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Universität Leipzig

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Wie ich die Einführung der EDV in der DDR erlebte

Ein Bericht von Wolfgang Hirsch, Eilenburg

Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hielt es die DDR-Führung für angebracht, die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung voranzutreiben, um auf ökonomischem und wissenschaftlichem Gebiet den Anschluss an die internationale Entwicklung nicht zu verpassen.

Ich hatte zu dieser Zeit mein wirtschaftswissenschaftliches Studium beendet und war dabei, mich beruflich zu orientieren. Den mir von der Leipziger Karl-Marx-Universität zugedachten Arbeitsplatz an einer Fachschule in Rosswein anzutreten, hatte ich keine Lust. Ein ehemaliger Schulfreund aus meiner thüringischen Heimat, der beim damals neu gegründeten Betrieb VEB Maschinelles Rechnen tätig war, brachte mich auf den Gedanken, mich dort ebenfalls zu bewerben. Obwohl ich keinerlei fachliche Vorkenntnisse vorweisen konnte, wurde mir eine Stelle als Programmierassistent angeboten.

Da war es für mich eine gewisse Erleichterung, dass es den anderen Arbeitskollegen ähnlich erging. Leider hatte ich meine Arbeitsstelle ein halbes Jahr zu spät angetreten.

Der VEB Maschinelles Rechnen hatte nämlich neben dem Robotron-Rechner R300 auch einen modernen Großrechner der Firma Siemens erhalten. Um ihn bedienen zu können, waren einige meiner Arbeitskollegen zu mehrwöchigen Lehrgängen nach München delegiert worden. Diese seltene Chance, in moderne Technik von kompetenten Fachleuten auf der anderen Seite der Mauer eingewiesen zu werden, hatte ich dummerweise verpasst.

Aber dieser Lehrgang in München hatte sich als nicht ausreichend erwiesen, um die wertvolle Maschine richtig zu nutzen. So erhielten wir weiteren Unterricht von Siemens-Mitarbeitern, die zu diesem Zweck nach Leipzig geeilt waren.

Nach und nach arbeitete ich mich in die Programmierung der damals modernen Großrechner ein. Unsere Aufgabe war es u. a., Programme für die DDR-HO-Warenhäuser zu schreiben, um die tägliche Abrechnung der auf Magnetband gespeicherten Daten von ebenfalls neu eingeführten elektronisch gesteuerten Registrierkassen zu sichern, die Daten zu verdichten und entsprechende Auswertungen, gegliedert  nach Warenhäusern, Warengruppen, Branchen usw. vorzunehmen.

Diese Aufgaben erwiesen sich aber etwa ab 1968 als zu komplex für die uns zur Verfügung stehende Technik. Das war die Zeit, als international das Magnetband als Datenspeicher von der Magnetplatte abgelöst wurde. Parallel dazu versuchte die DDR-Führung bereits damals, sich einer drohenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von westlichen Ländern auf dem Gebiet der Mikroelektronik zu entziehen. So wurde auch der VEB Maschinelles Rechnen mit neuen Rechnern ausgestattet, die diesmal aus Bulgarien, der Sowjetunion, vor allem aber aus dem Dresdner Kombinat Robotron stammten.

Natürlich waren für den Umgang mit diesen neuen Geräten auch wieder Lehrgänge fällig. Das war normal. Nicht normal war aber, unter welchen Umständen diese Lehrgänge abgehalten wurden. Ich wunderte mich sehr, dass wir plötzlich als „Geheimnisträger“ eingestuft wurden und eine entsprechende Verpflichtung unterschreiben mussten. Der Lehrgang selbst fand unter höchst konspirativen Umständen statt. Was wir dort erfuhren, durften wir niemandem mitteilen - auch nicht unseren Angehörigen. Lehrmaterial wurde morgens ausgegeben und nach Unterrichtsschluss wieder eingesammelt und im Panzerschrank verwahrt. Für persönliche Aufzeichnungen wurden Hefte ausgegeben, die mit dem Stempel „Vertrauliche Verschlusssache“ (VVS) versehen wurden und eine entsprechende laufende Nr. erhielten. Auch diese Unterlagen wurden morgens ausgegeben und nach Unterrichtsschluss wieder eingesammelt.

Was enthielten die so ängstlich gehüteten Unterlagen? Wie uns nach und nach klar wurde, handelte es sich um Schulungsunterlagen für das EDV-Betriebssystem OS/360, mit dem die neuen Rechner ausgestattet waren. Wir hatten inzwischen genug Fachkenntnisse erworben, um zu wissen, dass es sich bei diesen Rechnern um Nachbauten der seit dem Jahre 1964 schrittweise neu eingeführten erfolgreichen Baureihe IBM /360 handelte. Die dazugehörigen Schulungsunterlagen erwiesen sich allesamt als Nachdrucke und/oder Übersetzungen der (west)deutschen bzw. amerikanischen Originale. Die Vermittlung von Kenntnissen zur Handhabung des dazugehörigen Betriebssystems unter derart konspirativen Umständen sollte vertuschen, dass schon damals in der DDR mit moderner Rechentechnik westlichen Ursprungs in großem Umfang Produktpiraterie betrieben wurde.

 



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