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Meine Zeit als Vorsitzender der Betriebssektion der Kammer der Technik (KDT)

Ein Bericht von Dr. Klaus-Dieter Schmidt, Leipzig

In den Betrieben und Wohngebieten in der DDR wurde immer sehr sorgfältig darauf geachtet, dass alle Belegschaftsangehörigen und Bürger rege am sog. gesellschaftlichen Leben teilnahmen, und dass jeder eine oder mehrere Aufgaben übernahm und diese dann auch erfüllte. So waren die vielfältigen Funktionen in den gesellschaftlichen Organisationen zu besetzen. Das begann beim Vertrauensmann in der Gewerkschaftsgruppe, fortgesetzt über die einzelnen Ebenen wie Abteilungsgewerkschaftsleitung, Betriebsgewerkschaftsleitung im FDGB. Es folgten Funktionen in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, in der Ingenieurorganisation „Kammer der Technik“, im Roten Kreuz, im DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands), in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) und in den Betriebssportgemeinschaften. Das wurde fortgesetzt in den Wohngebieten mit der Hausgemeinschaftleitung des Wohnhauses bis zum Gartenverein und anderen gesellschaftlichen Organisationen des Freizeitbereiches.

Im Fernmeldewerk Leipzig war ich 1971 als junger Hauptabteilungsleiter in der Forschung eingesetzt worden, und es war nun nur noch eine Frage der Zeit, bis mir eine entsprechend „anspruchsvolle“ Funktion angetragen wurde.

Im Betrieb gab es eine ca. 200 Mitglieder zählende Betriebssektion der Ingenieurorganisation „Kammer der Technik“. Der Vorstand bestand fast ausschließlich aus Kollegen des Werkzeugbaus, begonnen beim Bereichsleiter, die diese Funktionen bereits viele Jahre bekleideten. Dieser Vorstand wollte bei der nächsten Wahl im Herbst 1973 nicht wieder kandidieren.

Ich selbst war mit dem Eintritt in den Betrieb 1969 aus der Physikalischen Gesellschaft ausgetreten und in die Kammer der Technik eingetreten. Und so kam es denn, dass ich im Juli 1973 den Auftrag erhielt, einen neuen Vorstand zu formieren und selbst als Vorsitzender zu kandidieren. In der Wahlversammlung im Herbst 1973 wurden wir auch, wie kann es anders sein, gewählt.

Und nun will ich es gleich vorweg nehmen, diese Funktion habe ich fast 7 Jahre bekleidet, und sie hat mir viel Freude gemacht.

Warum, will ich in den nächsten Zeilen schildern.

Die Kammer der Technik war die Ingenieurorganisation der DDR für die Ingenieure und teilweise auch die Ingenieurtechnischen Wissenschaftler. Die grundsätzliche Aufgabe der Organisation bestand darin, diesen Personenkreis mittels Wissenschaft und Technik in die „entwickelte sozialistische Gesellschaft“ einzubinden und am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen. Die Oberaufsicht darüber hatte natürlich die SED, wie ich im konkreten Fall noch schildern werde.

Die KDT hatte einen Zentralvorstand, dessen Vorsitzender in den 70er und 80er Jahren Prof. Manfred Schubert war. Es gab in jedem Bezirk Bezirksvorstände mit hauptamtlichen Mitarbeitern, und es gab Betriebssektionen mit ehrenamtlichen Vorständen. Daneben existierten noch Fachverbände und Wissenschaftssektionen. Mitglied in einer Wissenschaftssektion zu sein, war für den Betreffenden eine Ehre, ich selbst war einige Jahre Mitglied der Wissenschaftssektion „Nachrichtentechnik“.

In den Betriebssektionen gab es zwei Schwerpunkte der Arbeit: Der erste Schwerpunkt war die Qualifizierung des ingenieurtechnischen Personals. Der zweite Schwerpunkt der Arbeit war die interdisziplinäre Lösung betrieblicher technischer Probleme, die vielfach an Strukturgrenzen gescheitert waren. Diese Probleme wurden meistens in sog. KDT-Objekten bearbeitet.

