uni

Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

Berichte über Erlebnisse

Was wir wollen | Berichte schreiben | Chronik | Aktuelles | Impressum

Wie ein Genosse das Ende der DDR erlebte

Ein Bericht von Dr. Klaus-Dieter Schmidt, Leipzig

1989 hatte die SED beschlossen, eine Aktion zum Umtausch der Parteidokumente durchzuführen. Das passierte aller 7 bis 8 Jahre einmal, es war so eine Art Säuberungsaktion, in der unsichere Genossen aus der Partei ausgeschlossen werden sollten. Ich hatte eine solche Aktion einmal bereits erlebt. Soweit, so gut.

Zum Verständnis muss ich aber vorher noch einiges erklären. Ich war zu dieser Zeit Direktor für Technik in einem großen Leipziger Betrieb und Mitglied der SED, wie es so üblich war. Der Technik-Bereich hatte eine Abteilungsparteiorganisation, APO, in der die Genossen dieses Bereiches organisatorisch zusammengeschlossen waren. Als Direktor war ich automatisch Mitglied der APO-Leitung, und arbeitete mit dem APO-Sekretär gut zusammen. Zweimal im Jahr mussten er und ich zur Berichterstattung in die Parteileitung, und die Berichte wurden mit Zustimmung zur Kenntnis genommen. Die APO von T war also eine vorbildliche APO, zweimal Berichterstattung, und die übrige Zeit konnte ich machen, was ich für richtig hielt. Da redete mir auch die Parteileitung nicht hinein. Das war ein Zustand, mit dem ich leben konnte.

Aber es kam dann im Sommer 1989 anders. Mein APO-Sekretär wollte in den Urlaub fahren, und er trieb die Gespräche mit den Genossen, die im Rahmen des Umtausches der Parteidokumente zu führen waren, voran. Er wollte sie vor seinem Urlaub abgeschlossen haben.

Und nun passierte etwas, was keiner erwartet hatte. Bei diesen Aussprachen zeigte es sich, dass die Genossen die Nase voll von der Politik in der DDR hatten. Es hagelte Austritte. Selbst alte überzeugte Genossen erklärten ihren Austritt. Ich habe selbst eine ganze Reihe von Gesprächen mit diesen Genossen geführt, und ich kam bald mit dem Hören nicht mehr nach. Die Genossen beklagten die verfallenen Häuser, die schlechten Straßen und viele Dinge, die den Verfall der DDR zeigten. Leider konnte ich den Genossen nur Recht geben. Wir schrieben über jede Aussprache ein Protokoll, schrieben auf, was für Argumente kamen. Zu beschönigen war da nichts mehr, und aus der vorbildlichen T-APO war eine Problem-APO geworden. Es gab nun Parteileitungssitzungen, an denen wir teilnehmen mussten. Bei einigen dieser Sitzungen war ein Vertreter der Stadtbezirksparteileitung anwesend. Mein APO-Sekretär wurde immer nervöser, ich habe ihn aber beruhigt. Ich sagte: „Warte mal bis die anderen APOs mit den Aussprachen soweit sind wie wir.“ Und so war es auch. Als die anderen APO die Aussprachen durchführten, passierte das gleiche wie bei uns. Und es kam noch schlimmer, denn es hatte sich herumgesprochen, dass den Genossen, die bei uns ausgetreten waren, nichts passiert war. Mittlerweile war es September geworden, die Ungarn hatten die Grenze geöffnet, die Botschaftsflüchtige in Prag durften ausreisen. Es herrschte eine allgemeine Ratlosigkeit.

Wie nervös die Parteiführung damals war zeigt noch ein anderes Beispiel. Im August auf unserer monatlichen APO-Versammlung nahm der 1. Sekretär der Stadtbezirksleitung Südost als Gast teil. In seinem Diskussionsbeitrag berichtete er, dass die DDR den Schadstoffanteil in der Pleiße um 95% gesenkt hätte. Daraufhin hat ein Genosse etwas zu laut gelacht. Konnte doch jeder sehen und riechen, dass trotzdem immer noch genug Schadstoffe in der Pleiße waren. Am nächsten Tag kam die Weisung von der Stadtbezirksleitung, dass sich dieser Genosse in der Stadtbezirksleitung melden sollte. Das war mir denn doch zu viel. Ich ging zu unserem Parteisekretär und sagte: „Wenn wir uns endgültig lächerlich machen wollen, dann schicken wir den Genossen hin. Bitte versuche das abzubiegen.“ Unser Parteisekretär hat das auch tatsächlich geschafft, und so blieb die ruchlose Tat ungesühnt.

Es nahte der 40. Jahrestag der DDR mit den üblichen Feiern und den üblichen Reden. Am 7. Oktober wurden in Leipzig Demonstranten verhaftet und in Markleeberg in Pferdeställe gesperrt. Bei diesen Demonstranten war auch eine Zeichnerin aus der Werkzeugkonstruktion dabei. Sie kam am Montag in den Betrieb und erklärte ihren Austritt aus der Gewerkschaft. Wir haben sie nicht daran gehindert.

