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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

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Während des Neuanfangs nach dem 2. Weltkrieg

Ein Bericht von Gerda Lott, Leipzig

Mit dem 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, war für uns das lang ersehnte Kriegsende des 2. Weltkrieges gekommen. Wir wussten, das der Wiederaufbau unendlich Schweres von uns fordern würde, aber jeder Schritt war ein Schritt in den Frieden. Wir hatten eine Wohnung, mein Mann seine Arbeit …

Nur wie das Problem der Ernährung zu lösen war, ließ uns nichts Gutes ahnen. Wir sollten es bald erfahren. Die uns zugebilligten Kalorien richteten sich nach der erbrachten Arbeitsleistung, wobei neben der Schwerstarbeit (z.B. im Bergbau) die des Ingenieur (technisches Personal) eine bevorzugte Stellung einnahm.

Mein Mann wurde am 15.08.1945 als Produktionsleiter eingestellt und erhielt eine entsprechend hohe Menge Kalorien, während ich als Hausfrau nur eine sogenannte Hungerration bekam. Ich musste mir also ein „Zubrot“ besorgen.

Ein Bruder meiner Mutter, der mit dem Passagierschiff „Bremen“ auf ihrer letzten Fahrt vor Kriegsbeginn aus den USA nach Deutschland kam, wurde kriegsdienstverpflichtet und musste bei der AEG in Leipzig arbeiten. Nach Kriegsende floh er über die „grüne Grenze“ zu seiner Tochter nach Hamburg. Zuvor aber beschaffte er mir aus den geräumten Unterkünften der Fremdarbeiter der AEG zwei Spinde, die ich im Lichthof unseres Doppelhauses aufstellte, um darin Kaninchen zu halten. Ihr Futter fand ich auf dem benachbarten Friedhof und trug so etwas zur Ernährung der Familie bei.

Hin und wieder brachte mein Mann einen Sack Löwenzahn aus dem Werk mit. Der Löwenzahn wuchs auf dem Gelände, wo eine Unmenge von Flugzeugen stand, die dort zerlegt, eingeschmolzen und somit als Rohstoffe zurück gewonnen wurden.

Am 20.06.1948 wurde im Westen, am 23.06. 1948 im Osten, die Währungsreform durchgeführt. Damit eröffnete sich für uns eine Möglichkeit an gewünschte Dinge heranzukommen. Bei uns in Leipzig gab es den „Schwarzen Markt“. Aber Geschäfte mit Schwarzhändlern zu machen, dem fühlte ich mich nicht gewachsen.

In Westberlin bestand die Möglichkeit des Geldumtauschs und dann des Kaufs in Geschäften. Das hatte fast etwas Legales an sich.

So planten ich und die Ehefrau eines damaligen Werkleiters einen Einkaufstrip nach Westberlin. Für Dienstreisen in das „Haus der Ministerien“ in der Leipziger Straße, Nähe Zonengrenze, stand dem Werk ein 6-sitziger Pkw Marke „Wanderer“ zur Verfügung. Er wurde als „Holzvergaser“ betrieben. Der Generator befand sich außerhalb der Karosserie hinter den Rücksitzen. Die zur Gaserzeugung notwendigen Mengen Holz wurden in Säcken auf dem Wagendach transportiert.

Der Wagen fasste neben dem Fahrer, den Mitgliedern der Werkleitung noch uns zwei Ehefrauen, die die Einkäufe erledigen sollten. Wir zwei fuhren dann in Berlin mit der S-Bahn bis zur Haltestelle „Gesundbrunnen“ und  bestaunten dort das Warenangebot. Dann studierten wir die Aushänge der Wechselstuben, die den Umtauschkurs anzeigten, nahmen uns aber vor Schwarztauschern mit ihren ewigen „Ost/West“ in Acht. Nach dem Geldwechseln machten wir unsere Einkäufe. Das waren einige Kisten mit Bücklingen, Dorschleber und für die Kinder Cadbury - Schokolade.

Dann fuhren wir in ein elegantes Lokal auf dem Ku-Damm, von wo aus die Heimfahrt angetreten werden sollte. Wir gaben unser Gepäck, das einen kräftigen Geruch hinterließ, an der Garderobe ab. Nachdem unsere Männer eingetroffen waren nahmen wir es von dort wieder in Empfang - ohne das Jemand darüber ein Wort verlor ….

Beim Wiedereinbiegen – auf die Autobahn Berlin – Leipzig mussten wir eine Kontrolle der Ostpolizei passieren, was uns einiges Herzklopfen verursachte. Aber wir hatten Glück, niemand von ihnen lüftete die hoch aufgetürmten Säcke auf dem Dach des Autos.

Ich fuhr noch einige Male mit dem „Wanderer“ nach Westberlin. Dort lernte ich das Kino am Potsdamer Platz kennen, wo man Westfilme für Ostgeld sehen konnte; so den „Dritten Mann“ mit Orson Wells und dem Wiener Zitherspieler und die tränenreiche amerikanische Schnulze „Vom Winde verweht“.

Es sollte noch lange dauern, bis wir für unser Geld auch im Osten die begehrenswerten Dinge erhielten.

Nach Westberlin kam ich erst wieder nach der Wiedervereinigung (1989/90).

 



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