So hatten wir die Struktur der Fachsektionen so aufgebaut, dass derartige Prozesse unterstützt wurden. In der Fachsektion Ratio waren damit die Konstruktion, die Technologie (mechanisch) und alle Fertigungsbereiche außer den elektrischen Finalbereichen vertreten. Die gleichzeitig gegründete Fachsektion Elektrik umfasste die elektrische Entwicklung, die elektrische Prüftechnologie und die Fertigungsfinalbereiche.

Auf diese Weise gelang es z.B., einen jahrzehntelangen Streit über die Güte der Oberfläche der bedruckten Frontblenden im Vergleich zum Fertigungsaufwand einvernehmlich zu lösen. Beteiligt daran waren die Konstruktion, die Technologie und von der Fertigung die Lackiererei.

Später bei der Zusammenlegung mit dem Betrieb Elektroakustik und der Kombinatsleitung kamen noch beide KDT-Betriebssektionen der selbständigen Struktureinheiten als Fachsektion hinzu, so dass wir dann in unserer Betriebssektion 4 Fachsektionen hatten.

Eine der wichtigsten Aufgaben der KDT war die Weiterbildung des ingenieurtechnischen Personals. Wir organisierten regelmäßige Fachvorträge zu allen möglichen interessanten Themen. Die Vortragenden waren entweder Kollegen aus der Betriebssektion oder auch Vortragende von außerhalb, von Universitäten und Hochschulen und anderen Institutionen. Jeden Monat fand ein Vortrag statt, der gewöhnlich von 20 bis 25 Kollegen besucht wurde. Die Wissenschaftssektion „Nachrichtentechnik“, deren Aufgabe es war, von Seiten der Kammer der Technik die Perspektive der Nachrichtentechnik in der DDR zu diskutieren, führte alljährlich die sog. „Grünheide-Tagung“ durch, auf der Kollegen des Zentrums für Forschung und Technik Nachrichtentechnik (ZFTN) oder Professoren der Technischen Universität Dresden, der Technischen Hochschulen Ilmenau und Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) oder der Fachhochschulen Mittweida, Wismar, Berlin-Lichtenberg u.a. interessante Beiträge hielten. Auch ich habe einmal in Grünheide vorgetragen wie wir uns die Produktion einer modernen digitalen Vermittlungstechnik vorstellen. Als wir nach der Wende die Produktionen bei Siemens und Philips besichtigen konnten, haben wir festgestellt, dass wir genau richtig lagen, bloß mit einem Rückstand von ca. 7 Jahren. Aber das ging der gesamten elektronischen Industrie der DDR so.

Last but not least, auch der gesellige Teil kam bei dem Leben der Betriebssektion nicht zu kurz.

Wir hatten - nach zentralen Vorgaben - einen Stellvertreter für Organisation im Vorstand. Diese Funktion übernahm Horst W., seines Zeichens Chef des Neuererbüros des Betriebes. Er verwaltete beispielsweise das Geld, das wir vom Betrieb jährlich aus dem K.u. S.-Fond (=Kultur- und Sozialfond) erhielten, ich glaube es waren so an die 10000 Mark. Horst verstand es, gute Jahresveranstaltungen zu organisieren. Es war im Fernmeldewerk eine Tradition, dass jedes Jahr im November mit Ehefrauen in einer großen Leipziger Gaststätte eine Jahresabschlussveranstaltung mit Tanz stattfand. Horst hatte dann bereits 1 Jahr vorher die Gaststätte bestellt, sonst war nichts mehr zu kriegen. Leider sind viele der Gaststätten nach der Wende geschlossen worden, in denen wir früher gerne unsere Veranstaltungen durchgeführt haben. So sind heute das Ringcafe, das Astoria-Cafe oder die Parkgaststätte in Markkleeberg geschlossen. Auf dieser Veranstaltung war es üblich, dass der KDT-Vorsitzende eine kleine Rede hielt, natürlich mit einer politischen Einleitung, und dann mit der Würdigung der Arbeit der BS im vergangenen Jahr. Manchmal haben wir auch verdiente Mitglieder mit der bronzenen oder silbernen Ehrennadel ausgezeichnet. Ansonsten waren die Veranstaltungen sehr beliebt, so dass wir sogar einige Male das Los über die Karten entscheiden lassen mussten.