In dieser Phase musste ich auf einen Lehrgang im ISW, dem Institut für sozialistische Wirtschaftsführung. Ich hatte mich in der Vergangenheit um alle diese Führungskaderlehrgänge herumgedrückt, die Delegierung auf die Bezirksparteischule habe ich die ganze Zeit erfolgreich hintertrieben. Dabei hatte mir auch unser APO-Sekretär geholfen. Er hatte im Statut herausgekriegt, dass ich für die Bezirksparteischule bereits zu alt war. Damit waren 3 Wochen ISW das geringste Übel.

Was ich dort erlebte, zählt zu den interessantesten eineinhalb Wochen meines Lebens. In Dresden waren an dem Institut für Wirtschaftsführung Professoren und Assistenten, die uns unterrichteten, bereits auf dem Trip in die Marktwirtschaft. Die Teilnehmer des Lehrgangs waren alles Betriebs-und Fachdirektoren aus dem Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik. Abends im Quartier, einer alten Villa am Elbeufer, saßen wir vor dem Fernseher und verfolgten die Berichte der Aktuellen Kamera. Tagsüber erzählten die Lehrkräfte des ISW etwas von Marktwirtschaft und veränderter Ökonomie, was noch nicht in der Zeitung stand. Am meisten wunderten wir uns, als der Staatssekretär des Ministeriums zu seiner obligatorischen Eintagesschau anreiste. Da hatten wir das Gefühl, dass noch nichts passiert war. Er redete, als wäre noch tiefster Sozialismus. Interessant war nur die Offenbarung, dass das Betriebssystem MSDOS, das Robotron in seinen Computern einsetzte, voll geklaut war. Die DDR befürchtete Klagen von Mikrosoft.

Als dann am 18. Oktober 1989 die Stoph-Regierung zurücktrat, wurden schlagartig alle Betriebsdirektoren nach Hause geschickt. Am darauf folgenden Dienstag war eine Exkursion nach Robotron Riesa angesetzt. Wir besichtigten das damalige Werk von Robotron, das bestückte Leiterplatten herstellte. Nach der Exkursion habe ich angefangen zu diskutieren, ob wir nicht besser den Lehrgang abbrechen sollten und in unsere Betriebe zurückkehren sollten. Dafür war aber die Zustimmung des Kaderchefs (heute Personalchef) des Ministeriums erforderlich. Den folgenden Tag gegen Mittag war auch diese eingeholt, und so war 12 Uhr der Lehrgang am ISW beendet. Ich kehrte in den Betrieb zurück und konnte feststellen, dass die Diskussionen sehr sachlich von statten gingen, und dass gegen mich keine bösen Sprüche an der Wandzeitung standen.

Als dann die Mauer geöffnet wurde, hat es mir einmal die Sprache verschlagen. Den Freitag nach der Maueröffnung kam die damals amtierende Kaderleiterin am Nachmittag in mein Zimmer und sagte wörtlich: „Wenn Du am Wochenende die BRD besuchen willst, bitten wir Dich, dass Du den Betriebsdirektor informierst.“ Da hat es mir nach der restriktiven Zeit, in der NSW-Kontakte übel geahndet wurden, die Sprache verschlagen, und das passiert nicht oft.

Am 7. Dezember 1989 habe ich dann mein Parteidokument in der Parteileitung abgegeben und damit meinen Austritt aus der SED erklärt. Ich war der Meinung, dass die SED sich hätte auflösen müssen. Aber der Genosse Gysi wollte das nicht unbeträchtliche Parteivermögen retten. So begann die Existenz der PDS auch schon wieder mit einer Lüge. Wir waren als junge Leute bei aller Kritik und Distanz, die ich mir immer bewahrt habe, doch überzeugt gewesen, dass der Aufbau des Sozialismus eine gute und richtige Sache gewesen ist. Zweifel am System kamen uns erst Ende der 70er Jahre, die ich Mitte der 80er Jahre vielfach in dem Satz zum Ausdruck gebracht habe: „Wenn wir so weiter machen, haben wir in der DDR bald rumänische Verhältnisse!“

Wir haben dafür auch eine Menge unangenehme Seiten in Kauf genommen. Beispielsweise konnten wir nur nach dem Osten reisen, und das auch nur mit Einschränkungen. Wir kannten Italien oder Spanien nur aus dem Westfernsehen. Wir meisterten die Versorgungsengpässe nach dem Motto: „Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.“ Wir schluckten, dass wir die Westbeziehungen abbrechen mussten, und vieles andere mehr. Wir haben drei Kinder großgezogen, und mit einer Familie verboten sich irgendwelche Experimente einer Republikflucht. Sicher waren wir nun auch nicht so mutig, wie es manche Leute für sich heute der Öffentlichkeit weismachen wollen. Ich hatte ganz einfach keine Lust, in den Knast zu gehen und den Märtyrer zu spielen. Ich oder besser wir waren stinknormale DDR-Bürger.

Seitdem ist mir diese Partei, gleich welchen Namen sie immer trägt, ob „SED/PDS“, „PDS“ oder „Die Linke“ völlig suspekt, mit ihr werden die Probleme in Deutschland nicht gelöst, sie ist das Problem. Damit enden meine Erlebnisse mit dem Sozialismus, den wir einmal für gut geheißen hatten, für den wir viele Dinge auf uns genommen hatten, die sicher nicht immer angenehm waren und nun begann eine neue Zeit.



     Seitenanfang
Website der AG Zeitzeugen
Templates