir weinten, weinten und weinten.

Wenn auch 60 Jahre vergangen sind, niemals werde ich diese furchtbare Tragödie vergessen. Meine Freundin Susanne verzog im Februar 1944 mit ihren Verwandten nach Dresden. Sie kam dort bei dem Bombenangriff am 13.Februar 1945 ums Leben.



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