Für unsere Gruppenorganisatoren haben wir immer auch noch ein Abendessen in gemütlicher Runde, meist im Kaminraum der Gaststätte Zills Tunnel, organisiert. Das war das Dankeschön für die gesamte organisatorische Arbeit mit den Mitgliedern. Und dann waren die 10000 Mark gewöhnlich alle, es sei denn, Horst hatte noch eine Quelle aufgetan. Nach seinen Geheimnissen habe ich ihn nie befragt. Fakt war allerdings, dass er als Neuererchef ein Mal im Jahr das Neuererfest organisierte, das ebenfalls im Betrieb immer sehr gut ankam und sehr gefragt war. Dort wurden dann aktive Neuerer ausgezeichnet.

Wir hatten in der KDT-Betriebssektion, erstmalig wieder seit Anfang der 60er Jahre, eine Auslandszusammenarbeit aufgebaut. Dieses Mal arbeiteten wir mit Tesla Strasnice in Prag, CSSR, zusammen. Durch einen Kollegen, der in den 60er Jahren schon daran beteiligt war, hatte ich zur Leipziger Messe den Vorsitzenden der Betriebssektion der CVTS, der tschechoslowakischen Ingenieurorganisation, von Tesla Strasnice getroffen. Mit ihm hatte ich einen Austausch von Fachleuten vereinbart. Die Leute von Tesla Strasnice kamen also 8 Mann hoch für eine Woche nach Leipzig, und unser Betrieb finanzierte den Aufenthalt, im Herbst 1976 waren wir dann zu acht in Prag. Dieser Besuch wurde dann durch den tschechischen Betrieb finanziert. Wir besichtigten den Betrieb in Prag, waren in Tesla Votice, einem Betrieb, der Leitungseinrichtungen hauptsächlich für die UdSSR produzierte und führten einen Erfahrungsaustausch hauptsächlich über technologische Probleme.

Aus diesem Austausch resultierte auch eine Freundschaft mit dem tschechischen Kollegen Jan K., den wir kurze Zeit später privat in Prag besucht haben. Doch dort verfolgte uns noch die Wirkung der fast 10 Jahre früher stattgefundenen CSSR-Krise von 1968. Wir wurden bei Jan K. sehr nett aufgenommen, seine Frau sprach nicht deutsch, aber mit Hilfe von Jan wurde das Problem gelöst. Sein Sohn, vielleicht 18 Jahre alt, konnte zwar deutsch, er sprach aber nicht mit uns, er vermied jede Begegnung mit uns. Jan entschuldigte sich, sein Sohn hätte den Einmarsch der Ostblockstaaten 1968 in der CSSR nicht verwunden. Leider ist Jan einige Jahre später sehr früh gestorben.

Gleichermaßen hatten wir zur Partnerorganisation bei PZT Telekom in Warschau eine Verbindung und einen Austausch von Kollegen, die wechselseitig den Betrieb in Warschau bzw. in Leipzig besucht haben.

Damit wurde unsere BS im Betrieb attraktiv, und unsere Mitgliederzahl wuchs ständig.

Einmal im Jahr musste ich vor der Parteileitung der SED berichten, wir sind aber immer sehr gut aus solch einer Berichterstattung herausgekommen. Einmal im Jahr wurden wir Vorsitzenden der Betriebssektionen des Stadtbezirkes zum Sekretär für Wirtschaft der Stadtbezirksparteileitung zur Aussprache geladen.

Von diesen Veranstaltungen ist mir nur in Erinnerung geblieben, dass wir jedes Mal den Vorsitzenden der BS der Brauerei Sachsenbräu furchtbar wegen der schlechten Qualität seines Bieres aufgezogen haben. Das Bier war wirklich nicht gut, und er hat uns auch nie verraten, was sie in das Bier hineingemischt haben. Von Reinheitsgebot war jedenfalls keine Spur. Allerdings kannten wir trotz Westfernsehen Mitte der 70er Jahre den Begriff gar nicht. Aber irgendetwas muss es gewesen sein, denn heute kann man das Bier der Brauerei Reudnitz, wie sie jetzt heißt, ja auch trinken.

1980, als ich in die Kombinatsleitung gegangen bin, habe ich dann den Vorsitz abgegeben. Aber ich war immerhin 7 Jahre lang Vorsitzender, und es hat mir großen Spaß gemacht.

 



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